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Bild: A. F. Seligmann

7.

Noch lange war Herr Lenhard aus der Straße gestanden, die Fäuste hinter dem Rücken, in brütenden Gedanken.

Brummend hatte er den Burghof betreten und dem Thorwart zugerufen: »Zieh die Bruck hinauf!«

»Soll ich nicht offen lassen, bis der Baurenbub wieder draußen ist?«

»Der bleibt noch ein Weil. Mach zu!«

Der Thurner ging über den grob gepflasterten Hof, den auf der einen Seite der Zaun eines kleinen Gartens, aus der andern Seite das Knechthaus und die Ställe umschlossen. In der Tiefe des Hofes stand der alte viereckige Thurm, durch einen schmalen Raum getrennt vom Hause, an dem man nur wenige Fenster und im Obergeschoß eine kleine steinerne Altane sah. Rings um die Hausthür hatte sich an der Mauer ein magerer Epheu hinaufgesponnen, an dem noch grüne Blätter hingen. Die sahen sich im Schnee wie ein verlorenes Lächeln des Frühlings an – ein Erinnern und eine Verheißung zugleich.

Herr Lenhard trat in den Hausflur, an dessen weißgetünchten Wänden alte Geweihe hingen und ein Bärenhaupt mit schäbig gewordenem Fell. Gleich zu ebener Erde war die Wohnstube. Und Frau Resi kam aus der Thüre, mit Gewitterschwüle auf der Stirn und mit einer zinnernen Schüssel in den Händen. Sie hielt dem Thurner die Schüssel mit dem blutgefärbten Wasser hin: »Da schauet her! Schon die dritte Schüssel, die ich holen muß. Das Fräulen treibt's mit dem Baurenlackel, als wär ihm ein Streich ins Leben gegangen.«

»Ja, ja,« Herr Lenhard lachte, »mit dem Arztenieren nimmt's unser Räpplein allweil verteufelt genau. Das hat dein Mann erfahren, wie du ihm mit dem Schlüsselbund ein Loch in den Backen geschlagen hast. Man sieht kein Närblein mehr davon.«

Frau Resi, die an diese dunkle Episode ihres Ehelebens augenscheinlich nicht gern erinnert wurde, antwortete nur mit einem funkelnden Zornblick. Und lachend trat Herr Lenhard in die Stube.

In einem kleinen Erker, der das beste Licht der Stube hatte, stand Morella vor Juliander und wickelte ihm achtsam und kunstvoll eine lange, weiße Leinenbinde um die wunde Hand. Juliander schnaufte dabei, als wäre er es, der die schwerste Arbeit bei der Sache zu leisten hätte. Aber was mit seiner Hand geschah, das schien seine Neugier nicht sonderlich zu beschäftigen. Denn seine Augen hingen nur immer an dem niedergebeugten Lockenkopf des Fräuleins, das mit Eifer und Wichtigkeit beim ›Arztenieren‹ war. Bei diesem starren Schauen schien das Gezitter und Gegaukel all dieser Löcklein in Juliander etwas wie Schwindel zu erzeugen. Denn immer wieder schloß er die Augen. Da war es kein Wunder, daß er den Eintritt des Thurners völlig übersah und erschrocken zusammenfuhr, als er Herrn Lenhards Stimme hörte.

Der fragte in seiner groben, polternden Art: »Wie steht's, Bub? Hat dir das Räpplein den Wepsenstich an deinen fünf Kluppen wieder sauber geschindelt?«

»Gib Ruh, Babbo!« gebot Morella, ohne von ihrem Heilwerk aufzublicken. »Wenn du redest mit ihm, so schaut er dich an und hält nicht still. Ich bin gleich fertig.« Mit Sorgfalt legte sie die letzten Ringe der Binde um Julianders Handgelenk und knüpfte die Bänder fest, die an den Leinwandstreif genäht waren. »So, jetzt kannst du wieder alle Arbeit thun, als ob deine Hand gesund wär!« sagte sie und strich noch einmal leise mit den Fingerspitzen über den Verband. »Und weil deine Hand so zittert ... da brauchst du keine Sorg haben, weißt! Das ist nur so ein bissel Schwäche nach dem Blutverlust und vergeht schon wieder.« Sie blickte zu ihm auf. »Oder hab ich dir beim Binden weh gethan?«

Verlegen schüttelte Juliander den Kopf. »Deine Hand ist gewesen, als thät mich ein Blüml streichen.«

Morella warf mit einer Kopfbewegung die zausigen Locken zurück und lachte hell auf. »Lus nur, Babbo, der Baurenbub versteht sich aufs Flattusieren wie ein Salzburger Chorherr!«

»Freilich, die können's! Die haben's in der Übung bei ihres Herren Hofstaat! Aber jetzt schau, Räpplein, daß der Bub auf seinen trockenen Verband ein feuchtes Pflaster kriegt! Hol uns einen Krug Wein! Der soll ihm wieder Blut machen, weil er einen Fingerhut voll verloren hat.«

Noch immer lachend sprang Morella zur Thüre hinaus – und da atmete Juliander auf und begann in der Stube umherzublicken, als hätte er sie erst jetzt betreten.

Von des Thurners Reichtum hatte diese Stube nicht viel zu zeigen. Aber trotz des buckligen Lehmbodens, der an die Herdstube eines Bauern erinnerte, und trotz der vielen Sprünge in den Mauern war's ein wohnlicher Raum. Die Wände waren bis zur halben Höhe mit rot gebeiztem Föhrenholz verkleidet, und behaglich stand das schwergezimmerte Gerät umher, von dem der Gebrauch vieler Jahre die rote Beize bis auf eine letzte Spur schon abgescheuert hatte: ein Tisch, den zwei Männer nicht vom Fleck gehoben hätten, eine plumpe Eckbank, zwei ungepolsterte Armstühle, eine tischhohe Truhe und ein Geschirrkasten mit zinnernen Schüsseln und Kannen. Von der Balkendecke hing an drei Ketten ein großes Hirschgeweih herab, das auf eisernen Dornen ein paar halbverbrannte Talglichter trug. Fast ein Viertheil der Stube nahm ein Ungeheuer von gemauertem Ofen ein, auf dessen Plattform sich ein Ofenspiel befand: zwei geharnischte Ritter mit langen Zweihändern, aus bemaltem Pappendeckel geschnitten; die vom Ofen aufsteigende Luftwärme hielt durch eine schlangenförmig um einen Draht geringelte Schraube das Spiel im Gang, so daß die beiden Ritter ruhelos mit den Schwertern aufeinander losdroschen.

