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Bild: A. F. Seligmann

4.

Es waren an die dreißig Leute, weißhaarige Greise, Männer und junge Burschen, die im Ring um einen glostenden Kohlenhaufen standen, über den ein Drahtgitter gestülpt war, damit die aufknisternden Funken nicht in das Heu und in die Garben flögen, mit denen die Scheuer zu beiden Seiten der freien Tenne bis unter das Dach gefüllt war.

Neben dem Schmiedhannes, der auf einem umgestürzten Kübel saß, stand der Mann, welcher redete – Joß Friz, der Schwabe. Die rote Glut gab seinem Blick einen starren Glanz, als hätte er nicht lebende Augäpfel, sondern glühende Kohlen unter der Stirne.

»Ein jeder von euch hat mir sein schreiendes Elend geklagt!« So sprach er, als Witting und der Etzmüller in den Ring traten. »Ein jeder von euch hat seine Not vor mich hergelegt, wie eine arme Mutter ihr krankes Kindl hinlegt vor des Erlösers Füß und hoffet, daß es genesen möcht durch ein göttliches Wunder. Unter euch an einem jedem haben die Herren ein blutig Unrecht begangen und haben ihm wehgethan bis ins tiefste Leben.«

Ein Murmeln ging durch den Kreis der Männer, und alle Köpfe nickten. Nur Witting sah mit ruhig forschenden Augen den Sprecher an.

»Und saget, ihr Leut, wie leben wir denn? Wieviel denn sind unter euch, die sich satt essen können jeden Tag? Was der Bauer zieht aus seinem Boden, das muß er geben zur Halbscheid, und was übrig bleibt, ist zum Sterben zu viel und zum Leben zu wenig. Will einer trutzen, so geben ihm die Herren Antwort mit dem Strick. Will einer geduldig sein und sein frommes Herz vertrösten auf den Himmel, so muß er zahlen für jedes Bröselein Trost ... ein jedes heilige Sakrament in den Kirchen kostet schweres Geld. Jeder Pfaff ist wie ein Doktor ... schaut er einen an, so will er schon Geld dafür haben. Und der irdische Rechtstrost ist noch theurer worden als die himmlische Zehrung. Was vor zwölf oder fünfzehn Jahren noch mit zehn Pfennig gerichtet worden ist, das kostet heut im Weg Rechtens seine zehn Gulden und drüber. Die reichen Herren, die können's zahlen mit dem Geld, das die Bauren geschwitzt haben ... und drum haben die Herren das Recht, und der Bauer hat keins. Mit ihren Fehden und Gesellenritten, mit ihrem Schlemmen und Prassen haben die Herren die Zeiten vertheuert im ganzen Land ...«

»Wahr ist's!« rief eine Stimme aus dem Ring. »Wir im Bergland, die bloß Haber bauen, müssen den Roggen kaufen. Zu meines Vaters Zeiten hat der Malter ein Pfund in weißer Münz gegolten ... heut müssen wir den Malter mit acht Pfund Heller zahlen. Da muß man den Brodlaib strecken, bis er dünn wird wie ein Zwirnsfaden.«

»Alles ist wahr!« fiel der Schmiedhannes ein, während er mit einem Hühnerflügel die versinkende Glut der Kohlen anfachte. »Das muß ein End haben! Und will der Wandel im Guten nicht kommen, so müssen wir ihn machen mit der Faust. Geh's, wie's mag, wir müssen die alte Freiheit wieder haben!«

Joß sah die Wirkung dieses Wortes und griff es auf. »Besser wie mürbes Brod, ihr Leut, ist feste Freiheit! Noch lebfreudiger als ein satter Mensch ist allweil ein freier! Aber saget, ihr Mannsleut, lebt in eurem Land noch ein freier Bauer?«

»Keiner! Keiner mehr! Keiner!« fuhr's mit einem Dutzend Stimmen durcheinander.

»So ist's bei euch nicht anders, als wie's überall ist im Land. Wie der Rotbart noch Kaiser gewesen, ist jeder Bauer als freier Mann auf seinem Hof gesessen. Und heut sitzt jeder Bauer im Herrenlehen, für das er schwitzen und fronen muß. Was einem jeden seit Urväterszeiten her als Erb und Eigen hätt bleiben sollen, das haben die Herren und Pfaffen dem Bauer abgedruckt, mit Gewalt und falschem Rechtsspruch oder mit Gottverheißung und mit der Angst vor dem höllischen Feuer. Und hat sich ein Bauer gewehrt um sein freies Recht und ist zum Richter gegangen, so haben die Herren gesagt: Der und sein Vater und Ähnl, die sind schon allzeit unsere hörigen Knecht gewesen! Und um das Recht zu biegen, haben sie die Register gefälscht, haben Lügen eingeschrieben in die Zinsrollen und Holdenbücher und haben's beschworen mit falschem Eid. Und der freie Bauer ist ein höriger Knecht worden! Ist's anders, ihr Leut?«

In wachsender Erregung murmelten die Stimmen: »Wahr ist's! Wahr! Und tausendmal wahr!«

»Erst haben sie unser Haus und Gut genommen. Jetzt nehmen sie unser Brod und Blut, und unser müder Schweiß muß ihnen die Suppen salzen. Saget mir doch, ihr Leut: in welchem christlichen Gebot hat Gott den Pfaffen und Herren solche Gewalt gegeben, daß wir Armen ihnen zur Fron ihre Güter bauen müssen, die vor Zeiten unser Eigen gewesen sind? Derweil uns die Frucht verfault auf magerem Zinsacker, müssen wir den Herren die fetten Wiesen mähen, das Traid schneiden, den Flachs brechen und die Erbsen klauben. In den Herrenkästen krachen die Bretter vom schweren Tragen, und der Bauer mangelt für Weib und Kind das bissel Brod und Schmalz. Daß Gott ihnen solche Gewalt gegeben hätt ... in welchem Kuttenzipfel steht denn das geschrieben? Dem, wie's die Herren treiben, ist Gott so fern wie der Teufel einem guten Werk. Sie nehmen Steuer, Zoll und Ungeld, das sie lästerlich verthun, derweil es doch nach göttlichem Recht in den Gemeinsäckel kommen und dem ganzen Land zu Nutz und Frommen sein sollt. Und wehrt sich ein Bauer um sein Gut, so wirft ihm der Herr das Vieh nieder, schickt ihm die Spießknecht über Weib und Töchter ... und schreit ein Bauer nach Gericht, so geht's über ihn her als einen verräterischen Buben, mit Pflöcken und Köpfen und Viertheilen. Da ist minder Erbarmen, denn mit einem wütenden Hund!«

Der brennende Zorn, der aus jedem Wort des Fremden zitterte, schlug in die bekümmerten Herzen der Lauschenden und machte ihnen die vom Druck des Lebens gebeugten Köpfe heiß. Sie hoben die Fäuste, und ihre Flüche wurden so laut, daß der Schmiedhannes erschrocken zur Ruhe mahnte.

In diesem Lärm stand nur ein einziger stumm und ruhig: der alte Witting. Und da ging Joß Fritz auf ihn zu und sprach ihn an: »Du ... weil gar so still bist, du ... jetzt sollst mir reden! Ich mein', du bist einer, der lieber sterben thät als lügen. So sag mir: hab ich ein einzig Wörtl geredet, das nicht Wahrheit ist?«

In der Tenne war es still geworden, und alle Augen waren auf Witting gerichtet. Dem schien die Antwort sauer zu werden. Langsam strich er sich übers Haar und nickte. »Ja, Mensch, Gott sei's geklagt ... was du geredet hast, das ist so wahr wie traurig.«

»Und wenn's so traurig ist wie wahr,« fiel Joß mit harter Stimme ein, »so ist es nach Gottes Gerechtigkeit ein heiligs Fürnehmen, daß wir uns umschauen nach einem Weg, auf dem die Hilf ist! Und weil wir im Guten schon jeden Weg gegangen sind und auf keinem Weg unser Recht gefunden haben, so müssen wir uns selber helfen! Mit unserer guten Faust!« Die Gestalt des Schwaben streckte sich, und seine Augen glitten mit funkelndem Blick über all die heiß erregten Gesichter. »Leut! Das ist keine leere Red, die ich thu! Schauet her ...« er hob die Faust über die Kohlenglut, »mit meiner Faust sind tausend Fäust verflochten zum festen Bund. Und wollt ihr mir geloben mit eurem Mannswort, daß ihr Schweigen haltet und gute Brüderschaft mit mir und mit jedem, der heut ums Feuer steht, so will ich euch ein Wörtl sagen, das euch zum Guten kommen möcht ... euch und dem ganzen Land.«

