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6. Aufklärungen

Einige Tage waren seit diesem merkwürdigen Ereignisse hingegangen. Graf Theobald wich kaum eine Stunde lang von dem Lager seiner geliebten Gattin, die ihm Gott auf so wunderbare Weise wiedergeschenkt hatte. Ihr zartbesaiteter Organismus hatte selbstverständlich schwer an den Folgen jener erschütternden Ereignisse gelitten und verlangte absolute Ruhe und Schonung. Man hatte es ängstlich vermieden, nur im Entferntesten auf jene Schreckensnacht anzuspielen, sie selbst aber hatte, nachdem sie sich einigermaßen wieder gesammelt, gebeten, man möge ihr einen der Familie wohlbekannten Priester schicken, dem sie Wichtiges anzuvertrauen habe. Bereitwilligst war diesem Wunsche stattgegeben worden, und als der ehrwürdige Ordensmann sie nach einer ziemlich langen Unterredung verließ, verabschiedete er sich von dem Grafen mit folgenden Worten: »Gnädiger Herr, Gott hat Ihnen in Ihrer Gemahlin einen überaus köstlichen Schatz geschenkt; Sie haben einen Engel zum Weibe, der nicht meiner Verzeihung, sondern lediglich meines bescheidenen Rates und meiner Vermittelung benötigte. Beinahe wäre der Frau Gräfin Reueschmerz tödlich für sie geworden, so lebhaft empfindet ihre reine Seele, und die Furcht, Ihr Vertrauen, oder am Ende gar Ihre Liebe zu verlieren, verwirrte sie vollends. Das Übrige wird sie Ihnen selbst sagen, ich kann nur bitten: Seien Sie gütig und schonend wie immer!« Damit entfernte er sich.

Dem Grafen aber war es, als ob die Last, die seit letzter Zeit sein Herz bedrückt hatte, mit dieser Rede plötzlich von ihm genommen wäre und Helene in ihrer ganzen engelhaften Schönheit wieder neu verklärt vor ihm stände. Worin übrigens die Schuld bestand, die sie so schwer gesühnt, sollte vorerst noch nicht erörtert werden, er wies selbst jede Eröffnung ernsthaft zurück, um die geliebte Patientin nicht zu schädigen.

Endlich schien sie soweit genesen, daß die Untersuchung, die sogleich nach der Schreckensnacht eingeleitet, durch die schwere Krankheit der Gräfin aber unterbrochen war, wieder aufgenommen werden konnte. Jetzt erst sollte Helene als Hauptzeugin des Dramas persönlich ihre Mitteilungen machen, und vor dem Chef der Polizei den peinlichen Sachverhalt aufdecken helfen.