Vor der Bank, die den Ofen umzog, standen zwei Spinnräder, eines mit vollgesponnener Spule und mit tadellos aufgeputzter Kunkel: das Spinnrad der Frau Resi – das andere mit einer Flachswuckel, so übel zerzaust wie das Gefieder einer Henne, die mit der Katze gerauft hat: das Spinnrad des Fräuleins. Doch die mancherlei Dinge, die im Erker an der Mauer hingen, ein zierliches Zaumzeug, Gerät für den Fisch- und Vogelfang, eine kleine Armbrust mit der Bolzenkapsel, und das Medikamentenkästchen, dessen Thürlein offen stand – das alles war schmuck in Ordnung gehalten. Und das schienen für Juliander Wunderdinge zu sein, denn er brachte die Augen nicht mehr los vom Erker.

»Flinke Füß magst haben, Bub! Aber ein langsamer Schauer bist!« So brummte Herr Lenhard nach einer geduldigen Weile. »Hängt doch noch mehr an der Wand, als meines Mädels Spielkram!«

Es verdroß den Thurner, daß Juliander so wenig die zahlreichen Siegeszeichen beachtete, die Herr Lenhard von seinen Kriegszügen heimgebracht und zum Gedenken aller Tapferkeit seiner jungen Jahre an die Wände seiner Stube genagelt hatte: zerfetzte Fähnlein und Waffenröcke, Helme und Panzerstücke, geschuppte Handschuhe und Feldbinden, Wehrgehenke und Schwerter, die er von überwundenen Gegnern zu Pfand genommen. Da hingen diese Zeichen seit langen Jahren, das Eisenzeug war verrostet und verstaubt, die Stoffe waren verblichen und von Motten zerfressen – aber der Stolz, mit dem der Thurner an diesen Trophäen hing, hatte noch Glanz und frische Farbe. Einen Gast an seinen Tisch zu führen und in den Erinnerungen vergangener Zeiten zu schürfen, diese Gelegenheit fand er so selten, daß ihm auch ein Bauer, den der Zufall in seine Stube verschlagen hatte, nicht zu gering erschien, um die ruhmvollen Geschichten dieser Zeichen vor ihm auszukramen. Auch hatte Herr Lenhard noch einen Zweck dabei. Denn der stattliche Bursch gefiel ihm – das war eine Brust, wie geschaffen für den Panzer, eine Faust wie geboren für das Schwert.

Als Juliander das verspätete Staunen reichlich nachholte, war des Thurners Ärger gleich versöhnt. »Ja, Bub! Das alles hab ich mit gutem Streich gewonnen. Nicht im Stechspiel mit stumpfer Wehr, sondern auf heißem Boden mit blutigem Hieb. Hätt ich mich aufs Sparen verstanden, ich müßt ein reicher Mann sein und könnt auf eigener Burg sitzen, statt daß ich um ein schäbig Hellertheil den Pfleger und Mautner für andere Herren machen muß. Denn manch ein fürnehmer Kriegsmann, den ich geworfen, hat mir ein schweres Lösgeld zahlen müssen. Aber das Gold ist alles wieder zum Teufel gegangen.« Herr Lenhard lachte mit halbem Zorn. »Bloß Tuch und Eisen ist mir geblieben. Schau her ... der Helm da droben, der ist beste Venediger Arbeit ... den hab ich bei Manfredonia dem Camillo Vitelli vom Kopf geschlagen. Fünfhundert Dukaten hat er zahlen müssen, daß der Kopf nicht nachgeflogen ist. Fünfhundert Dukaten ... Bub, das hat viel Wein gegeben! Und siebenhundert Landsknecht haben mitgebürstet einen Tag und eine Nacht. Aber keiner ist trunken geworden. So feste Herzen haben meine lieben Söhn gehabt!« Der Thurner lachte in der Freude des Erinnerns und wischte mit der Faust über den Schnurrbart, als hingen ihm noch die Goldtropfen des Camillo Vitelli an den grauen Borsten.

Frau Resi brachte die Kanne mit dem Wein.

Bei ihrem Anblick machte der Thurner ein bitteres Gesicht. »Warum hat denn das Räpplein nicht den Wein gebracht?«

Wütend blitzte ihn Frau Resi mit den kleinen Augen an. »In die Kammer hab ich sie hinaufgeschickt, daß sie sich umschläft. Ging's euch nach, freilich, so könnt das Kind im nassen Röcklein umeinander hatschen, bis sie das Niesen kriegt.«

»Unsinn! Meinem Mädel geht ein nasser Bändl noch lang nicht ans Leben. Aber dein Gesicht, Alte, das macht mir den sauren Wein noch saurer um ein Tröpfel Gift. Fahr ab!« Und während Frau Resi, tief gekränkt und mit dem Kopf im Nacken, zur Thüre hinausstelzte, schob der Thurner lachend seinem Gast die Kanne hin. »So, Bub, jetzt trink!«

Juliander nahm die Kanne und sagte mit erregter Feierlichkeit: »Ich bring's, Herr Thurner! Deinem Leben auf hundert Jahr und ... deinem Fräulen!« Die Stimme gehorchte ihm nicht recht. »Die soll der liebe Himmel segnen!« Er trank, während ihm die Hand mit der Kanne zitterte. Und es war ein tiefer Zug.

Doch als ihm Herr Lenhard die Kanne abnahm und hineinguckte, zog er mißbilligend die buschigen Brauen auf und schrie: »Du Frosch! Gequakt hast du länger als gezogen! Die rechten tiefen Züg, die mußt noch lernen! Schau her! Ich bring's meinem Räpplein und ...« Seine Augen blickten nach der Wand, an der unter Glas drei silberne Nadeln und zwei große goldene Ringe auf dunkler Seide flimmerten. »Gott weiß wohl, wen ich meine.« Er trank. Das war ein Zug, daß es schien, als möchte des Thurners Nase in der Kanne übernacht bleiben. »Soooo! War wohlgethan!« Er setzte die Kanne auf den Tisch und sog den feuchten Schnurrbart trocken. »Siehst, Bub, das ist ein Zug gewesen!«

Juliander nickte. »Freilich, ja! Aber soviel Wein, daß ich die tiefen Züg hätt lernen können, hab ich noch nie gehabt.« Dabei schien er an etwas anderes zu denken, denn immer sah er nach der Thür. Und zögernd, mit schwerem Seufzer, sagte er: »Aber jetzt Vergeltsgott für alles, Herr Thurner! Jetzt muß ich heim.«

