Ludwig Ganghofer
Der Klosterjäger
Ludwig Ganghofer

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Kapitel 28

»Wo nur die Zenza bleibt?«

So fragten sie immer wieder, wenn sie für kurze Weile aus ihrem wortlos träumenden Glück erwachten.

»Wo nur die Zenza bleibt?«

Sie traten vor die Hütte und riefen Zenzas Namen über das Almfeld und gegen den Bergwald. Alles blieb still.

»Wirst sehen, sie kommt nit. Und ich mein, ich weiß warum!« flüsterte Haymo.

Gittli sah ihn fragend an; dann schüttelte sie den Kopf. »Sie wird halt müd gewesen sein und hat sich an einem stillen Platzl schlafen gelegt.«

»Meinst du?« sagte er. »Aber gelt, du wirst auch selber müd sein?«

»Nit ein lützel! Ich mein völlig, ich hätt tausend Jahr lang geschlafen und wär mit einmal aufgewacht, und derweil ist alles anders geworden, und ich selber bin eine andere!«

»Was? Eine andere bist du? So, schön, jetzt hab ich gar zwei Schätzlen. Ich weiß nur nit, welches ich lieber hab: dasselbig, das du gewesen, oder dasselbig, das du geworden bist.« So scherzte Haymo und wollte sie umfangen. Sie schlüpfte in die Hütte und wehrte ihn ab, als er folgen wollte. Er mußte sich auf die Bank setzen und warten. Und bevor sie ihn nicht riefe, dürfe er beileib nicht kommen.

Er saß kein Vaterunser lang, da fragte er schon: »Darf ich noch allweil nit hinein?«

»Jesus! Untersteh dich!« hörte er sie erschrocken stammeln.

Nun wartete er geduldig, sah mit leuchtenden Augen hinauf ins Blau und lauschte jedem leisen Geräusch, das sich in der Hütte vernehmen ließ.

Jetzt trat sie kichernd aus der Tür. Er machte zuerst große Augen, dann schlug er mit glückseligem Lachen die Hände ineinander. Gittli stimmte in sein Lachen ein. »Ich hab ein lützel in der Zenza ihrer Truh gekramt. Meinst, sie wird harb sein? Gelt nein? Sie hat ja selber allweil über das dumme Häs gescholten. Was sagst du, wie ich ausschau!« Sie hob die Arme und drehte sich. Er wollte kaum aus dem Lachen kommen. Gittli sah aber auch gar zu drollig aus. Das weiße, bis an den Hals geschlossene Hemd und der kurze Rock hätten ihr leidlich gepaßt. In dem schwarzen Mieder aber hätte ihr schlankes Persönchen noch ein zweites Mal Platz gefunden, und jeder Fuß stak in dem plumpen Schuh wie ein Spatz im Hühnerkorb. »Was sagst du, wie ich ausschau?«

»Aber lieb! So lieb!« Er haschte sie mit beiden Armen und zog sie auf die Bank. »Da hast du einen gescheiten Einfall gehabt. Ich hab mich ehnder schier nit getraut, daß ich dich anrühr.«

Wie sehr ihm jetzt der Mut gewachsen war, das fühlte sie aus dem ungestümen Kuß, mit dem er ihre stammelnden Lippen umschloß.

So saßen sie in der Sonne, bald still versunken in ihr zärtliches Glück, bald wieder in heiterem Geplauder. Kein Wort, das sie sprachen, kein Gedanke, den sie dachten, ging über den Augenblick hinaus. Sie fragten nicht, was vor diesem Tag gewesen, fragten nicht, was nach diesem Tage kommen sollte. Eine selige Stunde war ihnen vom Himmel gefallen, wie Sonnenschein nach Ungewitter, und sie freuten sich ihrer als zwei Glückliche, die zusammengehören, weil der liebe Herrgott sie füreinander geschaffen hat. Ihr Glück war so still zufrieden wie eine Blume, die in dem Augenblick, da ihr Kelch sich dem warmen Licht erschließt, doch auch nicht fragt, wer ihren Samen in die Erde legte, oder wer sie brechen wird in der nächsten Stunde. Sie blüht und freut sich.

Endlich löste Gittli sich aus den Armen des Jägers. Ihre Wangen glühten wie zwei Rosen. Mit zitternden Händen strich sie das Haar von den Schläfen zurück.

»Schau, Haymo, die Sonn steht über Mittag. Hast du denn keinen Hunger?«

Er schüttelte lachend den Kopf.

»Aber ich!« sagte sie kleinlaut.