»Ich thu den Schwur!« rief der Schmiedhannes und hob die Rechte mit den gespreizten Fingern. »Ich bin der erst, der ihn thut! Wer kein Lump ist, hebt die Hand auf!« Da hoben auch alle andern die Hände zum Schwur. Nur Witting zögerte. »He, du!« fuhr ihn der Schmiedhannes an. »Willst du der einzig sein, der sich die Not der anderen vom Kittel staubt ... weil du die Not ein bissel minder spürst? Und weil sie im Kloster sagen: Der Witting ist ein Verläßlicher? Gelt?«

»Schimpf nur, Hannes! Mir thust nicht weh!« erwiderte der Alte ruhig. »Die Not der andern ist mir, als wär's die meinig.« Er hob die Hand zum Schwur. »Und ihr habt mein gutes Mannswort, daß ich Schweigen halt.« Langsam ließ er den Arm wieder sinken und trat ein wenig näher zur Glut. »Aber jetzt höret ein Wörtl an, ihr Leut ... von mir eins! Es ist das letztmal, daß ich mit euch in heimlicher Nacht ums Feuer steh. Und wenn ich heut noch gekommen bin, so ist's geschehen, weil ich verhüten will, daß ihr durch ein unsinniges Fürhaben eure Not noch tiefer hinunterstoßet ins Elend. Doch eh ich red, muß ich eine Frag an den da richten.« Er deutete auf Joß Friz. »Ich geb mein Herz jedem guten Nachbar in die Hand, weil ich weiß, bei dem ist's aufgehoben. Aber ich werf's keinem Fremden vor die Füß. Eh ich red, muß ich wissen, wer der Mann da ist.« Witting trat auf den Fremden zu. »Wer bist? Mit was für einem Recht bist daher gekommen und wirfst den Leuten das Feuer in die Köpf? Wer bist, daß dich gar so annimmst um die Not der andern? Und wenn du ein Loswort umbietest im Land ... von wem hast Auftrag? Sag ... wer bist?«

»Hättest noch ein Weil gewartet mit deiner Frag,« erwiderte Joß, »so hätt ich von selber gesagt, wer ich bin. Und sag ich euch das ...« er lächelte, »so leg ich euch nicht bloß als Nachbar ein gutes Herz vor die Füß, ich geb noch ein bissel mehr in eure Händ: meinen guten Kopf!«

Das hatte er scherzend gesagt. Jetzt wurde seine Stimme ernst, und seine Augen gingen mit scharfem Blick über die Gesichter hin, als möchte er noch einmal sie alle prüfen, die da vor ihm standen.

»Wär ein schlechter Kerl unter euch, so könnt ich ein verlorener Mann sein! Aber müßt mein Kopf über die Bretter kugeln, das thät euch selber und der guten Landssach viel weher als mir. Denn mein Kopf ist das Haus, in dem eine gottgerechte Zuversicht der Bauren Glück und ein neues Wesen der Welt geboren hat. Mit mir und meinem guten Werk ist Gott. Und daß ihr sehet, wie fest ich mich weiß in Gottes Hut, so lös ich euch all von eurem Eid. Haltet Schweigen über die gerechte Sach, die ich euch fürtragen will ... über mich, Leut, könnt ihr reden, wie ihr mögt. Hundertmal hat mich Gott aus tiefer Not und aus den Fäusten der Herrenknecht gehoben. Gott ist mein Zuvertrauen, und ich fürcht' mich nicht.«

Bild: A. F. Seligmann

Was er sagte, der Klang seiner Stimme und der Glanz seiner Augen, schien die Lauschenden fester zu binden als der Eid, den sie geschworen hatten.

Auch Witting konnte sich der Gewalt nicht ganz entziehen, die von diesem Manne ausging. Er flüsterte dem Etzmüller zu: »So gottfest thät er nicht reden können, der, wenn er Schlechtes mit uns fürhätt.«

Joß hatte sich neben der Kohlenglut auf eine Bank gesetzt. Mit murmelnden Stimmen redend, begannen sich auch die anderen um die rote Helle zu lagern, und drei Burschen – der Sohn des Frauenlob und die zwei jungen Buben des Dürrlechners – kauerten sich zu den Füßen des Fremden auf den Lehmboden der Tenne nieder.

»Fürs erst, ihr Leut,« fing Joß zu sprechen an, »fürs erst muß ich euch sagen, daß ich kein Bergbauer bin, wenn ich auch euren Kittel trag und red in eurer Landssprach. Die hab ich zu Reichenhall gelernt, zu Traunstein und Rosenheim, wo ich zwei Jahr lang als Säumer und Fuhrmann gedient hab. Will auch weiter reden in eurer Sprach, daß ihr besser versteht, was ich sag. Ich bin von weit her aus dem Schwäbischen, und zu Grummbach im Bruchrain, das dem Bischof von Speyer gehört, hat mein Vater ein Häusl zu Lehen gehabt. Und jetzt loset, Leut! An die fünfzig Jahr ist's her, da hat im Würzburgischen ein Spielmann gelebt, den sie das Pfeiferhänslein geheißen haben. Der hat auf allen Kirmessen und Hochzeiten aufgespielt, vom Würzburgischen durchs Tauberland hinunter und bis hinüber nach Speyer. Überall hat er die Not der Leut gesehen, und das Erbarmen ist in seinem Herzen gewachsen. Und schauet, da hat der liebe Gott mit ihm geredet in heiliger Nacht, und das Pfeiferhänslein hat ein Predigen angehoben von Dorf zu Dorf und hat gepredigt von einem neuen Gottesreich, in dem es nimmer geben soll, was die armen Leut beschwert. Alle Herrschaft und Last soll abgethan werden, ein jeder soll des anderen Bruder sein, keiner des anderen Herr, und in Frieden und Ruh soll jeder mit eigener Hand das tägliche Brod gewinnen.«

»Thät's auf der Welt einmal so kommen,« flüsterte der junge Frauenlob, »was müßt das für ein freudigs Leben sein!«

»Hast recht, Bub!« Joß legte dem Burschen die Hand auf die Schulter. »So muß es kommen! Und du sollst helfen dazu! Schau an, viel hundert Leut mit ihrer Not auf dem Buckel sind dem Pfeiferhänslein zugelaufen, haben seine Reden umgetragen im Land, und ein Hoffen ist aufgegangen in ihren Seelen, wie unter dem Schnee das Wintertraid. Den Herren ist angst worden, und in der Weihnacht, wie der Spielmann zur Metten gegangen ist, hat ihn der Bischof greifen lassen. Und am Unschuldigen Kindlstag, ohne Gericht und Spruch, ist das gute Hänslein verbronnen worden auf offenem Markt.«

Ein dumpfes Murmeln lief durch den Ring der Männer.

»Dem seiner armen Seel ist der Herrgott gnädig gewesen!« sagte Witting. Und der Schmiedhannes hob mit einem Fluch die Faust: »Und den Bischof Herodes, den muß der Teufel haben in seinem tiefsten Feuer!«

»Im ganzen Land hat ein Auskunden angehoben, und die dem Hänslein verbrüdert waren, die hat man geköpft und gehängt. In Grummbach, wie die Reisigen hergezogen sind, haben sich dreißig Leut in die Kirch geflüchtet, Männer und Weiber. Da haben die Reisigen des Bischofs ein großes Feuer um die Kirch gelegt, daß die Leut haben ersticken und verbrennen müssen. Zuletzt ist noch ein Bauer übrig geblieben, und mit seinem dreijährigen Büblein auf dem Arm hat er sich hinaufgeflüchtet in den Thurm. Aber wie ihm das Feuer nachgeruckt ist durch die Thurmböden, da hat er wählen können: verbrennen oder hinunterspringen. So hat er lieber mit seinem Kind den Sprung gethan, und die Reisigen haben ihm lachend die Spieß entgegengehoben. Der Mann ist tot geblieben in den Spießen. Aber dem Kindl, wie durch ein Wunder, ist nichts geschehen.« Langsam hob Joß die heißen Augen. »Der selbige Bauer, das war mein Vater ... und das selbige Kindl, ihr Leut, das bin ich gewesen.«

»Luset, ihr Leut, luset,« rief der Schmiedhannes in das erregte Gemurmel der Männer, »den Mann hat der Herrgott durch ein Wunder aufgehoben zu einem großen Heilwerk!«

»Könnt sein, daß du recht hast, Bruder Schmied!« sagte Joß. »In all meiner jungen Bubenzeit ist meines Vaters Blut und der Bauren Not vor meinen traurigen Augen gehangen wie ein roter Schein. Und ein brennender Weiser ist's gewesen, der mich gewiesen hat auf meinen Weg. Im Blutschein hab ich das neue Jahrhundert wie ein mächtig Weib gesehen, das schwanger ist und ein neues Wesen gebären muß: die Freiheit und der Bauren gute Zeit. In jeder Nacht hat in mir eine Stimm geschrieen: du bist's, du, der die Herren werfen muß! Aber wer die Herren werfen will, der muß der Herren Künst verstehn. Drum bin ich ein Kriegsmann worden in meinem neunzehnten Jahr. Sieben Jahr lang hab ich mitgefochten in hundert Herrenfehden, hab ihnen jeden Kriegskniff abgeguckt, wie man die Leut wehrhaft macht, wie man die Rotten führt und die Feldschlangen richtet. In Welschland und in Frankreich hab ich gefochten, hab viel Örter gesehen und viel Ding gelernt ... und wie das neue Jahrhundert angehoben hat, bin ich heimgezogen in mein Dörfel, ein kriegskundiger Mann.«

