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Bild: A. F. Seligmann

13.

Es war schon heller Tag geworden, als Witting zum Straßenthor der Burghut kam. Durch die Thorhalle und durch die Wehrgänge pfiff und heulte der Sturm. In diesem Rauschen konnte Witting nicht verstehen, was ihm der Wärtel von der Bastei herunter zurief. Er machte mit den Händen ein Zeichen: ich höre nicht – und durchschritt das Thor. Doch war er auf der Straße noch nicht weit gekommen, als ihn einer von den Knechten des Thurners einholte und mit groben Worten in den Burghof führte. Vor Erregung zitterten dem Alten die Hände, und schon beim ersten Schritt durch die Mauer begannen seine Augen zu suchen. Der Wärtel erkannte ihn und brummte: »Das ist ja der Vater des Buben, den unser Herr wie einen Junker päppelt!« Und da nahm er's mit dem Verhör nicht mehr genau. Als Witting erzählte, daß er ein paar Ochsen, die er zu Reichenhall gekauft, um den Untersberg herum auf den Markt nach Salzburg geführt hätte, nickte der Wärtel: »Meintwegen soll's wahr sein! Aber kannst auch gelogen haben! Jetzt bleibst, bis der Herr heimkommt, der nach Berchtesgaden zum Fürsten hat reiten müssen. Der soll thun mit dir, wie er mag.« Bei diesen Worten stieg er zur Thorbastei hinauf und ließ den Alten im Burghof stehen.

Mit heißen Augen, in jedem Blick die Sehnsucht, spähte Witting zum Wehrhaus hinüber. Doch seinen Buben sah er nicht. Überall im Hofe waren die Knechte bei der Arbeit, um Steine und Mörtel zu tragen. Überall wurde an der Mauer gebessert, an den Wehrgängen gezimmert und geflickt. Überall ein Schaffen, als gält es die Basteien und Mauern wider einen Feind zu rüsten, der schon im Anmarsch war.

Unter einem der Wehrgänge, in einer offenen Halle, in welcher allerlei Waffenzeug beisammenstand, gewahrte Witting einen jungen buntgekleideten Landsknecht, der damit beschäftigt war, seinen Arm zu üben – er kniete mit dem Langspieß vor einem schaukelartigen Ding, das wohl einen Reiter auf bäumendem Pferde vorstellen sollte, denn der gaukelnde Balken trug einen Helm. Nach diesem auf und nieder tauchenden Helme stieß der junge Landsknecht mit dem Spieß und wußte so scharf zu zielen, daß jeder Stoß den schwankenden Helm mit Gerassel traf. Jetzt schien er des Waffenspiels genug zu haben, denn langsam, wie in Müdigkeit, erhob er sich, um den langen Spieß zu dem anderen Kriegsgerät zu legen – und da stammelte Witting erschrocken: »Jesus Maria!«

Der junge schmucke Landsknecht da drüben, mit dem blau und gelb zerhauenen Wams und in den rot und grün gebänderten Pluderhosen – das war sein Bub.

Auch Juliander hatte den Vater gesehen und stand zuerst, als könnte er seinem Blick nicht trauen. Dann kam er langsam gegangen und streckte die Hand.

Keines Wortes mächtig, sah Witting seinem Buben in das bleiche, verhärmte Gesicht.

Ein müdes, bitteres Lächeln zuckte um Julianders Mund, als er sagte: »Lang ist's her, Vater, daß sich eins von daheim um mich hat sorgen mögen!«

»Ja, Bub, lang ist's her! Und viel ist derweil den Bach hinuntergeronnen ... viel Wasser ... und sonst noch viel!« Witting hielt Julianders Hand umklammert. »Wär gern gekommen einmal! Aber die Zeit, weißt, die hat's halt nicht anders haben mögen.«

»Die Zeit ist ein Ding, das lauft.« Die Stimme des Buben zitterte in Schmerz, der sich verstecken wollte. »Aber die Lieb sollt ein Ding sein, das bleibt! Jeder Tag ist für mich ein Warten gewesen. An jedem Morgen hab ich mir's fürgeredet: Heut kommt der Vater, oder heut kommt 's Lenli! ... Aber gekommen ist keins.«

Witting nickte. »Ist dir's halt auch nicht anders gegangen wie mir! Jeden Tag hab ich mir's fürgeredet: heut kommt er, mein Bub! ... Und allweil ist er ausgeblieben.«

»Hundertmal, Vater,« brach es in Erregung, doch mit leiser Stimme von Julianders Lippen, »hundertmal hab ich den Thurner gefragt: Ist meine Schwurzeit noch allweil nicht um? Und hundertmal hab ich's hören müssen: Noch allweil nicht, und wirst wohl bleiben müssen, oder der Salzburger steigt uns auf den Buckl, dir und mir!«

Bild: A. F. Seligmann

Witting nickte nur. Und sah seinen Buben an. Und bei aller Sorge, die aus seinen Augen redete, war es in ihm doch auch wie halbe Freude über das schmucke Bild, das sein Bub in der bunten Tracht der Landsknechte machte. Juliander sah diesen Blick und sagte in müder Bitterkeit: »Gelt, einen schönen scheckigen Narren hat der Thurner aus mir gemacht! Wär nicht Aschermittich, so könntest meinen, daß noch Fasnacht ist!« Er lachte auf, wie in Spott über sich selbst. »Und willst sehen, was ich gelernt hab? Wie der Staar im Käfig! ... Da mußt herkommen! Ich zeig dir ein bißl was!« Er zog den Vater in die Halle unter dem Wehrgang. Und wie gereizter Zorn war es in dem Buben, als er dem Vater ein paar von jenen Waffenspielen vormachte, wie sie die Landsknechte zu üben pflegten: Er wirbelte ein Schwert in die Luft und fing es mit der Hand bei der scharfen Klinge – er schleuderte kurze Dolche und spickte mit ihnen das Visier des schaukelnden Helmes – er ließ einen Langspieß wagrecht um die Hände kreisen, daß der Schaft sich an der Faust entlang bewegte, von der Klinge bis zum Ende und wieder zurück – er trat vor die Halle, warf eine Hellebarde hoch in die Luft, stellte sich mit dem Gesicht unter das fallende Eisen – »Jesus Maria!« stammelte Witting erschrocken – aber Juliander lenkte die fallende Klinge dicht über seinen Augen mit flinkem Faustschlag ab. »Gelt, Vater,« sagte er mit seinem gereizten Lachen, das im brausenden Sturm verwehte, »gelt, ich hab was gelernt? Gelt, aus mir ist was worden? ... Daß der Thurner seine Freud dran haben kann!«

Der Bauer brachte kein Wort aus der Kehle. Ganz verstört sah er seinen Buben an.

Juliander hatte sich auf eine Bank gesetzt, zog den Vater an seine Seite und fragte mit zerdrückter Stimme: »Was macht denn das Lenli?«

»Mein, die ist halt wieder daheim!« Mehr wußte Witting nicht zu sagen – als hätte er mit diesem einen Wort das ganze Leben seines Kindes erzählt. »Die ist halt wieder daheim!« Oder wollte er noch andres sagen? Und hatte nicht den Mut dazu? Denn spähend huschten seine Augen über die Knechte hin, die an der Halle vorübergingen.

Schweigend saßen sie eine Weile, während der Sturm mit Heulen über die Dächer hinging. Dann sagte Juliander: »Von der Mauer hab ich zuschauen müssen, wie dem Lenli sein Lehen verbronnen ist!«

Witting faßte mit hastigem Griff die Hand seines Buben. »Julei ...« Zwei Knechte mit einer Mörtelwanne kamen von der Mauer herunter. Und Witting verstummte. Eine Weile wartete er, ob die Knechte nicht wieder gehen würden. Aber sie öffneten in einem nahen Winkel des Burghofes eine Kalkgrube und begannen in der Wanne den Mörtel anzurühren. Da fragte Witting: »Und du, Bub? Wie lebst denn du allweil?«

»Wie ihr Eichhörndl in seinem Käfig.«

»Wie wem sein Eichhörndl?«

Juliander schien diese Frage nicht zu hören. Ein wenig vorgebeugt, mit den Händen zwischen den Knieen, starrte er vor sich hin und sagte: »So geht mir ein jeder Tag wie der ander. Am Morgen hebt der Thurner die Schul mit mir an. Und die hat ein End, wenn's Abend wird. Und am Abend muß ich beim Thurner in der Stub sitzen und muß lernen, wie man die tiefen Züg macht. Die lern ich am härtesten, ja! Aber diemal ist's gut für mich ... denn da kann ich schlafen drauf.« Er lachte, als wär es ein lustig Ding, was er da erzählte. Und dann wurde er wieder ernst. »Aber das muß ich sagen ... der Thurner ist gut zu mir. Und thut mich halten, daß mir die Burgleut drum feind sind. Und allweil gütiger ist er worden zu mir, derzeit ...« da riß ihm die Stimme entzwei, und er mußte Atem schöpfen, »derzeit sein Kindl fort ist.«

Was kümmerte den alten Bauern das Kind des Thurners? Doch was er aus den irrenden Augen seines Buben las und aus dem Klang seiner Stimme hörte, das ließ ihn fragen: »Das Fräulen meinst?«

Juliander nickte.