»Unsinn! Da setz dich her!« Herr Lenhard half mit der Faust seinen Worten nach – und Juliander saß hinter dem Tisch. »Schau hinauf über den Ofen!« Der Thurner deutete nach einem Panzerstück an der Wand. »Die Halsberg ... die ist Augsburger Arbeit ... die hab ich auf dem Lechfeld dem Graf von Plaien abgenommen. Das ist selbigsmal gewesen, wie der edle Frundsberg den Bubenpanzer ausgezogen und seinen ersten Dienst im Harnisch unter des Kaisers Banner gethan hat ...«

Ein ruhmvoll blutiges Geschichtlein folgte dem anderen, bis kaum mehr eine Trophäe an der Wand hing, von deren Herkunft der Thurner nicht des langen und breiten berichtet hatte. Trotz aller Unruhe, die in Juliander zu bohren schien, schlug ihm doch die Flamme ins Blut, die aus den redlich prahlenden Worten des alten Landsknechtführers loderte. Dem Burschen begannen die Wangen zu glühen und die Augen zu brennen. Das sah der Thurner, und seine grimmigen Augen zwinkerten vor Vergnügen. Doch plötzlich riß ihm die fröhliche Stimmung entzwei. Das geschah, als Juliander nach dem Glasschrein deutete, unter dem die drei silbernen Nadeln und die zwei großen goldenen Ringe flimmerten. »Ist das auch ein Siegzeichen, Herr Thurner?« Die Antwort ließ auf sich warten. Und Herrn Lenhards Stimme klang völlig anders als bisher – so seltsam lind und milde. »Wird wohl eins gewesen sein! Und von all meinem Lebenspreis der best! Und hat viel länger nicht gehalten, als die guten Dukaten des Vitelli!« Seine Augen hingen an dem Schrein – wie mit sich selber schien er zu sprechen. »Da hab ich ganz allein getrunken! So tiefen und festen Zug, daß mir noch heut nach zwanzig Jahr ein Rausch im Blut ist!« Eine Weile schwieg er, dann raffte er sich auf und griff nach der Kanne. »Gott weiß wohl, wen ich meine!« Das letzte Tröpflein sog er aus dem Krug. »War wohlgethan!« Grimmig stieß er die Kanne auf den Tisch, sprang vom Sessel auf und schrie mit grober Stimme auf Juliander ein: »Im Blut hast du's! Und in der Seel! Jetzt muß ich noch wissen, wie viel in deinen Knochen ist. Wart ein Weil ... ich komm gleich wieder.« Während Juliander mit verdutzten Augen saß, verschwand der Thurner durch eine Thür, die neben dem Ofen in eine Kammer führte.

Es ging auf den Abend zu, und in der Stube begann es zu dämmern, denn die kleinen Fenster mit den trüben Rundscheiben in dickem Blei ließen nur wenig Licht herein – das war um die gleiche Stunde, als auf dem Dorfplatz zu Schellenberg der Gefesselte zu reden begonnen hatte. Und Juliander konnte einen verschwommenen Hall der Schichtglocke hören, die auf dem Dach der Pfannstätte geläutet wurde. Ratlos, als wäre ihm dieser Glockenhall eine Mahnung, rutschte er auf der Bank hin und her.

Da ließ sich draußen im Flur eine heiter trällernde Stimme vernehmen. Die Thür sprang auf, als wäre ein Windstoß gegen ihre Bretter gefahren – und Morella stand in der Stube. Ganz weiß war sie gekleidet. In ihrem Schrein war wohl die Auswahl an Gewändern nicht allzu groß – und so trug sie schon das Schlafkleid, aus weißer Leinwand, ohne viel Kunst geschnitten, dem ungegürteten Kleid einer Nonne gleich, mit weiten Aermeln. Das war nun freilich kein Gewand, in dem ein Fräulein vor Gästen zu erscheinen pflegt – und wär's auch nur die Tochter des Thurners am Hangenden Stein, der vom ›schäbigen Hellertheil‹ der Wegmaut und einem Jahrgeld von hundert Gulden lebte. Aber ein Bauernbub ist doch kein Gast. So mochte Morella denken, denn es fiel ihr nicht ein, verlegen zu werden. Nur verwundert sah sie auf Juliander. »Bist du denn noch allweil da?«

Heiß schoß dem Burschen das Blut ins Gesicht. »Dein Vater ... weißt ... euer Vater halt ... ein bißl warten soll ich, hat er gesagt.«

»So? Dann wart halt! Und bleib nur sitzen!« Trällernd ging sie auf den Erker zu, schob den kleinen Vorhang von den Scheiben zurück, um besseres Licht zu haben, und begann an einem Stellnetz zu stricken, mit dem man in kleinen Bächen die Forellen fängt.

Schwer atmend saß Juliander am Tisch. Immer weiter beugte er sich vor – doch er sah an der Mauerkante des Erkers nur eine weiße Falte des Kleides und eine schattendunkle Hand, welche hurtig mit dem Garnschifflein auf und nieder tauchte. Manchmal, wenn die Hand ein wenig ungestümer ausfuhr, glitt der weite Aermel zurück und entblößte den runden Arm. Nach einer Weile – nur um etwas zu reden – fragte Juliander mit scheuer Stimme: »Fräulen, was ist denn das Ding an der Wand da?«

Sie neigte das schwarzumzitterte Köpfchen aus dem Erker vor und sah, daß Juliander nach dem Glasschrein deutete, in dem die drei silbernen Nadeln und die zwei goldenen Ringe flimmerten. »Was geht das dich an!« sagte sie ernst, beinahe heftig und strickte wieder am Netz. So konnte sie nicht sehen, wie Juliander erschrocken war. Und es dauerte lange, bevor er's mit Stocken herausbrachte: »Mußt verzeihen, wenn ich ein bißl uneben gefragt hab. Weißt, verzürnen hab ich euch ganz gewiß nicht wollen.« Der scheue Klang dieser Worte schien ihr aufzufallen. Denn das schwarze Köpfchen tauchte aus dem Erker. Doch sie schwieg und strickte weiter. Erst nach einer Weile sagte sie, ganz leise: »Was der Schrein dort hütet, das ist meiner lieben Mutter Haarschmuck und Ohrgehäng gewesen.«

Sie hörte das Tappen seiner schweren Schuhe, und als sie aufblickte, stand er vor ihr, mit den Fäusten vor der Brust. Und wieder sah sie ihn ganz verwundert an, als wär es für sie ein Neues, daß stumme Augen so deutlich sprechen können. Er hätt es ihr mit Worten gar nicht zu sagen brauchen: »Gelt, jetzt hab ich dir weh gethan mit meiner dummen Frag?«

Noch immer sah sie ihn an, dann schüttelte sie den Kopf und lächelte. Juliander ließ die Fäuste sinken und atmete auf, als wär ihm ein Stein von der Brust gehoben.

