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Der erste Sonntag.

»Lieber Paul!

»Heute ist der erste Sonntag in der Fremde und wer will, schreibt nach dem Kirchgang Briefe. Natürlich will ich! Mama hat ihren schon, nun kommst du an die Reihe; aber du mußt hübsch antworten, sonst wird Gustel sehr böse.

»Also, es ist nett hier; beinah piek! und man lernt die wunderbarsten Dinge; zunächst am Morgen natürlich Wissenschaft – ›mit ausgeschlafenem Verstand‹, sagt Professor Rhenius, und für Professor Rhenius schwärme ich nämlich am meisten. Eine von uns, weißt Du, schwärmt mehr für diesen, die andre mehr für jenen. Auch Professor Schering ist herrlich – wenn er Geschichte vorträgt, erlebe ich alles mit und möchte dem Feinde gleich irgend etwas Schreckliches antun: Napoleon, weißt Du, oder Varus, oder Narses, die Spinne, die alle meine wundervollen Gotenkönige ins Netz lockt. Schwärmen werde ich aber doch wohl noch mehr für Professor Rhenius. Wenn man dumm ist und er seine ironischen Mundwinkel macht, ist man zwar wütend auf sich selber, aber man könnte ihm doch gleich um den Hals fallen vor Begeisterung. Bei Professor Schering weiß ich es noch nicht ganz genau, vor dem geniere ich mich ein bißchen.

»Lernen tue ich außerdem aber die merkwürdigsten Sachen. Diese Woche hatte ich mitsamt meinem Mitküken Aufräumstunde – ja, lache nur, Du weiser Primaner, der die Welt noch lange nicht so genau kennt wie seine Westentasche, und denkt, aufräumen kann ein richtiges Frauenzimmer von selber! Mit nichten – die Wissenschaft von einer Sache muß man allemal erst lernen – von Natur hat man höchstens einen Sinn für Ordnung wie Ida, oder einen Hang zur Hurlebuscherei wie Frida – wir aber treiben die Ordnung wissenschaftlich.

»Da gab es zunächst Unterricht im Lampenputzen und Tischplattenabreiben – piek – »auf neu« würde unsre Plättfrau sagen – und darauf im Spiegelputzen – hierbei mußte man so lange ins Glas gucken, daß man sich ordentlich satt kriegte (ich war ungeschickt, weißt Du!); dann gab's Porzellanblumen abzublasen und Holzschnitzereien auszupinseln – und überall wußte einem Fräulein Klementine oder Fräulein Lisbeth einen feinen Handgriff zu zeigen, daß es nur so flog – außer beim Spiegelputzen, wo es immer wieder Fusseln auf dem Glas gab (woran schließlich ein falsches Poliertuch schuld war), weshalb mich alle nach und nach mit meiner Vorliebe für den Spiegel neckten. Ich hätte beinah einen bösen Spitznamen weggehabt, aber ich kam noch glücklich davon – ich habe also noch keinen, weil ich zu vielseitig sei! Du aber siehst daraus, daß der Wildfang, der in mir steckt, ganz klein gewesen ist all die Zeit, sonst hätten die Spürnäschen ihn längst entdeckt und benutzt. Lydia Krafft hat ihren Spitznamen schon weg – sie heißt das Dorfprinzeßchen – nett, nicht wahr? Aber ich glaube, sie ärgert sich. Begreifst du das? Ich nicht – obgleich ich diese Lydia beinah studiere!

»Unser Obmann Friederike Schiller ist unheimlich klug, dadurch imponiert sie meinem Kabusenzwilling so, daß diese sich öfters ganz von mir abwendet und Friederiken Heeresfolge leistet. Ich werde nicht klug aus ihr. Erst dachte ich, sie habe Heimweh, denn es kam ihr immer was ins Auge, gerade wie mir. Aber sie sagte: nein, sie wäre nur ungern in die Pension, nach Hause verlange sie gar nicht. Begreifst Du das? Mich verlangt sehr nach Hause, aber in der Villa Schering bin ich doch gern, kurzum, ich weiß gar nicht, was ich aus Lydia machen soll. Sie ist so fleißig und artig und darauf erpicht, musterhaft zu sein, daß sie auch hie und da das Biederkind heißt, aber wenn man brav ist und alle mit einem zufrieden sind, dann ist man doch fidel, nicht? Ich immer, und Lydia kein bißchen, vielmehr ein ganz klein bißchen verdrießlich, und wenn ich von Papa und Mama schwärme, wird sie sogar sehr verdrießlich, gerade wie einer, der sich ärgert. Da hat sie mich schon einmal ›Familienprotz‹ genannt. Begreifst Du das?

