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5. Im Todesschatten

Ein kühler stürmischer Tag war angebrochen und bannte jeden, den nicht notwenige Geschäfte auf die Straße riefen, in die trauliche Nähe des Kamins. Da lief eine große Neuigkeit durch den Stadtteil und seine nächste Umgebung, und setzte alle, die sie vernahmen, in lebhafteste Teilnahme und Verwunderung. Schrecken und Mitleid lag auf allen Gesichtern bei der Kunde, daß die schöne, liebenswürdige, kaum zwanzig Jahre alte Gräfin Helene Berghausen eine Leiche sei. Gestern noch war ein glänzendes Abschiedsfest gefeiert worden, alle Vorbereitungen zur Heimreise nach Deutschland waren getroffen, und nun hatte die arme, junge Frau eine ganz andere Reise angetreten – in das dunkle Schattenreich, von wannen es kein Wiederkommen gibt.

Ihr Gatte war über aller Beschreibung erschüttert. Obschon Helene in letzter Zeit in auffälliger Weise erregt und unruhig schien, hatte doch niemand an eine ernste Gefahr gedacht. Sie war nach zwei Uhr morgens auf ihr Zimmer gegangen, hatte ihre Jungfer, wie immer, gütig dankend, entlasten und von diesem Augenblicke an kein weiteres Lebenszeichen gegeben. Um acht Uhr war das Frühstück im Studierzimmer des Grafen befohlen, bei dem Helene zu erscheinen beabsichtigte, als aber mehr als eine halbe Stunde Zeit verstrich und sie immer noch nicht erschienen war, wagte das Mädchen nachzusehen, ob sie noch schlief.

Bleich und an allen Gliedern zitternd, kam es zurück, und machte ihrem Gebieter die entsetzliche Meldung, die gnädige Frau läge kalt und ohne jede Spur von Leben auf dem Bodenteppich hingestreckt. Sofort war das ganze Haus in größter Aufregung, die ärztliche Untersuchung stellte einen Herzschlag fest, jeder Wiederbelebungsversuch war umsonst. Die Hand der Verstorbenen hielt das Rubinen-Geschmeide krampfhaft fest zwischen den Fingern, und ihr Angesicht trug den Ausdruck eines furchtbaren Schreckens. Man zerbrach sich die Köpfe in tausenderlei Zweifeln, man riet und frug nach der Ursache dieses plötzlichen Todes – genug, weder Klagen noch Tränen vermochten das blühende Leben der Erde noch einmal zurückzugeben, und bereits Mittags lag Helene Berghausen zwischen duftenden Flieder- und Orangenblüten, zwischen Rosenbäumen und Fächerpalmen zur letzten Ruhe aufgebahrt.

Eine teilnehmende, neugierige Menge wogte auf der Treppe hin und her, denn alle, namentlich aber die Armen, deren große Wohltäterin sie gewesen, begehrten noch einmal das teure Angesicht zu schauen. Andern Tags sollte sie fortgebracht werden in die Familiengruft am Rhein; so wollte es der Graf.

Es war späte Nacht. Der trostlose Gatte, der infolge dieses schweren Verlustes um zehn Jahre gealtert schien, hatte den Bitten der Freunde nachgegeben und sich für kurze Zeit aufs Bett geworfen, um, wenn auch keinen Schlaf, doch einige Ruhe zu finden. Es kam aber lange kein Schlaf in seine müden Augen, die so trocken in ihren Höhlen brannten; sie hatten heute keine Tränen mehr zu weinen, und so lag er wachend, den wehmütigsten Gedanken sich überlassend.

Sein Zimmer lag unmittelbar über dem seiner Gattin, und hätte er Diele und Decke durchschauen können, er müßte mit gerechter Entrüstung bemerkt haben, wie in diesem Augenblicke keine Spur von Trauer dortselbst zu sehen war. Neben dem Paradebett saß die Leichenwärterin, eine ältliche Frau mit steinernem Gesichte, dem wohl die Zeit und die Gewohnheit jene kalte Ruhe verliehen hatten. Die deutsche Jungfer der Gräfin lag infolge des Schreckens und Schmerzes um die geliebte Gebieterin krank zu Bette, dafür vertrat eine junge lebhafte Französin, ein allerliebstes Stumpfnäschen, ihre Stelle, um die einsame Nachtwache mit der Alten zu teilen. Sie trippelte übrigens geschäftig hin und her und machte sich im Nebenzimmer zu tun, kam aber alsbald lachenden Mundes wieder heraus: »Unsere Tafel ist gedeckt, Frau Corina,« sprach sie, »Konrad hat wirklich einen guten Einfall gehabt, uns mit einem warmen Gläschen Punsch die Zeit zu vertreiben und dabei den Magen zu wärmen. Es ist eine häßliche Nacht heute, und man möchte meinen, der jüngste Tag wolle anbrechen. Hören Sie nur, wie der Sturm durch die Wipfel der Allee-Bäume braust und ihnen die letzten noch vorhandenen Blätter entreißt! Dazu der strömende Regen! Man sollte keinen Hund vor die Türe jagen.«

Der Kammerdiener, ein verschmitzt aussehender Südländer, war inzwischen zu den beiden plaudernden Frauen herangetreten. »Hier, mein Fräulein,« sagte er, und überreichte dem jungen Mädchen zwei verkorkte Weinflaschen, »wollen Sie die Güte haben, das Gebräu zu besorgen? Sie sehen, ich habe nichts vergessen!« An seinem Arme hing ein Korb mit süßem Backwerk, Orangen, Citronen, Zucker und anderem gefüllt; Lisetta nahm ihm die Sachen dienstfertig ab und trug sie nach dem Nebenzimmer.

