Emanuel Geibel
Juniuslieder
Emanuel Geibel

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Frühlinghymnus.

( Bruchstück.)

        O Frühling, Frühling, der in mildem Tauen
Voll Schöpfungswonne du das All durchdringst,
Der du das Meer, den Himmel lässest blauen,
Und rauschend mit dem Bach vom Felsen springst,
Der du die Flur mit goldnen Schauern tränkst,
Und still in jedes Veilchens Schoß dich senkst;
Der du zum Lied wirst in des Vogels Kehle,
Die jauchzend hoch im Äther überfließt,
Als Liebe schleichest in des Mädchens Seele,
Daß schöner, wie du sie im Tal erziehst,
Die rote Ros' aus ihren Wangen sprießt:
O Frühling, tiefer, süßer Gotteshauch,
Sei mir gegrüßt und fülle du mich auch!
Wie eine Welle leg dich an mein Herz,
Und spüle sanft hinweg den letzten Schmerz!

Du nimmst ihn weg. Es kommt mit deinem Wehen
Ein schönes jugendliches Auferstehen.
Du kleidest nicht den Forst allein in Grün,
Und lehrst die junge Brut die Flügel heben:
Mit jedem Land muß eine Hoffnung blühn,
Um mit den Lerchen sonnenwärts zu schweben,
Ja, zu den Gräbern seh' ich fromm dich schreiten,
Die tau'gen Opferspenden drauf zu breiten,
Als wolltest du mit Kränzen und mit Zähren
So Gram als Tod in Herrlichkeit verklären.

O Zeit, wo Rosen auf den Grüften stehn,
Und wir den Tod selbst Blüten tragen sehn!
Da mag das Herz, nicht mehr der Sorge Raub,
Den Kirchhof der Geschichte fromm betreten,
Und Frühling ahnend in vermorschtem Staub
Getrost an halb versunknen Mälern beten;
Es fühlt, kein Fünkchen Geist ist uns verloren,
Die Blüte fällt, doch auch das Samenkorn,
Der Fels zerbirst, doch ihm entwallt der Born,
Und aus der Lava wird der Wein geboren.

*            

So denk' ich dein zuerst im Totenfeld,
Mein Hellas, blühend Jugendland der Welt,
Wo unter sel'gem Himmel ohne Neid
Der Baum emporwuchs holder Menschlichkeit;
Wo wie im Busen der gewölbten Laute
In jeder Seel' ein tiefer Wohllaut schlief,
Wo jede Trauer den Altar sich baute
Und jede Lust nach ihrem Gotte rief,
Du heilig Land, an dessen Sonnenküsten
Die Schönheit stieg, da sie das Meer gezeugt,
Und dessen Kinder sie an Götterbrüsten,
Die jungfräuliche Amme, groß gesäugt.

Ja sie, die Göttin war's, die ihre Weihen
Verschwendrisch ausgoß auf die Säulenreihen,
Von der ein Schimmer auf des Kindes Spiel
Wie auf die braune Stirn des Helden fiel;
Ihr Walten war's, wenn an Alphëus' Strand
Im Staub der Rennbahn, hoch vor allem Volke
Der Rosselenker auf dem Wagen stand,
Dem jungen Phöbus gleich in seiner Wolke,
Ihr Walten, wenn der tote Marmorstein
Errötend in das Leben jauchzt' hinein,
Wenn, ein Gewitter, von des Redners Stuhle
Der heil'ge Eifer zürnend sich ergoß,
Und wenn im Ölwald vor der frommen Schule
Ein hold Gespräch von weiser Lippe floß.
Ihr Walten war's, wenn bei den Thermopylen,
Den Helm bekränzt, im frohen Festgewand,
Das Auge lächelnd, die Dreihundert fielen,
Ein freudig Opfer für das Vaterland;
Wenn dann von solchem Segen übervoll,
Ein großes Lied aus trunkner Seele quoll,
Und, während andachtsvoll die Menge lauschte,
Von selbst der Lorbeer in die Strophen rauschte.
Und doch versunken? – Ja. Die Form zerbrach,
Da länger nicht der Geist den Segen sprach,
Da dein Geschlecht im Fieber der Partein
Den heißen Stahl in Bruderblute kühlte
Und frech mit ihm dein eigen Herz durchwühlte,
Da zogen aus die Götter – Philipp ein.
Dein Genius aber sang sein Schwanenlied
Im Donner des Demosthenes, und schied.

Doch nicht für alle Zeiten. Nein, o nein!
Mein Hellas, du bist unser, du bist mein.
Jung und unsterblich schreitet deine Sage
Mit blüh'nden Lippen noch durch unsre Tage;
Allüberall, wo Großes soll erstehen,
Geht von dir aus ein schöpferisches Wehen;
Dem Künstler bist du, bist dem Sänger nah,
Und wie dereinst aus goldnem Henkelkruge
Die königliche Maid Nausikaa
Den Dulder tränkt' auf seinem Wanderzuge,
So tränkst du, will's in unsern Brunnen fehlen,
Mit Schönheit und mit Freiheit unsre Seelen,
Mit jener Freiheit, welche Plato zeugt,
Für die geblutet Aristides' Wunden,
Die groß und still sich vor den Göttern beugt,
Weil sie das Göttlichste, das Maß, gefunden. –


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