»Es gibt überhaupt viel Merkwürdiges in der Fremde und alle Tage etwas Neues. Morgen beginnt die Küchenlehre auf acht Tage – erzähle das doch, bitte, unsrer eleganten Mina, die gleich dachte, die Wirtschaft müsse zu Grunde gehen, wenn ich meine Nasenspitze über den Herd schweben ließ. – Nach Eisenach sind wir erst ein einziges Mal gekommen – wir konnten alle Tage vor Tisch auf dem großen Spielplan im Garten sein und Lawn Tennis, Croquet, Reifen und Boccia spielen – ist das nicht piek? Da sind auch die drei Göttinnen öfter dabei und die gelehrte Friederike muß. Einmal hatte sie sich davon gedrückt und saß nebenan in der Laube über ihrer lateinischen Grammatik; jawohl, sie treibt Latein bei Professor Schering und soll schon bis Obersekunda sein. Wenn ich das bedenke, habe ich große Ehrfurcht vor ihr, sonst aber gar nicht, denn sie ist launisch und unfreundlich, ja manchmal will sie uns tyrannisieren. Kannst Du Dir Deine Gustel tyrannisiert denken? Ich nicht; dann rumort der Wildfang allemal ganz entsetzlich, ich brauche Herkuleskräfte, um ihn niederzuhalten, und gib acht, schließlich geht er doch durch – denn sie ist zu fad. Also wenn sie wegbleibt, dann holt sie der Professor. Ich hörte ihn sagen: Liebes Kind, bedenke, daß alle Uebertreibung von Uebel ist und sich rächt. Du hast ohnehin schon an deinen Nerven zu leiden! Denk mal mit siebzehn Jahren Nerven! Sei versichert, daß Gustel keine Gelehrte wird. Aber weißt Du, italienisch lern' ich noch mit – als wir hierher fuhren, sprachen zwei ewig lesende Damen und mein Fräulein Charlotte einmal halblaut zusammen italienisch – ich lauschte natürlich, ich hörte aber nicht einmal die Worte ordentlich, nur zuletzt sagte sie etwas deutlicher › mi piace‹. Seitdem suche ich nun zu ergründen, was das heißt, und gestern sagte mir Pallas Athene, es hieße: ›Sie gefällt mir‹. Ach, Paulemann! nun wünsch' ich so brennend, sie hätten von mir gesprochen.

»Leider habe ich von Fräulein Charlotte bis jetzt nichts gehört und nichts gesehen; es ist überhaupt, als lebten wir auf einer Insel im Meere, aber auf einer himmlischen Insel, die ganz vollkommen wäre, wenn Ihr alle mit darauf wohntet. Solch einen Garten, wo man alle Tage gucken kann, ob der Frühling schon ein bißchen gewachsen ist, müßtet Ihr auch haben; dagegen ist unser bißchen daheim ein trauriger Hof. Heute ist's so warm, daß Kellermann die Wintertür aus dem Speisesaal heben durfte, nun kann man gleich hinaus auf die Terrasse, und ganz vorn, wo die Sonne am hellsten hinscheint, wächst der Flieder, daß man zusehen kann, wie sich die beiden Blütenblättchen voneinander trennen; anderwärts sprießt das Grün erst schüchtern hervor.

»Von unsrer Eiche hab' ich Mama schon erzählt. Das ist ein herrlicher, alter Baum, und da hab' ich den Wildfang doch einmal spazieren geführt, aber es war um einer Rettung willen. Lise Bönings Reifen war hinaufgeflogen – wie, bleibt unbegreiflich, denn Lise spielte weit ab von der Eiche und der Baum stand gar nicht in ihrer Richtung, aber Lises Glieder bekommen immer ganz merkwürdige Sachen fertig, er hing eben oben.