Der Polizeidirektor hatte am bestimmten Tage seinen Besuch im Hotel angemeldet und sich von seite der gräflichen Herrschaften des freundschaftlichsten Empfanges zu erfreuen gehabt. Nach kurzer Einleitung begann er seine Mitteilung: Es war sofort nach Auffindung der Leiche deren Identität mit dem Italiener Lorenzo festgestellt und genaue Nachfragen nach dessen Vorleben gepflogen worden. Ein geborener Florentiner, war Lorenzo schon von erster Kindheit an äußerst begabt, aber dabei verschmitzt und zu Lüge und Betrug geneigt gewesen. Goldschmied von Profession, hatte er sich namentlich im Fassen von Edelsteinen eine ganz besondere Geschicklichkeit angeeignet und es hierin selbst bis zu einer gewissen Berühmtheit gebracht. Von Natur geizig und habsüchtig, war er imstande zu hungern und sogar das Nötigste zu entbehren, wenn er nur hierdurch klingenden Lohn erwerben oder seine Schätze vermehren konnte. Man fand auch eine bedeutende Summe Geldes in seinem Rücklasse, dessen ehrlichen Erwerb man jedoch vielfach in Frage stellte. Einer seiner Jugendfreunde, der sich aber später aus verschiedenen Gründen von ihm lossagte, gab noch als besondere Eigentümlichkeit seines Charakters an, daß er, in hohem Grade zum Aberglauben geneigt, sich gerne mit Wahrsagerei, Kartenschlagen, Schicksalsprophezeiungen und dergleichen Dingen abgegeben habe. Seinen Kameraden hätte er öfters versichert, es erwarte ihn, nach den Linien seiner Hand zu urteilen, noch ein ungeheueres Glück, und dürfe und wolle er, um es wirklich zu erreichen, vor nichts zurückschrecken. Als das sicherste und zuverlässigste Mittel, zu dem goldenen Ziele zu gelangen, galt nach dem Ratschlage alter Weiber der Besitz eines Schmuckgegenstandes, den bereits eine Leiche an sich getragen hatte, und Lorenzo hoffte, sein Geschäft als Goldarbeiter würde ihm einmal die günstige Gelegenheit bieten, sich einen derartigen Talisman zu verschaffen, doch wollte sich lange ein solcher nicht finden. Darüber beklagte er sich früher, wenn er sich gerade in erregter Stimmung befand, hie und da gegen seine Vertrauten. Plötzlich aber hatte er Florenz verlassen, angeblich, um sich anderweitig Brot zu suchen, und kurz nach seiner Entfernung sprach man von der beabsichtigten Beraubung einer vornehmen Leiche in genannter Stadt. Die Räuber sollen jedoch versprengt, und daher das Verbrechen nicht ausgeführt worden sein. Ein Jahr später berichtete man aus Riva einen ähnlichen Vorfall, der jedoch abermals mißlungen war. Zwei Tage vorher hatte Lorenzo, der als Geselle bei einem dortigen Juwelier gearbeitet hatte, den Ort verlassen. Dieser Zeuge wollte nun keineswegs durch seine Mitteilungen eine Anklage gegen den einstigen Freund schleudern, glaubte aber dennoch jede Vermutung und jede irgend förderliche Tatsache zur Anzeige bringen zu sollen, und dies um so mehr, als der neueste Vorgang wirklich ganz auffällig mit den früheren Neigungen und Versuchen Lorenzo's übereinstimmte. Noch heute ist bei einem großen Teile des spanischen und italienischen Landvolks der Glaube verbreitet, ein Schmuckgegenstand, der vorher von einer Leiche getragen wurde, bringe unfehlbar Glück und Reichtum. »Ich glaube nun fast mit Bestimmtheit annehmen zu dürfen,« wandte sich der Vorstand der Sicherheitsbehörde an den Grafen, »daß jener Leichenräuber von Florenz, dann der zu Riva und schließlich der Störenfried der russischen Fürstengruft und der Italiener Lorenzo, der hier unter Ihrem Fenster tot aufgefunden wurde, nachdem er offenbar auch in der Nähe Ihrer verehrten Frau Gemahlin einen frevelhaften Einbruch versucht hatte, eine und dieselbe Persönlichkeit sei. Er sei überdies gerade in jener Nacht, da das Verbrechen an der jungen Fürstin mutmaßlich begangen wurde, nicht zu Hause gewesen, und habe kurz nachher seiner Hausfrau die Worte hingeworfen: »Nun plag' ich mich nicht lange mehr, Frau Ursulina, ich bin auf dem besten Wege zu einer glücklichen Zukunft«, und auf die Gegenfrage der Frau, ob der Maestro am Ende gar das große Los gewonnen, habe derselbe hell aufgelacht und erwidert: »Das eben nicht, oder, am Ende ja doch; es ist auch so eine Art großes Los!« Einige Tage später sei eine fremde Dame bei ihm gewesen, und er hätte sich nach ihrem Weggehen wie ein Rasender geberdet, so laut, so stürmisch und so außerordentlich aufgeregt, daß Ursulina wirklich für den Verstand ihres Mieters fürchtete, leise an die Tür seines Zimmers schlich und das Auge an's Schlüsselloch legte, um ihn und sein ungewöhnliches Wesen zu beobachten und ein etwaiges Unglück zu verhüten. Da sah sie denn, wie Lorenzo unaufhörlich im Zimmer hin und wieder rannte, sich die Haare raufte und wilde, fremdlautende Verwünschungen ausstieß. Dann hörte sie ihn schreien: »Ich Tor, o ich Tor! Gebe mein Glück aus den Händen! Hätte ich sie doch weggeschickt, la maledetta signora!– aber die Polizei? – sie scheinen etwas zu ahnen – konnte ich anders handeln? – Dennoch hätte ich's nicht hergeben sollen – nun ist alles aus – dahin mein Glück, dahin meine Zukunft – o ich Tor!« So weit das Zeugnis der Hausfrau. Es bietet ein Glied zur langen Kette der Verhandlungen, und nicht einmal ein ganz unwichtiges. Was aber Lorenzo mit jenem wüsten Schmerzgeheule meinte, wer die Dame gewesen, der er sein Glück und seine Zukunft hingegeben, das blieb vorläufig unergründet. Nun habe ich noch eine Bitte an Sie, gnädige Gräfin, daß Sie mir nämlich Ihren Rubinenschmuck für ein paar Minuten zur Verfügung stellen möchten; der alte Fürst hat nämlich die Güte gehabt, mir das seiner Tochter geraubte Geschmeide aufs Genaueste zu beschreiben, und ich möchte deshalb gar zu gerne dasjenige, das Sie in Besitz haben, in Augenschein nehmen.«