Da ließ sich ein Klirren von Eisen hören, die Thür der Kammer öffnete sich, und der Thurner erschien in so bedrohlichem Aufzug, daß Morella zuerst erschrak, dann aber in helles Lachen ausbrach. Herr Lenhard trug den Harnisch um Brust und Schultern, hatte den rechten Arm gewappnet, war in blankem Helm mit gehobenem Visier, und während er in der Rechten ein kurzes, kräftiges Schwert hielt, trug er in der Linken einen Zweihänder, noch länger als der Thurner groß war.

»Ja Babbo,« lachte das Räpplein, »willst mit der Resi fechten? Sonst weiß ich keinen Feind in der Näh.«

» Diavolo scatenato! Halt deinen Schnabel und strick an deinem Fischnetz!« schalt der Thurner. Sein Antlitz schaute noch grimmiger drein als zuvor, denn die Kinnschale des Helmes drückte ihm den gestutzten Bart nach oben, so daß man von seinem Gesicht nur Augen und Borsten sah. »Ich will wissen, was der Bub in den Knochen hat.« Er reichte dem Burschen den Zweihänder hin. »Da, nimm!« Als Juliander nicht gleich zugriff, schrie der Thurner: »So nimm doch! Das ist kein Eichkätzl, das dich in die Finger beißt! Ist nur ein Schuldrescher ohne Schneid!«

Juliander faßte das lange Schwert, während das Räpplein lachte: »Aber Babbo, so laß doch die Dummheiten!«

Bild: A. F. Seligmann

»Ich will wissen, was er in den Knochen hat, Schmalz oder Sägspähn?« Herr Lenhard schloß das Visier am Helm. »So, Bub, und jetzt schlag zu!«

»Um Christi Lieb, Herr Thurner,« stotterte Juliander, »wie soll ich denn vor deines Kindls Augen einhauen auf euch? Ich thu's nicht! Und nicht ums Leben!«

Noch mehr, als über den Ernst des Vaters, lachte Morella über Julianders ratlose Augen.

Herr Lenhard wurde ungeduldig. »Mach weiter und schlag zu! Daß mir der Streich nicht schadet, dafür sorg ich schon. Zieh aus, so fest du kannst! Und kerzengrad auf mein blankes Dach schlag her!«

Noch immer lachte Morella. »Aber laß doch gut sein, Babbo! Weißt ja doch eh, wie es kommt ... schlagst ihm halt das Eisen aus der Hand, wie einem jeden noch, den du in Prob genommen. So stark wie du ist keiner. Und die Prob ist ungleich, schau ... ein kundiger Kriegsmann wie du ... und ein Baurenbub!«

Juliander streckte sich. Dieser Zweifel an seiner Kraft trieb ihm das Blut zu Kopf. Langsam zog er, um auszuholen, den Zweihänder hinter sich. »Aufgeschaut, Herr Thurner!« Und die lange, schwere Klinge zuckte wie ein Blitz durch die Luft.

Herr Lenhard parierte mit Geschick und Ruhe. Doch all seine Kunst und alle Kraft seines geübten Armes reichte nicht aus, um diesem sausenden Schlag zu wehren. Rasselnd fuhr die schwere Klinge über das Helmdach nieder auf die gepanzerte Schulter – und Herr Lenhard wankte.

Morella schrie auf. Doch als sie den Vater nicht stürzen, nur taumeln und lachen sah, fuhr sie in Zorn auf Juliander zu. »Du Lümmel, wie kannst du denn so auf meinen Vater losschlagen!«

»Aber wenn er's doch haben hat wollen?« stammelte Juliander, und seinen verstörten Augen war es anzusehen, wie bitter er den groben Streich bereute.

Der einzig Vergnügte bei der Sache war Herr Lenhard. Lachend stülpte er den Helm von seinem roten Kopf und legte ihn mit dem Schwert, das eine tiefe Scharte bekommen hatte, auf die Ofenbank. » Corpo di Cane! Bub! Das ist ein Streich gewesen, der mir durch die Knochen hinuntergefahren ist bis in die große Zeh! Wär mein Harnisch nicht bester Stahl, du hättest ihn mir mit dem stumpfen Eisen durch und durch geschlagen!« Der Thurner guckte nach seiner gepanzerten Schulter und lachte wieder. »Räpplein, da schau her! Eine Dull hat er mir in den Stahl gehauen, daß man eine Bratwurst hineinlegen kann. Cospetto! Hab allweil nur einen gekannt, der besser mit dem Eisen streicht als ich. Jetzt weiß ich zwei: den Frundsberg und den langen Lümmel da!«

Morella war ganz still geworden. Ihr Zorn war vergangen, da sie den Vater so heiter sah, und hatte sich in ein widerwilliges Staunen über den Bauernbuben verwandelt, der stärker war, als der Thurner am Hangenden Stein.

In Eile zog Herr Lenhard den Schuppenhandschuh von der Faust und warf ihn zum Helm auf der Ofenbank. »Bub! Deine Hand gieb her! ... Dich muß ich haben!«

Juliander schien nicht zu wissen, wie ihm geschah. In der Linken hielt er noch immer das lange Eisen, während er in Erregung und Verlegenheit die Rechte zu befreien suchte, die der Thurner mit seinen groben Pranken umschlossen hielt.

»Dich muß ich haben, Bub! Einen Arm, wie du einen hast, den giebt's nimmer weit und breit im Land. Den muß ich schulen! Das soll mir Freud und Ehr sein in meinem Alter! Ich lös dich dem Kloster ab, daß du nimmer hörig bist ... als freier Mann sollst einstehen in meinen Dienst! Drei Jahr sollst bleiben bei mir! Ich will dich halten als meinen guten Gesellen, und lernen sollst von mir, was ich selber kann! Drei Gesellenjahr, die muß ich haben ... die will ich mich freuen an dir! Und hab ich dich fertig gemacht zu Fuß und Roß, so schick ich dich dem Frundsberg zu, mit einem Geleitbrief, der dir offene Thüren macht. Dich muß ich haben, Bub! Schlag ein!«

Ganz bleich war Juliander geworden. Er sah das Fräulein an, und das lange Eisen zitterte in seiner Hand.

»Bub! Schlag ein! Magst bleiben bei mir?«

Juliander schüttelte den Kopf.

