Emanuel Geibel
Juniuslieder
Emanuel Geibel

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Lied vom Wein.

        Nun grüß dich Gott, du Himmelstau,
Du Ehrenpreis der Rebenau,
O Wein, du Kind der Sonnen!
Wie blinkst du mich so wohlgetan
Aus hellgeschliffnem Becher an
Als wie ein güldner Bronnen!
O komm empor an meinen Mund
Und fülle mir das Herz zur Stund'
Bis auf den Grund
Mit allen deinen Wonnen!

So wie das Licht den Edelstein
Durchströmt mit seinem klaren Schein,
Sollst du den Sinn mir klären;
Und was noch trüb in meinem Mut,
Das soll hinweg die heil'ge Glut
Der feuchten Flamme zehren.
Ich stimme dir dafür zum Zoll
Ein Lied an aller Freuden voll,
Das längst mir schwoll
Im Busen dir zu Ehren.

Ja, groß ist deiner Wunder Kraft
In Freud', und wo in Kummers Haft
Einsam ein Mann mag trinken:
Du bändigst mild den dumpfen Gram,
Läßt ihn, zu Tränen wundersam
Gelöst, im Kelch versinken.
O köstlich wird der Becher da,
Wie jener, drin Kleopatra
Die Perle sah
Zergehn mit klarem Blinken.

Es schläft in dir die alte Zeit,
Die hohe Lust, das süße Leid,
Der Minne zartes Kosen;
Es schläft in dir das Lied verschämt,
Das Lied, das fromm den Sturm bezähmt,
Wenn Flut und Leben tosen.
Die Jugend hebt sich wunderbar
Aus dir empor und kränzet klar
Das Silberhaar
Mit frischen Maienrosen.

Und was der Mensch, vom Gott bewegt,
So tiefgeheim im Busen trägt,
Als sei's der Welt versunken,
Du pochst mit goldnem Finger dran,
Bis daß der Schrein sich aufgetan
Und seine Schätze prunken.
Da klingt heraus der Weisheit Wort,
Da taucht empor der Liebe Hort,
Um fort und fort
Zu glühn in hellen Funken.

Und bist du selber nicht, o Wein,
Ein Spiegel nur und Widerschein
Vom Wandel unsrer Tage?
Gebrochen, bis zum Kern versehrt,
Wirst du zu Glut und Geist verklärt,
Und selbst ein Bann der Plage.
Dein Feuer süß, das siegreich loht,
Spricht dann von Glorien nach der Not,
Und daß aus Tod
Der Jugend Flamme schlage.

So komm denn her, du Himmelstau,
Du Ehrenpreis der Rebenau,
Du feurig Kind der Sonnen,
Du Weckemund zum Harfenton,
Du königlicher Sangeslohn,
Du güldner Freudenbronnen!
Empor im Becher klar und rein!
Empor, laß segnend deine Weihn
Mir angedeihn,
Und alle deine Wonnen!


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