Erschrocken sprang er auf. »So komm doch, Schatzl, komm! Es wird in der Hütt wohl ein lützel was zu finden sein. Und die Zenza wird's schon verlauben.«

»Was die aber lang ausbleibt! Völlig bangen tut's mich, daß ich ihr ein Vergeltsgott sagen möcht. Aber gelt, wenn sie kommt, da müssen wir gut sein mit ihr. Sie hat's verdient um uns.«

Haymo nickte. Dann traten sie in die Hütte. Mehl, Salz und Butter fand sich im Überfluß. Als aber Gittli auf dem Herd das Feuer schüren wollte, faßte Haymo ihre Hände. »Nein, Schatzl, heut darfst du nit schaffen, heut mußt du schon mir die Sorg lassen. Da wirst du schauen, was ich dir aufkoch! Und du,« er hob sie mit beiden Armen empor und legte sie sanft auf das Heubett nieder, »du tust derweil ein lützel rasten! So, Schatzl! Gelt, da liegst du gut?«

Erst war sie ein wenig erschrocken, dann aber ließ sie ihn lächelnd gewähren, und als sie in das weiche, duftende Heu versank, schlang sie die Arme um seinen Hals und zog sein Gesicht an ihre heiße Wange. »Gelt, Haymo, wir zwei tun nimmer voneinander lassen?«

»Nimmer, Gittli, nimmer, nimmer!«

Eine Weile saß er auf dem Rand des Bettes. Schweigend hielten sie sich bei den Händen. Plötzlich sprang er auf. »Jetzt muß ich aber schaffen, sonst tust du mir am End noch verhungern, du Hascherl, du arms!«

Sie schob die gefalteten Hände unter die Wange, schmiegte sich tief in das duftende Heu, und während Haymo auf dem Herd das Feuer schürte, blickte sie unter halb gesunkenen Lidern hervor, mit dankbar zärtlichen Augen jede seiner Bewegungen verfolgend. Flüsternd strömten ihre tiefen Atemzüge über die leicht geöffneten Lippen. Ihr war so wohl! Sie hätte sich für das ganze Leben nichts anderes mehr gewünscht, als nur immer so liegen zu dürfen, so weich zu ruhen, mit dieser sanften Wärme im Herzen, mit diesem süßen Gefühl: daß treue Liebe ihre Ruh behüte, treue Liebe für sie sorge und schaffe.

Immer wieder nickte Haymo ihr lächelnd zu. Er ging auf den Zehen und suchte jedes Geräusch zu vermeiden, während er alles herbeitrug, was er zur Bereitung der Mahlzeit nötig hatte. Auf dem Herde knisterten die brennenden Späne, leis rauschten die züngelnden Flammen, durch die Lücken des Schindeldaches fielen einzelne Sonnenstrahlen gleich goldig schimmernden Fäden, und der dünne Rauch, der sich langsam zwischen dem berußten Sparrenwerk verzog, umspann alle Balken mit bläulichem Duft.

Immer tiefer sanken über Gittlis Augen die schwarzen Wimpern, und sacht, unmerklich flossen ihre Träume aus dem Wachen hinüber in einen tiefen Schlaf.

Haymo ließ die Arbeit ruhen; er wäre mit seinem Werk in einer Viertelstunde zu Ende gewesen, und dann hätte er Gittli wecken müssen. Doch er sah, wie wohl ihr der Schlummer tat. Leise trug er einen Holzpflock neben das Heubett, ließ sich nieder, schlang die Hände um die Knie, lehnte den Kopf an die Kante des Lagers und betrachtete das Gesicht der Schlummernden.

Sie lag und regte sich nicht; nur manchmal bewegte sie ein wenig die Lippen, als spräche sie im Traum; dann zuckten auch die Wimpern, die gleich dunklen Sicheln auf den sanft geröteten Wangen lagen; und bei jedem tieferen Atemzuge hob sich die junge Brust unter dem weißen Leinen. Haymo streckte die Arme – es war, als möchte er aufspringen, als möchte er sie aus dem Schlaf emporreißen an sein Herz. Doch scheu und leise duckte er sich wieder auf den Holzpflock nieder, um die Schlummernde nicht zu wecken.

Stille Stunden verrannen.

Als Haymo meinte, daß Gittli nun doch bald erwachen würde, ging er zum Herd. Sie sollte nicht warten müssen auf die Mahlzeit. Als die heiße Butter in der Pfanne zu zischen begann, bewegte sich Gittli, schlug die Augen auf, lächelte – und schlief wieder ein.

