Emanuel Geibel
Juniuslieder
Emanuel Geibel

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Eine Septembernacht.

                   – Unde was de tidt tho Lübeck börgermester Jürgen Wullenweber; de hedde by sik geswaren, schot unde regiment van den Oeresundt an the hänsischen tho bringen, unde scholden de uth den steden myt eren schepen vortan nycht enes penniges wert an den Dänen betalen –

Lübische Chronik.

        Zu Lübeck im Ratskeller saßen spät
Wir Freunde noch beim Wein und tranken,
Wo tief gebräunt die Eichentafel steht
Aus unsres letzten Kriegsschiffs Planken.
Doch galt es heute keinen Zecherspaß,
Kein lustig Liedel, keine Becherfehde;
Es schaute jeder ernst ins grüne Glas,
Und ernst und sinnig floß die Rede.

Wir sprachen von des alten Glanzes Zeit,
Von jenen, die der Hansa Schlachten schlugen,
Wir sprachen von der jüngsten Tage Leid,
Und von der Hoffnung, die wir trugen.
Wohl spürten's alle feierlich und leis,
Wie sich aus Trümmern junges Leben zeuge,
Und stille ward's, als ob in unsern Kreis
Der Schutzgeist unsrer Stadt sich beuge.

Da schlug es Mitternacht. Sie brachen auf,
Wir drückten herzlich uns die Hände;
Mich aber trieb es noch den Gang hinauf,
Die Fässer durch, entlang die schatt'gen Wände.
Ich konnt' an Schlaf nicht denken. Sonst und Heut
Zerfloß in meinen Sinnen lose;
So trat ich ein, gedankenvoll zerstreut,
Ins hallende Gewölb der»Rose«.

Wie kühl, wie stille! Nur mein Fußtritt scholl
Verdreifacht von den Gurten wider;
Ein Schauer wie vor Geisternähe quoll
Geheimnisvoll durch meine Glieder,
Und sieh, ein Lichtschein drang mir wunderbar
Linksher entgegen aus der hohen Nische.
Ich naht' und stand. Denn traun, ein seltnes Paar
Erblickt' ich zechend dort am Tische.

Der eine saß, geschmückt nach alter Art
Mit Sammetschaube, Kraus' und Kette,
Umflossen Wang' und Kinn vom blonden Bart,
Die mächt'ge Stirn beschattet vom Barette.
Das blaue Auge zuckt' in scharfem Glühn,
Als hing' ein Weltgeschick an seinem Winken:
So saß er da, gebeugt und dennoch kühn,
Und starrt' in seines Römers Blinken.

Der andre stand, die Hand am Schwertesknauf,
Riesig, vom Haupt zum Fuß in blankem Erze;
Wie Blut an seinem Panzer spielt' herauf
Der rote Flackerschein der Kerze;
Ein wild und rauh Gesicht. Ich spürt' es bald,
Hier war die Faust, dort das Ersinnen;
Da, murmelnd, wie der Wind durch Herbstlaub wallt,
Hört' ich des ersten Worte rinnen:

»O Meeresauge, dunkelblauer Sund,
Du felsumstarrte Ostseepforte,
Wie schaut' ich oft hinab in deinen Grund,
Und zwang ins Herz zurück der Sehnsucht Worte!
Dort unten, wo die Welle leiser schoß,
Sah ich den goldnen Zauberschlüssel liegen,
Der uns ein neues Reich erschloß
Von Meeresherrschaft, Glanz und Siegen.

»Ich warb um ihn, wie um den Ring der Braut,
Ich warb auf Leben und auf Sterben.
O hätte mir das blöde Volk getraut!
Den Sieg erzwingen mußte solch ein Werben,
Den Sieg der Kampf, der sieben Jahre durch
Im Rat, zur See, im Schlachtfeld grollte,
Der Riesenkampf, der unsrer Hansa Burg
Bis zu den Sternen türmen sollte.

»Sie faßten's nicht, es war für sie zu groß;
Sie zitterten, die Käufer und Verkäufer;
Da führten meine Feinde schlau den Stoß,
Verräter hieß ich, Wiedertäufer.
Sie rissen von den Stufen mich herab,
Sie saßen trotzig zu Gerichte,
Sie brachen über mich den weißen Stab,
Und mehr! – Sie schrieben die Geschichte.

»Dreihundert Jahre sind's, da sprang vom Schlag
Des Beils mein Blut in Strömen vom Schafotte.
Doch war ein Geist des Unheils seit dem Tag
Mit meiner Heimat Heer und Flotte –
Was Menschen bauten, wird des Windes Spiel,
Nur Gottes Ratschluß bleibt beständig;
Die Hansa sank, das alte Reich zerfiel,
Doch Deutschland steigt empor lebendig.

»Es geht ein heil'ger Sturm von Stadt zu Stadt,
Sie spüren's all, erwacht aus schwerem Traume:
Deutschland ist eins, und jeder ist ein Blatt
Am riesengroßen Wunderbaume.
Schon grollt man jedem fremden Übermut,
Schon zürnt der Süden, ist der Norden frönig;
Hinweg denn mit dem knechtischen Tribut,
Dem Schoß an jenen Inselkönig!

»Frischauf, mein Volk, du großes Vaterland,
Treueinig, wie ich's nimmer durfte schauen!
Vollführe du, was mir im Herzen stand,
Zu Masten laß des Forstes Tannen hauen!
Dein sei der Sund, der dich nach Westen weist,
Der Weg des Meeres dein, ein glorreich Lehen.
Mit Kugeln gib den Zoll! Es soll mein Geist
Am Steuer deines Heerschiffs stehen!«

Er fuhr empor: die beiden stießen an,
Die Schwerter klirrten und die grünen Becher,
Und hastig bis zur Neige stürzten dann
Den Wein hinab die seltnen Zecher.
Da dröhnt' es eins von Sankt Marien Turm,
Die Kerze flackert' und erlosch im Schalle,
Durch Pfort' und Gitter braust' es wie ein Sturm,
Und einsam stand ich in der Halle.

Mir graute nicht. Wohl hatt' ich sie erkannt,
Die Heimgekehrten aus dem Reich der Gräber,
Die mächtigen Gestalten Hand in Hand,
Marx Meier, Jürgen Wullenweber.
Mein Herz schlug kühn, zur Hoffnung hoch erwacht,
Und durch des Herbstes Wind und Blättertreiben
Heim schritt ich froh, um noch in tiefer Nacht,
Was ich vernommen, aufzuschreiben.


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