»So einer,« schrie der Schmiedhannes, als wär ihm ein Rausch zu Kopf gestiegen, »so einer hat kommen müssen! Dem bin ich zugeschworen mit Haut und Haar!«

»In aller Still hab ich mein Werben angefangen und hab mein gutes Traid gesät. Mannshoch sind die Halmen aufgegangen in den Seelen der armen Leut. Im Bruchrain hab ich den Bundschuh als unser Feldzeichen auf die Stang gehoben, und im Zweierjahr, in der Osternacht, haben Vierhundert zum Bund geschworen. Ein halb Jahr ... und über die sieben Tausend sind's gewesen, am Rhein auf und nieder, am Neckar und Main. Die hätten am liebsten losgeschlagen, gleich auf der Stell. Aber soll der Schlag ein rechter und fester sein, das ist mein Denken gewesen, so darf keine Faust sich heben und kein Messer blinken, eh nicht im Reich ein jeder gemeine Mann miteingeschworen ist in den Bundschuh. Das ganze Volk muß wie ein einzig Meer sein, das gählings zu rauschen anhebt und alles verschlingt, was Herrenübermut und Unrecht heißt.«

Die Männer nickten, während der alte Witting dem Etzmüller zuflüsterte: »Wär gut ausgesonnen, das! Wenn nur ein jeder, der schwört, seinen Schwur auch halten thät, und wenn nicht viele, die glauben, sie wären ein Meer, bloß ein seichtes Wässerlein wären.«

»Vierundsechzig vertrauliche Leut, von allen Brüdern die besten, hab ich ausgeschickt, für jeden deutschen Gau einen Boten. Thut euch besinnen, ihr Alten, ob nicht vor zwanzig Jahr ein Schneidergesell bei euch zur Stör gegangen ist, mit Namen der Hummel-Hannes?«

»Wohl, das ist wahr,« fiel der Stiedler ein, »ist ein mageres Schneiderlein gewesen, hat aber ein Maulwerk gehabt wie ein Schwert und ist umgesurret bei den Leuten, recht wie ein Hummel.«

Man lachte, während Joß die Stimme hob. »Dem hab ich zur Botschaft das Reichenhaller Thal, das Salzkammergut und das Berchtesgadner Land gegeben.«

»Ja,« sagte der Etzmüller, »der hat uns ein Loswort zugetragen in seiner schwäbischen Red: Loset, was isch das für ein nuies Wesen!«

Ein dutzend Stimmen fielen ein: »Wir müssen von Herren und Pfaffen bald genesen.«

»Das soll mir sein wie ein guter Willkomm!« rief der Fremde. »Denn wisset, Leut: das ist das Loswort, das ich ersonnen hab am selbigen Ostermorgen im Bruchrain.«

»Du! Jetzt weiß ich auch, wer du bist!« rief in heißer Erregung der junge Frauenlob. »Dein Nam ist unter uns Buben wie ein heiligs Wörtl! ... Joß Friz! ... Der bist!«

In stummer Bewegung drängten sich alle die Männer näher. Auch in den Augen des alten Witting, als er schweigend den Fremden betrachtete, war etwas ehrfürchtig Scheues.

»Joß Friz! Joß Friz!« So stammelte der junge Bursch noch immer, und als wär's ihm eine Ehre seines Lebens, so schmiegte er sich an das Knie des Schwaben und drückte ihm die Hände. »Joß Friz!«

»Ja, Bub, der bin ich!« sagte Joß und lächelte. »Joß Friz, den alle Herren fürchten! Joß Friz, dessen Kopf sie theurer zahlen thäten als einen Grafenkopf.«

»Sie sagen, Joß, daß der Schwäbische Bund auf dich einen Kopfpreis ausgerufen hätt von tausend Gulden. Ist das wahr?«

»Ja, Bub! Wenn mich verraten willst, so kannst ein reicher Mann werden.«

»Und meine Faust,« schrie der Schmiedhannes, »die schlagt ihm den Schädel ein! Da hätt er für die tausend Gulden eine schöne Leich!«

Der Bub sprang auf, das Gesicht von Zornröte übergossen; und er wäre mit dem Schmiedhannes ins Raufen geraten, hätte nicht Joß mit einem lachenden Wort zum Frieden gemahnt.

Als es wieder ruhig war, sagte Witting: »Joß Friz! Du hast es redlich gemeint mit allem Volk im Land. Und doch ist dein gutes Loswort ein böser Samen worden, aus dem ein schieches Traid hat wachsen müssen.«

»Ist's meine Schuld gewesen?« Joß erhob sich; sein Blick war hart geworden, seine Stimme rauh. »In der selbigen Osternacht im Bruchrain hab ich begehrt, daß ein jeder, der zum Bundschuh schwört, unter Eid der Beicht entsagen muß ...«

Witting und ein paar andere schüttelten die Köpfe.

»Und grad so haben die Frommen selbigsmal ihre Köpf geschüttelt und haben mich überstimmt. Und Lucas Rapp, von den Frömmsten einer, hat in der Beicht den Bund verraten, und der Pfaff hat das Beichtgeheimnis den Fürsten zugetragen. Da ist's hergegangen über uns wie ein Hagelschlag über ein Feld, noch eh das Korn im Reifen war. Und das Köpfen hat wieder angehoben wie hinter dem Pfeiferhänslein seinem Feuer. Es thät kein Bauer mehr leben im Bruchrain, wären die guten Herren nicht in Sorg geraten, wer ihren Acker misten und pflügen soll, wenn der letzte Bauer geköpft ist.«

»Schau, Joß,« sagte Witting in dem dumpfen Schweigen, mit dem die anderen lauschten, »zähl die Baurenköpf, die gefallen sind, und du zählst die Garben auf deinem Feld.«

»Alter! Das ist ein Fürwurf, so ungerecht wie ein Herrenspruch. Wär's nach meinem Rat gegangen, so hätt der Bundschuh im Bruchrain anderen Weg genommen. Aber das Leben haben ihm die Herren auf der eisernen Streckbank und auf dem Richtplatz nicht ausgeblasen. Und weht der Bauren Fähnlein wieder an der Stang, so muß der erst von unsern Artikeln heißen: der geschworen hat zum Bund, soll nimmer beichten.«

Das hatte Joß mit ruhiger Festigkeit gesprochen. Der Schmiedhannes, die Buben und ein paar der jüngeren Männer stimmten ihm bei. Doch Witting sagte: »Das wär ein unchristlich Gesetz. Das Leben ist hart, Joß, ob die schlechten Zeiten dauern oder ob die guten kommen. Und hätten wir nicht den Trost auf den Himmel, wir könnten nimmer leben. Die Beicht ist ein gut und heilig Ding, und wenn ein Priester seine Pflicht vergißt, und dem Beichtstuhl Unehr macht, so beweist das noch lang nichts gegen die Beicht. Weil einer einmal erstickt ist an einem Bissen Brod, soll drum kein Mensch kein Brod mehr essen? ... Meintwegen red von der Bauren Not und Elend, Joß! Aber die heiligen Sachen laß in Ruh! Oder ich geh davon. Und jeder gute Christ mit mir!«

Der Schmiedhannes sah die Wirkung, die dieses Wort auf die bejahrten Männer machte, und zischelte dem Schwaben zu: »Sei fürsichtig, oder sie schlagen um!« Joß nahm seinen Platz auf der Holzbank wieder ein. »Gut, Leut,« sagte er mit leisem Hohn in der Stimme, »ist euch so viel ums Beichten zu thun, so will ich der erst sein, der zum beichten anhebt. Denn ich hab ein schweres Unrecht begangen gegen der Bauren gute Sach. Und das will ich beichten!«

Mit verdutzten Augen sahen ihn die Männer an, und der Schmiedhannes stotterte: »Joß, was redest denn!«

»Beichten will ich ... hast nicht verstanden?« Er neigte das Gesicht, zog die Haarsträhne, die ihm über die Wangen fielen, langsam durch die Finger und starrte in die Kohlenglut. »Jetzt luset, Leut, was für ein Unrecht ich begangen hab! In hundert Nächt hab ich dem guten Heilwerk unserer Not mein Leben zugeschworen – und hab meinen Eid vergessen. Denn wie der Bundschuh im Bruchrain gefallen war, wie ich gesehen hab, daß ein Bruder in armseliger Herzensangst seine siebentausend Brüder verraten hat können, da ist der Zorn über mich gekommen. ›Schüttel die Not der anderen von deinem Kittel‹, hat's geschrieen in mir, ›und mach dir dein eigen Leben so gut, wie's geht!‹ ... Gefangen haben mich die Herren nicht. Wie ein Aal dem Fischer durch die Finger glitscht, so bin ich unter ihren Fäusten durchgeschloffen. Selbigsmal hab ich gemeint, meine Schlauheit hätt mich durchgerissen ...« er blickte mit heißen Augen auf, »heut aber weiß ich, daß es ein anderer gewesen ist, der mich aus aller Not gehoben hat.«

»Wer, Joß?« fragte von den Burschen einer.