»Ist die denn nimmer daheim?«

Juliander schüttelte den Kopf.

»Seit wann denn nimmer?«

»Seit ewiger Zeit ... oder länger noch ... ich weiß nimmer ... so lang ist's her.«

Immer größer wurden Wittings Augen, als wäre in seinem Herzen ein wachsender Schreck. »Und wo ist denn das Fräulen?«

»Auf der Mindelburg.«

»Wo liegt denn die?«

»Zu Mindelheim. Die gehört dem Frundsberg, weißt, da hat der Thurner eine Schwester verheuert an den Frundsbergischen Stückmeister. Der ist mit seinem Herrn ins Welschland fort, und die Frau ist krank und hat vier Büblein ... und da hat das Fräulen hin müssen, weißt! Und jeden Abend ...« immer schwerer wurde dem Buben das Reden, »jeden Abend, wenn der Thurner in den dritten Krug hinunterschaut, da weiß er gleich gar kein anders Reden nimmer, als wie von seinem Räpplein ... und das muß ich noch allweil anhören ... und allweil hat er die Augen naß, derweil ihm der Wein über den Kittel tropft ... und sagt doch allweil: ›Ich muß mich noch freuen!‹« Etwas Glitzerndes fiel auf Julianders Hände nieder – und da blickte er zur Decke hinauf, als käme der schmelzende Schnee durch die Ritzen der Bretter geronnen.

»Freuen?« stammelte Witting. »Warum denn muß den Thurner noch freuen, was ihm weh thut?«

Juliander lachte und streifte mit dem bunten Aermel über die Hand. »Ja, Vater, weißt, so ein Herr, der viel mehr nicht hat als seinen Durst, so einer thut sich härter als ein Bauer, der seine Dirn verheuren möcht. Und bei uns da in der Einöd wachsen halt bloß die Baurenbuben ... und keine Junker, die einem Herren taugen möchten für sein Kindl sein liebs! ... Und weißt, da ist von der Mindelburg einer dagewesen, der das Fräulen hat holen müssen! Ja, Vater, schau mich nur an ... so ein scheckiger Narr, wie ich bin ... aber gegen einen Junker, weißt, da bin ich noch allweil wie der Spatz, wenn der Stieglitz kommt!« Hell lachte Juliander auf, doch seine Lippen zuckten in Schmerz, und seine Augen schwammen. »Den hättest sehen sollen! Der spießt ein Dutzend Baurenbuben an eine geschliffene Red! Und weißt ... da meint halt der Thurner, es thät was werden draus ... und sein Kindl thät versorgt sein und hätt ein gutes Leben! Und daß dem Junker das Fräulen gefallen muß ... schau, Vater, da glaub ich selber dran!« Seine schwimmenden Augen hingen im Leeren, als stünde ein holdes Bild vor seinem Blick. Und immer leiser wurde seine Stimme, so daß sie im Rauschen des Sturmes kaum noch zu hören war. »Denn weißt ... des Thurners Kindl, das hat unser Herrgott in seiner Freud erschaffen! Was Liebers giebt's auf der ganzen Welt nimmer!« Er hob die Hand und deutete. »Das mußt anschauen, Vater! Das mußt nur anschauen ... und du mußt ihm gut sein, weißt!«

Wie versteinert saß Witting an der Seite des Buben. »Julei! ... Mein Bub, mein armer!«

Juliander schien zu erwachen. »Was hast denn, Vater!«

Da sah der Bauer, wie die beiden Knechte mit der Mörtelwanne davon gingen. »Julei!« Mit hartem Griff umklammerte er den Arm seines Buben und flüsterte: »Julei! Wenn deinen Vater noch lieb hast und dich selber, so thu heut nacht den Sprung von der Mauer und komm zu mir! Ich will dich bergen, daß dich kein Thurner finden soll! Und daß ich dich bergen muß ... Bub, das dauert nicht lang!«

Juliander stand von der Bank auf und sah den Vater an, als wäre das ein anderer, den er nicht kannte. »Vater, was hast denn?« stammelte er und blickte erschrocken in dieses harte Gesicht, in diese blitzenden Augen.

»Thu den Sprung von der Mauer! Heut nacht!«

Juliander schüttelte den Kopf. »Ich hab den Bleibschwur in des Thurners Hand gethan. Den muß ich halten.«

»Auch gegen dein eigen Blut?«

»Ich versteh dich nicht.«

»Ja weißt denn gar nichts, du?« Mit zitternden Händen zog Witting den Buben an sich. »Ist denn das neue Wesen in hunderttausend Köpf und bloß im deinigen nicht? Lauft denn die Zeit an dir vorbei, wie der Bach am Berg! So lus doch auf! Oder hörst nicht, wie sie zimmern im Wehrgang droben? Weißt nicht, gegen wen der Thurner rüstet?«

»Die Mauer ist alt, hat der Thurner gesagt, und drum muß man sie bessern!« stammelte Juliander, während sein Blick mit scheuer Frage an den Augen des Vaters hing. »Gegen wen soll der Thurner rüsten müssen? Der ist ein guter Herr und hat keinen Feind.«

»Herr ist Herr! Von denen ist einer wie der ander!« So leis auch die Stimme des Alten klang, es brannte der Zorn in jedem Wort, das er flüsterte. »Und die Herren haben mich arm gemacht. Und die Herren haben meinem Lenli das Glück und Leben geköpft! Und die Herren haben mir meinen Buben genommen! ... Julei, thu den Sprung von der Mauer! Es ist der einzige Weg aus allem Elend, das dir ein Herrenkind ins Blut geworfen!«

Juliander löste seinen Arm aus den Händen des Vaters. Ganz bleich war er geworden. »So mußt nicht reden, Vater! Wenn du's gemerkt hast, meintwegen! Das ist so tief in mir, daß ich's nimmer leugnen mag. Aber mußt nicht sagen: das wär ein Elend. Bei all meinem Weh ist so viel Glück, daß ich's nimmer hergeben thät um alles in der Welt. Eins lieb haben in Schmerzen, das ist ein heilig Ding. Ich bin ein Bub gewesen, und ich bin ein Mann worden ... und wenn ich auch spür, daß ich sterben muß an meinem Glück ... ein Glück ist's doch. Und alles kommt, wie's muß!«

Dem Alten standen die Thränen in den Augen. »Julei ...« Wieder umklammerte er den Arm seines Buben. »Alles kommt, wie's muß? ... Schau, Julei, das hab ich heut in der Nacht zu einem gesagt, der den Herren feind ist und den Bauren gut! Zu einem, der allen helfen möcht, die leiden müssen auf der Welt. Zu einem, der an alles Gute den festen Glauben hat, den dein Vater nie hat finden können! ... Aber jetzt, Bub, jetzt hab ich den Glauben! Jetzt glaub ich dran, daß alles kommen muß, wie's gut und recht ist! Jetzt will ich helfen dazu, nimmer als ein Halber im Zorn und ein Halber in meiner Angst ... mit ganzer Seel will ich helfen dazu! Und wär's auch bloß, daß ich dir dein Leben hüt!« In heißer Erregung zog er Juliander an seine Seite auf die Bank und schlang ihm den Arm um die Schultern. »Komm, Bub! Zu mir komm her, und lus auf!« In fliegender Hast, mit leisen Worten, begann er zu reden: vom neuen Wesen der Zeit, von der kommenden Freiheit und von der Menschen Glück – und alles erzählte er, von jener Sonntagnacht, in der er seinem Buben den Weg zum Dürrlehen verboten hatte, bis zu diesem Morgen und bis zu dem letzten Worte, das er am Straßenrain da draußen mit Joß Friz geredet hatte. Immer heißer strömte sein Geflüster – und er hörte nicht den Hornruf auf der Thorbastei, nicht das Gerassel der Ketten, an denen die Brücke niederging.

