Emanuel Geibel
Juniuslieder
Emanuel Geibel

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Zu Volksweisen.

1. Neapolitanisch.
              Du mit den schwarzen Augen,
Die schön sind wie die Sterne,
Soll ich den Tod mir saugen
Aus ihrem kühlen Schein?
Umsonst in alle Ferne
Hinaus die Blicke lenk' ich,
Ach, dein so viel gedenk' ich,
Und nimmer denkst du mein.

Tief in der Nacht voll Kummer
In öden Finsternissen
Wälz' ich mich ohne Schlummer,
Darf ja bei dir nicht sein.
Mein Wollen, Sinnen, Wissen
Ins Meer der Liebe senk' ich –
Ach, dein so viel gedenk' ich,
Und nimmer denkst du mein.

All meine Sinne fluten
Zu dir, zu dir gewaltsam,
Brennender Sehnsucht Gluten
Rieseln durch mein Gebein.
Mit Tränen unaufhaltsam
Mein einsam Lager tränk' ich –
Ach, dein so viel gedenk' ich,
Und nimmer denkst du mein.


2. Schottisch.
Weit, weit aus ferner Zeit,
Aus grüner Jugendwildnis
Grüßt mich in Lust und Leid
Ein wundersames Bildnis.
    Wohl kenn' ich gut
    Der Lippe Glut,
    Die mit mir pflag zu kosen,
    Das Auge so hold,
    Der Locke Gold,
    Der Wange bleiche Rosen.
Denn ob in Kampf und Schmerz
Kein Hauch der Jugend bliebe:
Nie doch vergißt das Herz
Den Traum der ersten Liebe.

Spät nach des Tages Streit,
Wenn klar erglühn die Sterne,
Gibt's mir ein treu Geleit
In aller Näh und Ferne.
    Ich lag bei Nacht
    Wohl auf der Wacht,
    Da stand es mit am Feuer:
    Ich fuhr daher
    Übers blaue Meer,
    Und sah es ruhn am Steuer.
Denn ob in Kampf und Schmerz
Kein Hauch der Jugend bliebe:
Nie doch vergißt das Herz
Den Traum der ersten Liebe.

Still wie ein schüchtern Kind,
So blickt's mich an durch Tränen,
Will seine Locken lind
An meine Schulter lehnen.
    Es winkt so lieb,
    Es singt so trüb
    Von Zeiten, die vergangen;
    Da schmilzt mein Sinn
    In Heimweh hin,
    Bin für und für gefangen.
Denn ob in Kampf und Schmerz
Kein Hauch der Jugend bliebe:
Nie doch vergißt das Herz
Den Traum der ersten Liebe.


3. Russisch.
Durch die Waldnacht trabt mein Tier
Sacht beim Sterngefunkel,
All mein Glück liegt hinter mir,
Vor mir nichts als Dunkel.
Welke Blätter wirbeln wild
In des Sturms Gewimmer –
Lebewohl, geliebtes Bild!
Lebewohl für immer!

Ach, wohl mag der Menschenbrust
Lieb' ein Himmel scheinen,
Doch nach allzuflücht'ger Lust
Gibt sie langes Weinen.
Sehnsucht ewig ungestillt
Folgt dem kurzen Schimmer –
Lebewohl, geliebtes Bild!
Lebewohl für immer!


4. Französisch.
    In lichten Frühlingstagen
Sei nur kühn, sei nur kühn ohne Zagen,
    Wenn alle Vögel schlagen,
    Das ist der Sehnsucht Zeit.

    Wenn alle Vögel schlagen,
Sei nur kühn, sei nur kühn ohne Zagen!
    Dann kannst du nimmer tragen
    Im Herzen stumm das Leid.

    Dann kannst du's nimmer tragen,
Sei nur kühn, sei nur kühn ohne Zagen!
    Du mußt es singen und sagen
    Der allerschönsten Maid.

    Du mußt es singen und sagen,
Sei nur kühn, sei nur kühn ohne Zagen!
    Sie krönt dein rasches Wagen,
    In grüner Einsamkeit.

    Sie krönt dein rasches Wagen,
Sei nur kühn, sei nur kühn ohne Zagen!
    Wie schwinden alle Plagen,
    Wenn's Küss' und Rosen schneit!

    Wie schwinden alle Plagen!
Sei nur kühn, sei nur kühn ohne Zagen
    In lichten Frühlingstagen!
    Das ist der Liebe Zeit.


5. Deutsch.
Wenn ich an dich gedenke
Bei stiller Nacht allein,
Das geht mir durch die Seele
Wie lichter Mondenschein;
Das geht mir durch die Seele
Wie lieblich Harfenspiel,
Mir ist, ich hatte nimmer
Der Freuden allsoviel.

Mein Herz ist wie ein Ringlein
Von eitel güldnem Glast,
Du bist die klare Perle,
Und bist darein gefaßt.
So wie die Perl' im Golde,
So funkelst du darin,
Und trägst auch mich beschlossen
So fest in deinem Sinn.

O dank' dir's Gott, Herzliebste,
Viel tausend, tausendmal,
So viel als Veilchen blühen
Zu Ostern tief im Tal!
So viel als Veilchen blühen,
So oft gedenk' ich dein;
Das geht mir durch die Seele
Wie lichter Mondenschein.


6. Deutsch.
Mag auch heiß das Scheiden brennen,
Treuer Mut hat Trost und Licht;
Mag auch Hand von Hand sich trennen,
Liebe läßt von Liebe nicht.
Keine Ferne darf uns kränken,
Denn uns hält ein treu Gedenken.

Ist kein Wasser so ohn' Ende,
Noch so schmal ein Felsensteg,
Daß nicht rechte Sehnsucht fände
Drüberhin den sichern Weg.
Keine Ferne darf uns kränken,
Denn uns hält ein treu Gedenken.

Über Berg' und tiefe Tale,
Mit den Wolken, mit dem Wind
Täglich, stündlich tausendmale
Grüß' ich dich, geliebtes Kind.
Keine Ferne darf uns kränken,
Denn uns hält ein treu Gedenken.

Und die Wind' und Wolken tragen
Her zu mir die Liebe dein,
Die Gedanken, die da sagen:
Ich bin dein und du bist mein!
Keine Ferne darf uns kränken,
Denn uns hält ein treu Gedenken.

Überall, wohin ich schreite,
Spür' ich, wie unsichtbarlich
Dein Gebet mir zieht zur Seite,
Und die Flügel schlägt um mich.
Keine Ferne darf uns kränken,
Denn uns hält ein treu Gedenken.

Und so bin ich froh und stille,
Muß ich noch so ferne gehn;
Jeder Schritt – ist's Gottes Wille –
Ist ein Schritt zum Wiedersehn.
Keine Ferne darf uns kränken,
Denn uns hält ein treu Gedenken.


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