»Der, Bub, bei dem die Gerechtigkeit ist ... und der den Hammer küret, mit dem er schmieden will.«

Er hatte die Stimme nicht gehoben und deutete nicht zur Höhe. Doppelt wirkte das Wort durch seine Ruhe.

Joß lächelte. »Wie vor allen Thüren im blutsatten Land wieder Fried gewesen ist, hab ich mich zu Stockach als Knecht verdinget an einen Bauren, der Jäckele Schmid geheißen hat.« Von seinem Gesichte schwand das Lächeln, und in tiefer Schwermut schienen seine Augen in weite Ferne zu blicken. »Der Bauer hat eine Dirn gehabt, und die hat Elslein geheißen.« Seine Stimme wurde leiser und nahm den Klang der Heimat an; er konnte keine Maske tragen, da er vom Glück seines Lebens sprach. »Das Elsele ... lueget, ihr Leut ... das ischt ein Meidle gwese, herzlieb und lind wie ein Liechtle, das von der Sonn gefallen ischt. Und isch mir guet gwese ... und ischt au mein Weible worde. Drei Büeble hawe mer ghött ... oins lieber wie's anner ...«

Seine Hände griffen in die Luft – und als sie das Leere faßten, blickte er auf. Mit irrem Gefunkel glitten seine Augen über die Gesichter der Männer hin. »Red, Joß!« flüsterte der Bub, der zu seinen Füßen kauerte.

»Wohl, ich red schon!« Hart und trocken klangen seine Worte, als wäre jählings all diese linde Wärme seines Herzens in ihm erloschen. Und wieder redete er die Sprache der Bergbauern. »Mein Glück ist gewachsen, wie der Flachs nach einem guten Regen aufgeht. Acht Jahr lang hat's gedauert. Und da ist mein schönes Weib an einem Abend in der Heuzeit heimgekommen, schneeweiß im Gesicht, und der Schrecken hat ihr gezittert im ganzen Leib!« Joß sprang auf. »Ihr kennet die Herren ... muß ich euch sagen, was meinem Weib geschehen ist? Zur Nacht, mit Thränen an meinem Hals, hat mir das Weib den Namen gesagt. Der Junker Baltser von Blumeneck ist's gewesen.«

»Joß!« Der junge Frauenlob, bleich und zitternd, sprang auf und griff nach seiner Tasche. »Brauchst ein Messer, Joß?«

»Laß stecken, Bub! Zwölf Jahr ist's her! Aber in der selbigen Nacht noch, da bin ich mit dem Beil am Blumenecker Burgthor gestanden. Aber wie's getaget hat ...« Joß klammerte dem Schmiedhannes die Faust in die Schulter: »Schmied? Wenn du den Blasbalg ziehst, was machen deine Kohlen?«

»Sie schlagen in Feuer auf.«

»So ist das Feuer aufgeschlagen in mir. Und mein vergessen Werk ist wieder lebig geworden. Und wie der Junker Baltser am Morgen ausgeritten ist zur Sauhatz ... schauet, Leut, da hab ich ihn ziehen lassen, und in mir drin hat's ihm nachgeschrieen: ›Leb, du Hund, denn sterben sollst mit tausend anderen! Und tausend Mühsame sollen genesen mit meiner eigenen Not!‹ ... Am gleichen Tag noch hab ich zu werben angehoben, in der Heuzeit ist's gewesen, und am Michelstag sind fünftausend Brüder im Bund gestanden. Der Bundschuh vom Breisgauer Lehen ist's gewesen. Ein Fähnlein scharet die Leut, so sagt ein Herrenwort. Drum hab ich von einem Maler ein Fähnlein schaffen lassen auf weißblauer Seiden und drauf ein Kreuz, vor dem ein Bauer kniet, der Bundschuh neben ihm, und um das Kreuz war der Spruch geschrieben: ›Herr steh den Armen bei in deiner göttlichen Gerechtigkeit!‹«

Witting nickte. »Und wie dein Fähnlein fertig war, da ist der Bundschuh vom Breisgauer Lehen verraten gewesen.«

»Schau nur, Alter,« höhnte Joß, »wie gut du alles weißt! Und wahr ist's. Der Mantz von Wolfenweiler und der Michel Hauser von Schallstadt, die zwei sind der Judas gewesen. Und das warme Baurenblut hat wieder den Boden gemistet.«

Flüche schwirrten von den Lippen der Männer, und die geballten Fäuste erhoben sich.

»Der Mantz hat meinen Namen angegeben, als Hauptmann, aber derweil die Burgleut mich gesucht haben in meinem Haus, bin ich vor der Burgmauer in den Stauden gelegen. Am Morgen haben sie den Junker von Blumeneck im Graben gefunden, mit meinem Messer im Hals ... und der Joß Friz, den sie gesucht haben mit hundert Spieß, ist geborgen gewesen im Schwarzwald, unter dem Kittel um die Brust herum das Fähnlein mit dem Bundschuh.« Joß lachte – ein Lachen, das in die Ohren schnitt. Nun schwieg er. Und keiner sprach. Die Kohlen knisterten und sprühten ihre kleinen Funken gegen das Drahtnetz.

Da griff der junge Frauenlob an Joß hinauf und faßte seine Hand. »Joß Friz! Mit Blut hast deinem Weib die Ehr gegeben.«

Ein Zittern ging über den Nacken des Schwaben. Sein Gesicht verzerrte sich, und immer tiefer sank ihm der Kopf auf die Brust. »Mein Elslein ... liebes Elslein ...« Wie ein erloschenes Murmeln war seine Stimme, und zwei glitzernde Zähren rannen ihm über die Lippen hinunter.

Bild: A. F. Seligmann

Wieder war es in der Tenne still, bis der Bub den Schwaben fragte: »Joß? Wann hast dein Elslein wieder gesehen?«

Joß lachte auf.

»Bub! Die Freud, die steht mir noch allweil zu ... da droben, weißt! Denn die Blumenecker haben Feuer in mein Haus geworfen, derweil ich im Schwarzwald gelegen bin ... und meine drei Buben sind verbronnen im Haus ... und mein Weib, die haben sie in der Ohnmacht an einen Baum gehangen. Das ist Herrengerechtigkeit ... und das ist Baurenglück!«

Joß hob die zitternden Fäuste vor sich hin.

»Und schauet, Leut, jetzt war das Letzte von mir gethan, was mir selber gehört hat und meinem eigenen Leben!« Wie Hammerschlag auf Stein klang seine Stimme. »Geschrieen hat's in mir: Jetzt, Joß, jetzt schaff und wirk! Verloren ist nur dein Glück! Sonst nichts! Jetzt hast nimmer Weib und Kind, jetzt sollst mit Seel und Leib deinen armen Brüdern gehören!« Langsam strich er sich mit dem Rücken der Faust über die Stirne. »So hab ich ein neues Werben angehoben, von Dorf zu Dorf. Und da hat mir ein Bauer im Remsthal einmal die traurige Red gegeben: Für uns arme Teufel isch koin Rat mehr uf der Welt! ... und drum hab ich dem Bundschuh im Remsthal den Namen gegeben: der arme Koinrad. Auf zwölftausend Mann in Wehr und Waffen ist der Bund gewachsen gewesen, wie Herr Georg von Waldburg, der Truchseß, wider uns angezogen ist mit viertausend Spießen. Wir hätten ihn in der Hand gehabt, wie man ein Vöglein in der Faust zerdrücken kann. ›Schlaget! Schlaget!‹ hab ich geschrieen Tag und Nacht. Aber sie haben mein Wort nicht gehört. Der Truchseß, wie er seine Rotten in der Mausfall gesehen, hat in gut gespielter Herzlichkeit verhandelt mit den Bauren und hat ihnen Erleichterung aller Lasten zugesagt. Und die thörigen Bauren ... weil auf dem Feld ihr Korn gelegen ist, das sie gern in die Scheuer gethan hätten ... die thörigen Bauren haben dem Herren geglaubt. Und wie sie vertraulich auseinander gegangen sind, hat man sie meuchlings überfallen und mehr als tausend niedergeschlagen. Ihre Häuser hat man geplündert und verbronnen, und an die sechzehnhundert sind gefangen worden. Wie die Hund hat man sie rudelweis aneinandergekoppelt, und die ermüdet sind auf dem Marsch zu den Thürmen, die hat man unterwegs an die Bäum geknüpft, daß sie dutzendweis an den Ästen gehangen haben, wie die Kluppen Vögel. Alle gefangenen Hauptleut hat man zu Tod gesprochen, mit Ruten gestrichen, geköpft und geviertelt. In Reihen, die der Bauer gar nimmer zählen hat können, sind die Hauptleutsköpf auf der Schorndorfer Mauer ausgesteckt gewesen. Auf dem Richtplatz hat der Hans Kleesattel, eh sein Kopf gefallen ist, dem Truchseß zugeschrieen: »Meineidiger Lump! Hast den Bauren Erleichterung zugeschworen von allen Lasten!« Und der Truchseß hat ihm mit Lachen die Red gegeben: ›Ich hab meinen Schwur gehalten, dreitausend Bauren hab ich erleichtert von aller Last des Lebens!‹«

Joß schwieg, und man hörte nur das schwere Atmen der Männer. »Und du, Joß?« fragte nach langer Stille von den Buben einer mit ersticktem Laut.