»Du Narr, du vernagelter!« schrie der Thurner in hellem Zorn. »Du Unverstand! Che bell' e buono! Da schütt ich ihm einen Haufen Gold vor die Füß, und der Kerl will sich nicht einmal bucken drum!« Gewaltsam bezwang er sich, um einen milderen Ton zu finden. »So laß dir doch sagen, Bub ... es ist doch dein Bestes, was ich will! Der Weg, auf den ich dich führ, geht schnurgrad auf den kaiserlichen Hauptmann zu. In dir steckt alles Zeug zu einem Landsknechtführer, wie der Heberlin gewesen, wie's der Frundsberg und der Bastl Schärtlin ist.« Immer flinker lief die Zunge des Thurners, immer heißer wurde er und malte mit dicken Farben vor Julianders Augen ein Leben aus, das auf goldener Leiter hinaufstieg zum Ritterschlag, zu einer stolzen Burg und zu festen Ehren.

Doch Juliander stand vor ihm wie ein Stock ohne Sprache. Immer wieder irrten seine Augen über das Fräulein hin – immer wieder schüttelte er den Kopf.

Herr Lenhard that einen welschen Fluch und wandte sich an seine Tochter. »Ja sag doch, Räpplein, was für ein Mensch das ist! Hast einen solchen Esel schon gesehen auf Gottes Welt! Da heb ich dem Buben ein Leben hin, wie einen gebratenen Pfau auf goldenem Teller! Und der Klotz da redet kein Wörtl und schüttelt bloß allweil den bockbeinigen Dickschädel! ... Räpplein, so red ihm doch zu!«

Leichte Röte stieg in Morellas Wangen, während sie zögernd sagte: »So hör doch, Juliander, wie gut's der Vater mit dir meint! Warum willst denn nicht bleiben bei ihm?«

Juliander würgte nach Worten. »Schau, Fräulen, du hast deinen Vater lieb ... und schau, so viel wie dir der deinig, so viel ist mir der meinig wert.« Er war noch bleicher geworden, doch er konnte ruhig sprechen: »Mein Vater ist einschichtig geworden mit dem heutigen Tag, weil meine Schwester heuert. Mein Vater braucht mich. Und jetzt muß ich heim. Der Vater wird eh schon Sorg haben.« Er legte den Zweihänder auf den Tisch und nahm seine Kappe. »Vergeltsgott, Herr Thurner, für alles!« Mit ernsten Augen sah er das Fräulein an, und die Stimme erlosch ihm fast. »Vergeltsgott! Jetzt muß ich heim!« Aufatmend wandte er sich zur Thüre.

»So geh zum Teufel! Basta!« schrie Herr Lenhard hinter ihm her. »Und bleib auf deinem Misthaufen hocken! Du Bock, du bäurischer!«

Während der Thurner mit wütenden Schritten in der Stube auf und nieder ging und schwer unter dem Harnisch zu schnaufen begann, wartete Morella, bis sich hinter Juliander die Thür geschlossen hatte. Dann trat sie vor den Vater hin und sagte: »Aber Babbo! Was bist denn so grob mit ihm gewesen? Mit Lärm hab ich noch nie einen guten Vogel gefangen. Und der Bub hat recht. Schau, ich müßt dich nicht so lieb haben, wenn ich's nicht verstünd, daß der Juliander so treu an seinem Vater hängt.« Doch Herr Lenhard in seinem Zorn ließ diesen guten Grund nicht gelten. Er schalt und schrie, daß ihm die Adern an den Schläfen schwollen. »Babbo! Wenn du nicht gut wirst, geh ich aus der Stub.«

» Corpo di Bacco! Willst du dich auch noch aufspreizen gegen mich, du Spatz! Das wär mir das Wahre!« Herr Lenhard ließ die Faust auf die Tischplatte sausen, daß es krachte.

Schweigend kramte Morella das Fischnetz mit dem Garn zusammen und verließ die Stube. »Räpplein!« schrie der Thurner. Aber sie war schon draußen und eilte über eine steile, dämmerige Holzstiege hinauf in ihre Kammer. Es dunkelte schon in dem kleinen Raum, der keine Fenster hatte, nur die verglaste Thür, die zur Altane führte. Wohl um Helle in die Kammer zu bringen, ging Morella auf diese Thüre zu und machte sie auf. Im gleichen Augenblick hörte man das Aechzen der Ketten, mit denen vor dem Thor die Brücke aufgezogen wurde. Mit raschem Schritt trat Morella auf die Altane hinaus. Sie achtete in ihrem leichten Kleid der Kälte nicht, die ihr entgegenwehte, und schien nicht zu fühlen, daß ihr leichtbeschuhter Fuß bis an den Knöchel in den Schnee der Altane trat.

Im kalten Dämmerglanz des Abends sah sie einen gegen Schellenberg wandern, langsam, mit gebeugtem Kopf. Jetzt blieb er stehen, wandte das Gesicht und schaute lange nach dem Thor zurück, das sich geschlossen hatte hinter ihm. Er stand und schien die lärmenden Stimmen nicht zu hören, die sich ihm näherten.

Morella erkannte vier Waffenknechte, die mit einem Maulthier von Schellenberg die Straße einherkamen. Die Leute schienen es eilig zu haben, und deutlich konnte man in der stillen Winterluft ihre Stimmen unterscheiden, die heiser durcheinander klangen, als wären die Knechte betrunken.

Jetzt mußte auch Juliander aus seinem Schauen erwacht sein und die Stimmen vernommen haben. Denn er wandte sich und ging mit ruhigem Schritt seinem Wege nach, den Knechten entgegen. Die wurden plötzlich still. Morella sah, wie sie zu einander traten, wie sie mit geschulterten Spießen wieder auseinander gingen und sich vertheilten über die ganze Breite der Straße. Juliander war stehen geblieben, als wäre die Ahnung einer Gefahr in ihm aufgetaucht. Dann ging er wieder. Als er nur wenige Schritte noch von den Vieren entfernt war, sah Morella, daß die Knechte plötzlich ihre Spieße vorwarfen und auf Juliander eindrangen. Von Schreck befallen schrie sie über die Altane hinunter: »Babbo! Babbo!« Und als sie wieder aufblickte, sah sie Juliander in rasendem Laufe gegen das Burgthor eilen, die Knechte hinter ihm her. »Wärtel!« rief sie mit gellender Stimme, daß es hallte an den alten Mauern. »Wärtel! Wärtel!«

»Fräulen, ho? Was ist denn?« klang es vom Wehrgang der Mauer.