Und Juliander lauschte, während seine Augen bald am Vater hingen, bald mit verstörtem Blick ins Leere irrten. Seine Wangen glühten, als wäre Feuer in seinen Adern, und seine Hände schlossen sich zu Fäusten. Doch sein Atem ging so schwer, als läge ihm ein drückender Stein auf der Brust. Mit klangloser Stimme und doch in brennender Erregung murmelte er vor sich hin – so verloren, als wüßte er gar nicht, daß er sprach: »Drum tuscheln sie allweil in der Burghut ... drum schweigen sie allweil, wenn ich dazukomm ... drum schauen sie mich allweil an von der Seit und schimpfen: der Baurenbub! Drum fragt mich der Thurner allweil: Bist mir gut, Juliander, und könntest an mir ein Unrecht thun und falsch sein?«

Witting schien nicht zu hören, was Juliander murmelte. Er schien nur die zuckenden Fäuste seines Buben zu sehen, nur den heißen Glanz in seinen Augen. »Julei?« fragte er flüsternd und zog den Buben an sich. »Thust mir jetzt den Sprung von der Mauer?«

Juliander sah den Vater an. »Den Sprung von der Mauer? Heimlich und in der Nacht? Nein, Vater, den thu ich nicht! Geschworen ist geschworen, und das muß gehalten sein! Da geht kein Wasser drüber, und da fallt kein Berg nicht drüber her.«

»Bub!«

»Schau, Vater ... was mir da gesagt hast, schau, das ist mir wie Sonn und Feuer ins Blut gegangen. Gute Zeit und Freiheit auf der Welt, ein mächtiges Reich und ein gütiger Kaiser, eine freie Kirch und ein rechter Glauben ... Vater, das ist ein groß Ding! Und ist eine schöne Sach, für die man sterben könnt und lachen dazu, wie der Bramberger auf dem roten Schragen. Und müssen Tausend drum sterben ... schau, Vater, da bin ich gern dabei. Aber gute Zeit braucht gute Leut. Die schlechte, weißt, die ist allweil bloß von den schlechten Menschen gekommen. Und meiner Seel, ich sag's nicht, weil ich des Thurners Kindl lieb hab ... aber einer, der nicht halten möcht, was er willig geschworen hat ... schau, Vater, so einer wär ein Lump und thät nicht taugen in die gute Zeit. Der thät sie versauen.«

Witting schwieg. Und der weiße Kopf sank ihm auf die Brust, als hätte sich das ruhige Wort seines Buben wie eine drückende Faust auf seinen Nacken gelegt.

Juliander schlang den Arm um die Schultern des Vaters. »Deswegen mußt nicht Sorg haben! Der Thurner ist ein guter Herr und hat eines Kriegsmanns richtige Ehr im Leib. Er wird's einsehen, daß ich stehen muß, wo die gute Sach ist ... und daß ich sein muß, wo mein Vater ist und das Lenli.«

Da klang ein sporenklirrender Schritt über das grobe Pflaster her. Und Herr Lenhard stand vor den beiden, mit dem schimmernden Brustpanzer unter dem Reitermantel und mit dem ungetümen Tellerhut, von dem die großen, aus Zwirn gefälschten ›Straußenfedern‹ wie rote Schlangen über den Mantel hinunterhingen. Unter diesem Hute schien Sturm zu sein, wie droben in den Lüften. Denn das Gesicht des Thurners glich einem Krebs, der das Sieden übel genommen hatte, seine Augen sprühten in Zorn und Verdrossenheit, und sein Bart starrte wirr durcheinander, als hätte man ihm alle Haare gegen den Strich gebürstet. Mit einem seiner welschen Flüche stieß er das lange Schwert zu Boden und musterte die beiden mit mißtrauischem Blick. Witting und Juliander hatten sich erhoben. Und der Alte zog die Kappe. »Grüß Gott, Herr Thurner!«

»Behalt deinen Gruß für dich! Wie ein Baurengruß für einen Herren gemeint ist, das weiß ich eh. Und was du dir denkst dabei, das will ich nicht raten!« knurrte Herr Lenhard. »Thät's lieber sehen, du wärst mir gar nicht in die Mauer gekommen!«

»Herr, da müßt Ihr raiten mit Eurem Knecht, der mir den Weg verlegt hat.«

»Der Esel hätt besser gethan, wenn er dich laufen hätt lassen!«

»Herr Thurner!« Dem Buben war das Blut in die Stirn geschossen. »Das sind üble Reden, die Ihr meinem Vater gebt!«

Diese Mahnung brachte den Thurner noch völlig m Wut. » Diavolo scatenato! Ich sag dir, Bub, laß deinen Schnabel rasten! Wenn mir die Gall wie saurer Wein heraufsteigt durch den Hals, so ist's nur der Ärger, den ich um deintwegen hab. Ich fürcht, ich bin ein Stündl zu spät von Berchtesgaden weggeritten.« Er musterte mit seinem sprühenden Blick den Alten und kaute schweigend, als hätte er einen zähen Bissen zwischen den Zähnen. »Wie du das letztmal dagewesen bist, da hast mir gefallen, Bauer! Aber heut ... ja, schau mich nur an ... ich merk's eh schon, daß heut in deinen Augen nichts gutes ist!« Herr Lenhard lachte in seinem Zorn. »Bist wohl gestern auch im Klosterhof bei dem schönen Fasnachtspiel gewesen?«

»Ja, Herr,« sagte Witting ruhig, »da hab ich zugeschaut.«

»So?« grinste der Thurner. »Und gefallen hat's dir wohl auch?«

»Nein, Herr! Wär's mir nach gegangen, so hätt man's gut sein lassen mit dem schiechen Spiel.«

»So? ... Aber deine Augen, die reden ein ander Wörtl.«

»Ich red, was wahr ist, Herr!«

»Reden kannst, als wärst die menschgewordene Biederkeit ... und doch bist ein Lugenschüppel!« schrie Herr Lenhard. »Und doch bist einer!«

»Herr!« brauste Juliander auf. »Ich laß meinen Vater nicht verschimpfen!«

»So schau ihn doch an, deinen Vater!« schrie der Thurner, daß im Burghof alle Leute zusammenliefen. »Und lus auf die Red, die er mir geben wird, dein Vater!« Herr Lenhard wandte sich und rief zur Thorbastei hinauf: »He! Wärtel!« Der Thorwart kam gelaufen. »Was hat dir der Bauer da gesagt?«

»Daß er Ochsen gekauft hätt in Reichenhall und hätt sie nach Salzburg auf den Markt getrieben.«

»So? So?« Der Thurner packte den Bauer mit grober Faust am Kittel. »Und jetzt sag mir, du ... wie kannst du denn gestern in Berchtesgaden beim Fasnachtspiel gewesen sein, wenn du Ochsen von Reichenhall nach Salzburg getrieben hast? Oder kannst du fliegen, Bauer? Und sind deine Ochsen Spatzen, die Federn haben? ... So red doch! Red!«

Witting war bleich geworden. »Ja, Herr, das mit den Ochsen ist eine Lug gewesen.«

»Und warum denn hast lügen müssen? Daß dich einschleichen hast können in meine Burghut? Und deinem Buben den Kopf verdrehen?«

»Mein Kopf, der steht noch allweil fest, Herr Thurner!« sagte Juliander mit weißen Lippen. »Aber daß mir der Vater gesagt hat, was umlauft unter den Leuten, und daß eine gerechte Sach ihren Kopf in die Höh thun will ... ja, Herr, das ist wahr!«

»So? So? Das ist wahr?«

»Ja, Herr!« Julianders Augen blitzten. »Und daß ein Redlicher stehen muß, wo die gute Sach ist, und wo sein Haus und sein Blut steht ... das ist auch wahr!«

Herr Lenhard sah den Buben an. Und aller Zorn war plötzlich in ihm erloschen. Mit einem Wink seiner Hand schickte er die Leute fort, die in Neugier herbeigelaufen waren. Dann stellte er sich breitspurig, mit den Fäusten auf dem Knauf seines Schwertes, vor Juliander hin. Und wie ein Blick des Kummers war es in seinen Augen. »Bub! ... Will einem ein Ding aus der Hand rutschen, in dem man guten Wert gefunden, so thut man noch einen festen Griff. Denn was einem lieb ist, läßt man nicht gern in den Dreck fallen. Und daß du nach allem, was dir dein Vater heut in den Kopf gebremselt hat, nicht anders reden kannst, als wie du jetzt geredet hast ... schau, Bub, das begreif ich. Aber was aus dir redet, das ist junge Narretei. Ein Redlicher muß dort stehen, wo Vernunft ist, nicht dort, wo der Unsinn dem Elend zulauft. Und wenn du das selber nicht einsiehst ... ich hab dich in meiner Faust und will dir's schön langsam noch beibringen. So! Und jetzt ein Wörtl mit deinem Vater!« Herr Lenhard faßte Witting am Ärmel. »Bauer, du hast den Pfleger angelogen. Das könnt ich dir übel zahlen, und es wär mein gutes Recht ... und könnt dir den Buckl so blau klopfen, wie du mich anlaufen hast lassen ...«

Witting nickte.

