Emanuel Geibel
Juniuslieder
Emanuel Geibel

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Die junge Zeit.

1847.

        Wohl schwillt mir hoch die Brust mit raschem Klopfen,
Seh' ich, im Angesicht des Schweißes Tropfen,
Die junge Zeit, wie sie gewaltsam ringt,
Wie sie, zu stetem Werk geschürzt die Lenden,
Ein neuer Herkules, mit Kinderhänden
Das Ungeheure schon vollbringt.

In tausend Schmieden bei der Essen Brande
Gießt sie das Erz, und schweißt in Eisenbande
Die weiten Länder, die ihr untertan;
Vom müden Saumroß, das sich wund getragen,
Nimmt sie das Joch, und schirrt vor ihrem Wagen
Den Dampf, den wilden Riesen, an.

Durch Felsenschachte wühlt sie ihm die Gänge,
Gewölbt und fest, daß in der düstern Enge
Des Schlotes Feuer rot wie Fackeln sprühn;
Sie schlägt ihm übers Tal mit Strom und Weilern
Wie einen Aquädukt aus hundert Pfeilern
Von Berg zu Berg die Brücke kühn.

Im Schiff, das keck entgegen jedem Winde
Ihr Dämon treibt, durchfliegt sie pfeilgeschwinde
Zum fremden Küstenland die salz'ge Bahn;
Stolz flattert wie ein Busch von schwarzen Federn
Der Rauch am Mast, und grollend in den Rädern
Knirscht der bezwungne Ozean.

Des frost'gen Nords, des heißen Südens Sterne
Schlingt sie zum Kranz, schon gibt es keine Ferne;
Vorm Hammerschlage ihrer mächt'gen Hand,
Wie einst vor Israels Posaunenschalle
Die Mauern Jerichos, zerbarst im Falle
Des Raumes eh'rne Scheidewand.

Und sieh, nun braust es her auf tausend Wegen,
Was nie sich schaute, tritt sich keck entgegen,
Bunt sind die Trachten, das Gedräng ist dicht –
Der Bergschütz grüßt den Reitersmann im Panzer,
Der deutsche Bauer schaut dem Steppenpflanzer
Ins tiefgebräunte Angesicht.

O welch ein endlos Wühlen, welch ein Rauschen!
O welch ein Markt, welch Hinundwiedertauschen
Von Schätzen, wie sie jede Zon' erzieht!
Jeder ist Kaufmann, und mit ew'gem Schwanken
Von Mann zu Mann gehn Waren und Gedanken,
Des Juden Gold, des Sängers Lied.

Der tote Buchstab weicht lebend'ger Rede,
Gekämpft wird Blick in Blick der Geister Fehde,
Und wieder schließt sich Hand in Hand der Bund;
Frohlockend spürt der Stamm im Bruderstamme
Sein eigen Blut, es schwebt wie eine Flamme
Der Freiheit Wort auf jedem Mund.

Glückauf, und magst du's stets im Herzen tragen
Bei deiner Hast, bei deinem Mühn und Wagen!
Glückauf, glückauf, du junge Zeit von Erz!
Und doch – muß ich so ganz versenkt dich schauen
In Stoff und Wucht – beschleicht mit leisem Grauen
Mir oftmals eine Furcht das Herz:

Du möchtest einst im Rauche deiner Essen,
Im Trotze deines Riesenwerks vergessen,
Daß droben einer sitzt auf ew'gem Thron,
So lang vergessen, bis er in Gewittern
Herabsteigt, was du bautest zu zersplittern,
Wie jenen Turm von Babylon.


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