»Mit vierundsechzig Todgesprochenen bin ich auf dem Richtplatz gestanden, und mein Bundschuhfähnlein haben sie mir umgebunden wie einem Weib das Kopftuch. Mit meinem Kopf hätt's fallen sollen ... und nach dem Kleesattel wär ich drangekommen. Aber grad, wie sie mir die Händ aufgebunden haben, hat der Truchseß die lachende Red gethan. Da ist's über mich gekommen, ich weiß nicht wie. Einem Schergen hab ich das Schwert aus der Hand gerissen, hab jeden niedergeschlagen, der mich zwingen hätt mögen ... und bin entronnen. Und Gottes Gerechtigkeit hat hinter mir den Weg gedunkelt. Drei Tag später, wie sie mich noch allweil gesucht haben im Remsthal, bin ich schon in der Schweiz gewesen, bei freien Bauren! Den Schäfer von Kappelberg, einen taubstummen Mann, den haben sie erschlagen, weil er mir gleichgesehen hat ... und haben seinen blutigen Kopf im Remsthal auf den Kirchthurm gesteckt. Und in Schorndorf, wo die Herren bankettiert haben zum Viktoria, da haben sie einander im Rausch den Wein ins Gesicht und in die Hosen gegossen und haben die lachende Red gethan: ›Die Herren können leben, denn der Joß ist tot!‹« Langsam hob er die Fäuste. Und ruhig, nur mit leisem Zittern in der Stimme, sagte er: »Jetzt sollen sie merken, daß er lebt, der Joß!« Er ließ die Arme sinken. »Kommet näher zur Glut, ihr Leut! ... Was ich noch red, muß still geredet sein.«

Die Burschen, die zu seinen Füßen gesessen, sprangen auf. Und näher drängten sich die Männer um den schwelenden Kohlenhaufen.

Joß dämpfte die Stimme. »Zehn Jahr ist's her. Schier ein Jahr lang bin ich an meinen Wunden gelegen. Und den Frühling drauf, da hab ich meinen Umlauf wieder angehoben. Neun Jahr lang hab ich geworben, hundert Gesichter hab ich aufgesetzt, als französischer Herr mit Hut und Degen bin ich in den Herbergen gesessen, hab mich als verwundter Landsknecht und als wälscher Arkebusero an die Leut gemacht, als römischer Ablaßbruder, als Schäfer und Fuhrknecht, als Spielmann und Bändeljud. Den Rhein hinunter bis Speyer bin ich gezogen, den Main hinauf bis Bamberg, an die Donau wieder, am Lech zum Bodensee, von Kempten an den bayerischen Bergen her bis Reichenhall ...«

Er sah über die Gesichter der atemlos lauschenden Männer hin, und ein Lächeln wilder Freude flackerte um seinen Mund, in seinen Augen.

»Zehnmal haben mich die Herren geworfen, und zehnmal hat mich einer, der größer ist als sie, wieder aufgehoben. Rechter Willen, das ist Leben, dem Spieß und Schwert nimmer ankönnen. Wer weiß, was er will, der hat ein sieghaft Ding in seiner Seel, und wenn es ihm zehnmal fehlgeschlagen, so geht er das elftmal wieder mit Hoffnung und Mut an sein Geschäft! ... Der Joß ist tot, und die Herren können leben ... so haben sie gegröhlt in ihrem Blutrausch zu Schorndorf! Zehn Jahr ist's her! ... Und heut? ... Das Pfeifer-Hänslein von Speyer und der Bundschuh im Bruchrain, der helle Haufen im Breisgau und der arme Koinrad vom Remsthal, sie all sind wieder lebig, und der tote Joß hat ihnen siedend Blut ins Herz geschüttet! Und hat ihnen eiserne Fäust gemacht, die auf die Stund warten, in der sie schlagen sollen.«

Schwer und langsam wurde seine Stimme, als sollte jede Silbe wirken wie ein Hammerschlag.

»Dreihundert Boten gehen um und werben im ganzen Reich ... an die hundertzwanzigtausend Bauren sind eingeschworen zum neuen Bundschuh. Wir wollen unser Freiheit holen, wie's die Schweizer gethan. Kein Fron und Scharwerk soll mehr sein. Das Lehen, das einer hat, das soll sein Erb und Eigen bleiben. Ein jedes Stücklein Boden, das man dem Bauer seit hundert Jahren genommen hat, das soll man ihm wieder geben. Kirchentrost und Rechtspruch sollen frei sein und keinen Heller kosten. Kein Gericht soll gehalten werden über Bauren, in dem als Richter nicht die Bauren selber sitzen. Kein Ungeld, Zoll und Steuer und Zins mehr soll an Herren und Klöster gezahlt werden. Nur die Steuer für das Reich soll bleiben, der gemeine Pfennig für den Kaiser, den wir gelten lassen als einzigen Herren in allem Land, das deutsch ist. Jagd und Fischenz, Weid und Wild sind frei, wie sie Gott für alle erschaffen hat. Und der Bauer soll kein schleppend und milchendes Vieh mehr sein, sondern ein freier Mensch so gut wie jeder Graf und Junker!«

Als hätte Joß nicht mit Worten geredet, sondern den Durst der Lauschenden gestillt mit feurigem Wein – so berauscht waren sie. Aller Vorsicht vergessend, jubelten sie dem Schwaben zu mit lauten Stimmen. Wie ein Verrückter gebärdete sich der Schmiedhannes und schrie: »Eine bessere Red ist nie gethan, eine bessere Sach ist nie ersonnen worden!« Witting wollte dem Schreienden wehren, die Männer beschwichtigen, die Ruhe wieder herstellen. Doch Hannes kreischte: »Gleichheit muß sein auf der Welt, und die reichen Schelmen müssen theilen mit dem armen Kunrad!« Und andere schrieen es ihm nach.

Joß Friz riß aus der Garbenwand der Scheuer eine Handvoll Stroh, hob mit dem Fuß das Drahtnetz auf und warf die Halme über die glühenden Kohlen. Eine Flamme schlug auf, die ganze Tenne hell erleuchtend – und bei dem flackernden Schein zog Joß unter seinem Kittel ein seiden Ding hervor und ließ die knisternden Falten über der Flamme auseinander gleiten. Es war das Bundschuhfähnlein. Und mit klingender Stimme rief der Schwabe:

»Wer frei will sein,
Zieh her zu meinem Sonnenschein!«

Wilder Lärm erhob sich. »Ich bin der erst! Ich schwör zum Bundschuh!« rief der Schmiedhannes. »Ich schwör! Ich schwör!« Die Jungen alle riefen es ihm nach: »Ich schwör! Ich schwör!« Doch in den jubelnden Lärm klang eine erschrockene Stimme: »Jesus Maria! Ihr brennet mir ja die Scheuer nieder!« Bei diesen Worten war der Dürrlechner auf das Drahtnetz zugesprungen und suchte mit seinem Lodenmantel die aufzüngelnde Flamme zu ersticken. »Laß brennen, Vater!« rief sein Bub. »Laß brennen, daß wir das Fähnlein sehen!« Aber der Alte brummte: »Soll die Freiheit damit anheben, daß mein Vieh im Winter nichts mehr zu fressen hat?« Er schlug noch mit dem Mantel zu – doch seine erschrockene Arbeit war überflüssig. Denn die kleine Flamme erlosch von selbst, als der letzte Strohhalm verzehrt war.