Haymo übte sein Küchenamt mit peinlicher Sorgfalt. Vor Aufregung, ob die Speise auch wohl geraten würde, zitterten ihm die Hände. Doch als er einmal kostete, schien er nicht unzufrieden mit seinem Werk. Und während er die Pfanne wieder über das Feuer setzte, begann er mit halblauter Stimme zu singen:

»Der Winter ist zergangen,
In Bluh steht alle Heid,
Da kam zu mir gegangen
Gar süße Augenweid.«

Immer lauter wurde sein Lied, bis es endete mit klingendem Jauchzen:

»Jo ho, jo ho,
Mein Herzl, das ist froh!«

Da brauchte er Gittli nicht mehr zu wecken; sie saß im Heu, lachte ihn an mit hellen Augen und streckte die Arme.

Als wär sie eine Feder, so schwang er sie in die Höhe und drehte sie im Kreis. Kichernd zappelte sie mit den Füßen. Aber auf die Erde kam sie nicht wieder; sie saß auf Haymos Schoß und wußte nicht, wie das gekommen war. Mit dem einen Arm hielt er sie an sich gedrückt, mit dem anderen zog er die Pfanne herbei. Und weil sich in der Hütte nur ein einziger Holzlöffel vorgefunden hatte, mußte Gittli dulden, daß Haymo ihr jeden Bissen zwischen die lachenden Lippen schob. Sie wehrte sich wohl, aber nur, weil ihr Sträuben das zärtliche Mahl verlängerte. Und wie sie jeden Bissen lobte! Haymo wurde stolz auf seine Kochkunst. »Ja, du,« sagte sie, »das schmeckt einem! Weißt du, da drin,« sie machte einen Deuter mit dem Kopf und meinte das Heim der Domfrauen in Salzburg, »da drin hab ich Sachen essen müssen, daß einem völlig hätt grausen mögen. Was die Herrenleut manchmal für einen Geschmack haben! Ich begreif das nit.«

Er lachte und hielt ihr den vollen Löffel hin.

»Halt! der gehört wieder dir!« schalt sie, denn sie wachte sorgsam darüber, daß die Teilung redlich vollzogen würde: erst sie einen Löffel, dann er einen Löffel – und dazu einen Kuß als Merkzeichen.

Als die Pfanne leer war, sagte sie erschrocken: »So, schön! Jetzt haben wir der Zenza gar nichts übrig lassen. Aber was sagst du! Jetzt ist die noch allweil nit da! Komm, wir müssen uns ein lützel umschauen nach ihr.« Sie lief zur Tür hinaus und rief mit heller Stimme: »Zenza, Zenza!« Ringsumher hörte sie nur das dumpfe Brüllen der Kühe und das ruhelose Gebimmel der Almglocken. Als Haymo zu ihr trat, sagte sie: »Wirst sehen, die hat sich im Wald verschlafen. Aber wart nur, ich find sie schon!« Mit klappernden Schuhen lief sie gegen den Bergwald. Haymo haschte sie, und nun wanderten sie langsam, eins ans andere geschmiegt, dem Schatten der Bäume entgegen, den die sinkende Sonne schon dunkel und lang über das Almfeld warf. Als sie den Waldsaum erreichten, hatten sie schon wieder vergessen, was sie hierhergeführt. Wo sie gingen, blühten mit dunklem Rot die Almrosen. Sie pflückten die schönsten der blühenden Zweige, und nach einer Weile prangte ein Strauß an Gittlis Mieder, ein anderer auf Haymos Kappe. Er legte den Arm um ihre Schulter, sie lehnte die Wange an seine Brust, und so wanderten sie dem Feuerpalfen zu, aus dessen verbranntem Rasen schon wieder die grünen Grasspitzen hervorlugten.

»Hast du nit daherdenken müssen in der Sonnwendnacht?« fragte er leis.

Sie nickte errötend. »Und wie ich eingeschlafen bin, da hab ich geträumt.«

»Was denn?«

»Daß du mir eine Scheib getrieben hättst!«

»Aber, Narrerl, du liebs! Das hab ich ja doch getan!« lachte er. »Die allergrößte hab ich getrieben für mein kleines Schatzl. Und geflogen ist sie, als wär die Sonn heruntergefallen.«

Sie umschlangen und küßten sich, als fänden sich ihre Lippen zum erstenmal. Kein Wunder, daß sie dabei die näherkommenden Schritte zweier Männer und einen stammelnden Ruf überhörten, der vom Saum des Waldes herklang.