»Aber um des Buben willen, der mir lieb ist wie der Sonnschein an gutem Tag ... geh heim, Bauer! Und dein Heimweg ist weit. Da hast du Zeit zu gutem Besinnen und kannst dir sagen, daß sich von den verfluchten Herren einer besser um deinen Buben sorgt, als seines Vaters Lieb!« Unter diesen Worten hatte Herr Lenhard den Alten zum Thor geschoben. Nun dämpfte er die Stimme. »Und jetzt will ich dir noch was sagen, Bauer ... weil du des Buben Vater bist! Und was ich dir sag, das ist kein neues Wesen in mir ... das ist Einsicht, die schon einen grauen Kopf hat. Daß nicht alles gut ist auf der Welt, und daß die Herren schiech über die Schnur hauen und hartes Unrecht an ihren Leuten thun, und daß es den übermütigen Pfaffen gesund wär, wenn man ihnen die Kutten klopfen möcht ... das ist wahr, Bauer. Das sagt dir ein Herr. Und thät einer kommen, der von heut auf morgen das Leben und die Menschen anders macht, und besser ... ich wär der Erst, der ihn grüßen thät. Aber so einer kommt nicht, Bauer! Und was einer nicht kann, das machen auch tausend nicht! Denn hunderttausend biegsame Stecken, die man bindet mit Stroh, die geben noch lang keinen festen Baum. Drum laß dir zum Guten raten und sei verständig, Alter! Und laß dich nicht hineinziehen in die Narretei! Denn was sie da kochen in ihren dumperen Köpfen, das wird eine trübe Supp! Das wird ein Fasnachtspiel mit einem traurigen End! ... So, Bauer, jetzt geh! Und Gott soll dir's geben, daß du über's Jahr bei deinem Buben sitzen kannst und lachen dazu!«

Mit entfärbtem Gesicht sah Witting den Thurner an. Doch seine Stimme klang ruhig, als er sagte: »Ihr schauet die Zeitläuft als Herr an ... ich bin ein Bauer und hab andere Augen. Und ob ich über's Jahr bei meinem Buben sitz und lach dazu ... das weiß der Herrgott allein! Müssen wir halt schauen, wie's kommt!« Er lächelte wie in Geduld; doch seine Hände ballten sich zu Fäusten.

»Ja, Bauer, schau nur!« Herr Lenhard schob den Alten auf die Brücke hinaus. »Und kommt's, wie's gut ist, so soll mir's recht sein!«

Diese letzten Worte des Thurners schien Witting nicht mehr zu hören. Er hatte das Gesicht gewandt und sah mit einem Blick der Sorge und Sehnsucht nach seinem Buben zurück. »Gott soll dich hüten, Julei!« Da wurde seine schwankende Stimme klar und fest. »Und ich mein', wir sehen uns bald! Und wird die Zeit ein bißl grob, so mußt halt fleißig an den Vater und an's Lenli denken, gelt!«

Herr Lenhard spitzte die Ohren, als hätte er hinter diesem Wort einen versteckten Sinn gewittert. Aber da ging der Bauer schon über die Brücke hinaus. Die Ketten rasselten, und dröhnend schloß sich der große Thorflügel.

Wie in Zweifel, was er thun sollte, guckte der Thurner bald das Thor an und bald den Buben. Nun schritt er mit klirrenden Sporen auf Juliander zu und faßte ihn mit groben Händen an der Brust. »Bub? Könntest falsch sein? Du?«

Juliander sah den Thurner an, wie ein Erwachender, und richtete sich auf. Und das Blut schoß ihm ins Gesicht. Langsam faßte er den Thurner an beiden Handgelenken und drückte, daß Herr Lenhard die Hände öffnen mußte.

» Cospetto! Bub! Was treibst denn?« fuhr der Thurner auf, halb mit Zorn und halb mit Lachen. »Druckst mir ja die Faust in Scherben!«

»Das schöne Häs, das ich hab von Euch, das dürfet Ihr nicht so grob anfassen, wie meinen Vater, Herr! Sonst geht's in Fransen!« sagte Juliander, während er die Hände des Thurners frei gab. »Und ob ich falsch sein könnt? ... Am Tag vor Kathrein habet Ihr mich in Haft genommen, und heut ist Aschermittich. Und allweil wisset Ihr noch nicht, ob das Wasser ein Wasser ist und der Stein ein Stein?«

Als hätte Herr Lenhard das Gleichnis dieser Worte nicht ganz verstanden, mit so zweifelhaften Augen guckte er den Buben an. Und brummte: »Das ist eine Narrenzeit, die aus den Menschen macht, ich weiß nicht was! Da kann man sich im Besten verschauen. Und der Leut, die ich in meiner Mauer hab, muß ich sicher sein.« Der Thurner schwieg, und während er die Lippen aufwarf und den Atem durch die Nase in den gesträubten Schnurrbart blies, sah er dem Buben lang in die Augen. Eine sanfte Regung schien in seinem gereizten Gemüt zu erwachen, und wie rauher Kummer klang es aus seiner Stimme, als er sagte: »So hoch ist meine Mauer nicht, daß einer nicht zur Nachtzeit hinunterspringt, der eiserne Flachsen hat wie du! Und Kraft, die frei sein will, die laßt sich nicht hüten. Aber sag, Bub ... könntest mir das anthun, daß du mir heimlich davon läufst ... jetzt grab, wo mir in der schiechen Zeitsorg und in der Sehnsucht um mein Kindl das Lebenszäpflein schon halb hinuntergefallen ist in den Magen?«

Ein Zittern lief dem Buben durch die Arme, und aller Zorn schien erloschen in ihm, alle Erregung beschwichtigt. Und ruhig sagte er: »Daß ich den Schwur, den ich in Eure Hand gethan, zu keiner Lug mach ... muß ich das erst noch sagen?«

Herr Lenhard hob das Gesicht, und es zwinkerte vergnügt um seine Augen.

»Aber die Zeitsorg, die in Euch ist, Herr Thurner, die ist auch in mir, seit der Vater mit mir geredet hat. Zwischen der Mauer da und zwischen dem Lehen, in dem mein Vater hauset, ist ein tiefer Graben durch's Land gerissen. Und wie gut Ihr auch allweil zu mir gewesen seid ... ich bin ein Baurenbub, und meines Vaters Blut ist das meinig! Und wenn's wahr wird, daß es im Ernst an's Raiten geht, so muß ich stehen, wo mein Vater steht.«

Dieses Wort legte wieder Feuer unter die gute Laune des Thurners. »So?« brauste er auf. »Bei den Bauren willst stehen? Und mit dem Schwert, das ich dich führen hab lernen, gegen die Herren schlagen? ... Und am End noch gegen mich und mein Kind?«

Aus Julianders Gesicht war das Blut gewichen. »Sehet Ihr so viel Schlechtes in mir, so will ich mich selber nicht heilig machen vor Euch! ... Und was ich thun oder lassen muß, wenn's ernst wird ... Herr, das weiß ich nicht! Aber ich mein', es wär das Beste für uns alle beid ...«

»Was?« schrie der Thurner. »Was wär das Beste?«

»Ihr thätet mir als redlicher Mann meinen Schwur wieder heimgeben und thätet mir den Weg frei lassen, auf den's mich zieht ...«

Ein welscher Fluch unterbrach den Buben. Und in Zorn, mit rotem Gesichte, schrie Herr Lenhard: »Da müßt ich erst von den Ochsen einer sein, die mir dein Vater vorgelogen hat! Was ich festhab in der Hand, das laß ich nicht aus! Du bleibst!« Er hob in seinem brennenden Jähzorn die geballte Faust. »Bis heut hast den Thurner nur kennen lernen in seiner Güt! Aber thust mir ein einzigs Schrittl, das wider deinen Schwur ist, Bub ... so will ich dir einmal den Herren zeigen, der ich bin! ... Du Bauer!« Und zornknurrend, mit wehendem Mantel, stapfte Herr Lenhard dem Wohnhaus zu.

Noch lange stand Juliander auf der gleichen Stelle, bleich bis in die Lippen, mit verstörtem Blick. Dann ging er in seine Kammer, that mit zitternden Händen die bunten Landsknechtfarben von sich ab und zog die mürbgewordenen und verblichenen Bauernkleider an, in denen er vor einem Vierteljahr die Burghut am Hangenden Stein betreten hatte.

Bild: A. F. Seligmann

Als es Mittag wurde, rief man ihn nicht zum Tisch des Thurners wie sonst. Frau Rest brachte ihm mit höhnischem Schmunzeln das Essen in die Kammer. Und am Nachmittag merkten es die Burgleute, daß zwischen dem Herren und dem ›gepäppelten Buben‹ nicht mehr alles zum Besten stand. Die Knechte lachten durchs Fenster herein, wenn sie an der Kammer vorübergingen, und einer von ihnen sang ein Spottlied, das seit Wochen bei den Herrenknechten in Brauch gekommen war:

»Den Bauren machet ein Bär viel Not,
Den hätten sie gern geschlagen zu Tod.

Sie zogen aus und fanden gar bald
Den braunen Bären im grünen Wald.

Der Bär, der hat sich zum Wehren gerüst.
Da jammern die Bauren: Herr Jesu Christ!

Und fallen nieder all auf die Knie:
O jeggus, o jerum, der Bär ist noch hie!«

Juliander saß mit geballten Fäusten in seiner Kammer, und als das höhnende Liedlein da draußen schwieg, sang er mit allem Klang seiner Stimme den ›Baurentrotz‹ zum Fenster hinaus:

»Ich bin ein Bauer, gut und recht,
Und ist mein Stand auch arm und schlecht,
So bin ich mir doch grad so gut.
Wie einer, der schön höfisch thut!
Tralirala, ich will's nicht achten,
Wenn mich die Herrenknecht verachten!«

Draußen im Hof begannen die Knechte zu schimpfen – aber da klang vom Wohnhaus herüber ein welscher Fluch und die zornig gereizte Stimme des Thurners. Das machte die Knechte schweigen.

Bis zum Abend saß Juliander in seiner Kammer, wie ein Gefangener, der seines Urteils wartet.