»Das Thor thu auf! Und die Bruck hinunter!«

»Da muß ich den Herren fragen.«

In ihrer Sorge wußte sich Morella nicht anders zu helfen als mit einem der welschen Kraftworte, die sie täglich vom Vater hörte. » Corpo di Cane! Thust du nicht gleich das Thor auf, Wärtel, so soll es dir schlecht ergehen!« Zitternd wartete sie noch, bis sie die Ketten der Brücke rasseln hörte, dann warf sie ein Tuch um die Schultern und eilte in den Flur hinunter. »Babbo! Babbo!«

Herr Lenhard, noch immer im Harnisch, kam aus der Stube gefahren. »Was ist denn?«

»Den Juliander erschlagen sie ... vier Knecht, die erschlagen den Juliander!«

»Gottes Tod!« Der Thurner verschwand in der Stube – man hörte Eisen klirren – und dann kam er wieder, mit dem Helm auf dem Kopf, in der Faust das schartig geschlagene Schwert. Als er in den Hof hinausstürmte, jagte Juliander gerade zum Thor herein. Herr Lenhard lachte. »So, Bub? Kommst mir wieder?«

Juliander war ohne Atem. Er konnte nicht sprechen und fuhr sich mit der Hand über die Augen. Dann sah er das Fräulein an – und lächelte, trotz aller Erschöpfung, die aus seinen Zügen sprach.

Schreiend, mit gefällten Spießen, erschienen die vier Waffenknechte im Thor.

»Die Spieß nieder!« rief ihnen Herr Lenhard zu. »Oder der Friedensbruch soll euch übel zu stehen kommen!«

Während das Maulthier mit dem leeren Saumsattel durch das Thor hereintrabte, hoben die vier Knechte ihre Eisen. So blind hatte sie der Wein noch nicht gemacht, daß sie die sieben Reisigen nicht gesehen hätten, die bewaffnet aus dem Knechthaus gelaufen kamen.

»Die Bruck hinauf!« befahl der Thurner. Und als die Ketten rasselten, ging er auf die Salzburger zu. »Was soll das heißen, Leut! Was wollt ihr?«

»Den Bauer da,« sagte der Rottmann der Knechte, »den Bauer wollen wir haben, der sich in eure Hut geflüchtet hat. Gebt ihn heraus! Der ist unser!«

»Der ist euer? So?« Herr Lenhard wandte sich an Juliander. »Sag, Bub! Was hat's gegeben?« Der Rottmann der Salzburger wollte reden. Aber der Thurner schnitt ihm das Wort ab. »Ich hab den Buben gefragt, jetzt redet der Bub! Wie war's?«

»Ich bin meinen Weg gegangen in aller Ruh,« erwiderte Juliander, »und wie ich die Spießknecht kommen seh, da ist mir gleich gewesen, als hätten sie was getuschelt wegen meiner. Aber ich denk mir: was sollen sie denn haben gegen mich? Und bin zugegangen. Aber da fallen sie mich auf einmal an mit den Spießen, und derweil ich einen Sprung auf die Seit mach, hör ich noch, wie einer schreit: ›Der soll uns zahlen für die Schellenberger!‹ Alle vier sind her über mich ... ich hab einen Zaunpfahl aus der Straß gerissen und hab mich wehren wollen ... aber da geht's mir durch den Kopf: Bub, wenn dich wehrst und schlägst einen nieder, so bist im Elend! Niederstechen laßt man sich auch nicht gern ... und so hab ich halt die Füß gestreckt.«

Die Salzburger hatten Julianders Worte mit lautem Gelächter begleitet, und der Rottmann schrie: »Das ist gelogen, als hätt's der Luther gedruckt!«

»Das ist wahr, Babbo!« fiel Morella mit bebender Stimme ein. »Von meiner Kammer hab ich alles mitangesehen.«

»Da muß sich das Fräulen verschaut haben!« schrie von den Knechten einer. Und der Rottmann sagte: »Ein Haufen Leut und Knappen haben uns in Schellenberg den Prädikanten mit Gewalt vom Säumer gerissen.« Er deutete mit dem Spieß auf Juliander. »Und der ist dabei gewesen! Drum gebt uns den Mann heraus, Herr Thurner! Oder ihr kommet bei meinem Herrn in üble Ding hinein!«

»Babbo!« stammelte Morella.

»Nur still, Räpplein!« Dem Thurner schwollen die Adern an der Stirn, und er schrie den Rottmann an: »Jetzt will ich euch sagen: das ist gelogen, als hätt's ein Ablaßbruder gepredigt! Seit Mittag bis zur jetzigen Stund ist der Bub bei mir im Haus gewesen. Und wenn ihr nicht macht, daß ihr weiter kommt, kehr ich euch zum Thor hinaus, wie man Dreck mit dem Besen schiebt! ... Wärtel! Die Bruck herunter!«

Die Salzburger erhoben ein wüstes Geschrei, drohten mit Fäusten und Spießen, und der Rottmann brüllte: »Das soll euch übel gezahlt werden von meinem Herrn!«

»Sag deinem Herrn, daß ich allen Weg Rechtens gut und weislich kenne! Ihr habt eine Schuld auf den Buben geworfen ... und wenn's auch gelogen ist ... der Bub soll aufgehoben sein für den Spruch. Ich bürg deinem Herrn, daß der Bub keinen Schritt aus meiner Mauer thut, eh nicht ein Urtel wider eure Klag ergangen ist.« Herr Lenhard winkte einem seiner Leute. »Lorenz! Führ den Buben in den Thurm! Die Salzburger sollen sehen, daß ich ihn einthun laß.«

Juliander war bleich geworden, doch er sagte kein Wort. Das Fräulein aber fuhr auf den Vater zu und faßte seinen Arm. »Babbo!«

»Laß mich in Ruh!« Der Thurner schob sein Kind beiseite. »Vor deinem Erbarmen geht das Recht seinen Weg!« So ernst Herr Lenhard das sagte, es zwinkerte doch wie heimliche Freude um seine grimmigen Augen. Und plötzlich alles Zornes ledig, ganz höflich, sagte er zu den Salzburger Knechten: »So! Jetzt Gott befohlen, ihr gerechten Diener eures Herrn! Schauet zu, daß ihr noch heim kommt vor der Nacht! Es wird finster, und ihr könntet euch bei einem rauschigen Fall die schönen bischöflichen Nasen verstauchen!«

Unter Geschrei und fluchend zogen die Salzburger ab, mit dem Maulthier am Strick – und als sie draußen waren, hob sich die Brücke. Lachend guckte Herr Lenhard hinüber zu dem kleinen eisernen Thürlein des Thurmes, in welchem Juliander gerade verschwand. Da trat Morella vor den Vater hin, erregt, mit großen Augen. »Aber Babbo! Wie kannst du nur den schuldlosen Buben in den Thurm legen?«

Bild: A. F. Seligmann

»Ja! So ein Unmensch bin ich! Und will sorgen dafür, daß der Bub so bald nicht wieder hinauskommt auf die Straß!«

»Aber Babbo! In so einer kalten Nacht!«

» Non me n' importa un fico! Hast du Sorg um den Buben, daß er frieren muß, so laß ihm eine Glutpfann heizen! Kannst ihm auch einen Buschen Haberstroh hinunterschicken und ein Kanndl Wein dazu. Das Stroh macht warm von außen und der Wein von innen. Basta!« Mit diesem Schlußwort stapfte Herr Lenhard eisenklirrend ins Haus.