Graf Theobald brachte sogleich den Schmuck herbei und überreichte ihn dem erfahrenen Freunde, während eine fahle Blässe bei dem Anblick der Steine Helenens Gesicht überzog. Der Direktor drehte das Halsband nach der linken Seite, und drückte, bekannt mit dem geheimen Mechanismus desselben, an eine verborgene Feder unterhalb der Schließe. Diese sprang auf und es zeigte sich nun im Innern das Miniaturbild des Fürsten, und auf der Rückseite fanden sich die Worte: »Meiner teuren Olga zum achtzehnten Geburtstage.«

»Es ist kein Zweifel, alles entspricht der Beschreibung, die Zahl und Fassung der Steine, die Form der Schließen, und das geheimnisvolle Versteck in derselben. Das Rubinen-Halsband, das ich hier in Händen halte,« sprach der Polizeibeamte ernst und ausdrucksvoll, »ist und kann kein anderes sein, als das der jungen Fürstin geraubte.«

Mit wahrem Entsetzen schaute Graf Berghausen bald seine Frau, bald seinen Freund an. »Um des Himmelswillen, Helene!« rief er mit heiserer Stimme, »wie kommt dieser Schmuck in Deinen Besitz? Aber erklärt mir dieses Rätsel? Wohin sind Deine Rubinen gekommen?«