Rauschend und immer noch wachsend fuhr der Sturm über die Dächer hin, und von allen Traufen ging das Geplätscher des Wassers nieder, zu dem der Schnee im schwülen Föhn zerschmolz.

Als es dunkel geworden, erschien Frau Resi und knurrte den Buben an: »Zum Herren sollst kommen!«

Juliander ging hinüber ins Wohnhaus und trat in die Stube. Am Tisch, unter dem Hirschgeweih mit den flackernden Kerzen, saß Herr Lenhard vor dem Krug. Als er sah, daß Juliander den Bauernkittel trug, lachte er zornig auf. Doch er schien sich zur Milde zwingen zu wollen und schrie den Buben an: »Da komm her! ... Und trink!«

»Mich thut nicht dürsten, Herr!« sagte Juliander und blieb bei der Thüre stehen.

Herr Lenhard wetterte mit einem Fluch die Faust auf den Tisch. »So geh halt trocken ins Bett, du Bock, du eigensinniger! ... Gut Nacht!«

Juliander warf noch einen Blick nach dem dunklen Erker, in dem die Armbrust Morellas hing, und verließ die Stube.

Viel schlief er nicht in dieser Nacht. Der Sturm rauschte, daß alle Mauern zitterten – und Sturm war auch in dem Herzen des Buben. Erst gegen Morgen fand er in Müdigkeit noch einen festen Schlummer. Und kaum, daß es Tag wurde, weckte ihn Herr Lenhard: »Steh auf, Bub! Und komm zur Schul!« Juliander gehorchte. Und der Thurner that den ganzen Tag, als wäre nicht das geringste geschehen, was in seinen Verkehr mit dem Buben einen Wandel hätte bringen können. Am Abend saßen sie wieder beisammen in der Stube – Juliander schweigsam, Herr Lenhard wortreicher als je. Unter lautem Lachen, das immer gereizter klang, kramte er hundert Schnurren seiner Kriegsjahre aus und schien geflissentlich im Gespräch alles zu vermeiden, was zwischen ihm und dem Buben wieder einen ›Graben‹ aufgerissen hätte. Doch daß er von der ›Zeitsorg‹ schweigen mußte, die in ihm wühlte, das schien wie Pfeffer auf seinen Durst zu wirken. Frau Resi mußte immer wieder in den Keller laufen. Und als dem Thurner erst warm wurde vom Wein, wußte er von nichts anderem mehr zu reden, als von seinem ›Räpplein‹, von seinem ›roten Narrenvogel‹, von seinem ›herzlieben Kindl‹. Juliander saß dabei, die zitternden Fäuste auf dem Tisch, und träumte in stiller Schwermut vor sich hin.

So war es einen Abend um den andern. Und manchmal, wenn dem Thurner der Wein unter den gesträubten Haaren rumorte, vergaß er seiner diplomatischen Zurückhaltung und versuchte den ›eigensinnigen Bock‹ mit hundert Beweisgründen von ›der Bauren Narretei‹ zu überzeugen. Dabei begann ihm der Verstand zu wirbeln, so daß er schließlich mit den gleichen groben Worten, wie auf die ›unsinnigen Hoffnungen der dummen Bauren‹, auch auf den ›Unverstand und Übermut der Herren‹ losschalt. Doch immer war es das Ende, daß sich des Thurners Zorn in Rührung verwandelte, daß er sich auf die Mindelburg zu seinem ›Räpplein‹ träumte, das wohl eines Tages in der Burghut am Hangenden Stein als ›glückseliges Bräutlein‹ erscheinen würde – eine Vorstellung, bei der ihm die Augen von Thränen tropften, wie der Schnurrbart von Wein.

In Juliander, der all diese Marter seines Herzens schweigend über sich ergehen ließ, sammelte sich eine wühlende Erregung an, die er nach den halb durchwachten Nächten am Morgen wieder zu beschwichtigen suchte, wenn er dem Thurner in der ›Schul‹ mit bewaffneter Faust gegenüberstand. Da führte er so derbe Streiche, daß Herr Lenhard oft den Arm erlahmen fühlte, und daß des Thurners Waffenknecht an jedem Abend stundenlange Arbeit hatte, um an der Eisenhaube und am Brustpanzer seines Herrn die eingeschlagenen ›Dullen‹ mit dem Hammer wieder eben zu klopfen. Doch für Herrn Lenhard war es die lachende Zeit des Tages, wenn er sich nach den Schulstunden schweißtriefend aus seinem Lederwams herausschälte und vor dem Zinnspiegel mit Balsam die roten, blauen und grünen Flecke einrieb, die ihm Juliander auf Arme und Schultern gedroschen hatte. Und der Thurner hatte das vergnügte Lachen über dieses bunte Farbenspiel seines Körpers nötig, um sich über die ›schieche Zeitsorg‹ hinweg zu trösten, die neue Nahrung fand mit jedem Tag.

Der Föhn war still geworden und hatte einen blauen Himmel über den zerrinnenden Winter gebaut. Doch grauer und drohender mit jedem Morgen stiegen am Himmel der Zeit die Wolken auf. Kaum ein Tag verging, ohne daß ein reitender Bote auf abgehetztem Roß die Burghut passierte. Und diese Boten, die zwischen dem Stift und der Hohensalzburg hin und herjagten, trugen dem Thurner zu, was draußen in der Welt geschah.

Mit dumpfer Bestürzung sahen die Fürsten und Herren im ganzen Land das neue Wesen wachsen, das in allen Köpfen des Volkes gärte. Jeder schickte zum Nachbar: »Borg mir Knechte!« – und erhielt die Antwort: »Ich weiß mich der eigenen Haut nicht zu wehren!« Alles Werben versagte – und von den spärlichen Soldknechten, die dem Zug des kaiserlichen Heeres nach Welschland fern geblieben, liefen noch hunderte ihren Herren davon, weil ihnen das Bleiben unter fürstlichen Dächern nicht mehr geheuer schien. In diesem ersten Schreck besannen sich die Herren aller Gnade, die sie üben konnten. Kein Bauer wurde mehr zur Fron gerufen, Zoll und Steuer wurden mit Milde erhoben, um das ›unruhige Volk nicht zu reizen‹. Doch diese Milde der Herren wirkte wie schürender Wind auf glühende Kohlen und wurde überall im Land nach ihrem Wert gedeutet. Überall sahen die Bauern, wie schlecht gerüstet und wie entblößt von Streitkräften die Fürsten waren, und wie die Angst sie ratlos und verlegen machte. Das weckte den Übermut des Volkes – und manch ein adeliger Herr, wenn er über die Straße ritt, mußte Reden hören, die er sonst mit dem Strick des Henkers gebüßt hätte. »Die Herren sind aus Wölfen zu Hasen geworden!« Das war ein laufendes Wort im ganzen Land. »Von den eisenbeißenden Junkern, deren einer zehn Bauren in einem Pfeffer wollt gefressen haben, dürfen jetzt ihrer zehn einen Bauren kaum ansehen.«

Um sich im Gebrauch der Handrohre und Hakenbüchsen zu üben, schossen die Bauern das Wild auf den Feldern nieder oder zielten nach den Wetterfahnen der Burgen. Die zwölf Artikel, die der Bauern Freiheit verkündeten, wickelten sie um Steine und warfen sie den Herren in die Fenster. Und in den Nächten nagelten sie die Flugschriften an die Burgthore, den ›Aufruf zur evangelischen Brüderschaft‹, den ›Totentanz der ungerechten Herren‹ und die ›Goldkörnlein aus Martin Luthers Reden für das arm geplagte Volk der deutschen Bauren‹. Da konnten die Herren zur Morgensuppe die Predigt lesen: »Ich weiß es, man wendet mir ein, es sei eine Gefahr, daß eine Aufruhr gegen die geistlichen Fürsten erregt werde. Darauf antworte ich: Aber wenn das Wort Gottes vernachlässigt wird und das ganze Volk untergeht? Wenn die geistlichen Fürsten nicht hören wollen Gottes Wort, sondern wüten und toben, mit Bannen, Brennen, Morden und allem Übel, was begegnet ihnen billig, denn ein starker Aufruhr, der sie von der Welt ausrottet? Und dessen wäre nur zu lachen, wo es geschähe! Alle, die dazu thun, daß die Bistümer verstört und der Bischöfe Regiment vertilgt werde, das sind liebe Gotteskinder und rechte Christen, sie streiten wider des Teufels Ordnung. Es sollte ein jeglicher Christ dazuhelfen mit Leib und Gut, daß ihre Tyrannei ein Ende nähme.«

Solcher Sprache gegenüber, und bei der Wirkung, die sie im Volke sahen, zitterten auch die Mächtigsten der Fürsten. Und maßlos war die Angst der kleinen Herren mit schwachen Burgen und geringen Soldtruppen, maßlos die Furcht der Äbte und Pröpste in ihren schlecht geschützten Klöstern.

