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Bild: A. F. Seligmann

12.

Auf der Straße, die vom Klosterthor ins Thal der Ache führte, trafen Witting und Maralen zusammen. Sie sprachen nicht miteinander, so lange sie im Trubel der Menschen waren, in all diesem Lärm und Geschrei. Auf die vermummten, von einer wilden Freude durchzitterten Reden, die ihnen bald ein Bauer und bald ein Knappe zurief, gaben sie keine Antwort.

Während sie von der Straße abbogen, um den Weg zur Gern hinaufzusteigen, klang aus einem lärmenden Menschentrupp die Stimme des Schmiedhannes. Der spielte sich groß auf, als wäre er der Held des Tages und der Funke, der dieses brennende Feuer in all den tausend Köpfen entzündet hatte.

Immer rascher stiegen Maralen und Witting bergan. Und plötzlich klammerte der Alte die Hand um den Arm seiner Tochter. Erst sah er sich nach allen Seiten um, dann fragte er flüsternd: »Lenli? Der den jungen Bauren gemaskert hat ... gelt, der ist's gewesen?«

»Wer?«

»Derselbig, nach dem ich schreien hab müssen am roten Abend zu Salzburg?«

Maralen schwieg.

Tief atmend wandte Witting die Augen nach dem Thal hinunter. Wie ein Gesumm von schwärmenden Bienen klang noch von überall her der dumpfe Stimmenlärm über den verschneiten Wald herauf. Und wo die Lücken des Waldes einen Blick ins Thal öffneten, sah man auf allen Wegen im sonnigen Schnee die Menschen wimmeln wie kleine graue Käferchen.

Witting schüttelte den Kopf, als hätte ihn schwere Sorge befallen. »Lenli, heut hat er eine Narretei gemacht.«

»Wer?«

»Der den jungen Bauren gemaskert hat.«

Maralen sah den Vater fragend an.

»Wie du selbigsmal am Morgen heimgekommen bist von deinem Nachtweg, da hast mir gesagt: ›Die zahlende Stund muß niederfallen auf die Herren wie eine Lahn.‹ Aber weißt denn, Lenli, wie eine Lahn ins Laufen kommt? Da liegt der Schnee auf dem ganzen Berg und thut keinen Rührer, und da weiß kein Bröslein, was kommen soll in der nächsten Stund. Ein einziger Ballen, ganz droben in der Höh, hebt gählings das Laufen an, und da reißt er den ganzen Bergschnee mit. Und so hätt's sein müssen mit unserer guten Sach.«

»Und so wird's kommen, Vater!«

Wieder schüttelte Witting den Kopf. »Schau nur hinunter da, wie die Bröslein laufen im Thal! Und hast nicht gehört, wie der Schmiedhannes rumpelt? Lenli, da wird meiner Lebtag keine große Lahn draus! Mit einem guten Gedanken ist's wie mit einem neuen Groschen. Lauft er durch tausend Hand, so schleift er sich ab, und willst nachher zahlen mit ihm, so nimmt ihn keiner mehr an, als bloß der Schelm, der einen andern damit betrügen möcht. Der zahlende Tag hätt kommen müssen ... und ein Stündl früher hätt unter tausend bloß ein einziger wissen dürfen: er kommt. So wär die Lahn geworden, so, wie du's gemeint hast bei deinem Werben. Aber jetzt schau hinunter da ... jetzt ist der gute Groschen unter tausend Leut geworfen!«

»Und die Hoffnung ist Feuer worden in tausend Herzen!«

»Aber tausend Köpf, die haben tausend Willen. Und da wird ein jeder laufen, wie's ihm taugt, und bis die Lahn ins Thal kommt, wird aus der guten großen Sach ein Kinderspott. Und die Herren sind geschreckt und wissen, daß sie sich wehren müssen.« Witting verstummte. Denn der Meingoz, der Frauenlob mit seinem Buben, der Dürrlechner und noch ein paar andere kamen durch den Wald heraufgestiegen und holten die beiden ein. Und da gab es ein wirres Schreien, ein Lärmen und Jauchzen. Am tollsten von allen trieb es der Meingoz. Der stille, schüchterne Mensch war ganz verwandelt, immer fuchtelte er mit den Fäusten, und wie ein Besessener schrie er: »Ein Spiel wollen wir anheben um unser gute Sach, ein Spiel, von dem man noch singen soll in tausend Jahr! Weh jedem Junker und Pfaffen! Weh jedem Herrenkind im Mutterleib! Unser Freiheit reitet über alles weg!«

Und jeder schrie es dem anderen zu: »Der Joß ist wieder im Land! Der Joß!« Denn alle, die in jener Sonntagnacht um das Feuer gestanden, hatten unter der Maske des jungen Bauern die Stimme des Schwaben erkannt. »Heut trag ich die Glut in meinen Stadel,« rief der Dürrlechner, »heut kommt der Joß! Da wett ich drauf, daß er kommt!« Das Wort ging weiter, und bis es der vierte dem fünften sagte, hieß es schon: »Komm in der Nacht zum Feuer! Der Joß will reden mit uns.«

Als am kalten Abend die Sterne flimmerten, leuchtete im Dürrlehen ein roter Glutschein aus der Tenne, deren Thor in dieser Nacht nicht geschlossen war. Weit offen stand es, als käme die Ernte angefahren. An die vierzig Männer waren schon lärmend um die Glut versammelt, als der Schmiedhannes. eintraf. Den Mantel mit der Gugel abwerfend, wies er den Bauern das lange blanke Schwert, das er mitgebracht hatte. »So, Leut! Jetzt sollen die Klosterknecht nur kommen!« Das funkelnde Eisen über die Kniee legend, ließ er sich auf den Sessel nieder, den man für Joß Friz in die Tenne getragen hatte. Und Hannes war nicht der einzige, der in Waffen gekommen. Alle trugen die kurzen Messer im Gürtel – dazu war der eine mit einer alten Armbrust bewaffnet, ein zweiter mit einer Hakenbüchse, zu der ihm nur noch Blei und Pulver fehlten, ein dritter mit einem Morgenstern, dessen Keule er mit Hufnägeln gespickt hatte, ein vierter mit einer Sense, die er wie eine Sperklinge an den Stiel eines Dreschflegels gebunden, ein fünfter mit einem verrosteten Zweihänder, den sein Vater als Landsknecht getragen hatte – Waffen, über die sie selber lachten, und die sie dennoch ernst nahmen. Mit lauten Stimmen schwatzten und schrieen sie durcheinander; keiner fürchtete einen Lauscher, keiner zitterte vor einer Gefahr. Wie trunkener Jubel war es in allen. Bald standen hundert um die Glut in der Tenne und vor dem Scheunenthor im Schnee.

