Emanuel Geibel
Juniuslieder
Emanuel Geibel

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Fragment.

        Die Nacht ist lau, die Schwäne kreisen,
Entschlummert scheinen Blüt' und Blatt,
Lehn dich auf des Geländers Eisen,
Dort zeigt am schönsten sich die Stadt.
Siehst du den Häuserkreis, den dunkeln,
Aus welchem tausend Lichter funkeln,
Die tief sich spiegeln in der Flut?
So ist's, wenn mit geschliffnen Kanten
Ein Kranz von blitzenden Demanten
Auf blauem Sammetkissen ruht.

Komm näher! Sieh, wie hier in Massen
Die Menschenwoge sich ergießt!
Dies sind die Häuser, sind die Gassen
Wo man erwirbt, wo man genießt.
Von lichtem Kerzenglanz umflossen,
Ruht hier im Prunkgewölb erschlossen
Der fernsten Zonen Schmuck und Zier;
Und horch, aus jenen Säulenhallen
Durchs Klirren der Pokale schallen
Der Gäste Lieder. Lauschen wir!

»Laßt andre beten, andre fasten!
Für unsre Stirn der Freude Kranz!
Uns führen hunderttausend Masten
Die Götter her: Genuß und Glanz.
Es schafft die Welt an allen Enden
Für unser Fest mit tausend Händen,
Die Wahl des Köstlichsten ist schwer;
Die Hügel zollen süße Weine,
Die Berge geben Gold und Steine,
Und seine Perlen gibt das Meer.

»Schaut dies Gemach an! Die Tapeten
Hat China bunt uns ausgespannt;
Der farb'ge Teppich, drauf wir treten,
Kommt aus der Smyrnioten Hand;
Das Holzwerk, das geädert glänzet,
Hat einst als laub'ger Wald umkränzet
Den hohen Bord von Martinique!
Antwerpen wob des Vorhangs Sammet,
Und aus Venedigs Spiegel flammet
Die Ampel von Paris zurück.

»Drum laßt uns keinen König neiden!
Für ihn die Macht, für uns die Lust!
Mag er in Waffenschmuck sich kleiden,
In Seiden weicher schläft die Brust;
Mag er um Schweiß sich Ruhm erkaufen!
Was frommt ihm, wenn die Zeit verlaufen,
Der Lorbeerkranz, der Thronen Sturz?
Wir wollen, wo die Tafeln brechen,
Den ros'gen Augenblick verzechen;
Das Grab ist schwarz, das Leben kurz.

»Und schafft Musik zum reichen Tische!
Sie flute halbgehört dahin
Und wie ein kühles Bad erfrische
Verhallend sie den heißen Sinn.
Wie lieblich ist's, ihr nachzuträumen,
Wenn in den bildervollen Räumen
Sich Kerzenglanz und Mondlicht mischt,
Und wenn dazu in schäum'gen Strahlen
In weite rotkristallne Schalen
Aufperlend der Champagner zischt!

»Und laßt's an Mädchen, laßt's an losen
Schenkinnen uns gebrechen nie!
Sie sind des Freudengartens Rosen,
Sie sind des Festes Poesie.
Zwei dunkle, wollustfeuchte Augen,
Zwei frische Kirschenlippen taugen
Mehr als ein schwer Gespräch zur Lust:
Die Schönheit bleibt des Lebens Giebel,
Und schöner als die schwarze Bibel
Ist einer Dirne weiße Brust!«

So schwärmen sie. Wohl singt zur Stunde
Der Turm, der dort so finster steht,
Mit seiner Glocken ehrnem Munde
Ein Lied, und mahnet zum Gebet.
Doch drunten tost der Jubel weiter,
Es rollen Wagen, jagen Reiter,
Trompeten jauchzen durch die Nacht;
Zu wildern Gluten schürt der Becher
Den trunknen Übermut der Zecher,
Und niemand hat der Mahnung acht. – –


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