Nun standen sie aneinandergeschmiegt und blickten still hinunter in die gähnende Tiefe. Glatt und schwarzgrün lag der See zwischen seinen felsigen, schon von dunklen Schatten umwobenen Ufern.

»Schau, Haymo,« lispelte Gittli, »siehst du das Schiffl im See?«

»Wo, Schatz?«

»Dort, wo der Wildbach auslauft wie ein weißes Band.«

»Wohl, jetzt seh ich es auch.«

»Das muß ein großes Schiff sein, es schaut sich schier an wie ein Scheit.«

»Wohl, ich mein auch, es müßten viel Leut drin sein. Schau nur, und hinter ihm kommt ein anderes!«

»Ein kleins, wie ein winziges Hölzl!«

Sie schauten den beiden kaum merklich gleitenden Schiffen nach, die hinter einem steil in den See abfallenden Waldrücken verschwanden.

»Geh, Haymo, komm,« sagte Gittli tief aufatmend, »jetzt müssen wir die Zenza suchen. Mir tut schon völlig bangen.«

Sie wollten den Feuerpalfen verlassen. Als sie sich vom Absturz wandten, fuhr ihnen der jähe Schreck in alle Glieder; sie erblaßten und waren wie versteinert; nur ihre Hände suchten sich noch und schlossen sich fest ineinander.

Herr Heinrich und Desertus standen vor ihnen.

Eine Weile wurde kein Wort gesprochen. Ernst betrachtete Herr Heinrich das Paar, während Desertus, mit heißem Glanz in den Augen, nur Gittli zu sehen schien.

»Es schattet, Haymo, und ich finde dich hier?« sagte Herr Heinrich ruhig. »Hast du meines Gewildes ganz vergessen? Und deiner Pflicht?«

»Herr!« stammelte Haymo, während brennende Röte über seine Stirne flog. Kein zornig scheltendes Wort hätte ihn eingeschüchtert; aber diese freundliche Mahnung brachte ihn um den letzten Rest seiner Fassung. Mit ratlosem Blick suchte er Gittlis Augen. »Ich muß gehen. Ich muß.«

Da erwachte sie aus ihrer Erstarrung. Sie umschlang ihn mit beiden Armen, schmiegte den schlanken Leib an ihn, als möchte sie mit ihm in eins verwachsen, und drückte das bleiche Gesicht an seinen Hals: »ich laß dich nimmer und ich laß dich nimmer!«

Verstört sah Haymo zu Herrn Heinrich auf. »Schauet, Herr! Wir haben uns lieb.«

»Und ich laß mich nimmer wegschaffen,« fiel Gittli mit bebender Stimme ein, die fester klang von Wort zu Wort, »und ich laß mich nimmer wegreißen von ihm. Da darf kommen, wer mag. Ich laß mich nimmer wegreißen. Ich weiß nit, was man allweil von mir will? Ich hab doch keinem was getan, ich bin doch ein braves Leut, und keiner hat ein Recht an mich, als der einzig, den ich lieb hab.« Sie hatte sich aufgerichtet, ihre Augen blitzten, eine wilde Entschlossenheit verschärfte ihre Züge. »Und eh ich mich wieder wegreißen laß, eh spring ich lieber da hinunter, wo's am tiefsten ist. Komm, Haymo!« Sie klammerte die zitternden Hände um seinen Arm und zerrte ihn gegen den Abgrund. »Komm! Da haben wir Ruh und bleiben beieinander!«

»Kind!« schrie Desertus erblassend. Auf Gittli zustürzend, umfing er sie mit beiden Armen und riß sie vom Rand der Felsen zurück. Gittli wehrte sich gegen ihn mit zorniger Kraft, er aber ließ sie nicht mehr. »Kind! Du Kind!« Und die Lippen zu ihrem Ohr neigend, flüsterte er, nur ihr allein verständlich: »Es will dich niemand wegreißen von ihm!« Da erlahmte ihr Widerstand. Scheu erschrocken blickte sie zu ihm auf, und als sie seine Augen sah, diese zärtlich leuchtenden Augen, fiel es in ihr gemartertes Herz wie eine Offenbarung: hier ist Hilfe, hier ist einer, der es freundlich meint. »Herr, guter Herr!« stammelte sie. »Stehet mir bei in meinem Leid! Ihr habt doch auch eine liebe Frau gehabt und liebe Kinder. Schauet, ich hab ihn halt so lieb, so lieb!«

Haymo stand mit blassem Gesicht. Sein Atem ging keuchend, und unstet blickten seine Augen. Er sah, wie Desertus die Arme um Gittli geschlossen hielt und ihren schlanken Körper an sich drückte. Haymos Fäuste ballten sich. Um gewaltsam zu bezwingen, was sinnverwirrend in ihm aufstieg, packte er mit den Fäusten die eigene Brust.