»Wer frei will sein,
Zieh her zu meinem Sonnenschein!«

Sie tappten mit den Händen, und einer stieß den andern an – nach der flackernden Helle wirkte die rote Kohlenglut wie tiefes Dunkel. Einer lachte. Ein zweiter rief: »Wo steht er denn mit dem Fähnlein?« Wieder ein Lachen, in das sich scheltende Stimmen mischten. Nur langsam dämpfte sich der Lärm, und da hörte man den alten Witting mit zornig erregter Stimme sagen: »Ihr seid mir die rechten sieghaften Leut! Tausend Herren wollt ihr über den Haufen schmeißen, tausend Burgen niederbrennen ... und erschrecket, weil ein Hälmlein Stroh in Feuer aufgeht, und weil das Hälmlein Stroh für eure Kälber ein Futter war!«

»Duckmäuser! Willst uns den Weg zur Freiheit versäuren mit deiner milchigen Fürsicht!« schrie der Schmiedhannes. »Geh lieber gleich hinunter ins Kloster und gieb uns an!«

»Solche Red, die straft sich selber!« Ruhig kehrte sich Witting zu den andern. »Höret mich an, Leut!«

»Das Maul soll er halten!« Mit einem Fluch sprang der Schmiedhannes auf den Schwaben zu und rüttelte ihn am Arm. »Verbiet ihm das Reden! Der hat saure Milch im Leib statt Blut. Die gießt er uns übers Feuer, daß es ein Stinken giebt, statt ein Brennen! Dem ist bang um seine Dirn, die heuern will, und bang um seinen Buben, daß ihm vor Schreck nicht die Lieder ersticken im Hals. Verbiet ihm das Maul, Joß!«

»Wir wollen den Witting hören!« rief der Etzmüller. Ein paar andere der Männer riefen es ihm nach. Und Joß sagte: »Der Mann soll reden!« Er ließ sich nieder und legte das Bundschuhfähnlein über die Kniee. »Was wär denn unser Freiheit, wenn sie anheben thät damit, daß wir einem das Maul verbieten? So machen's die Herren und Pfaffen, die das freie Reden fürchten. Euer Not, Leut, und mein gutes Wort hat euch das Für gepredigt. So möget ihr auch das Wider hören! ... Red, Witting!«

Der Alte trat näher zur Kohlenglut. »Höret mich an, Leut! In aller Ruh! Hab ich mein letztes Wörtl gesagt, so könnet ihr weiter raiten, wie ihr möget!« Er wandte sich an den Schwaben. »Schau, Joß, ich sag dir's gern, was ich halt von dir. Kein schlechter Blutstropfen geht von deinem Herzen aus, und du meinst es gut mit dem armen Baurenvolk. Und wie ich nicht raiten will, wie viel an meiner Fürsicht Sorg um meine liebe Dirn und meinen guten Buben ist, und wieviel an ihr der Gutverstand meiner sechzig Jahr ausmacht und mein ruhigs Einschauen ins Leben und in die Zeitläuft ... so will ich auch dir, Joß, mit keinem Wörtl nachraiten, wie viel an deinem Werben Lieb für die geplagten Brüder ist, und wie viel der Durst auf Vergeltung für dein armes Weib und deine Kinder. Da soll mir eins gelten, wie's ander.«

»Hast recht! Es bäumt auch nie ein Roß, wenn ihm der Reiter nicht die Sporen ins Blut treibt.«

»Und die Sach, die du angehoben hast, thät eine gute sein ... wär's nur auch eine Sach, an der ich ein Bröselein Hoffnung seh. Mühsam geplagten Menschen die Not vom Buckel heben, ein armselig Volk auf einen Weg führen, auf dem es aufschnaufen könnt in Freiheit, Freud haben an seinem Leben als keines Herren Knecht, schaffen in Fried und Ruh, unter guten und gerechten Richtern und getröstet von braven Pfarrherren, die des Heilands rechte Boten sind und Gottes Wort behüten ... schau, Joß: eine Sach, die schöner und heiliger wär als die, hat's nie gegeben.«

Bild: A. F. Seligmann

»Ja, Witting! Schön und heilig! So ist mein Fürhaben! Und Hoffnung ist dran so viel wie Licht an jedem Morgen, wenn's grauet! Der Weg ist da. Wir brauchen den Weg bloß gehen.«

»Bist doch einen weiten Weg schon gegangen! So schau doch hinter dich, Joß! Was siehst? Das Pfeiferhänslein im Feuer, die erschlagenen Leut im Bruchrain, die verratenen Bauren im Breisgau, die betrogenen Kunradsbrüder im Remsthal, die blutigen Köpf auf der Schorndorfer Mauer und einen Boden, gemistet mit Blut, aus dem das Elend noch stärker hat wachsen müssen, als es ehnder einmal gewesen ist.«

»Krieg um das beste Gut im Leben ist kein Kirmeßtanz. Lauft man Sturm wider feste Burgen, so müssen die ersten im Tod den Graben füllen für das Leben, das nachruckt. Und trifft ein Streich, so lernt man, wie man sich wehren muß wider den nächsten. Schau, Witting ... auf meinem Fluchtweg nach der Schweiz, wie ich mich bergen hab müssen in den Stauden am Rhein ... 's ist in der Zeit gewesen, in der die Ferchen das Sehnen spüren nach den frischen Quellen und gegen das Wasser ziehen ... und schau, da hab ich im Rhein einen Ferch gesehen. Viermal ist er aufgesprungen gegen ein hohes Wehr, und viermal hat ihn das fallende Wasser hinuntergeschlagen. Aber das fünftmal hat er den Sprung zur rechten Zeit gethan ... und ist droben gewesen. So muß unser gute Sach das fünftmal springen wie der Ferch. Und der frische Bergbach, den wir suchen, ist unser Freiheit und die gute Zeit.«

»Wär alles recht ... wenn nur der Bauer ein Ferch wär, der springen könnt gegen rauschende Wehren! Wenn nur in jedem Bauer das Greifen nach der Freiheit so fest und sicher wär, wie im Ferch das Suchen nach dem klaren Wasser! Aber der Bauer ist wie ein müder und scheuer Karpf, an ein stilles und trübes Wasser gewöhnt ... und thut man bloß mit der Stang einen Schlag in den Teich, so fahren sie alle hinunter und stecken die Köpf in den Bodenschlamm.« Witting hörte den Widerspruch der Männer und das zornige Schelten der jungen Burschen. Beschwichtigend hob er die Hände. »Meine guten Nachbarsleut, es ist nicht anders, wie ich sag. Dreihundert traurige Jahr in Not und Mühsal liegen seit Urähnlszeiten her auf unserem Buckel. Das ist uns ins Blut gegangen. Und das wird nicht anders von heut auf morgen! ... Schauet den Joß an! Im Bruchrain und im Remsthal hat er an seiner guten Sach erleben müssen, was ich sag.«

»Wahr ist's!« sagte Joß gereizt. »Der Bauren ärgster Feind ist allweil der Bauer selber gewesen.« Er sprang auf, das seidene Fähnlein in der Faust. »Aber meint ihr denn, ich hätt euch von allem Blut erzählt, bloß daß euch grausen soll? Muß nicht jedes Tröpflein gefallen sein auf euer Herz wie ein zündend Feuer? Und ist ein Judas unter uns gewesen, muß das Unheil, das er angerichtet, euer Wort nicht festmachen wie gutes Eisen? Muß euch der Koinradsbrüder blutiges Sterben nicht predigen: trauet keinem Wort der Herren mehr, schart euch fest aneinander, lasset eines jeden Sorg und Vorteil aufgehen in der gemeinen Sach wie tausend Bäch im Meer, harret nach gutem Rat auf die richtige Stund, und wenn sie gekommen ist, so schlaget, ihr hunderttausend Fäust, als wär's mit einer einzigen!«

»Wär alles recht, mein guter Joß, wär alles recht ... könntest du nur, was in dir selber ist, den Hunderttausend eintröpfeln, wie man Arzenei mit dem Löffel eingiebt. In dir ist das feste Wort, in dir ist der rechte Mut. Aber wie du bist, sind nicht viel. Und haben hunderttausend zum Bund geschworen, so wird's im großen Haufen nicht anders sein, wie's bei den Kunradsbrüdern im kleinen war. Der eine wird laufen nach seinem Heu, der ander zu seiner Kuh, die ans Kälbern geht, der dritt wird sich vertragen mit seinem Herrn und die Brüder sitzen lassen, und der viert, in seiner Sorg um Speck und Schmalz, wird seinem Herren Botschaft geben und bitten: schlag die anderen tot, aber mich laß leben! Ich kenn die Menschen, Joß ... ein jeder liebt das dünne Fädlein, an dem sein armseliges Leben zappelt! Und könntest ein Wunder thun und die Menschen anders machen, als sie sind, und könntest ihnen das Feuer deiner Seel eingießen in Herz und Blut, und die Hunderttausend aufrufen zu einem einzigen hellen Haufen, daß sie deinem Kopf und Wort gehorchen ... schau, Joß, was willst mit einem waffenfremden Volk denn ausrichten gegen die Herren mit ihren Harnischen und Feldschlangen, mit ihren kriegskundigen Rotten und ihren festen Burgen?«