»Erna Hiltrop machte unangenehme Bemerkungen; sie war nämlich geknickt, weil ihr Schwarm, Professor Schering, ihren Aufsatz getadelt hatte; er hatte gesagt, sie schreibe Zeitungsdeutsch, sie solle lieber schreiben, wie ihr der Schnabel gewachsen sei. Ich weiß noch nicht genau, ob ich das übelnehmen muß, Papas wegen – obwohl er natürlich kein Zeitungsdeutsch schreibt, aber Erna war geknickt, und wenn sie geknickt ist, ist sie boshaft. Gleichviel, um der Sache ein Ende zu machen, stieg ich auf die Eiche und holte den Reifen herunter; es ging wirklich nicht anders, die Stange war zu kurz und eine andre traute sich nicht hinauf. Wie ich wieder unten war, sagte ich Erna: ›Nun bist Du still, der Reifen ist da (sie hatte das Aufräumen der Spiele übernommen), und wenn Du nicht feig wärst, hättest Du ihn selber geholt; ich bin aus Berlin.‹

»Merkwürdigerweise hielt sie keine Gegenrede; aber als ich oben saß, hab' ich mich sehr geschämt, denn da kam im Wald eine ganze Gesellschaft gegangen, und als sie mich zwischen den kahlen Aesten hocken sahen, riefen sie mir Neckworte zu. Ich hatte gar nicht gewußt, daß so nahe ein Weg vorbeiführt, ich dachte, da sei Urwald und Wildnis.

»Nun muß ich aber lebewohl sagen; das Küchenpärchen deckt schon mit Geklapper den Tisch. (Grazien klappern nicht, sagt Professor Schering, der Sonntags nicht in seiner Studierstube sitzt.)

»Leb wohl, leb wohl, leb wohl! Grüße und küsse alle und erzähle Mausi was Nettes von mir, Du bist schuld, wenn sie mich vergißt. Ich habe aber nicht etwa Heimweh. Tausend Grüße

von Deiner Gustel.«

 

Als Gustel noch heiß vom Schreiben mit eilig gebürstetem Haar und frisch gewaschenen Fingern ins Empfangszimmer trat, sah sie Fräulein Charlotte neben Miß Harriet am Fenster stehen.

Mit einem Jubelruf flog Gustel auf Charlotten zu und umarmte sie; denn ihr war zu Mute, als sei das eine ururalte Freundin – sie hatte ja Paul noch gesehen, sie war die einzige von allen ringsum, die jemand von denen daheim »kannte«.

Fräulein Charlotte strich lächelnd über Gustels heiße Wangen und sagte leise: »Da ist ja unser Wildfang« – aber die Augen blickten so freundlich dabei, daß der »Wildfang« nicht bitter schmeckte.

Gustel bemerkte erst jetzt, daß noch zwei andre Damen da waren, denen Lydia eben vorgestellt wurde; sie hatte nicht einmal »guten Tag« gesagt.

»Nach Tisch hab' ich Ihnen eine ganze Menge zu erzählen,« sagte Fräulein Charlotte.

Getröstet durch diese herrliche Aussicht holte Gustel die versäumte Begrüßung nach. Als sie dann zu den Fischchen zurückkehrte, sah sie vier höchst gespannte Gesichter auf sich gerichtet und Erna Hiltrop fragte mit einem Ton, in dem leise Empörung klang: »Woher kennst du Fräulein Charlotte?«

»Reisebekanntschaft,« antwortete Gustel vergnügt.

Sie wunderte sich höchlich über Lises und Fannys tiefe Seufzer, noch mehr darüber, daß Erna in noch gereizterem Tone sagte: »Du hast doch immer ein geradezu bodenloses Glück. Wo hast du sie denn kennen gelernt?«

»Ei, auf der Herfahrt vor acht Tagen, wir sind von Berlin bis Eisenach zusammen gefahren.«

»Was? Einmal gesehen und gleich bis zum Küssen? Zudringlicher Fratz!«

Da hatte Gustel einen Spitznamen weg, der ihr wenig gefiel, aber Lise und Fanny erklärten den Kuß gleichfalls für unglaublich bei so kurzer Bekanntschaft.

