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5. Auf schiefer Ebene

Ein uraltes Sprichwort sagt: »Wo der liebe Gott eine Kirche baut, baut der Teufel eine Kapelle,« und es liegt hierin in der Tat eine furchtbar ernste Wahrheit.

Joseph hatte das Gymnasium mit Auszeichnung absolviert und die Hochschule bezogen. Mehr und mehr wurden der Opfer, die jetzt an Vater Schlicht herantraten, aber er brachte sie ohne Wiederrede, denn sein Sohn hatte ihm noch keine trübe Stunde gemacht und ihn auch nicht bereuen lassen, daß er ihm die Erlaubnis zum Studieren gewährte. Die Hochschule jedoch brachte manche gefährliche Freiheit und Neuerung im Gefolge.

Joseph war ein schöner, schlanker Jüngling geworden; seine Züge hatten sich zu edler Regelmäßigkeit entwickelt, sein Benehmen war fein und artig ohne Ziererei, und ebenso seine Art zu sprechen. Bald hatte sich ein Kreis fröhlicher Gesellen um ihn gebildet und Joseph unwillkürlich in einen Strudel von Vergnügungen gezogen, die keineswegs zu dem künftigen Theologen paßten.

Wie er die meisten seiner Gefährten an Leibesgröße überragte, so war er ihnen auch geistig überlegen, und sie beugten sich seiner Überlegenheit, und unterwarfen gerne ihr Urteil dem seinigen; dagegen umstrickten sie ihn mehr und mehr mit freisinnigen Ideen, entfremdeten ihn dem Elternhause, zogen ihn ab von der Einsamkeit der Studierstube, aber auch, und das war das Schlimmste, von Gebet und Kirche.

Da und dort fielen Worte, die unserem Joseph anfangs die heiße Schamröte ins Gesicht jagten, mit der Zeit aber ihren Eindruck auf ihn doch nicht verfehlten: »Das Einzige, wahre Glück des geistigen Lebens,« so sangen die freisinnigen Apostel, »ist Freiheit der Wahl, Freiheit des Willens. Geistige Arbeit darf nicht eingetrichtert werden, wie das Handwerk in der Werkstätte, man kann der Menschheit allenthalben nützen; jeder, der dem Gemeinwohle dient, ist zum Priester, zum göttlichen Gesandten geweiht. Nur die von der Natur verkürzten oder verschüchterten Menschen, nur solche, die es niemals über sich gewinnen, mit ihren Talenten selbständig hervorzutreten, sollen den geistlichen Beruf ergreifen, niemals könne der Zwang zum guten Ende führen; niemals könne ein Jüngling, den man schon von Kindheit an hiezu bestimmt hat, ein würdiger Priester werden.« Mit diesen hochtönenden Redensarten warf man in der Gesellschaft Josephs um sich. Bald entspann sich ein schwerer Kampf in seinem Innern und er litt schwer darunter.

Der alten Großmutter war die Veränderung, die mit ihm vorging, zuerst aufgefallen; sie, die nachts am wenigsten schlief, hörte ihn gar oft erst früh morgens heimkommen, und sein Bett aufsuchen.

Wohl zwang er sich, seinen früheren Gleichmut beizubehalten, brachte es jedoch nicht fertig. Während er sonst gerne jede freie Stunde nach den Unterrichts-Stunden mit den Eltern verplaudert oder im Stübchen bei der Großmutter zugebracht hatte, fand er jetzt kaum noch Zeit zum flüchtigen Wort und Gruß; für Fritz und Lenchen, mit denen er sich oft so lustig herumgebalgt, hatte er schon gar keine Zeit mehr, und schreckte sie mit barschen, ungeduldigen Worten fort, so daß sie sich zuletzt gar nicht mehr in seine Nähe wagten. – Seine Mutter beobachtete kummervollen Blickes die unselige Umwandlung ihres Sohnes; er sah bleich und angegriffen aus und schien seine frühere Heiterkeit ganz verloren zu haben. Die Blüte seiner Jugend welkte, seine Laune schien wechselnd und unstät, der Friede seines Innern fort! Wie viele heiße Tränen weinte sie in stiller Nachtzeit vor dem alten Kreuzbilde in der Ecke, und wie bangte ihr Herz vor dem Unheile, das dräuend über ihrem Lieblinge schwebte!

Einmal hatte sie sich ein Herz gefaßt und mit ihm gesprochen. »Was hast Du, mein Sohn,« hatte sie mit zitternder Stimme begonnen, »sei jetzt offen gegen Deine Mutter, ich sehe, Du bist verändert und leidest.«

»Ja, Mutter ich leide,« war die Antwort, »mein Herz ist zerrissen von der Qual des Zweifels; zwingt mich nicht länger, Priester zu werden, ich kann es nicht, ich fühle es, daß ich nicht den Beruf hiezu habe.«

Frau Rotburga ward bei dieser Antwort leichenblaß. Was mußte sie hören! »Joseph!« rief sie schmerzbewegt aus, »Josef Du bist irre geworden an Dir selbst! Deine eigene Wahl war es ja, Priester zu werden, und wir gaben nach, wir ließen es an keinem Opfer fehlen; glaube nicht, es fehle Dir der Beruf, weil Du im Augenblicke Unlust in Dir verspürst. Kein Sieg wird ohne Kampf errungen, und wenn immer eine Seele sich dem Herrn weihen will, wirft ihr der Satan alle denkbaren Hindernisse in den Weg; vergiß nicht, was ich immer zu Dir sagte: »Bete, bete, daß Du nicht in Versuchung fallest! Bete um Deinen Beruf, bete um die Gnade, ihm zu folgen, aber wirf nicht wie ein Feigling die Waffen von Dir, sobald Du den Feind erblickest. Du hast Dich von Gott, von der Einsamkeit und von der inneren Sammlung abgewendet. – Kehre wieder dazu zurück, sei, was Du anfangs gewesen, verlasse die Freunde, die Dir einen Stein statt des Brotes geben wollen. – O mein armes, betörtes Kind! um Deines braven Vaters willen, kehre um, verlasse den Weg der Gefahren, in denen Du untersinken könntest! Bete, daß die Versuchung an Dir vorübergehe, und Dein Herz den Frieden wieder finde.«

Schluchzend hielt Joseph sie umfangen; er war noch nicht verstockt genug, um so vieler Liebe, solch' schmerzlichem Mahnrufe zu widerstehen, und er versprach das Beste. Er wollte ernstlich in sich gehen, wollte des Opfers der lieben Eltern und der braven Patin eingedenk sein, und sich jetzt, am Schlusse des ersten Universitätsjahres, endgültig für das theologische Fach entscheiden.


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