Herr Heinrich ging auf ihn zu. »Haymo! Was hast du aus diesem Kind gemacht?«

»Ich, Herr?«

»Hast du nicht gehört, was sie gesprochen hat?«

»Es hat halt in ihr das Herz geredet, wie in mir das meinige. Wenn Euch das nit gefallt, Herr, dann müsset Ihr rechten mit Eurem Herrgott!«

»Mit meinem Herrgott? Hast du einen anderen? Oder gar keinen?«

»Wohl, Herr, ich hab schon einen. Das ist ein guter. Es ist derselbig, der das in uns zwei hineingelegt hat, daß es keiner nimmer herausreißt. Und wenn Ihr meinet, daß es doch geschehen könnt, so habt Ihr einen andern.«

»So?« lächelte Herr Heinrich.

»Ja, und dann vertragt sich auch der meinig mit dem Eurigen nimmer.« Haymos Stimme verlor sich in dumpfes Murmeln. »Und wir zwei taugen auch nimmer zueinander!«

»Du sagst mir den Dienst auf?«

Haymo senkte den Kopf, ein Schauer rüttelte seinen Körper, er blickte wieder auf und suchte mit irrenden Augen das Gesicht des Propstes; aus seiner Kehle wollte kein Laut.

»Gut! Ich kann dich nicht zwingen!« sagte Herr Heinrich. »Du bist kein Höriger, du bist ein freier Mann. Aber ich lasse dich ungern ziehen. Ich war dir gut, denn du hast mir treu gedient. Und so gerne wie dir hab ich noch keinem den Spruch gesagt: ›Wehr ohne Schart und Fehl, graden Sinn ohne Hehl, treues Herz ohne Wank‹. Was hast du? Wolltst du etwas sagen?«

Haymo würgte nach Worten und schüttelte den Kopf.

»Gut also! Wenn du es nicht anders willst. Am Michelstag bist du deines Dienstes enthoben. Als Klosterjäger!« Ein Lächeln spielte um Herrn Heinrichs Mund.

»Am Michelstag also! Am Michelstag!« raunte Haymo vor sich hin, während er sich mit der Hand über das Haar strich. »Wohl, am Michelstag, da geh ich. Wenn ich gleich mein halbes Leben dahint laß. Und daß ich bis selbhin meine Pflicht tu, ich mein, Herr, dafür kennet Ihr mich.« Er wandte sich zu Gittli, die blaß und zitternd stand. »Behüt dich Gott! Es schattet, und ich muß nach dem Gewild schauen. Das ist Jägerpflicht, die ich beschworen hab. Behüt dich Gott derweil!«

»Haymo!« stammelte sie; aber nur eine ihrer Hände ließ Pater Desertus frei, und diese Hand streckte sie dem Jäger hin, der sie mit festem Druck umfaßte.

»Ich muß gehen,« sagte er mit schwankender Stimme, »aber am Michelstag, da bin ich mein eigener Herr, da komm ich und such dich wieder. Was die Herrenleut von dir wollen mögen, ich weiß es nit. Aber ich komm und such dich, da kannst du dich verlassen drauf. Und wenn ich dich nimmer find, so mein ich wohl, daß man auch mich wird suchen müssen. Unter der Landtaler Wand ist ein Fleckl. Da geht einer nit irr, der mich suchen mag.«

»Haymo, Haymo!« schluchzte Gittli und klammerte die Finger um seine Hand. Er riß sich los und stürzte der Hütte zu.

Herr Heinrich blickte ihm nach und schüttelte den Kopf. »Amantes amentes!«

Desertus schlang die Arme um Gittli, zog sie an seine Brust und flüsterte: »Laß ihn doch, du Närrlein, er kommt schon wieder!«

Als Haymo die Hütte erreichte, riß er die Armbrust von der Wand und faßte das Griesbeil. Auf einer Holzbank sah er das übel zugerichtete weiße Kleid und das Mäntelchen liegen, packte beides mit zornigem Griff und warf es in die glühenden Kohlen. Eine Flamme loderte auf, und im Hui war das dünne Gewebe in Asche zerfallen.