Da kam ein jäher Wandel. In der zweiten Märzwoche trugen reitende Boten von Burg zu Burg und von einer Stadt zur andern die Nachricht: Pescara und Frundsberg haben um die Fastnachtszeit das französische Heer vor Pavia geschlagen, König Franz ist ein Gefangener des Kaisers, und Frundsberg mit seinen Landsknechten zieht in Eilmärschen über die Berge her.

Zwei Tage vor dem Sonntag Reminiscere schickte Herr Matthäus diese Botschaft von Salzburg seinem fürstlichen Bruder in Berchtesgaden zu. Und schrieb: »Sei frohen Mutes und heb zur ersten Zuflucht mit den Martinischen Schandbuben bei allem Anschein guter Redlichkeit ein Paktieren an. Lassen sie sich darauf ein, so wollen wir die Bösewichter hinhalten, bis unser Kriegsvolk ankommt. Bis zum fünfundzwanzigsten des Märzen wird der ganze bündische Kriegshaufen aufgeboten sein. Daun wollen wir den Bauren den Kuhschwanz in den Gedärmen suchen und wollen brennen in ihrem Land, daß Gott auf dem Regenbogen vor Rauch und Hitze blinzeln und die Fuß an sich ziehen soll, weil ihm die Sohlen zu warm werden.«

So lang es anging, hielten die Herren die Botschaft geheim, die aus Welschland gekommen. Doch aus den Städten sickerte die Nachricht in das Volk und rannte durch die Dörfer. Und während die Herren jubelten, von ihrer lähmenden Angst erlöst, und mit Eifer zu rüsten begannen, ernüchterte sich das Volk aus seinem jauchzenden Übermut und war erschrocken und ratlos. Dann in jedem Dorf der Schrei: »Schlaget los! Oder es ist zu spät!« Und jeder Haufe, der zusammenrannte, that, was ihm gut schien für die nächste Stunde. Was vor Pavia geschehen, hatte die gärende Bewegung des Volkes überflügelt. Der Ausbruch kam, zersplittert und ohne Zusammenhang, noch ehe für den Strom des Volkes die Wege gebahnt und die zerstreuten Kräfte gesammelt waren für einen Plan und unter der Führung eines Kopfes. Im Algäu und am Bodensee beginnt es – dort wo die Nachricht aus Welschland zuerst ins Volk gedrungen. Im Donauried, zu Baltringen, läuft ein Haufen von dreißigtausend Bauern zusammen – und während sie noch ratlos sind und um Sold und Verpflegung streiten, setzt sich schon der Feldherr des Schwäbischen Bundes, Georg Truchseß von Waldburg, gegen die Bauern in Bewegung. Aber der Aufstand läuft von Haus zu Haus, am Rhein hinauf und an der Donau hinab. Überall ziehen die Bauern in Haufen zusammen, wie Bienen, wenn sie schwärmen. Die Bewegungsmänner aller Farben rühren sich: Begeisterte und solche, die im Trüben zu fischen hoffen. Mönche springen aus den Klöstern und ziehen als Prädikanten durch das Land. Die Pfarrherren der Dörfer nehmen die evangelische Lehre an und schlagen sich auf die Seite der Bauern. Predigt und Volksrede spielen in Kirchen und auf allen Gassen. Und Geld beginnt zu rollen, um allerorten die Zögernden unter die Waffen zu rufen – reichlicher Sold mußte wirken, wo die opferwillige Freude zum Werk der Freiheit fehlte, und wo die Furcht des gemeinen Mannes ratlos zitterte. In diesem Sturm, der das offene Land durchbraust und aus den Dörfern weht, werden die Städte irr in ihrer Haltung und wissen nicht mehr, zu wem sie stehen sollen, zu den Herren oder zu den Bauern. Reiche Bürger, die um ihre Geldsäcke bangen, treten in die evangelische Brüderschaft und spenden die Hälfte ihres Vermögens, um die andere zu retten.

Am Mittwoch vor dem Sonntag Oculi erfuhr der Thurner von einem reitenden Boten, daß es in Salzburg drunter und drüber ginge. Herr Matthäus hätte sich mit allen Prälaten und Adeligen in der Hohensalzburg eingeschlossen, und in der Bürgerschaft wäre der Teufel los – ein Glück für die Herren, daß sich die Bürger fürs erste unter einander in die Schöpfe gefahren wären: die lutherisch und arm sind, möchten es mit den Bauern halten – die nicht lutherisch und die lutherisch und reich sind, gäben den Herren recht.

Und am Abend, als der Bote von Berchtesgaden wieder heimritt, brachte er vom Propst für den Thurner einen Zettel: »Wahre deine Mauer! Ein Freund des Klosters hat uns zu wissen gethan, daß unsere Knappen und Bauern am Sonntag Oculi einen Aufruhr stiften wollen.«

Das war nach langer Zeit der erste Abend, an dem Herr Lenhard nüchtern zu Bett ging. Bevor er sich mit seiner brennenden ›Zeitsorg‹ zur Ruhe legte, spät in der Nacht, machte er beim Schein der Pfannenfeuer noch einen Rundgang um die Mauer, in deren Wehrgängen die Armbrusten und Hakenbüchsen bereit standen, und stieg auf die Thorbastei, wo neben den zwei Mauerschlangen und den eisernen Pulverkisten die Stückkugeln zu kleinen Pyramiden aufgeschichtet waren.

»Alles in Ruh, Herr!« sagte der Knecht, der die Wache hielt.

Der Thurner setzte sich auf eine der Mauerschlangen. Schweigend blickte er in die kalte Frühlingsnacht hinaus, an deren falbem Himmel in mattem Glanz die Sterne flimmerten. Die höchsten Spitzen der Berge, die noch die Schneekappe des Winters trugen, waren von bleichem Schein umflossen. Denn der Mond wollte kommen.

Ein schwerer Seufzer hob dem Thurner die Brust. Er sah über den Kranz der Mauer hin, sah die Schlangen an, die Pulverkisten und Stückkugeln – und brummte einen Fluch. Wenn es ernst würde und die Bauern und Knappen kämen zu Hunderten gegen die Burghut angerückt – was sollte er da ausrichten mit seinen zehn Hakenbüchsen, mit den beiden Schlangen und den zwölf Knechten?

Auf dem Rückweg blieb Herr Lenhard vor dem Wehrhaus stehen und lauschte gegen das dunkle Fenster einer ebenerdigen Stube. Er hörte ein Geräusch, als hätte sich ein Schlafloser seufzend auf seinem Lager umgedreht.

»Armer Bub!«

Müden Schrittes ging der Thurner nach seiner Stube. Als er die Wachskerze ausgeblasen hatte und in den Kissen lag, murrte er in das Dunkel seiner Kammer: »Räpplein! Mein Räpplein! Wie wird's dir gehen da draußen im Schwabenland!«

Es dauerte lange, bis Herr Lenhard den Schlummer fand.

Kaum hatte er zu schnarchen begonnen, da weckte ihn die Stimme eines Knechtes: »Herr! Herr!« Und ein Faustschlag dröhnte an der Kammerthür.

»Was ist denn?« fragte Herr Lenhard mit schlaftrunkenen Sinnen.

»Auf dem Untersberg, auf dem Göhl und auf allen Bergen brennen Feuer auf, eins ums ander!«

»Narretei!« brummte der Thurner und rieb sich in der Finsternis die Augen. »Heut ist doch nicht der Sonntag Oculi!«

»Die Feuer brennen aber!«

Herr Lenhard sprang aus dem Bett. »Weck alle Leut! Ein jeder auf seinen Posten! Ich komm gleich!«

Während der Thurner Licht machte, sich ankleidete und an seinem Harnisch die Riemen anzog, wurde es in Haus und Hof schon lebendig. Für die Stunde der Gefahr war alles vorbereitet, und jeder wußte, was er zu thun hatte. Frau Resi hantierte mit den Mägden in der Küche, um die Morgensuppe zu kochen, und stieg in den Keller hinunter, um für die Knechte den Wein zu holen. Und von den Mannsleuten kannte jeder seinen Posten, auf der Bastei und in den Wehrgängen.

Nur ein einziger in der Burghut schien nicht zu wissen, wo seine Stelle war. Im Flackerschein des Pfannenfeuers stand er wie versteinert neben der Thür des Wehrhauses an die Mauer gelehnt. So sah ihn Herr Lenhard stehen, als er im Geklirr des Panzers über den Burghof schritt. »Bub! ... In deine Kammer! Und da bleibst mir, bis ich dich ruf.«

Juliander regte sich nicht.

Aber der Thurner kümmerte sich weiter nicht um den Buben, sondern kletterte zur Bastei hinauf, hart schnaufend unter dem schweren Panzer.

Auf der Plattform standen vier Knechte mit den Hakenbüchsen bei der Mauer. Von den Schlangen waren die Lederhüllen abgezogen, Pulver war auf die Pfannen geschüttet, und die Lunten brannten.

Noch ehe Herr Lenhard die letzten Stufen der steilen Holztreppe erklommen hatte, sah er schon die Feuer auf den Bergen. An die zwanzig waren es – wie große Sterne, die aus der Höhe gefallen, lagen sie überall auf den schneegrauen Kuppen. Und wie ein schiefes zwinkerndes Lichtauge, das sich mit schläfrigem Staunen die dunkle Welt beguckt, hing die Sichel des abnehmenden Mondes in einer tiefen Bergscharte am bleichen Himmel.