Die junge Frau ergriff die Hand des geliebten Mannes und drückte sie sanft in der ihrigen. »Mit Gottes Hilfe hoffe ich Dir Deine Herzensruhe wieder zu geben, mein Teurer. Höre denn jetzt ein demütiges, aber reuevolles Geständnis, und auch Sie, werter Freund unseres Hauses, bitte ich, dasselbe mit anzuhören: Es sind nahezu vier Monate, daß Du, mein Theobald, in Geschäften fortreistest und mich allein hier zurückließest. Das darf nie, nie wieder geschehen,« warf sie, wehmütig scherzend, dazwischen, »denn von dieser unseligen Trennung schreibt sich das ganze Unglück her. Du hattest gehofft in längstens acht Tagen wiederzukehren, und übergabst mich einstweilen der Obhut der Frau v. Raume. Diese alte Dame glaubte wohl, meine Sehnsucht am besten durch Zerstreuung bewältigen zu können, und zog mich an ihren Spieltisch. Wie sonderbar! Ich hatte früher kaum eine Karte berührt, und zeigte dennoch ein so merkwürdiges Talent für das Spiel und bekundete eine so schnelle Auffassungsgabe, daß ich allseits Lob dafür erntete. Dies erhitzte meine Sinne und ehe ich's ahnte, war ich zur leidenschaftlichen Spielerin geworden. Sollte man's glauben? Ich wartete fast mit fiebernder Ungeduld des Abends, der mich zum grünen Tisch brachte, und schreckte nicht vor dem so gefährlichen Hazard zurück. Dazu spielte ich nicht einmal glücklich. Wenn ich einmal gewann, verlor ich sechsmal dagegen. Du kamst nicht so bald, als ich erwartet hatte, und ich ging nach wie vor zu Frau von Raume zum Spiele. Eines Abends verlor ich an eine fremde Dame 1500 Franks! Alle hatten meinen Mut bewundert, womit ich fort und fort neuen Einsatz bot und immer wieder verdoppelte, denn in mir arbeiteten Leidenschaft, Begierde, Eitelkeit, ich weiß selbst nicht, was alles, und Frau v. Raume war hocherfreut, über ihre spielselige kleine Freundin, aber infolge des namhaften Verlustes wurde mir doch ein bißchen bange und dies um so mehr, als ich im Augenblicke sehr schlecht bei Kasse war. Anderseits war es eine Ehrenschuld, die ich abzutragen hatte, und zwar schon binnen vierundzwanzig Stunden. Ich war viel zu hochmütig, als daß ich irgend einer Dame meiner hiesigen Bekanntschaft meine Verlegenheit hätte gestehen mögen; ich wollte mir nicht entfernt nachsagen lassen, Du hättest mich ohne genügende Barschaft zurückgelassen. Überdies hatte ich noch andere Einkäufe gemacht, mit welchen Du bei deiner Heimkehr überrascht werden solltest und die mein Nadelgeld vollständig erschöpft hatten. Wußte ich doch, daß Du mir nach Deiner Rückkehr meine leere Kasse wieder bereitwilligst füllen würdest. Für den Augenblick aber war guter Rat teuer. O, wie bereute ich jetzt, überhaupt gespielt zu haben! Du durftest nie erfahren, wozu ich mein Geld verbraucht hatte, denn ich wußte, Du hättest dieses Vergnügen bei Deiner Frau niemals gebilligt. Wo sollte ich nun Geld auftreiben? Man hatte mir vor einiger Zeit zufällig von einem Geldleiher Lorenzo gesprochen, er sollte mein Retter werden, und meine Rubinen das Pfand, welches ich ihm überlassen wollte. Es konnte sich ja nur um etliche Tage handeln, dann kamst Du wieder nach Paris, ich wieder zu Geld und selbstverständlich auch wieder zu meinem Geschmeide. Ich suchte den Italiener auf, fand ihn bereitwillig für meine Wünsche und trug das erhaltene Geld froh nach Hause. Nur eine Beängstigung blieb bei aller Befriedigung in mir zurück: ich hatte ohne Dein Wissen gehandelt und noch dazu etwas getan, was du niemals billigen würdest. Dies durftest Du niemals erfahren. Bisher hatte ich kein Geheimnis vor Dir gehabt, und nun lag ein solches zentnerschwer auf meinem Gewissen. In keinem meiner Briefe an Dich erwähnte ich jener Spielgesellschaften, nie kam später hierüber ein Wort über meine Lippen – und das, Theobald war unrecht und unverzeihlich. Endlich war Dein Geschäft beendet; aus kurzen acht Tagen waren drei Monate geworden. Desto glücklicher war ich, denn nach jenem unseligen Abend, da ich so viel verlor, und nachdem ich meine Schuld bezahlt hatte, hatte ich Frau v. Raume ruhig aber fest erklärt, ich dürfe in Deiner Abwesenheit nicht so große Summen auf das Spiel verwenden und würde von nun an auch keine Karte mehr berühren. Ihren feinen Spott habe ich überhört, ihr Anerbieten, mir Geld zu leihen, hochfahrend abgelehnt, ihre Abendgesellschaft nicht wieder besucht. Die erste Gelegenheit, da Du in Deinen Klub gingst, benützte ich zu Lorenzo zu gehen, um meine Rubinen auszulösen. Ich, Herr Polizeidirektor, war jene Dame, nach deren Weggehen der Italiener so wütend geworden ist. Ich hatte sofort bemerkt, daß ich ihm höchst ungelegen kam und sogar einigen Verdacht gegen seine Redlichkeit geschöpft; desto beharrlicher blieb ich bei meinem Begehren und wich nicht von der Stelle. Ich glaube, die Verzweiflung gab mir so viel Mut, denn wie hätte ich Dir, lieber Theobald, je wieder unter die Augen treten können, ohne mein Rubinengeschmeide? Endlich nach langem Zögern und Hin- und Hertrippeln brachte Lorenzo das Etui.«