Joß Friz aber kam noch immer nicht.

Und auch der alte Witting fehlte.

Der saß daheim in seiner Herdstube neben dem Feuer und schärfte das Eisen an den Bolzen, die er für die Armbrust seines Vaters gefertigt hatte. Und Maralen fiederte die Schäfte. So oft sie einen Bolzen fertig hatte, murmelte sie mit ihrem steinernen Lächeln: »Flieg einem ungerechten Herren ins Herz!«

Als Witting mit seiner Arbeit zu Ende war, legte er die Hände in den Schoß und starrte gebeugten Kopfes vor sich nieder. Maralen, die ihn so sitzen sah, wurde unruhig. Sie schien zu suchen, was sie ihm sagen wollte. »Vater? Magst nicht hinaufgehen zum Dürrlechner?«

Der Alte schüttelte den Kopf. »Ist der Joß gekommen, so schickt er um mich. Und ist er ausgeblieben, so kann ich warten.«

Lange sah ihn Maralen an. »In dir ist das Warten Tag und Nacht, wie in mir das Denken an meinen Josef. Aber der, auf den du wartest, Vater, das ist der Joß nicht.«

Witting drückte das Gesicht in die Hände.

Da setzte sich Maralen an seine Seite und schmiegte ihre Wange an die seine. Und Witting – als hätte diese lang entbehrte Zärtlichkeit alle Riegel seines verschlossenen Herzens zerbrochen – klammerte die Arme um Maralens Hals und schluchzte: »Lenli, ich sterb vor Bangen um meinen Buben! Und bin ein schlechter« Mensch! Und kann mich nicht anders machen, als ich bin! Und ich muß dir beichten, schau ...« Wie von Sinnen war er, und seine schluchzende Stimme wurde zu erwürgtem Gestammel. »Der Anderen Not ist mir wie die meinig, und Blut und Leben thät ich lassen für die Nachbarsleut ... wenn's für alle zum Guten ist ... und ich hab geschworen, und geht's an ein Schlagen, so schlag ich zu! Aber tief in mir drin, Lenli, da ist bloß ein einziges! Und das bist du! Und das ist mein Bub! Und die Sorg um euch, die frißt mir das ander alles auf! Und ich hab keinen Glauben, schau ... und spür's in mir drin: alles, was umgeht unter den Leuten, ist Narretei, und alles Blut, das laufen wird, ist bloß wie ein Regen im Sand! Und nichts wird besser, und alles wird schlechter bloß! Und du mußt dein Elend haben ... und mein Bub ... was wird aus meinem Buben?« Am ganzen Körper geschüttelt von diesem thränenlosen Schluchzen, drückte er das Gesicht an ihre Brust, daß seine Stimme fast erlosch. »Jetzt weißt, wie's ist in mir! Jetzt sag mir, wie schlecht ich bin ... und reiß mir das rote Fädlein vom Hals ...«

Maralen schloß die Arme um den Vater und blickte mit heißen Augen auf ihn nieder. »Ein jeder ist, wie er ist! Und du bist von den Schlechten keiner. Ich bin nicht besser wie du. Denn was ich thu, das thu ich um meines Josefs Blut, das schuldlos hat rinnen müssen. In mir ist Zorn und Haß. Und in dir ist Lieb. Und Lieb ist nie noch ein schlechtes Ding gewesen. Ist allweil noch das best auf der Welt.« Sie streichelte ihm das weiße Haar – und dann neigte sie sich plötzlich zu ihm nieder und flüsterte: »Sollst deinen Buben wieder haben! Und bald! Ich hab geschworen, daß ich schweig ... aber ich muß dir's sagen, daß deine Ruh wieder hast! Und den guten Glauben! ... Vater, lus auf!« Noch leiser wurde ihre Stimme. »Der Bauren Bund ist fest, Land aus und ein. Alle und alle im Land, die in Not und Elend leiden, drängen dem Luther zu. Der soll ein festes Volk aus den mühsam Geplagten machen, einig und deutsch. So will's der Bauren Bund. Vierhunderttausend haben geschworen. Die Freiheit steht auf, und die Herren fallen. Zwischen heut und morgen soll ich Botschaft kriegen vom Joß, wann auf dem Untersberg die Feuer brennen müssen. Und tausend Feuer brennen in der gleichen Nacht im Bergland überall und draußen im Unterland. Vater, die leuchten zum Herrentot! Und am Abend, vor ich das Feuer anzünd, geht noch mein Weg zu deinem Buben. Ich sag ihm, was er wissen muß, und steht kein Thor mehr offen, so thut der Bub den Sprung von der Mauer.«

Witting hob das Gesicht. »Da kennst du den Buben nicht! Der Bub hat dem Thurner schwören müssen. So bleibt er auch. Und wenn's um sein Leben ging! ... Lenli, es ist in mir wie eine feste Sach, daß ich meinen Buben nimmer seh!«

»Vater!« Maralen sprang auf. »Wie magst denn so verzagt sein!« Sie rüttelte ihn an der Schulter. »Schau mich an! Für mich ist doch alles hin! Denn der Tod wird nimmer lebend. Und doch ist ein Hoffen in mir ... wenn ich gleich selber nicht weiß, auf was! ... Und kommt dein Bub nicht aus Lieb zu dir, und thut er den Sprung nicht über die Mauer, so geh ich selber und hol dir den Buben. Am ersten Morgen nach der Feuernacht, wenn die Brüder vom roten Fädlein zum Haufen ziehen, geht ihr Weg hinaus zur Burghut am Hangenden Stein. Und liefert der Thurner den Buben nicht gutwillig aus, so reiß ich die Mauer nieder ...« Verstummend lauschte sie. Man hatte draußen ans Hagthor gepocht – drei Schläge klangen, dann zwei, dann einer. »Vater!« schrie Maralen auf. »Das ist Botschaft vom Joß!« Sie eilte aus der Stube.