Frau Resi mußte in der Stube die Kerzen auf dem Hirschgeweih anbrennen, und für den Thurner kam eine harte Stunde. Er hatte seinem fürstlichen Herrn, dem Propst von Berchtesgaden, schriftlich zu berichten, daß man einen gefangenen Mann, den vier Salzburger Knechte durch die Burghut geführt, zu Schellenberg vom Maulthier gerissen hätte. Was Herr Lenhard von der Sache wußte, war in wenigen Zeilen gesagt – aber die paar Zeilen machten den Thurner schwitzen. Während er mühsam mit dem Gänsekiel die verschnörkelten Buchstaben niederkritzelte, rieb er immer wieder die Schulter unter dem Wams. »Ist nur gut, daß der Bub nach links gedroschen hat, sonst könnt ich gar nimmer schreiben.« Noch war er mit seiner harten Arbeit nicht zu Ende, als Frau Resi das Nachtmahl brachte. Sie legte nur einen einzigen Teller auf. Verwundert zog der Thurner die Brauen in die Höhe. »Soll das Räpplein vielleicht aus der Schüssel schlappern, wie ein Dachshund?«

Frau Resi schmunzelte unter schadenfrohem Blick. »Dem Fräulen ist der Hunger vergangen. Sie ist in ihr Kämmerlein hinauf und hat sich schlafen gelegt.«

»So, so, soooo? Das Räpplein trutzt?« Herr Lenhard lachte. Dann aß er sich gemütlich satt und nahm die böse Arbeit wieder auf. Nach manchem Seufzer war endlich das ›Sauschwanzerl‹ – wie Herr Lenhard den Schnörkel nannte – unter das letzte Wort gekritzelt. Von dem Gaste aber, der in den kalten Thurm gewandert, und von dem Auftritt, den der Thurner mit den Reisigen hatte, stand in dem Briefe kein Wort. Herr Lenhard mochte seine guten Gründe dafür haben, daß er das sorgenvolle Gemüt seines Herrn nicht auch mit dieser Kleinigkeit noch beschweren wollte.

Es war dunkle Nacht geworden, als der Bote, der den Brief nach Berchtesgaden zu bringen hatte, zum Burgthor hinausritt.

Bei den ersten Häusern von Schellenberg begegnete dem Reiter ein Bauer.

Das war der alte Witting.

Obwohl am Himmel die Sterne blinkten und der frisch gefallene Schnee auf der Erde lag, war doch die Nacht so finster, daß Witting den Weg über den Hang hinauf zum Wiesengütl nur langsamen Schrittes fand. Als der Weg wieder eben wurde, leuchtete dem Alten der Feuerschein der Herdstube entgegen, an der die Thüre offen stand. Und ehe Witting noch die Hecke erreichte, klang ihm schon die Stimme der Maralen entgegen: »Vater! Bist du's?«

»Ja, Lenli!«

»Aber geh, so spät!« Maralen kam gelaufen. »Schier vergangen bin ich vor Sorg.«

»Weil ich allweil auf den Buben gewartet hab! Was muß denn der für einen Weg gegangen sein? Und wann ist er denn fort?«

»Aber der ist ja schon fort seit Mittag! Der müßt ja doch lang schon daheim sein.«

»Er ist nicht gekommen. Und allweil hab ich gewartet.«

Maralen fand in ihrer Sorge nicht gleich eine Antwort. Um den Vater zu beruhigen, sagte sie: »Schau, wir haben doch die ganze Zeit her allweil geredet, was für ein Wandel mit dem Buben geschehen. Wenn's wahr ist, daß ihm eine Dirn lieb geworden ... ich mein', da muß er heut an ihr Fenster gegangen sein und muß ihr ein liebes Wörtl gesagt haben ... weil ich doch morgen mein Fest hab.«

»Wenn's nur so ist! ... Und kommt er morgen in der Früh, so soll mir alles recht sein.«

Sie gingen zum Haus. Ehe sie zur Thüre kamen, legte Maralen den Arm um den Hals des Vaters und flüsterte: »Du! Vom Josef muß ich dir auch was sagen.«

»Was denn?«

»Ich weiß nicht, was er hat ... den ganzen Tag allweil ist er so freudig gewesen, und jetzt auf den Abend ist er so still geworden, ich weiß nicht wie!«

»Da mußt dich nicht sorgen, Lenli! Der spürt halt sein Glück. Und das Glück, schau, das ist wie ein Widerspiel vom Wein. Schön still hebt einer das Trinken an, und im Rausch, da geht das Lärmen und Schreien los. Aber im Glück, wenn's anhebt, jauchzet und schreit ein jeder ... hast es aber fest und spürst es in der tiefsten Seel ... schau, Lenli, da macht's einen still.«

Josef war in der Thür der Herdstube erschienen. Herzlich, doch mit sparsamen Worten begrüßte er den Vater. Als sie in der Stube waren, beim hellen Schein des Feuers, betrachtete Witting mit forschenden Augen Josefs Gesicht. Doch er konnte keinen Grund zur Sorge finden – Josef plauderte lächelnd und ruhig. Sie setzten sich um den Tisch. Als Maralen aus dem Kruge die zwei hölzernen Becher füllen wollte, fragte sie: »Josef? Das ist doch meiner Lebtag keine Maß? Die müssen schlecht gemessen haben im Leuthaus.«

»Gemessen war gut. Aber ich hab einen trinken lassen, den gedürstet hat.«

»Gott soll ihm den Trunk gesegnen!« Maralen füllte die Becher.

»Kinder!« sagte Witting. »Ich bring's eurem festen Glück!«

»Vergeltsgott!« erwiderten die beiden. Sie saßen nebeneinander und tranken zu zweit aus einem Becher.