»Er hätte sich sicherlich binnen kurzer Zeit aus dem Staube gemacht,« unterbrach der Polizeidirektor Helenes Erzählung, »zweifelsohne hatte er in der vorhergehenden Nacht die Leiche der jungen Russin bestohlen.«

Die Gräfin schauerte zusammen. »Ich entsinne mich,« fuhr sie dann in ihrer Erzählung fort, »daß er, als er mir den Schmuck zurückgab, sagte: »Auf ein Haar wär's um den Schmuck gewesen; ich hatte nur auf acht Tage geliehen und es sind nahezu drei Monate verstrichen,« worauf ich ihm ruhig erwiderte, daß ich mich keiner bestimmten Frist entsinnen könne, binnen welcher ich das Geld wiederzubringen versprach. Auf dem Pfandzettel stände: »Für unbestimmte Zeit!« Darauf gab er keine Antwort und blickte beinahe zärtlich nach den Steinen. Zu Hause angekommen, bemerkte ich zu meinem Entsetzen, daß ein Rubin fehlte. Mein Halsband hatte deren einundzwanzig gehabt und hier waren nur zwanzig! War einer herausgenommen worden? Das schien ohne Zerstörung des Ganzen kaum möglich. Was aber dann? Existierte noch ein zweites gleiches Geschmeide? Und wie war eine Verwechslung möglich?«

»Verzeihen Sie,« rief hier der Polizeidirektor aus, »dem ist wirklich so und auch dieser Umstand ist das Ergebnis unserer eingehenden Nachforschungen. Ich habe durch die fürstliche Familie den Namen des Juweliers erfahren, der jenes Geschmeide verfertigt hat, und mich sofort zu ihm begeben. Es ist derselbe, von dem auch Sie, verehrtester Freund, Ihr Halsband kauften. Er sagte mir, er habe zu jener Zeit eine Anzahl Rubinen von außerordentlich seltener Schönheit erworben und zur Anfertigung von zwei Halsgeschmeiden verwendet, die in Form und Fassung bis auf ein Kleines vollständig ähnlich waren. Das Ihrige zähle um einen Edelstein mehr; dafür brachte er an dem andern eine Hohlschließe an, die sich auf den Druck einer verborgenen Feder öffnete und so den Zweck eines Medaillons erfüllte. Beide Geschmeide wurden fast gleichzeitig verkauft. Seltsamerweise bot ihm vor nicht allzulanger Zeit auch Lorenzo, den er als sehr geschickten Arbeiter schätzte, mehrere Schmuckgegenstände mit Rubinen zum Kaufe an, die er auf Reisen erworben zu haben vorgab. Die Pracht dieser Steine hatte den Juwelier überrascht, da er nicht geglaubt hatte, daß noch mehr so schöner feuriger Rubinen, wie er sie verarbeitet hatte, im Umlauf sein könnten. Deshalb nahm er sie dem Italiener zu hohen Preisen ab. – Haben gnädige Frau dem Unglücklichen gar keinen Vorwurf der Verwechslung in's Gesicht geschleudert, keinen Versuch gemacht, Ihr Eigentum wieder zu bekommen?«