Langsam erhob sich Witting und blickte zur Thür. Seine Hände zitterten, seine Augen waren weit geöffnet. Als er draußen im Schnee ein Geräusch vernahm wie von eilenden Schritten, hob er die Arme, als möchte er das erlösende Wort, auf das er wartete, mit Fäusten greifen, wenn es käme.

Da stürzte Maralen in die Stube. »Vater!« Das klang wie ein Schrei in Freude. »Am Sonntag Judica sollst deinen Buben haben!« Sie stieß die Thür wieder auf, die hinter ihr zugefallen war. »Und da schau her! Da kommt ein Ablaßbruder! Der bringt dir ein gutes Heilwörtl für dein müdes Herz!«

Auf der Schwelle erschien eine Gestalt, dunkel und hager, in einer Mönchskutte, mit einem schweren Zwerchsack auf dem Rücken. Lustig kichernd machte der Bruder das Zeichen des Kreuzes und sagte: » Pax domini vobischcum

Bild: A. F. Seligmann

»Joß!« stammelte Witting.

»He jo! Er isch es, der Joß!« Und lachend warf der Schwabe den Zwerchsack nieder und streifte mit dem linken Arm, den er nicht recht bewegen konnte, die Kapuze vom Kopf. Der flackernde Herdschein beleuchtete sein völlig ergrautes Haar und ein Gesicht, so abgezehrt von Krankheit und Entbehrung, daß es nur noch Haut und Knochen war.

Erschrocken und wortlos umklammerte Witting die Hand des Schwaben. Joß Friz schien diesen Blick zu verstehen. Und wieder lachte er. »Ein bissele gmageret hab ich, gell? Und kloine Kinderle, die haben Angst vor mir, weil ich dem Gvatter Tod ein bissele gleichschau.« Es funkelte in seinen Augen. »Und 's isch mir recht so! Denn weißt, der Joß ischt das Segesmännle, Der Sensenmann. das der Herreluschtigkeit ihr leschtes Liedle geigt.« Er reckte sich. »Sag, Witting, bischt heut zur lustigen Fasnacht zfriede gwese mit'm Joß?«

Der Alte zögerte mit der Antwort. »Das ist ein schieches Spiel für die Herren gewesen! Soll's nur auch der guten Sach zum Guten taugen.«

»Es taugt! Es taugt! Deine Karpfen, Witting, die müssen Ferchen werden! Jetz ischt der Hefeteig im Datsche ... jetz soll er gähre, bis er am Sonntag Judica ins Fuier kommt!« Wieder lachte Joß. »Und morgen am Äschermittich solle die Salzburger ihr luschtige Fasnacht habe!«

»Joß!« In Sorge hing der Blick des Bauern noch immer an diesem abgezehrten Gesicht. »Wer dich anschaut, merkt's, wie viel du leiden hast müssen!«

Zwischen die Brauen des Schwaben schnitt sich ein harter, grausamer Zug. Doch ruhig sagte er: »Es isch mir um mich nit gwese. Aber unser gute Sach hat leiden und sieche müsse drei Monet lang. Und das soll ihm unser Herrgott ins Fleisch brenne ... dem schlechte Kerl!« Er sah dem Bauern in die Augen. »Isch ebbes aufkomme, wer's gwesen isch?«

Witting schüttelte den Kopf.

Es zuckte um den dünnen Mund des Schwaben. »Magst nit rede, so schweig. Und es isch an nit Verzähleszeit. Mein Weg will flinke Füß habe!« Er sah in der Stube umher. »Witting? Wo isch dein heller Bub?«

Der Alte wandte sich zum Feuer. »Mein Bub ist fort.«

»Schad!« Aus dem Gesicht des Schwaben sprach die Enttäuschung. »So mußt mir ein andre schaffe, der verläßlich ischt. Morge muß ich in Salzburg sein. Ich brauch ein, der mich über den Untersberg hinausführt, daß ich bei Grödig auf die Straß komm.«

»Den hast!« sagte Witting. »Ich führ dich, Joß!«

»Gut! So mach dich fertig! Es ischt ein Brennen in mir um jedes Stündle.« Joß schleifte den schweren Zwerchsack ans Feuer und band ihn auf – dabei bewegte er wieder den linken Arm so vorsichtig, als wäre ihm jede Bewegung ein Schmerz. »Und wenn grad ein Bröckle Brod für mich hast und ein Lakele Milch ... seit geschter am Abed isch Fasttag gwese für mich.«

»Bleib, Vater!« sagte Maralen. »Ich schaff schon alles für den Joß.« Sie ging aus der Stube.