»Ich begreife euch gar nicht; was geht euch das eigentlich an, wen ich küsse,« platzte Gustel gekränkt heraus.

Erna sagte gar nichts mehr dazu, sie sprach mit den Göttinnen; Fanny aber rief eifrig: »Wir schwärmen doch alle für sie, alle, und schon lange, aber geküßt hat sie noch keine.«

»Warum schwärmt ihr denn?« fragte Gustel mißtrauisch, als solle ihr die Reisebekanntschaft abwendig gemacht werden.

»Ach,« seufzte Schönchen und ließ den Blick ihrer Sammetaugen die Blumenguirlanden der Decke entlang wandern.

»Sie weiß alles, sie kann alles und ist doch süß!« stieß der Flederwisch feurig heraus.

Und Fanny, die Dichterin, setzte hinzu: »Jawohl, aber sie predigt nicht und spricht nicht von Weisheit, obwohl sie vollkommen ist und Bücher schreibt.«

»Bücher?« Gustel sah starr zu Fräulein Charlotte hinüber. »Ach lieber gar!«

»Natürlich! sieht man ihr das etwa nicht gleich an?«

Nein, Gustel hatte es ihr durchaus nicht angesehen.

»Man sieht es ihr an, sowie sie lacht, sieht man es ihr an!« behauptete Semmelchen, und das Schönchen seufzte noch einmal.

»Aber ich habe es ihr nicht angesehen; von früh um acht bis nachmittag um drei Uhr hätte ich dazu Zeit gehabt, wenn man es ihr überhaupt ansähe; und ich bin froh darüber, daß ich's nicht wußte, denn sonst hätte ich mich furchtbar geniert.«

»Natürlich! Wir genieren uns auch alle, und drum sind wir so neidisch auf deinen Kuß.«

Gustel fing an das einzusehen. Erna, die mit halbem Ohr auf die Unterhaltung gehört hatte, wandte sich zurück; Lydia, die sich vor acht Tagen am Bahnhof »gar nichts aus dem ältlichen Fräulein gemacht hatte«, sah jetzt mit staunenden Blicken hinüber zu den Damen am Sofatisch.

»Was schreibt sie denn?« fragte Gustel. »Trauerspiele, oder furchtbar gelehrte Sachen, oder Schulbücher etwa?«

»Fratz,« sagte Erna ärgerlich, »du kommst aus der Stadt der Intelligenz und kennst die Erzählung ›das Schwalbenkränzchen‹ nicht?«

»Ich das ›Schwalbenkränzchen‹ nicht kennen? Natürlich! Das ist ja mein Lieblingsbuch; Papa sagt, der Spatz, der darin vorkommt, sei ich.«

»Dann wollen wir dich auch lieber ›Spatz‹ statt Fratz nennen, ich finde das netter,« sagte großmütig Lise Böning.

Gustel hörte nichts davon. »Das Schwalbenkränzchen! zu piek! – aber ist's auch wirklich von ihr?«

»Natürlich. Ich weiß es ganz gewiß. Sie schildert ja darin sich und die ganze Villa Schering, in der sie ehemals in Pension gewesen ist; alle andern Vögel des Buches, die mit ihr zusammen hier waren, haben sie und sich wieder erkannt.«

Verwirrt sah Gustel von Fräulein Charlotte zu Professor Schering, der eben die fremden Damen begrüßte, – der war doch nicht älter als Fräulein Charlotte. »Ja, wann war sie denn hier?« stammelte sie endlich.