»Freilich tat ich das, Herr Polizei-Direktor,« entgegnete die Gefragte, »und zwar sobald als möglich. Ach, Theobald war ja kaum von jener Reise zurückgekommen, als wir schon die Vorbereitungen zur Heimkehr nach Deutschland trafen, und mit Besuchen und anderen Geschäften vollauf überladen waren. Es drängte ein Tag den andern; als ich aber in der Gesellschaft, welche unseren Abschiedsfeste vorherging, die grenzenlose Verlegenheit aushalten mußte, daß sich über die Zahl meiner Rubinen ein Streit erhob, als ich, um meiner Rolle treu zu bleiben, sogar vor Fremden gezwungen war, Theobald zu widersprechen und ihn des Irrtums zu zeihen, ach da stieg die Qual meines Gewissens mehr und mehr, und ich begab mich noch in jener Nacht zu Lorenzo, um meine Juwelen zurückzuverlangen. Ich hatte ihm leider bei meinem ersten Besuche strenges Stillschweigen anbefohlen und mich hierdurch unvorsichtig in seine Gewalt gegeben. Nun begegnete er meiner sichtlichen Angst mit kaltem Hohne, behauptete, ich hätte ihm keine anderen als eben diese Rubinen verpfändet und drohte endlich, mich wegen Kränkung seiner Ehre als rechtschaffener unbescholtener Mann gerichtlich zu belangen. Was sollte ich tun? Banges Weh im Herzen, rat- und hilflos kehrte ich nach Hause zurück.«

»Und war das in einer Droschke, gnädige Frau? Vergeben Sie mir die indiskrete Frage,« sprach der Untersuchungsbeamte; »ich würde sie nicht getan haben, wenn sie nicht absolut zum Abschlusse meiner Nachforschungen nötig wäre.« Dabei zog er ein Portemonnaie aus der Tasche und reichte es der Überraschten hin. »Benützten Sie dieses Portemonnaie in jener Nacht, da Sie zu Lorenzo gingen? Ein Kutscher überbrachte es mir als in seinem Wagen liegen geblieben und ich war nicht wenig erstaunt, unter seinem Inhalte auch diese Visitkarte mit Ihrem Namen zu entdecken. Ich gestehe aufrichtig, ich war um Berghausens willen höchst betrübt. Was konnte, was mußte ich denken angesichts solcher Wahrnehmung? Durfte ich Sie, die ich stets hoch zu schätzen so glücklich war, mit irgend einem Gedanken nur verdächtigen? Wo aber fand ich eine Entschuldigung für Ihre nächtliche Ausfahrt, allein, ohne Ihren Gatten oder anderen Schutz? Denn, daß Sie allein fuhren, erzählte der Kutscher. Ich behielt vorläufig alles bei mir, und hoffte, ein günstiger Zufall werde schließlich alles zum erwünschten Ende führen, und so ist's in der Tat auch gekommen und damit ein Stein von meinem Herzen abgewälzt.«

»Wie danke ich Ihnen für diese Freundschaft und Schonung!« rief Helene tief beschämt aus. »In welch' unverzeihliches Licht habe ich durch meinen Leichtsinn und meine Unüberlegenheit meinen und Theobalds Ruf gebracht!«

Der Polizeidirektor fuhr fort: »Als ich den Tod jenes Italieners erfuhr, ließ ich sogleich den Droschkenkutscher wieder zu mir befehlen, denn ich hatte mir seine Nummer mit Rücksicht auf Sie notiert. Bei der ersten Besprechung schon hatte er mir erzählt, es sei noch ein höckeriger Mensch mit ihm gefahren, dem jenes Portemonnaie möglicherweise gehören könne. Ich verlangte nun die genauere Personalbeschreibung jenes ungebetenen Passagiers und siehe da – es klappte mit meiner Vermutung: der zweite Passagier konnte kein anderer sein, als Lorenzo, der Goldschmied aus Florenz. Er wollte offenbar Ihren Namen und Wohnort auskundschaften.«

»Auch unser Portier behauptete,« sagte der Graf, »daß der vor dem Hause Verunglückte derselbe Mann gewesen sei, der eines nachts bei ihm angeläutet und ihn gefragt habe, ob hier eine gewisse Familie wohne? Wozu er das tat, ist mir jetzt klar. Erzähle nun zu Ende, meine Liebe!«

