Emanuel Geibel
Juniuslieder
Emanuel Geibel

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Einem Freunde.

                              O wenn dahin die erste Jugend,
Die schuldlos noch, noch ohne Tugend
Den Tag verschwärmt im Sonnenglanz,
Die unter ahnungsvollen Schauern
Die Mondnacht heut verwacht in grundlos süßem Trauern,
Und morgen sie durchstürmt im Tanz;
Wenn dieser holde Rausch verflogen,
Der, an Erkenntnis arm, verschwendrisch im Gefühl,
In unermeßlichem Gewühl
Von Well' in Welle dich gezogen:
Wie weht so wunderbar dich dann
Des Lebens frischer Morgenschauder an!

Ach, von den Dingen, drin du webtest,
Siehst du dich plötzlich losgetrennt;
Du fühlst, daß du in goldnen Träumen lebtest,
Und suchest sehnsuchtsvoll dein wahres Element.
Nicht länger kannst du dich vergeuden,
Des großen Alls bewußtlos kleiner Teil:
Es strebt dein Geist nach eignen Freuden,
Nach eignen Schmerzen, eignem Heil.

Und sieh, in nimmermüdem Ringen
Erbaust du deine stille Welt;
Die Seele strebt mit jungen Schwingen
Aus Zweifeln kühn zum Himmelszelt.
Die milde Wärme, die dein Herz ertauschte
Für hast'ge Glut, sie bricht dir standhaft Bahn,
Und die Natur, die dich berauschte,
Sieht dich mit klaren Augen an.

Ach, wenn sich's dann wie Traumeshülle,
Wie Nebel dir vom Blicke streift
Und himmlischer Gedanken Fülle
In deinem Haupte wachsend reift;
Wenn aus verworrner Vorzeit wildem Handeln,
Aus jeder Tat, die heute ward,
Wie aus des Jahres heil'gem Wandeln
Ein ewig Walten dir sich offenbart,
Wenn jene Sterne, die dort oben kreisen,
Der Weltgeschlechter Gang, der kleinste Halm am Bach,
Dein eigen Herz in wundervollen Weisen
Dir eines künden tausendfach:
Dann will dein Busen weit sich dehnen,
Dich faßt ein unaussprechlich Sehnen,
Des innern Schatzes los zu sein;
Umsonst, es fehlt die Hand, um ihn zu heben.
Dein Bestes kannst du niemand geben,
Und wie du suchst – du bist allein.

Dann halte fest, dann laß aus deinem Herzen
Den Glauben dir hinweg nicht scherzen,
Ertrage still die Wucht der Einsamkeit;
Wie toll dich Widerspruch umschwirre,
Harr' aus in Hoffnung und in Leid,
Und werd' am Gott in deiner Zeit,
Und werde an dir selbst nicht irre.
Getrost! Es kommt des Bangens Endnis,
Wo eine Seele dir verwandt entgegentönt
Und Lieb' in seligem Verständnis
Dich mit dem Leben hold versöhnt.


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