Langsam richtete Joß sich auf und sah ihr nach, mit einem Blick des Erbarmens. Dann wandte er die Augen auf Witting – und nickte schweigend. Der Alte verstand dieses ungesprochene Wort. »Ja, Joß! Meine Fürsicht hat mein Kindl nicht hüten können vor dem Elend.« In das flackernde Feuer starrend, strich er mit schwerer Hand über sein weißes Haar. »Selbigsmal in der Sonntagnacht, da hätt ich besser hören sollen auf dich. Wer weiß, ob alles nicht anders wär?«

»Älles isch, wie's isch, und älles kommt, wie's muß!« Erregt, mit blitzenden Augen, forschte Joß in dem Gesicht des alten Bauern. Und zögernd sprach er, als wäre in seinen Gedanken etwas anderes, als auf seiner Zunge; »Kein Sämann, der ein Körndl auswirft, weiß, was auf dem Acker ins Wachsen kommt.« Er redete nicht mehr den Dialekt seiner Heimat, sondern die Sprache der Bergbauern. »Und daß dich trösten sollst ... dein fürsichtiges Körndl von selbigsmal ist auf guten Boden in mir gefallen.« Sein funkelnder Blick huschte zu Maralen hinüber, die aus der Kammer trat und eine Schüssel mit Milch und einen hölzernen Teller mit Brod und Speck auf den Herdrand stellte. »Ja, Witting! Die harten Wochen, die ich sell droben am Göhl bei einem guten Bauren im Heu gelegen bin, mit dem brennenden Klosterblei in der Axel, die ganzen Wochen ist mir's Tag und Nacht allweil fürgangen, was dein Gutverstand geredet hat in der selbigen Sonntagnacht.« Während er sprach, begann er zwischen Wort und Wort mit gierigen Zügen die Milch zu schlürfen und würgte in großen Bissen das Brod und den Speck hinunter, als wäre in ihm der Heißhunger eines wilden Thieres. »Und allweil hab ich mich fragen müssen, ob deine Fürsicht nicht das besser Ding wär, als mein Zorn? Und ob's der guten Sach nicht besser nützen thät, wenn wir die Straß der Freiheit biegen thäten nach dem Weglein, auf dem ein billiger Vortheil liegt? Und ob's nicht besser wär, das Blut sparen und mit der halben Freiheit zufrieden sein, die man den Herren im ersten Schreck und halb noch im Guten abhandeln könnt?«

Während Joß redete, hatte Witting den Mantel umgeworfen und vier Kienfackeln von einem Wandbrett genommen. Die schnürte er mit einem Strick zusammen.

»So red, Witting! Was meinst? Wär's nicht besser: nehmen mit der linken Hand, derweil wir geben müssen mit der rechten? Und hausen bei trübem Spanlicht, weil die Sonn nicht jedem scheinen mag? Und Verträg machen mit den Herren, statt daß wir im Zorn alles niederschlagen, was nach einem Sporn und nach dem römischen Weihrauch schmeckt? Ein Herr und Pfaff ist doch grad so gut ein Mensch wie du und ich?«

Ein hartes Lachen klang in der Stube.

Der Schwabe sah auf und fragte: »Maralen? Was lachst?«

Sie stand an die Mauer gelehnt, die geballten Fäuste auf der Brust.

Joß lächelte. Und in seinen Augen blitzte die Freude. »Meinst nicht, Maralen, daß ich recht hab? Thätst nicht auch mit den Herren einen billigen Handel machen? Und barmherzig sein?«

»Barmherzig?« wieder lachte Maralen. »Ja, Joß! Ich will so barmherzig sein, wie Gott gewesen ist. Schau, letzte Woch in der Nacht, da hat uns der Zawinger die Martinische Schrift gelesen. Und hat gelesen, wie Gott im Zorn das Feuer hätt werfen mögen auf das Herrenvolk in Sodom. Und der Vater Abraham wär gern barmherzig gewesen und hat gehandelt mit dem Herrgott. Und Gott hat gesagt: So such mir zehn in der Stadt, die gut und gerecht sind, und die ganze Stadt soll leben! ... Jetzt lauf, Joß, und such! ... Einer von den Herren drunt, der ist heut gut zu mir gewesen. Jetzt such mir die anderen neun dazu!«

Joß war aufgesprungen und klammerte die Faust in Wittings Schulter. »Hörst, du? So redet dein Kind! Barmherzig wie der Herrgott in Sodom! So muß unser Wörtl sein! So hab ich's höre wolle! Die Welt in Scherbe schlage, und wieder baue, wie's uns taugt ... so muß unser Weg sein! Ein einzigs Überlege bloß, ein halber Schlag, ein Lusen auf die Herre und ihr verlogene Red ... und unser gute Sach ischt hin! Hart muß unser Faust sein, unser Herz wie Stein! Und wie's in dem Mädle ischt und in mir, so müsse mer's werfen in all die taused Köpf!« Er ließ sich auf die Kniee nieder, öffnete den Zwerchsack und brachte mit hastig wühlenden Händen zwei dicke, schwere Päcke zusammengebundener Blätter hervor. »Lueg, Maralen, da ischt Arwet für dich!« Er zeigte ihr den einen Pack und las von dem Flugblatt, das zu oberst lag, den Titel ab: »Goldkörnlein aus Martin Luthers Reden für das arm geplagte Volk der deutschen Bauren.« Er zeigte den andern Pack. »Und lueg, da ischt in zwölf Artikel gesetzt, wie der Baure Freiheit beschaffe sein muß. Die Blättle laß ausfliege unter die Leut!« Lachend erhob er sich und faßte Maralens Hand. »Und in der Nacht vor dem Sonntag Judica laß die Feuer brennen!«

»Sie sollen brennen, Joß!«

»Und mach ein Fähnle, das soll drei Farbe habe, schwarz und rot und geal ... schwarz wie unser Elend ischt, und rot wie das Blut, mit dem wir die Freiheit kaufe, und geal wie das liebe Sonnlicht ischt am nuie Tag! Und wenn deine Brüder vom rote Fädle und die Josefsbube in der Fuiernacht zum Haufe laufe, so red mit ihnen! Es soll ein jeder zum Fähnle schwöre, alt und jung und Mann und Weib! Sie solle schwöre auf die zwölf Artikel und solle den beschte Mann im Land als Hauptmann wähle!« Joß zwinkerte mit den Augen. »'s isch gesorgt derfür, daß oiner den rechte Name schreit. Und isch der Hauf und sein Kopf beinander, so schlaget los und besinnt euch kein Stündle nimmer! Schlaget, schlaget und schlaget! Und nieder mit jedem Knecht, der eine Wehr für die Herre rühre möcht! Und nieder mit jeder Mauer, nieder mit jedem feschte Thurm und nieder mit jedem Herre, der ein Eisen hebt!«

Die Lippen bewegend, als spräche sie jedes Wort im stillen nach, hing Maralen mit brennenden Augen an dem Mund des Schwaben.