Als sie gegessen hatten, wollten sie – weil der Vater müd sein mußte – gleich zur Ruhe gehen. Maralen sollte in der Kammer schlafen, und Josef richtete neben dem Herd ein Lager für sich und den Vater, der in die Kammer gegangen war, um drin ein Spanlicht aufzustecken. Weil es für die dritte Schlafstatt an einer Decke mangelte, sagte Maralen: »Gelt, Josef, deine Zudeck giebst dem Vater?«

»Freilich, hab sie schon hingelegt.«

»Kannst dich ja zudecken mit deinem Mantel.« Sie ging zur Thür, aber da hing kein Mantel am Nagel. »Josef, wo ist denn der Mantel? Hast ihn doch angezogen ins Leuthaus. Wo ist er denn?«

»Den Mantel hab ich einem geliehen, der frieren hat müssen.«

»Aber Josef!«

Lächelnd strich er ihr mit der Hand übers Haar. »Schau, Lenli, der Mann in seiner Blöß hat so gezittert vor Kält! Und mir ist so warm gewesen in meinem freudigen Glück!«

»Geh, du!« Sie war nur halb beruhigt. »Aber kriegst ihn doch wieder?«

»Den krieg ich schon wieder, ja!«

»Morgen?«

Da nahm er sie in die Arme, und sein Gesicht an das ihre schmiegend, sagte er leis: »Aber, Lenli! Soll ich denn morgen an meinen Mantel denken?«

Stumm überließ sie sich seiner Zärtlichkeit und erwiderte seinen heißen Kuß. Doch er fühlte, wie sie zitterte in seinen Armen.

»Schatzl, was hast denn?«

Sie konnte nicht sprechen, sah ihm nur in die Augen. Und da hörten sie nicht, daß der Vater aus der Kammer trat.

»So red doch, Schatz!! Was hast denn?«

»Ich weiß nicht, Josef, und schau, es ist nicht wegen dem Mantel. Aber eine solche Angst ist in mir ... ich kann dir's gar nicht sagen! Und das hat angefangen, wie du vom Leuthaus heimgekommen bist.« Sie nahm sein Gesicht in ihre beiden Hände. »Josef! Sag mir's! Ist was geschehen auf deinem Weg zum Leuthaus?«

Er zögerte mit der Antwort. Dann sagte er lächelnd: »Ja, Lenli, 's ist wahr, ich hab dir was verschwiegen.«

»Jesus Maria!«

»Schau nur, du Närrlein du liebs ... wie du schon wieder zitterst! Aber kannst mir's glauben, bei der ganzen Sach ist nicht die mindeste Sorg dabei.« Während er sie fest an seine Brust geschlungen hielt, erzählte er, was er vom Bramberger erfahren und was er vor dem Leuthaus gesehen. »Und schau, da hab ich's halt aus Erbarmen thun müssen, daß ich dem armen Menschen meinen Mantel auf seinen nackigen Leib gelegt hab. Sonst ist nichts geschehen, und ich bin heimgegangen. Aber das Elend, das ich da gesehen hab, bat mich halt ein bißl still gemacht. Und ich hab dir's verschwiegen, schau, weil ich so eine grausige Sach nicht hab hineinmengen mögen in deine Freud, Lenli, und in unser Glück.«

Die dunkle Angst der letzten Stunden löste sich von ihrem Herzen. »Vergeltsgott, Josef, weil du mir alles gesagt hast! Da ist freilich keine Sorg dabei. Ein barmherziges Werk thun, ist doch kein Unrecht.« Sie strich ihm mit der Hand über die Stirn und glänzte ihn mit ihren frohgewordenen Augen an, als sollte ihr heller Blick aus seiner Seele die finstere Erinnerung verscheuchen, die ihn so still gemacht. »So viel gut bist du!« Dann küßte sie ihn. »Und gelt, jetzt gehen wir schlafen! Gut Nacht, Josef!«

»Gut Nacht, Lenli!« Und flüsternd fügte er bei: »Auf Morgen!«

»Morgen!«

Lächelnd, mit glühenden Wangen, standen sie Aug in Auge, und ihre Hände preßten sich ineinander.

Als Maralen dem Vater gute Nacht wünschte, nickte der Alte nur und machte sich am Herd zu schaffen.

An der Kammer schloß sich die Thür, und Josef legte einen Wurzelklotz ins Feuer, damit die Stube bis zum Morgen warm bliebe. In den Kleidern streckten sich die beiden Männer auf das Stroh – nur die Schuhe streiften sie von den Füßen.

»Vater?« fragte Josef. »Warum redest denn kein Wörtl nimmer?«

Der Alte gab keine Antwort. Er schüttelte nur den Kopf und grub sich ins Stroh.

Die halbe Nacht verging.

Josef schloß kein Auge, und immer hörte er, wie sich der Alte in Unruh von einer Seite auf die andere warf.

Da fragte er endlich: »Vater? Liegst nicht gut?«

Witting setzte sich auf und flüsterte: »Bub! Geh, ruck ein bißt her zu mir, aber still, daß wir 's Lenli nicht wecken.« Neben dem Lager des Vaters setzte sich Josef auf den Herdrand. »Josef?« fragte Witting mit lispelnder Stimme. »Hast dem Lenli auch alles gesagt ... von dem Mann da, den die Salzburger gebüßt haben?«

»Ja, Vater, alles!«

»Und weißt auch nicht, was weiter geschehen ist?«

»Nein! Ich hab meinen Mantel gegeben, hab meinen Krug genommen und bin gegangen! ... Aber was hast denn, Vater? Was machst denn so ängstige Augen?«

»Bub ... wie ich durchs Ort herunter gegangen bin,« Witting rückte näher, und seine Stimme wurde noch leiser, »da sind die Leut bei den Thüren gestanden und haben getuschelt ... und beim Hinlusen hab ich's aufgeschnappt: die Knappen hätten den gebüßten Mann vom Maulthier gerissen und davon geführt.«

»Jesus!« stammelte Josef. »Es wird doch der Toni nicht mitgethan haben!«

»Da hast nicht fehl geraten. Allweil hab ich's aus dem Getuschel der Leut wieder hören können: der Bramberger, der Bramberger ...«

»Herr du mein! Der Bub macht sich ja elend für's Leben!«

»Und wo der Julei sein muß! Daß er nicht heimgekommen ist! ... Josef! Es wird doch der Bub um Christi Lieb nicht dabei gewesen sein ... bei der schiechen Sach da!«

Das redete Josef dem Vater aus.

Doch der Alte flüsterte immer wieder: »Gar nimmer auslassen thut mich die Angst! Gar nimmer auslassen!«

Die beiden schliefen nicht mehr in dieser Nacht.

Bild: A. F. Seligmann


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