Während der Thurner nach den wachsenden Feuern spähte, fing im Dorf, das hinter dem Brückenhügel verborgen lag, eine Glocke zu läuten an, in abgerissenen Schlägen, als wär's ein Feuerlärm. Und der dumpfe, heulende Klang eines Kuhhorns ließ sich hören.

» Corpo di cane! Das wird ernst!« meinte Herr Lenhard. »Der gute Freund des Klosters hat den Propst schön freundlich angelogen! Und heut am Mittich ist Sonntag Oculi!«

»Da kommen sie!« fiel einer der Knechte mit dem Spruch der Schuepfenjäger lachend ein.

Den Thurner ärgerte der schlechte Scherz – aber das war nicht die Zeit, in der man mit den Knechten grob sein durfte. Drum schwieg er und spähte wieder gegen das Dorf hinaus.

Bild: A. F. Seligmann

In den Glockenschlag und in das Gebrüll des Kuhhornes mischte sich der heiser schmetternde Klang einer Trompete, die von einem geblasen wurde, der sich schlecht aufs Musizieren verstand. Ferne Stimmen hörte man, Jauchzer und Jodler, halb erstickt vom Rauschen der Ache.

Überall auf den grauen Berggehängen glimmerten winzige Sterne auf: die Stubenlichter in den zerstreuten Lehen der Hochbauern – und gaukelnde Sterne wanderten durch die Wälder nieder: die Fackeln der Bauern, die zum Haufen eilten.

Als der Morgen zu dämmern anfing, kam ein flüchtender Menschentrupp von der Achenbrücke gegen die Burghut gelaufen, ein Dutzend schreiender Leute. Es waren die Mautknechte und Salzmeister, die Schreiber und Aufseher, die der Salzburger Bischof bei der Schellenberger Pfannstätte hielt. Atemlos kamen sie gerannt, während auf dem Brückenhügel, ein paar hundert Schritte hinter ihnen, ein schwarzer Menschenhaufen auftauchte, mit lautem und wirrem Geschrei. Inmitten des Haufens flatterte ein Fähnlein, kleine graue Wölkchen pufften auf, und man hörte das Krachen von Schüssen. Unter zeterndem Geschrei erreichten die vor dem Haufen Flüchtenden das Thor der Burghut. Aus dem Durcheinander der angstvoll kreischenden Stimmen konnte Herr Lenhard verstehen: daß sie Einlaß in die Burg begehrten, denn die Bauern wären wie Wölfe über sie hergefallen und hätten den Mautschreiber in seinem Bett halb tot geschlagen – wenn ihnen der Thurner das Thor nicht aufthäte, wären sie vor dem wütenden Volk ihres Lebens nimmer sicher.

Doch Herr Lenhard rief ihnen zu: »In meiner Mauer kann ich fremde Leut nicht brauchen! Laufet heim zu eurem Herren!« Er ließ in der Straßenhalle das Fallgitter heben, und die Flüchtenden rannten weiter.

Als die Bauern, deren Hauf sich auf der Straße einherwälzte, die Mautknechte entkommen sahen, erhoben sie ein tobendes Geschrei und sandten aus ihren Hakenbüchsen den Flüchtenden ein paar bleierne Bohnen nach.

Eine verirrte Kugel surrte dem Thurner am Ohr vorüber. Da griff er mit einem welschen Fluch nach der Lunte und senkte sie auf die Pfanne der großen Mauerschlange. Das Geschütz machte im Feuer einen Sprung nach rückwärts, wie eine glühende Natter zuckte der Strahl des Schusses in die graue Morgenluft, und dröhnend rollte das Echo des dumpfen Knalles über die Berge hin.

Es war eilt blinder Schuß, den Herr Lenhard in die Luft gethan – aber die Wirkung, die der mächtige Feuerstrahl und sein rollender Donner übte, ließ den Thurner sagen: »Sie merken, daß die Mauer meiner Burghut kitzlich ist!« Denn der Haufe der Bauern staute sich und drängte unter wirrem Geschrei nach rückwärts. Der größere Theil der lärmenden Leute schien in das Dorf zurückzuziehen, während sich der Rest des Haufens auf dem Brückenhügel lagerte, als gält' es die Burghut im Auge zu behalten und die Straße zu sperren. Da rief der Thurner von seinen Knechten einen: »Lorenz! Bind ein weißes Tüchlein an deinen Spieß und geh hinaus zu ihnen. Und frag die Narrenflöh, was sie wollen. Und wenn sie meinen, daß heut noch Fasnacht wär, so sag ihnen, daß sie sich im Kalender verschaut haben um drei Wochen. Und eh sie mir die Morgensupp verderben, sollen sie mir das Bußgeld heimzahlen, das ich ihnen fürstrecken hab müssen am roten Kathreinstag. Zehn Pfund Heller hab ich noch gut.«

Während der Knecht mit dem weißen Fähnlein in der wachsenden Helle des Morgens die Straße hinauswanderte, blieb Herr Lenhard auf der Mauer sitzen und sah in Mißmut und Sorge nach dem Brückenhügel.

Da klang hinter ihm eine bebende Stimme: »Herr ...«

Verdrießlich runzelte der Thurner die Brauen, bevor er das Gesicht wandte.

Juliander stand vor ihm.

Schweigend sah Herr Lenhard dem Buben eine Weile in die brennenden Augen. Dann fragte er grob: »Was willst?«

»Was ich muß! ... Und reden will ich mit Euch!«

»So?« Der Thurner erhob sich. »Gut! Sollst reden mit mir! Geh hinunter zum Schulboden! Ich komm gleich.« Er wartete, bis Juliander die Treppe hinuntergestiegen war. Dann rief er dem Wärtel zu: »Laß mir die Straß nicht aus dem Aug! Und solltest du merken, daß sie dem Lorenz den Heimweg sauer machen, so ruf mich!«

Als Herr Lenhard hinunterkam in die offene Halle, saß Juliander auf der Bank, auf der sein Vater am Aschermittwoch bei ihm gesessen war. Der Bub wollte sich erheben. »Bleib nur sitzen!« sagte der Thurner und setzte sich zu ihm. »Und jetzt kannst reden! ... Aber halt! Wart noch ein Weil! Da bringen sie grad die Morgensupp. Ein Mensch, der satt ist, hat allweil besseren Rat, als einer, dem der Magen schreit.«

Die Mägde brachten die Schüsseln mit der dampfenden Suppe zu den Wehrgängen und zum Thorwerk getragen, und Frau Resi schleppte die Weinkrüge.

Der Thurner ließ von den Krügen den bauchigsten und einen Suppennapf mit zwei Löffeln zwischen sich und Juliander auf die Bank stellen. »So! Kannst mithalten!« Er stellte den Eisenhut zu Boden, wischte an einem Wamszipfel, der unter dem Brustpanzer hervorlugte, den Löffel ab und setzte sich rittlings auf die Bank. »Es ist nicht das erstmal, daß wir aus einer Schüssel essen, und wird auch nicht das letztmal sein. Greif zu!«

Juliander, mit den Fäusten auf den Knieen, schüttelte stumm den Kopf.

»Wenn du lieber Hunger leidest ... meinetwegen!« Und gemächlich begann der Thurner zu löffeln.

»Herr ...«

»Warten sollst! Denn daß du eine Frag an mich hast, das seh ich dir an den Augen an. Und da muß ich dir eine Antwort geben! Aber einer, der schmatzen muß, der kann nicht reden!« Herr Lenhard löffelte wieder.

Da rasselte die Kette der Thorbrücke – der Knecht mit dem weißen Fähnlein war zurückgekommen. Mit zornrotem Gesicht und unter Flüchen scheltend kam er auf seinen Herren zugegangen.