»Und eh nit die leschte Mauer der Herre gfallen ischt, eh soll koiner vom Haufe laufe, nit um Weib oder Kind, nit um Haus oder Stadel, nit um Kuh oder Kalb, nit um Heu oder Haber! Ein jeder im Haufe soll Trank und Zehrung habe, wie's der Mensch bei der Arwet braucht. Aber koiner soll saufe, koiner soll karte, koiner soll knöchle. Die am Abend nit nüechter bleibe könne, die sind Säu, wenn's taget. Drum soll der Hauptmann dem Haufen ein feschtes Gsetz gebe, mit harter Straf für jeden, der sich nit füge mag. Ihr sollet erschlage, wenn's not ischt, aber nit schinde, wie's die Herre gmacht habe. Ihr sollet brenne, wenn's sein muß, aber nit brandschatzen und rauben und stehle, wie's Herrebrauch gwesen isch. Feschte Zucht muß im Haufe sein, denn die sich selber nit zwinge könne, die zwingen au koin andre nit.«

Witting hatte das Bündel mit den Kienfackeln auf den Rücken genommen und nickte zu den Worten des Schwaben. »Ja, Joß! So thät's sein müssen!«

»Und isch die leschte Herremauer auf'm Bode, so soll ein feschter Fried sein im ganze Land, ein jeder soll sein Sach und sein Recht habe, ein jeder soll frei sein für ein gutes und redlichs Leben. Und die Herre, die's überleben und der Freiheit diene möge, die sollen auf unsre Artikel schwören und solle nit mehr und nit minder sein, wie jeder Bauer ischt.«

»Und die's überleben ... und gesündigt haben wider Recht und Blut?«

»Die solle sterbe nach ehrlichem Spruch!«

Maralen nickte mit starrem Lächeln. »So gerecht, wie mein Josef ungerecht hat bluten müssen.« In ihrem bleichen Gesicht begannen die Wangen heiß zu brennen.

»Aber denen ein redlicher Spruch das Lebe laßt, die solle sicher sein in ihrem Sach und Blut. Und die Prälaten und Pfaffe, die Gottes Evangeli ohne falschen Zusatz predige wollen als gute Pfarrherre, die sollen ihre billige Pfründ haben und an ihr Achtung gnieße bei jedermann. Und koiner, sei er martinisch oder römisch, soll den andere verschimpfe, weil oiner glaubt, was er mag. Wie die Freiheit auf der Straß, so muß die Freiheit in die Köpf und in die Herze sein. Und bis der große Rat der deutschen Bauerschaft verkündet, was für die nuien Zeitläuft gelte muß als Recht und Pflicht, und wie's in der guten Zeit mit Zins und Steuer ischt ... derweil sollet ihr zehn feschte Männer zu Ratsleut mache. Was die sage, soll gelten im Land. Und ällweil auf taused Mannsleut sollet ihr ein wähle, ein gute Kopf. Der soll zum Reichstag komme, den der Rat der deutschen Bauerschaft nach Frankfurt rufe wird.«

Joß hielt noch immer Maralens Hand in seiner Rechten. Jetzt griff er mit der Linken nach Wittings Arm. Und da schien er zu wachsen. Wie sich der Kopf eines Adlers aus den geschlossenen Schwingen hebt, bevor sie sich öffnen zum Flug, so reckte sich der hagere Kopf des Schwaben aus den Falten der braunen Kutte. Und wie er vor den beiden stand, keine Farbe des Lebens in dem abgezehrten Gesicht, doch Feuer und Glanz in den großen Augen – das war nicht der dunkle Wühler unter dem Boden der Zeit, nicht der flüchtige Aufrührer, der die Kutte des Mönches als schützende Maske trug – das war ein Priester seines Volkes, ein Märtyrer seines Glaubens an die Freiheit.

»Und weischt au, Witting ... weischt, wie älles sein wird bis über's Jahr? Da wird der Joß ein alter Bauer sein in Schwabe dahoint, und der Witting ein alter Bauer in Berchtesgade. Und bischt au reicher um die Freud an deinem Buebe ... reicher wie der Joß, dem sie das Weib gehenkt und die Kinderle verbronne habe ... schau dein Meidle an: wir müssen älle zwei doch trage an dem harte Binkele, das uns die gwesene Zeit auf Herz und Buckel glade hat. Aber lueg, Witting, das wolle mer lachet trage, jeder ein freier Mann in guter Zeit! Und jeder im Herze den Trost: ich hab mitgeholfe, wenn's der Nachbar gut hat jetzt! Und jeder in seiner deutschen Seel den Stolz auf älles, was mer gschaffe habe: menschliche Zeit, in der ein jeder sein Lebe gnieße kann bei Arwet und lieber Sorg um Weib und Kinderle, ein mächtigs Reich mit einer Kirch, die so frei und gut isch, daß unser Herrgott im Himmel dran sein Gfalle habe kann, und ein mächtigs Volk, so weit als deutsche Leut auf deutschem Bode hause, ein groß und mächtigs Volk, dem die Kraft aus'm freien Acker wachst! Und koiner mehr ischt Herr oder Knecht, jeder ein Mensch bloß, jeder ein Deutscher, nit mehr und nit minder! Und oiner bloß ischt Herr ... der sell, den mer habe wolle und den mer in Frankfurt wähle zum deutsche Kaiser. Und der ischt Herr, so lang er ein guter Diener seinem deutsche Volk ischt!«

Als Witting das hörte, war es in seinen alten Augen, wie der träumende Glanz im Blick seines jungen Buben. Und dennoch zuckte unter dem weißen Bart ein müdes Lächeln um seinen welken Mund. »Thät's so kommen, Joß ... ich wär der erst, der mit Kopf und Blut dem Nachbar sein Glück und Freiheit zahlen möcht.«

»So kommt's, Witting! Laß uns leben und sterbe derfür!« Das sagte Joß mit heißem Klang in der Stimme. Und noch heißer sagten es seine Augen.