Die alte Frau untersuchte indessen die Wachslichter, deren etwa zwölf auf großen silbernen Kandelabern brannten, und richtete einiges an den Blumenstöcken zurecht, um allenfallsige Feuersgefahr zu verhüten. Wenn man in das Leichenzimmer eintrat, wurde man von dem rauchenden Dunste der Kerzen und dem eigenartigen starken Blumendufte fast betäubt. Die Tote lag, mit wahrhaft fürstlicher Verschwendung geschmückt, in dem an ihren kleinen Empfangssalon angrenzenden Schlafzimmer, das buchstäblich in ein Blütengärtlein verwandelt worden war. Die eine Seitentüre führte nach dem bereits erwähnten Nebenzimmer, die andere Türe auf den Korridor. Der kleine Salon der Gräfin hatte zwei Flügeltüren mit Glasfenstern, die sich auf einen Balkon öffneten, mit der Aussicht auf die Straße.

»Ein wahres Satanswetter!« brummte Konrad, »der Sturm heult ja ganz entsetzlich draußen; muß schon nochmal nachsehen, ob die Fenster wohl geschlossen sind.« Mit diesen Worten schritt er gegen die Salontüre und machte sich dort eine Weile zu schaffen.

»Mitternacht!« sagte die Wärterin gähnend.

»Meine Vorbereitungen sind fertig,« ließ sich jetzt vom Nebenzimmer her Lisettas Stimme vernehmen; zugleich drang ein angenehmer Geruch von heißem Arrak aus dem Gemache. Konrad bot mit artiger Verbeugung der alten Frau seinen Arm. »Ist's gefällig, Madame Corina?« sprach er lächelnd.

»Tu' ich aber auch recht, Herr Konrad, meinen Posten zu verlassen?« fragte diese mit einem Anfluge von Gewissenhaftigkeit, »ich sollte hier bleiben und keine geistigen Getränke zu mir nehmen.«

»Ach was!« beschwichtigte der Kammerdiener; »wir bleiben ja hier ganz in der Nähe, haben keine Besuche zu erwarten und dürfen uns wohl ein gutes Schlückchen erlauben. Kommen Sie nur, Madame,« setzte er, gegen das Bett der Gräfin gewendet, lachend hinzu, »sehen Sie, wie süß und friedlich Ihre Gnaden schlafen.«

Damit zog er die sich noch immer Sträubende über die Schwelle des kleinen Nebenzimmers. Bald mischte sich seine Stimme mit dem schallenden Gelächter Lisettas und dem schwatzhaften Geplauder Corinas und alle drei vergaßen, vom köstlichen Frohsinn hingerissen, jeder weiteren Pflicht.

Etliche Minuten später – die Uhr zeigte die erste Viertelstunde nach Mitternacht – grenzte sich ein schwarzer Schatten auf der hellen Wandtapete des ersten Zimmers ab. Dazu drang plötzlich ein schneidend frischer Luftzug herein und setzte die Gardinen und die Blätter der Gewächse in zitternde Bewegung. Geräuschlos wurden die beiden Fensterflügel, die auf den Balkon führten, aufgestoßen, und eine kleine, verwachsene Gestalt erschien jetzt auf der Brüstung.

»Conrado hat Wort gehalten,« flüsterte der Unbekannte, »die Riegel gaben keinen Widerstand, der Schwung hier herauf gelang vortrefflich, und die schwarze Nacht kam mir hierbei herrlich zu statten. Das Zimmer ist leer, nebenan sitzen sie lustig schwatzend beim Glase – und Du dort im Hintergrunde tust mir kein Leid mehr an! Schade um das junge Leben! Vergib mir jetzt, ich will nur Deine Rubinen, Dir nützen sie ja doch nichts mehr, und mich – ah! per bacco! mich machen sie reich; ich muß sie haben – weil sie die tote Russin trug – ah, hier ist der Tisch mit dem Kästchen – der Schlüssel steckt – Glück auf, Lorenzo! – das Geschmeide ist hier.«

Aber noch ehe er vollenden konnte, entrang sich ein heiserer Schrei seiner Kehle, das Rubinen-Geschmeide fiel klirrend zu Boden, mit letzter Kraft suchte der Dieb das Fenster zu erreichen und vom Balkon auf die Straße hinabzuspringen. Ein dumpfer Fall gab Kunde, daß er fehlgetreten – unter den Bäumen der Allee lag mit gebrochenem Genicke die verkrümmte Gestalt des Italieners. –

Aus dem Nebenzimmer stürzten erschrocken, mit rotglühenden, erhitzten Köpfen die drei pflichtvergessenen Bedienten, vor ihnen aber stand hochaufgerichtet, bleich und zitternd im seidenen Sterbekleide, die weiße Camelienkrone auf dem glänzend schwarzen Haare, wie eine Erscheinung aus der anderen Welt – die totgeglaubte Gräfin Helene!


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