»Die Not des Lebens, die uns treibt, und das rechte Feuer in der Seel ist bessere Wehr als Harnisch und Burgen. Aber wahr ist's, einen harten Kampf wird's geben. Und drum müssen wir ebnen, was ungleich ist, und müssen wie der gewitzte Ferch die rechte Zeit erwarten, in der das widrige Wasser minder mächtig über uns herfallt. Und besser ist nie eine Zeit gewesen, als die jetzig. Die halbe Herrenschaft mit ihren Rotten und schier das ganze Heer des Kaisers steht in Welschland. Ein arger Krieg soll anheben zwischen dem deutschen Kaiser und dem König von Frankreich. Ueberall stehen die Burgen mit halber Mannschaft, die Feldschlangen sind davon gefahren, der Frundsberg zieht mit all seinen Landsknechten auf Mailand zu ... und geht das Herrenschlachten sell drunten an, so ist der Bauren Zeit gekommen, und der Ferch hat leichten Sprung.«

Witting schüttelte den Kopf. »Das ist halbe Hoffnung, Joß. Und sie wird dich trügen. Herren sind Herren, ob sie zechen am gleichen Tisch, oder ob sie einander die Köpf einschlagen. Steh auf dagegen, und all ihr Feindschaft hat schnell ein End, und alles, was Herr heißt, ist wider die Bauren. Ein Elend thät kommen über uns, das grausig ist, und der Bauren Blut thät fließen, wie die Bergbäch rauschen nach einer Wetternacht. Nein, Joß! Schau an, vor hundert Jahr, da sind die Berchtesgadener Bauren wider das Kloster aufgestanden und sind geschlagen worden. Und haben ihr Leben noch härter gemacht, als es von eh gewesen ist. Und vor zwanzig Jahr, da haben wir's versucht im Guten und sind zum Kaiser gegangen ... und haben nicht mehr gewonnen, als daß wir wissen, wie weit von Berchtesgaden hinunter ist bis auf Wien. Und selm ist noch ein guter Kaiser gewesen, der Kaiser Max, derweil heut im Deutschen Reich ein Fremder der Herr und Kaiser ist, der gern einem jeden Deutschen die spanischen Höslein anthun möcht. Nein, Joß! Dein alter Bauer im Remsthal hat recht gehabt: Für uns arme Teufel ist kein Rat mehr auf der Welt, als daß wir fronen in Geduld und harren, bis die harte Zeit von selber sich bessert. Gute Zeit ist doch gewesen einmal. Zweihundert Jahr ist's her, da hat im Kloster ein Propst gewaltet, Herr Heinrich von Inzing, der hat seinen Bauren von aller guten Zeit die best gegeben. Mein Urahn hat's meinem Ähnl gesagt, von meinem Ähnl hat's mein Vater gehört, und mein Vater hat's mir und meinen Brüdern erzählt. Und ist die gute Zeit einmal gewesen, so muß sie auch wieder kommen. Das ist im Leben nicht anders als wie im Wald. Viel hundert Samen gehen auf, aber bloß einer streckt sich und macht einen starken Baum. Der steht in Kraft und thut seine Äst auseinander, trinkt alles Licht und zehret die gute Luft. Und all die kleinen Heister, die unter ihm stehen im Schatten, die müssen sich rackern um ihr bißl Leben. Aber der große Baum wird alt und mürb. Und hebt sein Sterben an und brechen die dürren Äst von ihm nieder, so schießen um ihn her die kleinen Heister auf, und haben Luft und Licht und wachsen sich aus zu guten Bäumen.«

Da streckte sich Joß und hob die Faust mit dem seidenen Fähnlein. »Witting! Du Fürsichtiger! Deine Red vom Baum, die hat ein Loch!«

»Und was für eins?«

»Denkst nicht an den Forstner, der den Hochwald lichtet? Denkst nicht an die Axt, die ihn niederschlagt, deinen Herrenbaum?«

»Wohl wohl, ich denk schon dran. So heb doch die Axt und schlag! Thätst ihn niederbringen, den Baum ... 's ist wahr, da kommen ein paar von den hungrigen Stauden flinker ins Wachsen. Aber könnt auch sein, daß der Baum zu dick ist für dein kurzes Beil. Und da mußt die Pflänzlein zählen, die du niedergetreten hast bei deiner nutzlosen Müh! – – – Saget doch Leut, wer ist denn unter euch, der das niedergeschlagene Heisterlein sein will, daß eine fremde Staud ins Wachsen kommt? ... Wer denn?«

»Kommt's drauf und dran,« schrie der Schmiedhannes, »so bin ich der erst, der sein Blut giebt für die Brüder.«

»So so? Der Schmiedhannes!« sagte Witting ruhig. »Freilich, der wird's machen! Der hat das große Maul und die Faust dazu! Und kann sich das Beil schmieden, so lang er's braucht! ... So, Leut, jetzt hab ich euch mein Wörtl gesagt. Und es ist mein letztes gewesen. Jetzt könnt ihr thun, wie ihr möget ... ich geh heim und such meine Ruh, daß ich morgen wieder schaffen kann. Gut Nacht, ihr Leut!«

»Ich geh mit,« sagte der Etzmüller, und der Stiedler legte den Mantel um die Schultern.

Ein Gedräng entstand. In Erregung fuhren die Stimmen durcheinander, und der Schmiedhannes sprang auf das Thor der Scheune zu, um den Männern, die gehen wollten, den Weg zu verstellen.

Da rief der Schwabe: »Ruhig, ihr Leut!« Er barg das Bundschuhfähnlein unter dem Kittel. »Ich merk, das wird keine Schwurnacht heut. Halbe Arbeit, die mag ich nicht. Euch alle muß ich haben, oder keinen. Will einer gehen, so soll ihm keiner den Weg versperren. Die Zeit wird kommen, die mir einen jeden wieder zuführt, der heut in der armen Angst seines Lebens von mir geht. Und thät er mich nimmer finden dann, so wird er in Sorgen schreien: Joß Friz, wo bist?« Er hatte sich gezwungen, ruhig zu sprechen. Nun zerdrückte ihm die Erregung aber doch den Klang der Stimme, daß sie heiser wurde. »Einen neuen Stein hab ich legen wollen zu unserem schönen Haus der Freiheit. Die mir den Stein aus der Hand schlagen, die werden sein wie die thörigen Jungfrauen, von denen in der Schrift geschrieben steht, daß sie kein Öl in ihre Lampen gethan. Und mitten in der Nacht ist ein Geschrei gewesen: Siehe, der Bräutigam kommt, heraus und ihm entgegen! Und die bereit waren mit den brennenden Lichtern, die gingen mit ihm zur Hochzeit, und die Thüren wurden verschlossen. Da kamen auch die Thörigen mit ihren dunklen Herzen und pochten und schrieen: Herr, laß uns ein! Der Herr aber sprach zu ihnen: Euch kenn ich nicht!«

Still war's in der Scheune, und mit erstaunten Augen sahen sie alle den Schwaben an, sein hartes Gesicht und seine blitzenden Augen.

»Das ist eine Heilandsred! Die sollst nicht mengen in dein blutiges Werben!« sagte Witting. »Was hat der Herrenmord, den du predigst, mit dem christlichen Wort zu schaffen?«

»So viel, wie unser guter Weg zur Freiheit mit Gott zu thun hat, der ihn gewiesen! Schau, Witting, wie du, so haben hundert zu mir geredet, deren Einsicht nicht weiter gereicht hat, als über die lieben Köpf ihrer Kinder hinaus bis an den Zaun ihres Lehens. Ich hab deine Kinder gesehen, Witting, und kann dir's nachspüren in meinem Herzen, daß sie dir lieb sein müssen. Aber thu's überlegen, Alter, ob du mit deiner Fürsicht deinem hellen Buben und deiner sorgmüden Dirn nicht größeren Schaden bringst für den übernächsten Tag, als Nutzen für den nächsten.« Joß sah die Wirkung, die sein Wort auf den Alten machte. Er ging auf ihn zu und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Schau, Witting, wie der Bundschuh im Bruchrain gefallen ist, bin ich ein Fürsichtiger geworden und hab mir gesagt: ›Jetzt bau ich das Glück für mich allein.‹ Und mein geschändet Weib am Straßenbaum und meine Kinder im Feuer ... so hat das Glück meiner Fürsicht ausgeschaut! Gott soll's verhüten, Alter, daß du um deiner Kinder willen einmal schreien mußt: Joß Friz, wo bist?«

»Mensch, du!« stammelte Witting. »Thu deine Augen von mir!«

»Red jetzt nimmer! Geh ... und überleg's! Und willst du zur Hilf noch ein Wörtl hören, du und die andern mit dir, so kommet wieder in der nächsten Sonntagnacht. Dann will ich's beweisen, daß wir nichts anderes wollen, als was in der heiligen Schrift geschrieben steht. Wörtl um Wörtl will ich's beweisen aus der Schrift, daß unser Fürhaben göttlich, billig und recht ist.«