Der Bauer nickte. »Ich geb dir deine eigene Red wieder heim: Alles ist, wie's ist, und alles kommt, wie's muß!« Er zog die Kappe über das Haar. »Jetzt bin ich fertig zum Weg ... so komm halt, Joß!«

Mit beiden Händen hielt Maralen die Hand des Schwaben umklammert. Sie atmete schwer und lächelte. Und große Zähren tropften ihr aus dem Glanz der Augen über die brennenden Wangen. »Joß! ... Ich seh, was kommt, und das ist so viel schön! ... Und meines Josefs Blut ist guter Samen worden für tausend Äcker!« Sie nahm vom Herdrand die Schüssel auf, in der noch Milch war. »Trink, Joß! Dein Weg ist weit und hart.«

Bild: A. F. Seligmann

Joß trank. Und als er die Schüssel niederstellte, sagte er lächelnd: »Unter Vierhunderttaused, die gschwore habe, bloß hundert wie dein Vater und du, und älles ischt gut!« Wieder lachte er. »Und der Dritt ischt au nit weit. Schad, daß er nit dahoint isch! Den hätt ich kenne möge. Wo gute Äpfel wachse, fallt koin schlechter.« Er bückte sich nach dem Zwerchsack und bemerkte den Schatten nicht, der über Wittings Augen ging, und nicht die Furche, die sich in Maralens Stirne grub.

Sie sah den Vater an, mit einem Blick, der fragte: Warum sagst du's ihm nicht?

Witting verstand und schüttelte den Kopf. Schweigend ging er zur Thüre.

Joß hatte den Zwerchsack über die Schulter geworfen und sah in der Stube umher, wie man Abschied nimmt von einer Stätte, die man im Leben nicht vergessen wird. Dann reichte er Maralen die Hand. »Gott soll dich bhüte, Marlenle!« Er lächelte. »Und geht am rote Tag der Wagen über mich weg, so will ich dein Josef grüeße, gell? Und oimel emol, da sehe mer uns älle wieder!«

Sie nickte schweigend und konnte lächeln.

»Und mach mer älles gut, wie's ausgredt isch! Und koiner soll wisse, wann er ischt, der Tag. Und die in der Fuiernacht die Glocke läute und die Kuhhörner blase müsse, denen sagst es am Abend erst.« Er sah ihr in die Augen und drückte ihre Hand. »In der Nacht vor dem Sonntag Judica! Koin Tag nit früher und koin Tag nit später!«

»Kein Stündl früher und kein Stündl später!«

»So! Und Gottes Segen auf unser gute Sach!«

Witting hatte die Thür geöffnet, und die Kälte der dunklen Winternacht drang in die Stube. Müd flackerte auf dem Herd das Feuer auf, und die halb verbrannten Scheite begannen zu rauchen.

Maralen schloß das Hagthor hinter den beiden Männern. Noch lange hörte sie den gefrorenen Schnee unter den Schritten krachen, die sich entfernten.

Kein Lufthauch regte sich in dieser finsteren Nacht der Neumondzeit. Am schwarzen Himmel waren die Sterne so klein, wie Nadelspitzen, ohne Geflimmer fast, ohne Kraft in ihrem Glanz.

Droben am Waldsaum, über dem Hag des Dürrlehens, sah man einen roten Schein. Und ein dumpfes Gesumm von Stimmen klang in der stillen Nacht.

Inmitten eines kahlen Schneefeldes blieb Witting stehen. »Hörst, Joß, wie die Karpfen platschen im trüben Wasser? Beim Dürrlechner müssen an die hundert sein. Die warten auf dich.«

»Laß warte! Komm! Es warte viel Taused noch! ... Und Karpfe, sagst? Dein ewigs Wörtle? Lueg, Witting, Mensche sind Mensche, und koiner ischt viel besser, koiner viel schlechter wie der ander. Aber laß die gute Zeit komme. Die macht au andere Mensche.«

»Gott geb's!«

Dann wateten sie schweigend durch den Schnee dem hohen Wald entgegen. Als sie in der Finsternis unter den Bäumen standen, schlug Witting Feuer und brannte den Schwefelfaden an, um eine Fackel zu entzünden. Joß stand auf den dürren Stecken gelehnt, den er von einer Fichte gebrochen, und blickte sinnend durch den schwarzen Wald hinunter. Plötzlich wandte er das Gesicht und fragte flüsternd: »Weißt du mir ein Wörtle vom Salzmeister Humbser?«

»Ich weiß halt, was alle wissen: daß man den Humbser auf Salzburg geliefert, und daß keine Menschenseel mehr gehört hat von ihm. Gott soll ihm gnädig sein!«

Schweigend starrte Joß eine Weile in den aufglimmenden Schein der Fackel. Dann sagte er mit tiefem Seufzer: »Der guten Sach habe Taused und Taused den Grabe fülle müsse! Isch halt oiner mehr