Helene fuhr fort: »Wie schon gesagt, ich kehrte trostlos nach Hause zurück, die Reue kam zu spät, ich hatte der Leidenschaft des Spieles meine und meines Mannes Ehre und einen kostbaren Schmuck geopfert und überdies die Ruhe des Herzens verloren. Gott allein weiß, wie ich in jener Nacht gebetet und geweint habe! Der folgende Tag verging, ohne daß ich eine ruhige Minute fand, mit Theobald zu sprechen; ich fühlte mich unwohl, bot aber alle Selbstbeherrschung auf, meiner Pflicht als Wirtin gegenüber den Gästen zu genügen; die Erzählung von jenem Rubinen-Diebstahle in der Gruft erschütterte mich aufs Tiefste, der Gedanke, daß ich den Schmuck jener beraubten Russin trüge, nahm mir alle Fassung. Dieser Verdacht war sofort in mir wach geworden und wollte mich nicht wieder verlassen. Ich fiel in Ohnmacht, konnte mich jedoch noch ein zweites Mal bezwingen, und das Fest ging ohne weitere Störung zu Ende. Auf meinem Zimmer angekommen, sank ich auf meine Kniee, bat Gott um Vergebung meines Fehlers und um Erleuchtung in der Nacht meiner Zweifel und Unruhen. Ich fand keine Träne, in mir war alles starr und leichenhaft. Nie zuvor hatte ich Ähnliches empfunden. Mit letzter Kraft löste ich das Schloß meines Rubinen-Geschmeides und kam dabei ganz zufällig vor dem großen Ankleidespiegel zu stehen; als aber mein Blick in denselben fiel, packte mich das Entsetzen des Todes. Es war offenbar Täuschung meiner aufgeregten Phantasie, genug, mir schien's als schreite eine fremde junge Dame im weißen Kleide, eben solche Rosen in den aufgelösten Haaren durch das Zimmer – – «

»Du beschreibst Dich selbst, Helene,« lächelte der Graf, um einigermaßen das Schauerliche ihrer Rede abzuschwächen.

»Es schien mir,« sprach sie weiter, »als schreite die geisterhafte Gestalt auf mich zu und deute drohend nach meinem Halse. Dort lagen meine Rubinen, rot und glühend wie Blutstropfen, sie brannten ordentlich, – ich wollte schreien, um Hilfe rufen, die Stimme versagte mir, das Blut in den Adern stockte – die Schreckliche kam näher immer näher, – nun faßte sie mich an, – – was weiter geschah, weiß ich nicht.« Erschöpft hielt die junge Frau inne und bedeckte schluchzend ihr Gesicht mit beiden Händen.

»Mein armes, armes Kind,« sprach der Graf, indem er die junge Frau zärtlich umarmte, »was hast Du gelitten! Und ich durfte es nicht mit Dir tragen! Ach, es war zu viel für Dich! – Nun aber fasse Dich, es ist ja alles gut, und wir wünschen den Abschluß herbei.«

»Wie lange ich so gelegen, weiß ich nicht; Du sagtest mir, ich sei auf dem Leichenbette gewesen und als tot beweint worden. Einmal fühlte ich ein kühles Lüftchen mich umwehen, süßer Geruch von blühenden Orangen und Holunder traf meine Sinne, ich öffnete die Augen, mußte sie jedoch geblendet sogleich wieder schließen; zahllose Lichter brannten rings um mich, und dabei war alles so still! Vor Ermattung blieb ich regungslos liegen. Dann blickte ich noch einmal, und zwar länger um mich, bemerkte, daß die Balkonfenster sich öffneten und eine kleine Gestalt auf dem Sims erschien. Sogleich dachte ich an Diebe und Einbruch, und versuchte, jedoch vergeblich, mich zu erheben. Die Gestalt trat näher, es war niemand anders, als Lorenzo, der Italiener! Vorsichtig schaute er um, flüsterte einiges zu sich selbst, wovon mir das Wort »Conrado« in Erinnerung blieb, und ging dann direkt auf das Tischchen los, auf dem mein Juwelenkästchen stand. Er öffnete es, langte meine Rubinen heraus und wollte damit entfliehen, ich aber hatte mich indessen mit äußerster Willenskraft aufgerafft, mein Lager verlassen, mich hinter ihn geschlichen und meine Hand auf seine Schulter gelegt, – mit einem Schrei des Entsetzens floh er durch das Fenster, an dem er hereingekommen war; er hatte offenbar gemeint, ich käme aus meinem Grabe zurück, ihn zu strafen. Noch andere Leute stürzten schreiend herbei und liefen ebenso rasch wieder fort. Mich aber verließen Kraft und Besinnung neuerdings und ich erwachte erst in Deinen Armen wieder.«