»Bist ein römisch Geweihter,« rief der Stiedler, der schon die Gugel seines Mantels über den Kopf gezogen hatte, »daß du die Schrift verdeutschen und auslegen kannst?«

Joß hob die Stimme. »Heut muß keiner mehr geweiht sein, daß er lesen kann, wie Gott geredet hat!«

Der Schmiedhannes sprang auf den Schwaben zu und flüsterte: »Joß! Denk, was du redest!«

Aber Joß schob ihn mit dem Arm beiseite: »Geh du mit deiner Angst! Ich red, wie ich muß!« Dicht vor die glühenden Kohlen trat er hin. Und seine Stimme klang ruhig und fest. »Ich mein' doch, das solltet ihr lang schon wissen! Oder bin ich der erst, ihr Leut, der euch verkündet, daß einer aufgestanden ist im Reich, ein frommer und wortstarker Mann, der sich beuget vor Gott, aber aufrecht steht wider die falschen Pfaffen und aufrecht steht in seiner Lieb zum deutschen Volk. Der hat uns die Schrift gedeutscht, die uns die Päpstischen verschwärzt und lateinisch verlogen haben. Jetzt können wir selber lesen, daß Gott geredet hat einmal: Vertrau auf meine Kraft, mein Volk! Schüttet aus vor mir eure Herzen, ihr Armen alle, ich bin euer Fels und euer Schutz! Und Lügner sind die großen Herren und wiegen leicht auf meiner gerechten Wag ...«

»Den schauet an!« schrie der Dürrlechner mit jähem Schreck in der Stimm. »Jetzt thut er den falschen Kittel erst völlig nieder! Martinisch ist er! Und möcht uns zu aller Not noch verfluchen und verhöllen! Ich geb meinen Stadel nicht her für solche Reden! Ich bin ein Christ! Ich bin ein Christ!«

Dumpfer Lärm erhob sich, alle Stimmen wirrten sich ineinander, die einen hielten es mit dem frommen Dürrlechner, die andern wollten hören, was Joß noch sagen würde. Der alte Witting, von seltsamer Erregung befallen, mahnte zur Ruhe und rief: »Schweiget, ihr Leut! Und den Joß lasset reden! ... Joß? Wie ist das Wörtl gewesen, das du gesagt hast? Vertrau auf meine Kraft, mein Volk ...«

Aber der Dürrlechner überschrie den Alten. »Ich will mir den Himmel nicht verlegen! Ich geb meinen Stadel nicht her! Wider die Herren bin ich ... aber ich bin für Gott und sein heiligs Himmelreich. Das soll mir zukommen nach aller Lebensnot! Ich fürcht den Teufel und bin für Gott.«

»Bist du für Gott,« so klang die scharfe Stimme des Schwaben in den wirren Lärm, »bist du für Gott, so mußt du auch wider die falschen Pfaffen sein und für den Luther! Lasset euch sagen, ihr Leut! Ihr kennet den Luther bloß in der schlechten Farb, die sie ihm ankreiden in den römischen Kirchen und auf der Kanzel. Ich aber hab ihn gesehen und hab geredet mit ihm. Das ist ein Mann wie ein Fels! Und sein Herz ist groß wie ein See, der tausend Wasser in sich aufnimmt. Und was er thut und redet und schreibt, ist mehr noch als bloß ein Ausfegen der römischen Kirch und ein Misten im Pfaffenstall ... das ist ein großes und festes und deutsches Werk, ein Heilwerk, ihr Leut, an dem unser mühseliges Volk zu guten Zeiten genesen und unser sieches deutsches Reich sich auswachsen soll zu freier und mächtiger Einheit.«

»Das sind Lugen!« rief der Etzmüller. »Was will einer ausrichten im Land, den der Reichstag in Acht und Bann gethan, den die Kirch verflucht hat, und der dem Teufel gehört!«

»Den die großen Herren in Acht und Bann gethan, und den die Pfaffen verfluchen, der hauset als freier Mann zu Wittenberg, das halbe Reich ist seines guten Glaubens, und mächtige und fromme Fürsten, die unter den Herren sind wie weiße Raben, die schützen den Bruder Martin wider jeden Feind und Neider. Und wie der Sämann die Körner hinstreut über ein Weizenfeld, so streut der Luther mit Kraft den Samen aus für das neue Wesen der Zeit. Mächtig hat sein großes Herz geredet für alles Volk, das mühselig und beladen ist. Furchtlos hat er geschrieben wider die ungerechten Herren: ›Henker und Stockmeister sind sie, die den armen Mann schinden und ihren Mutwillen auslassen an Gottes heiligem Wort!‹«

»Das hätt der Luther geschrieben?« fragte Witting mit stammelndem Laut.

»Und hat geschrieben: ›Gott verblendet sie und will ein End mit ihnen machen. Man will ihren Mutwillen in der Läng nimmer leiden, denn der gemeine Mann ist verständig worden. Es ist nicht mehr eine Welt wie vor Zeiten, da der Herr die Bauren wie das Wild gehetzt und getrieben hat. Gott will es nicht länger leiden. Und fürder soll kein Fürst und Herr mehr denken: Land und Leut sind mein ... sie sollen denken: ich bin des Landes und der Leut ein Diener!‹«

Schweigend stand der alte Witting; seine Augen träumten wie die Augen seines Buben. Und der Etzmüller fragte: »Redest die Wahrheit, Jost? Ist der Luther so?« All die anderen schwatzten in glühender Erregung oder in scheuer Ängstlichkeit. Noch immer brummte der Dürrlechner von seinem guten Christentum, während der Schmiedhannes jubelte: »Recht so, Joß! Da hast eine gute Red gethan! Der Bruder Martin ist unser Mann!« Das Wort fand Widerhall bei den jüngeren Männern – und wie ein Sinnbild des Feuers, das in den heißen Köpfen wieder aufflackerte, schlug aus den halb erloschenen Kohlen eine bläuliche Flamme; denn am Scheuerthor hatte sich das Thürlein geöffnet, und ein scharfer Luftzug war über den Kohlenhaufen hingestrichen. Immer lauter hoben sich die Stimmen, und der Hannes kreischte: »Joß Friz! Das Fähnlein her! Wir wollen schwören! Die gute Stund ist da!« Die jungen Burschen drängten sich um den Schwaben. »Joß, wir schwören! Her mit dem Fähnlein!« In die wirren Stimmen mischte sich ein von Angst erwürgter Ruf: »Leut! ... Leut!« Der Bursch, der draußen am Zaunthor die Wache gehalten, war in der Tenne erschienen und drängte sich durch den Ring der Männer. »Leut! Leut! Hütet euch, Leut!«

»Bub?« stammelte der Dürrlechner. »Was ist denn?«

»Hütet euch, Leut! Es kommen Fackellichter durch den Wald herauf ... und schreien hört man ... ein großer Haufen von Reisigen muß es sein.«

Noch hatte der Bub nicht ausgesprochen, als schon ein wüster Tumult und ein sinnloses Flüchten in der Scheuer begann. Einer stieß den andern beiseite, der junge Fraunlob wurde niedergeworfen, und der Schmiedhannes sprang über ihn weg, schon im Sprung den Mantel über die Schulter zerrend. Er war auch der erste, der im Thürlein des Scheunenthors verschwand. Und hinter ihm drängten sich die anderen nach, daß am Thor die Bretter rasselten und krachten – das Thürlein war den Flüchtenden zu eng, sie rissen sperrangelweit das große Thor der Scheuer auf.

Jetzt standen nur zwei Männer noch in der stillgewordenen Tenne – Joß Friz und der alte Witting. Während Joß mit verlorenem Blick durch das offene Thor hinausstarrte in die dunkle Nacht, in der mit Unruh die Sterne flimmerten, griff Witting nach dem Kübel, der neben dem Drahtnetz stand, und schüttete Wasser über die Kohlen. Zischend ging eine Dampfwolke auf, und es wurde finster in der Tenne. In dem tiefen Dunkel sagte Witting: »Schau, Joß, die Karpfen sind all hinuntergefahren auf den Grund.«

Joß lachte, kurz und rauh. »Es ist nicht das erstmal, daß ich das sehen muß. Aber die Zeit wird kommen, wo sie das Tauchen und Laufen vergessen. Unser Sach ist gut. Sie wird Ferchen machen aus den Karpfen. Und du, Witting, du bist schon einer!« Der Alte schwieg. Und Joß fragte: »Kommst wieder zur nächsten Sonntagnacht?«

»Ich komm.«

»Gut ... und welchen Weg soll ich nehmen?«

»Gieb deine Hand, Joß! So lang ich dich führ, bist sicher ... soll durch den Wald heraufkommen, was mag.«

In der Finsternis fanden sich die Hände der beiden Männer.

Bild: A. F. Seligmann


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