Sie stiegen bergan. Und Joß begann von jener Nacht zu erzählen, in der die Klosterknechte zu des Salzmeisters Haus gekommen waren. Die Kugel des Handrohrschützen hatte ihm die linke Schulter durchbohrt. »Ich muß leben, ich muß!« Dieser Gedanken hatte Feuer in seine erlöschenden Kräfte gegossen. Taumelnd vor Schmerz, den Körper von Blut überronnen, suchte er in der Nacht den Paß über die Berge nach Hallein zu gewinnen. Vor einem Einödhof, hoch droben auf den Gehängen des Göhl, war er zusammengebrochen. Und der Bauer hatte ihn aufgenommen, hatte ihm Schweigen gelobt und allen Beistand zugesagt. In der Scheune, in einer ins Heu gewühlten Höhle, hatte der Bauer den Kranken verborgen und hatte ihm mit glühendem Eisen die eiternde Wunde ausgebrannt. Zwei Monate war's ein Ringen um Leben und Tod, in dem finsteren Heuloch und im Winterfrost. Erhitzte Steine, die sie dem Kranken unter die Decke legten, retteten ihn vor dem Erfrieren. Und immer der Wille: »Ich muß genesen, ich muß!« Und Joß genas. Und dann durch Wochen die wühlenden Sorgen und alles Aufgebot der List, um die Verbindung mit den Schwurbrüdern draußen im ebenen Lande herzustellen und den Boten, die aus der Heimat kamen, den Weg zur Scheune auf dem hohen Göhl zu weisen. Von dem weitgespannten Netz, das da draußen zwischen Salzach und Neckar gewoben wurde, liefen die Fäden in dem dunklen Heuloch zusammen, in welchem Joß an seiner heilenden Wunde lag. Und dann die Nachricht von dem roten Abend in Salzburg, die Nachricht, daß die Verwandten des Bramberger und des Stöckl-Josef in Salzburg, Hallein und Berchtesgaden zu werben begannen. In dieses aufglimmende Feuer galt es einen ›festen Blaser‹ zu thun, um das dem Aufruhr widerstrebende Bergvolk ganz für die gemeinsame Sache des Volkes zu gewinnen – und so hatte Joß das Fastnachtsspiel ersonnen und dem Göhlbauer und seinen zwei Buben die Rollen eingelernt. Und dann die Begegnung mit Maralen. Und die Nachricht: an die Fünftausend sind schon geworben in Salzburg, im Halleiner Thal, im Pongau, in der Rauriß, im Pinzgau und im Berchtesgadener Land. Und gestern hatten sie das Fastnachtsspiel auf dem Halleiner Marktplatz aufgeführt, und morgen am Aschermittwoch wollten sie lustige Fastnacht auf dem Ochsenmarkt zu Salzburg halten.

»Wenn's nur gut ist, Joß! Wenn's nur gut ist!«

»Es ischt! Es ischt! Und wenn mein lustigs Flämmle aufbludert aus die Salzburger Köpf, nachher geht's hoimzue, daß mer für unser Millione Fäust ein gute Kopf suche, der auf alle Schultere paßt.«

»Da wirst dich hart thun mit dem Suchen!«

»Leicht, Witting! Denn älleweil mein' ich, mer habe schon gfunde, was mer suche! Thät der Sickinge noch lebe, so hätt das eiserne Fränzle der Baure Kaiser sein müsse! Aber hascht uit selber die Red gethan: Wenn die Bäum falle, da wachsen die Heischterle nach!« Joß faßte den Arm des Bauern – alle beide standen sie bis an die Hüften im Schnee, in dem die niederfallenden Pechtropfen der Fackel zischten. »Lus auf, jetzt sollst ein Name höre, den dir merke mußt! ... Florian Geyer!«

»Den Namen, den hab ich gehört in einem Reiterlied.« Witting hob die Fackel, als möchte er schärfer in das Gesicht des Schwaben sehen. »Aber, Joß? Das ist doch ein Herr!«

»Der Geyer isch koin Herr und isch koin Bauer. Der ischt ein Mensch, tapfer und gut, und hat ein gutes Herz für uns arme Leut. Und seine Baure zu Giebelstadt, die sind die oinzigen im Land, die koin Klag nit habe wider ihren Herre. Wie der Luther unter die Pfaffe, so isch der Geyer unter die Herre. Das Häs seiner Seel isch weiß, und da isch koin Fleckle dran. Und der Geyer ischt ein Kriegsmann, wie außer dem Frundsberg koiner im Land.«

»Und so einer ...« Wittings Stimme zitterte, »so einer thät's halten mit uns?« In seinen müden Augen brannte die Sehnsucht, glauben zu können.

»Ja, Witting, der wird's halte mit uns. Zu Pfingschte habe mer gredt mit ihm, der Wendel Hippler und ich. Und da hat er unsere Hand gnomme, und seine Red isch gwese: Ich bin nit für die Bauren und bin nit wider die Herren, aber Leben und Blut, Herz und Hab will ich einsetzen für die Freiheit der Menschen, die mir lieb sind.«

»Und das ist wahr, Joß?«

»So wahr, wie das Blei in meiner Axel isch. Thu dir den Name merke, Witting! Wenn's wieder Pfingschte wird, sollst jauchze: Kaiser Florian!«

Die Brust des alten Bauern hob sich unter einem tiefen Atemzug, und mit einem Hauch seiner Stimme flüsterte er die beiden Worte nach: »Kaiser Florian!« Er sah int tiefverschneiten Wald umher und lauschte hinauf gegen die Höhe des Untersberges. Ringsum im Walde war alles still, auf dem weiten Berge kein Laut und Geräusch. Doch Witting schien etwas zu hören, denn er lauschte noch immer.