Der Thurner, ohne den Löffel rasten zu lassen, fragte: »Hast geredet mit ihnen?«

»Ja, Herr! Aber mit denen ist ein hartes Reden. Sie singen und jodeln durcheinander, als thäten sie Kirchweih halten. Und alle sind wie besoffen vom Übermut. Und Aasreden wider die Herren haben sie an mich hingeschmissen, wie der Maurer den Mörtel an die Wand.«

»Und hast gefragt, was sie wollen?«

»Ja, Herr! Und da hat mir's einer aus dem wüsten Lärm ins Gesicht geschrieen: ›Was der Bauer will? Wein trinken und lustig sein, wie's die Herren machen!‹ Und da haben die anderen ein Lachen angehoben, und ein jeder hat's nachgeschrieen: ›Wein trinken und lustig sein!‹ Ich hab den Spieß mit dem weißen Fähnlein vor mich hingehalten und hab mir sagen müssen: Da gehst! Und wie ich mich schleunen will, da hat mir von den Knappen einer den Wein aus der hölzernen Bitsch ins Gesicht geschüttet und hat mir zugeschrieen: ›Sauf, Herrenknecht! Das ist Kirchenwein! So rot, wie dem Josef und dem Toni sein Blut gewesen ist!‹ Da hab ich flinke Füß gemacht ... und schauet, Herr, der Bauren Wein hat das weiße Fähnlein gefärbt!«

Mit einem Zornfluch warf der Thurner den Löffel in den Suppennapf. »Wein trinken und lustig sein? Und das ist alles, was sie wollen?« Er stülpte den Eisenhut auf das struppige Haar. »Solche Red wird ihnen das eigene Maul verbrennen!« Schwer schnaufend griff er nach dem Krug und that von seinen tiefsten Zügen einen. »Geh zur Mauer, Lorenz!« Er stellte den Krug nieder, und sein Zorn war verraucht, als hätte der ausgiebige Schluck alles Heiße in ihm gekühlt. Und ein Blick der Sorge war in seinen Augen, als er sich zu Juliander wandte. »So, Bub! Da hast eine Red deiner Bettersleut gehört ... jetzt sag mir die deinig!«

Mit weißem Gesicht stand Juliander vor dem Thurner. Sein Atem kämpfte, daß er nicht gleich zu reden vermochte. Dann sagte er mit zerdrückter Stimme: »Schauet, Herr ... das hab ich schon dutzendmal im Leben anschauen müssen ... wenn nach dürrer Zeit, wo jeder Halm auf Wies und Acker verlechzen möcht, ein festes Wetter auf des Herrgotts Mantel niedergeht, so thut's oft großen Schaden und rührt den Kot in allen Gassen auf.« Seine Stimme wurde ruhig. »Aber schauet am andern Tag die Felder an: wie alles frischet, wie alles ins Wachsen schießt zur guten Ernt! Da kann im Ernst doch keiner den Unrat zählen, der über die Straß geronnen!« Er atmete tief. Und wie er mit flehendem Blick Herrn Lenhard die Hand hinstreckte – das war, als hätte er sein Herz aus der Brust genommen, um es dem Thurner hinzuhalten. »Ich thu Euch bitte«, Herr, gebet mir meinen Schwur wieder heim! Es ist an der guten Ernt. Da muß ich mithelfen. Oder ich thät nimmer leben mögen.«

Herr Lenhard legte dem Buben die Hand auf die Schulter. »Hast mir schon manch ein gutes Wörtl gesagt! Aber kein besseres noch wie heut. Und wenn alles so war, wie du's siehst in deinem hellen Herzen ... wenn das grobe Wetter, das die da draußen mit Dreck anheben, der Welt einen festen Wagen voll Traid ins Reifen brächt ... schau, Bub, dann thät ich heut noch dem Propst meinen Dienst aufsagen und thät's mit den Bauren halten. Aber denen ihr Wetter da draußen wird ein schieches Erntfest bringen. Sei gescheid, Bub, und laß dir was sagen! Schau dir die Sach mit meinen Augen an ...«

Juliander schüttelte den Kopf. »Ich seh's halt, wie's mein Vater sieht. Und wie's der Vater hofft, so muß es kommen. Und schaffen die Bauren gute Zeit, ein mächtiges Reich und eine freie Kirch ... und mir wären die Fäust gebunden und ich dürft nicht mithelfen ... und ich müßt mir denken, es schreit mir einer einmal ins Gesicht: Wo bist denn gewesen, Lump, derweil wir geblutet haben um's beste Gut? ... schau, Herr, eh ich das erleben möcht, da thät ich mir lieber ...« Er schwieg

»Sag's heraus! Was thätest lieber?«

Mit ruhigem Blick sah Juliander den Thurner an. »Ich thät mir lieber ein Messer in den Hals stoßen.«

»So?« brummte Herr Lenhard. Der Zorn war ihm dunkelrot zu Kopf gestiegen, doch das Wetter brach nicht los. Schwer durch die Nase schnaufend sah er eine Weile den Buben an. Dann nickte er vor sich hin und murrte: »Da ist freilich kein Reden nimmer. Du wärst imstand und thätest mir den Unsinn wahr machen! ... Meintwegen! Muß ich dich halt heimgehen lassen!«

»Vergeltsgott, Herr!« In heißer Freude wollte der Bub die Hand des Thurners fassen.

Aber Herr Lenhard zeigte ihm den Ellbogen. »Dein Vergeltsgott kannst in den Rauchfang schreiben.« Dann lachte er in seinem Zorn. »Aber wart noch ein Weil! Und soll's jetzt sein, wie's mag ... aber bist mir ein lieber Gast in meiner Mauer gewesen. Drum sollst was mitkriegen auf den Weg!« Er ging ins Haus und brachte ein schweres, langes Schwert in verblichener Sammtscheide und mit einer aus Stahlringen geflochtenen Koppel.

Juliander kannte die Waffe – es war die Klinge, mit der Herr Lenhard bei Manfredonia dem Camillo Vitelli den Helm vom Kopf geschlagen hatte.

»Schau, Bub,« der Thurner zog das Eisen halb aus der Scheide, »wie dich in meiner Schul so gut gemacht hast, daß ich mich freuen hab können an dir ... schau, da hab ich mir's allweil für genommen: wenn ich dich einmal als fertigen Kriegsmann zum Frundsberg schick, so sollst das Eisen da haben! Du hast den richtigen jungen Arm dafür.« Er stieß das Eisen in die Scheide zurück und sah den Buben verdrossen an. »Zum Frundsberg gehst mir jetzt freilich nicht! ... Pfui Teufel dem Weg, den ich dir aufthun muß! ... Aber meintwegen! Sollst das Eisen halt haben!« Er warf dem Buben die Koppel über die Schulter. »Einen schandbaren Streich ... den wirst ja nicht thun mit meinem Eisen. Ich mein', ich kenn dich so weit!« Dem Thurner kam ein Schwanken in die Stimme.

»Herr ...« stammelte Juliander.

Aber da wurde Herr Lenhard grob. »In Ruh laß mich!« In seinem Zorn begann er zu schreien, daß es hallte von den Mauern. »Und mach, daß du weiter kommst! Corpo di cane! Fremde Leut in meiner Burghut kann ich nicht brauchen! ... Märtel! Das Thor thu auf! Daß der Baurenlümmel seinen Weg findet!«

»Herr ...« Röte und Blässe wechselten auf Julianders Gesicht. »Eins muß ich noch sagen, Herr ... das Eichhörndl ... ihr Eichhörndl ...«

»Cospetto! Was geht mich das Vieh an! Mach, daß du weiter kommst!«

»Das Eichhörndl ... das steht in meiner Kammer, das muß die Frau Resi zur Pfleg übernehmen ...«

»Das Thor ist offen!« brüllte Herr Lenhard. »Und gehst nicht gutwillig, so laß ich dich hinauswerfen!«

Da sagte der Bub kein Wort mehr. Die Hand um den Knauf des Schwertes klammernd, sah er mit schimmernden Augen den Thurner an, sah zum Wehrhaus hinüber und hinauf zu der schmalen Glasthür auf der Altane. Dann wandte er sich und ging der Brücke zu. Doch als er in den Schatten des Thores trat, rannte ihm der Thurner mit klirrenden Sporen nach und packte ihn mit zitternden Fäusten am Arm. »Bub? ... Kann es wahr sein, daß du gehst?«

»Herr, ich muß!«

»So nimmst meinem Leben eine Freud!«

»Ja, Herr, ich spür's ...« dem Buben riß die Stimme, »und spür, daß ich meiner Freud das Leben nimm! Behüt Euch Gott, Herr ... und Euer Haus ... und sehet Ihr Euer Kindl wieder einmal. Euer liebs ... so saget ihm, Herr: der Juliander thät grüßen lassen!« Er löste seinen Arm aus den Fäusten des Thurners und ging mit hastigem Schritt über die Brücke hinaus.

Die Ketten rasselten hinter ihm, und die steigende Brücke knarrte.

Goldig lag die Morgensonne, die über die Berge heraufgestiegen war, auf der weißen Straße, auf dem jagenden Wellenspiel der Ache und über den Wiesen, deren müdes Wintergelb sich schon mit grünlichem Schimmer zu überhauchen begann.

Auf dem Untersberg, der die Sonnenseite hatte, war der Schnee schon fortgeschmolzen bis über die Wälder hinauf. Doch alle schattseitigen Gehänge des Schellenberger Thales trugen noch den Mantel des Winters. Der war nicht weiß. Denn alle die zerrissenen Schneefelder schimmerten blau im Widerschein des klaren Himmels, von dem die Sonne ihre Feuergarben niederstrahlte in den kühlen Duft des Morgens.

Das wäre ein Morgen gewesen, so recht für einen, der aus dem trüben Elend des Lebens hinauswandert in das leuchtende Glück, aus der grauen Trauer in die goldene Freude!

Doch dem Buben, der mit dem langen Schwert vor der Brust dem Brückenhügel zuwanderte, fielen schwere Tropfen über die bleichen Wangen. Und seine verstörten Augen schienen hundert bittere Dinge zu sehen, nur nicht die lachende Sonne um ihn her.

Bild: A. F. Seligmann


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