Emanuel Geibel
Juniuslieder
Emanuel Geibel

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Frühlingslieder.

1.
        Kein Stern will grüßend funkeln,
In Wolken hängt die Nacht;
Doch geht durchs Tal im Dunkeln
Ein Säuseln lau und sacht.

Geheimnisvolles Wallen
Kommt von den Wipfeln her,
Einzelne Tropfen fallen
Wie Tränen heiß und schwer.

Mir ist, als könnt' ich spüren
Im Wind, im Duft der Flur,
Wie sich die Kräfte rühren
Der schaffenden Natur.

Ach, mir im Busen ringt es
So dunkelmächtig auch,
Da brütet's und da klingt es
Bewegt vom Frühlingshauch.

Es rührt der Saft sich wieder
In meines Lebens Baum.
Ist's Liebe? Sind es Lieder?
Noch unterscheid' ich's kaum.


2.
Tief im grünen Frühlingshag
Durch die alten Rüstern
Wandelt leis' am schönsten Tag
Wundersames Flüstern.

Jedes Läublein spricht: Gott grüß!
Zu dem Laub daneben,
Alles atmet tief und süß
Heil'ges Friedensleben.

Und wie Blüt' und Blatt am Strauch
Still sich wiegt im Glanze,
Wiegt sich meine Seel' im Hauch,
Der durchströmt das Ganze.


3.
Nun der Lenz im Forste wieder
Klingend zieht durch alle Bäume,
Kommen Tages mir die Lieder,
Kommen mir bei Nacht die Träume;

Lieder, die vom Glücke sagen,
Das dahinging mit der einen,
Träume, die zu ihr mich tragen,
Und erwacht mich machen weinen.

Und dazwischen Glanz der Sonne,
Junger Leichtsinn, neues Sehnen,
Alle tolle Frühlingswonne,
Lachend in die frischen Tränen.

Rastlos in die blüh'nden Heiden
Stürm' ich fort, ohn' umzuwenden;
Freuden stürmen nach und Leiden –
Lenz, o Lenz, wie soll das enden!


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