Erna Hiltrop fühlte sich Gustel Elwers eben jetzt sehr überlegen, wurde also wieder liebenswürdig und mitteilsam. »Das ist natürlich schon eine ganze Weile her; damals waren des Herrn Professors Eltern die Besitzer der Villa, Professor Rheniusens waren der alten Herrschaften beste Freunde, unser Professor ein lustiger Student, und Fräulein Klementine und Fräulein Charlotte waren zwei der Fischlein, die hier gedrillt wurden. Nur nannten sie sich damals ›Schwalben‹ und die Pension nannten sie ›Schwalbennest‹. Fräulein Charlotte soll die Seeschwalbe geheißen haben, weil sie sich immer nach fernen Ländern gesehnt hat.«

Gustels Augen wurden sehr groß – nach fernen Ländern! Da hatte auch sie sich schon so oft hingesehnt! Nach Afrika, wo die Kokospalme wuchs und schwarze Menschen seltsam melancholische Weisen sangen, nach Japan, wo kleine, zierliche Leute in kleinen, wunderlichen Häusern wohnten, nach Indien, wo die großen Wunderblumen zu Hause waren, die alle Dichter besangen, auch wenn sie nie eine zu sehen bekommen hatten, wo der Theestrauch seine feinen, würzigen Blätter in die heiße Luft streckte und Zimmtstengel und Zuckerrohr –

»Ich bitte zu Tisch!« sagte Fräulein Klementine. Die fernen Länder verblaßten, die Villa Schering am Fuße des Thüringerwaldes kam wieder zu ihrem Recht.

Als Fräulein Charlotte Gustel nach Tisch zu einer kleinen Wanderung in den Garten aufforderte, wachte in Ernas Herzen wieder die Eifersucht auf.

»Begreifst du, was Fräulein Charlotte an dem Küken findet?« fragte sie Friederike Schauroth.

Friederike stand auf der Terrasse und sah in die Baumkronen hinaus, die sich fein und deutlich in ihrer Frühlingsdürftigkeit gegen den lichtblauen Himmel abzeichneten. Sie war ganz wo anders mit ihren Gedanken; sie war bei der Arbeit, die sie gestern abend nicht hatte vollenden dürfen, bei dem freiwilligen Aufsatz über die drei Töchter des Königs Lear. Sie kämpfte mit ihrem Mißmut über die strenge Hausordnung, die jede Sonntagsarbeit unnachsichtlich verbot, nun würde sie kaum vor Mittwoch nachmittag wieder eine Freistunde für die Vollendung haben, und heimlich hoffte sie, bei Herrn Professor Rhenius ein ganz besonderes Lob über die eingehende Schilderung der drei Charaktere zu erhalten.

Erna sah den Mißmut in Friederikens Zügen, und da sie wußte, daß Fräulein Charlotte auch von »dem Schaurig« sehr hochgeschätzt wurde, so hielt sie diesen Mißmut für Eifersucht.

Friederike aber sah Erna einen Augenblick lang an, als habe sie türkisch mit ihr gesprochen, endlich begriff sie, ließ ihre Augen den beiden folgen, die nebeneinander der Eiche zuwanderten, zuckte die Achseln und antwortete: »Fräulein Charlotte ist eben gegen alle Zöglinge der Villa gleich gütig.«

»Hat sie uns etwa beim ersten Begegnen zu einem Solospaziergang aufgefordert? Nein, diese Gustel muß eine Schmeichelkatze sein. Du darfst nicht allemal die Achseln zucken, Friederike, wenn unsereine etwas sagt. Du bist zwar schrecklich gescheit, aber da du eine Gelehrte werden willst und ich eine vornehme Hausfrau, so mußt du natürlich mehr lernen, jeder nach seinem Geschmack, eins ist so gut wie das andre. Nur diese Kleine dort, die keins von beiden anstrebt, sondern sagt, sie wolle nur eine nette Gustel werden, die müssen wir wirklich ein bißchen ducken, sonst wirft sie alle Hausordnung und die besten alten Gebräuche über den Haufen als Jüngste! Sie ist unglaublich keck!«

Friederikens Oberlippe zuckte nervös. Erna hatte sie aufgereizt. Diese Jüngste mußte allerdings gezogen werden! Mit natürlichen Dingen ging das nicht zu, daß Fräulein Charlotte jetzt Gustels Arm in ihren gelegt hatte und mit solch freundlichem Lächeln auf sie herabsah.

»Ja, wir müssen sie erziehen,« sagte Friederike, »laß ihr nichts durchgehen!«

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