»Nun liegt Alles klar vor uns,« bemerkte der Polizeivorstand. »Lorenzo, der schon des Leichenraubes verdächtig aus Italien floh, suchte hier in Paris Befriedigung seiner Habsucht und trieb neben seinem Erwerb noch das weit einträglichere Geschäft eines Geldleihers. Frau Gräfin verpfändeten ihm aus bekannten Gründen Ihren kostbaren Schmuck. Der große Wert desselben und seine seltene Schönheit mochten wohl die Habsucht des Italieners entflammt haben; überdies lebte er in der sicheren Voraussetzung, daß Sie, wie ihm das schon öfter vorgekommen sein mag, Ihr Pfand nach versäumtem ersten Termine nicht wieder einlösen würden, machte deshalb alles zu Baargeld und verkaufte die einzelnen Steine. Nun begreifen wir seinen Schrecken, als Sie kamen, Ihr Gut zurückzufordern. Merkwürdig glücklich für den Verbrecher, hatte kurz vorher jener Leichenraub stattgefunden, und war ein dem Ihrigen zum Verwechseln ähnlicher Schmuck in Lorenzo's Händen, wie wir wissen, sein Talisman, der Bürge seines vermeintlichen Glückes, daher sein Schmerz, ihn hingeben zu sollen. Er muß aber doch die Polizei gefürchtet haben, die aus begreiflichen Gründen damals doppelt aufmerksam war, und mochte vielleicht froh gewesen sein, den Schmuck wenigstens vorübergehend los zu werden. Daß er ihn wieder holen wollte, stand fest; dies beweist, daß er mit Ihnen gefahren und Ihren Namen nachgefragt. Ihr Diener Konrad, den er vielleicht schon von früher kannte, hat ihm jedenfalls zum Verbrechen geholfen; er hat die Wärterin aus dem Zimmer gelockt, die Balkonfenster zur angegebenen Stunde geöffnet – und ist nun fort, wodurch er unseren Verdacht nur bestärkt. Der Unglückliche aber, der trotz der reichen Anlagen und Talente, die Gott ihm gegeben, durch Geiz und Habsucht zum abergläubischen Verbrecher wurde, ist der irdischen Gerechtigkeit entzogen. Gott selbst hat ihn gerichtet. Meine Mission in Ihrem Hause ist zu Ende. Der Verlust Ihres Schmuckes – denn dieser hier muß wieder in die Familie des Fürsten als deren unbestrittenes Eigentum zurück – dürfte Ihnen nach allem Vorausgegangenen nicht schwer fallen. Und nun nehmen Sie meinen Glückwunsch zu dem so günstigen Ausgang der Dinge, und zugleich den Wunsch eines ergebenen Freundes, daß künftig nie wieder auch nur der leiseste Schatten, das reine Glück Ihrer Ehe trüben möge!« Damit empfahl sich der Beamte.

Theobald aber hielt seine Frau fest und innig umschlungen. »Verzeihst Du mir?« frug sie weinend und schaute schüchtern zaghaft zu ihm auf.

»Alles, alles, meine Liebe! Wie ist doch Gott so gut, daß er Dich mir wieder gab! Wie so gerne wollen wir jene Rubinen missen, die uns beiden manche, zwar schwere, aber doch nicht zu unterschätzende Lehre gaben. Bleibt mir ja in Dir der kostbarste Edelstein erhalten, dessen ein Mann sich rühmen kann: ein braves, treues und liebevolles Weib.«


Druck von C. Brügel & Sohn in Ansbach.


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