»Hörst nichts, Joß?«

»Was soll ich höre?«

»Wie ein Sausen ist's ... weit in der Fern ... grad so, als thät Südwind kommen.«

»Soll er halt komme!« Joß lachte. »Wenn er uns nur nit des Kaisers Landsknecht aus dem Welschland herweht über die Berg! Aber da isch was gut derfür. Der König Franz und seine dreißigtaused Helm, die stehen als feschte Mauer zwischen des Kaisers Heer und dem deutsche Land ... 's erschtmal, daß mer ebbes Gutes von Frankreich habe!« Wieder lachte Joß. »Das Pariser Königle ischt ein guter Deutscher worde. Möcht dem Kaiser das Welschland abknöpfe, möcht alles deutsche Land bis an den Rhein ins tiefe Pariser Säckle stecke, jo, und sorgt derfür, daß mer Zeit habe dahoint, unser Reich und Volk so groß und fescht z'mache, daß mer die Franzose nimmer fürchte müsse, und gar koin Nachbar nimmer. So viel Nutze hat nie noch ein Deutscher seiner deutsche Hoimet gstiftet, wie der gute König Franz sell drunte vor Pavia!«

Sie kämpften sich weiter durch den tiefen Schnee. Bei aller Mühsal dieses Watens schilderte Joß dem Bauern die weite Verzweigung des Bundes, erzählte ihm von den führenden Männern der Bewegung, von Thomas Münzer und Heinrich Pfeifer, die zu Mühlhausen das neue Gottesreich errichteten, von Wendel Hippler, der rastlosen Seele des geheimen Rates, von Jäcklein Rohrbach und Jakob Wehe, von Jörg Metzler und Matern Feuerbacher, die seit Jahren die Kohlen zur wachsenden Glut getragen – erzählte von den Pulvermühlen, die sie gebaut hatten, von den Schmiedstätten, in denen zur Nachtzeit die Eisen geschärft wurden, und von reichen Bürgern, die sich der Sache des Volkes erbarmt und Geld in Fülle gespendet hatten, um das Volk zu bewaffnen.

Es ging schon auf den Morgen zu, als sich die beiden, hoch auf dem Waldgehänge des Untersberges, der Grenze des Berchtesgadner Landes näherten. Um die Mitternacht hatte sich ein scharfer Wind erhoben, der immer mehr zum Sturme wuchs, je näher der Morgen kam. Es sauste und heulte im Wald, und von den Ästen fiel der Schnee in solchen Massen nieder, daß die beiden, die sich keuchend weiter kämpften, oft halb verschüttet wurden. Erst war der Wind so kalt gewesen, daß er den beiden Männern trotz ihrer heißen Mühsal den Frost bis in die Knochen blies und ihre Hände erstarren machte. Doch gegen Morgen, bevor es noch zu grauen anfing, ließ diese wehende Kälte nach, und immer lauer brausten die Lüfte von Süden her.

»Föhnwetter will einstehen,« sagte Witting. »Wir müssen uns tummeln, Joß! Wenn der Schnee lind wird, kommen wir nimmer durch.«

Schweigend hasteten sie weiter durch den tiefen ungebahnten Schnee, daß ihnen vor Plage der Atem oft verging.

Joß, der beim Schein der Fackel vor dem Bauern herwatete, merkte plötzlich, daß Witting zurückgeblieben war. Er wandte sich und sah, wie der Bauer, mit der Hand über den Augen, hinunterspähte ins Thal. »Witting? Was isch?«

»So schauen hab ich ein bißl müssen.« Ganz versunken klang die Stimme des Alten. »Ich komm schon!«

Tief drunten im Thal sah Joß eine rote Helle. »Was isch der Schein sell drunt?«

»Die Pfannfeuer im Hof der Burghut.«

»Da müsse mer ja die Grenz bald habe?«

»Ja, Joß! Bald!«

Der Morgen begann zu dämmern, als sie die breite, den Wald durchschneidende Grenzmark erreichten. Da wandten sich die beiden thalwärts. Und es war an der Zeit, daß sie durch den Wald hinunterkamen. Denn der stürmende Föhn war immer lauer geworden und machte den Schnee so zäh und klebrig wie Teig. Von allen Bäumen ging das Getröpfel nieder – und als die beiden Männer zur Straße kamen, waren sie durchnäßt bis auf die Haut.

Wo sie schieden von einander, das war die Stelle, an welcher Witting und Maralen auf dem Heimweg von Salzburg gerastet hatten.

Joß hielt die Hände des Bauern in den seinen. Und lächelnd blickte er in das Rauschen der Lüfte. »Lueg auf, Witting! Es lenzet! Der Maien isch nimmer weit für unser gute Sach.«

»Gott soll's geben, daß es wahr ist!« murmelte Witting erschöpft, mit klangloser Stimme.

»Der gibt's, wirst sehe! Und wir zwei, Witting, wir begegnen uns wohl nimmer im Leben. Aber wenn's dir gut ischt in der gute Zeit, dir und deinem helle Bube, so denket halt au ein bissele an den Joß sell draußen im Schwabeland! ... Gott soll dich bhüte, Witting!«

»Gott behüt dich, Joß!« Mit zitterndem Druck umklammerte Witting die Hand des Schwaben. »Und schau, dir bin ich gut worden.«

Sie schieden.

Joß sprang in den Wald zurück, um die Straße zu vermeiden. Witting aber stand noch lange, als der Schwabe schon verschwunden war, und sah noch immer im Schnee die Stapfen an. Langsam nickte er vor sich hin. »Der kann glauben! ... Und der Glauben ist alles!«

Als er im Zwielicht des Morgens vom Waldsaum auf die Straße trat, sah er sein triefendes Gewand an und warf einen scheuen Blick der Richtung zu, in der die Burghut stand. Den gleichen Weg zurückzuwandern, den er gekommen – das war unmöglich. Er wäre im durchweichten Schnee versunken. Auch war er so erschöpft, daß er die Mühsal nicht mehr überstanden hätte. Aber der Weg durch die Burghut? Das war auch ein hartes Ding. So vorbeizuwandern an den Mauern, die seinen Buben umschlossen! Und wie durch das Thor kommen? Wenn ihn der Wärtel anrief: »Wo kommst her, du, zum Thor bist nicht hinausgegangen?« Wie sollte er sich ausweisen?

Lange stand er und sann. Dann folgte er der Straße gegen Grödig, trat in das erste Haus, das er am Wege fand, und bat die Leute, daß er sich am Feuer wärmen und trocknen dürfe.

Bild: A. F. Seligmann


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