Er trat ins Freie. Drüben über dem Almfeld wanderte Gittli langsam, mit gesenkter Stirne, den Waldsaum entlang, zwischen Herrn Heinrich und Pater Desertus, der sie an der Hand führte.

»Der! und allweil der!« stammelte Haymo. In wirren Gedanken blickte er den dreien nach, bis sie im Wald verschwunden waren. Dann stieg er den höheren Bergen zu, mit so ungestümer Eile, daß er bald den Atem verlor und rasten mußte.

Fünf lange, bange Stunden währte der Weg, auf dem er kreuz und quer sein ganzes Revier durchwanderte. Er suchte die steilsten Gehänge und die gefährlichsten Pfade, um durch die Erschöpfung des Körpers seine Gedanken und sein Herz zu betäuben.

Als er zu den Hütten kam, lag über den Bergen schon die tiefe sternhelle Nacht. Aus der halboffenen Tür des Herrenhauses leuchtete ein matter Feuerschein. Haymo wollte zur Jägerhütte gehen. Da rief ihn Herr Heinrich an. Der Propst und Desertus saßen vor dem Herrenhaus auf der Bank. Haymo spähte und lauschte, aber von Gittli war nichts zu sehen, nichts zu hören.

»Nun? Wie ist der Pirschgang ausgefallen?« fragte Herr Heinrich. »Hast du Wild getroffen?«

»Wohl, Herr,« erwiderte Haymo, sich gewaltsam zur Ruhe zwingend, »unter den Wänden ist eine Fahlgeiß mit ihrem Kitz gestanden, Gemsen hab ich zweiunddreißig gezählt, und auf dem Kreuzwaldlahner ist ein guter Hirsch ausgezogen, dem das Geweih bald reifen wird. Die Kolben zeigen schon die vierte Kron.«

»Brav, Haymo, den wollen wir uns holen in der Brunft.« Herr Heinrich stockte. »In der Brunst? Ach so, ich vergesse! Die gute Brunft beginnt um den Sankt Pelagitag. Und eine Woche früher fällt schon der Michelstag. Schade! Schade!«

Haymo erzitterte, als hätte er einen Stoß vor die Brust erhalten.

»Aber jetzt geh, Haymo, koch dir ein Nachtmahl und dann leg dich schlafen! Du mußt morgen wieder zeitig auf den Beinen sein.«

Ein paar heisere Laute würgte Haymo zum Gruß heraus und wollte zur Jägerhütte gehen.

»Nicht dort!« rief ihm Herr Heinrich nach. »In deiner Hütte schläft das Mädchen. Du mußt dich für heute mit dem Heuboden begnügen. Drinnen auf dem Herde findest du, was für deine Mahlzeit nötig ist.«

Haymo trat in die Herrenhütte, schürte das erlöschende Feuer und begann seinen Imbiß zu bereiten. Er tat es nur, weil Herr Heinrich gesagt hatte: Koch dir dein Nachtmahl! Noch eh' er damit zu Ende war, kamen die Herren in die Hütte. Der Propst ging in die Stube, Desertus blieb unter der Tür mit verschränkten Armen stehen und wandte keinen Blick seiner stillen, warm leuchtenden Augen von Haymo. Dem Jäger wurde unter diesem forschenden Blick unheimlich schwül zumut. Der Schweiß trat ihm auf die Stirn. Aber er tat, als sähe er den Chorherren nicht, hockte sich mit der Pfanne in einen Winkel und würgte Bissen um Bissen hinunter. Das Mittagsmahl hatte ihm besser geschmeckt! Mit einem tiefen Atemzug sprang er auf. Als er über die Leiter emporsteigen wollte, trat Desertus auf ihn zu, streckte ihm die Hand hin und sagte lächelnd:

»Gute Nacht, Haymo!«

»Gute Nacht, Herr!« murmelte der Jäger. Die gebotene Hand übersah er. Droben warf er sich über das Heu und grub das Gesicht in die Arme.

Als er nach einer Weile wieder ruhig wurde, hörte er die Herren in der Küche noch miteinander reden. Dann wurde alles still.

Leise strich der Nachtwind über das Schindeldach. Haymo wachte mit klopfendem Herzen. Als er meinte, daß Mitternacht schon vorüber wäre, streifte er die Schuhe von den Füßen, stieg lautlos über die Leiter hinunter und tappte durch die Finsternis zur Hüttentür.

Sie war versperrt. Der Schlüssel war abgezogen.

Fast eine Stunde stand Haymo zitternd auf einem Fleck. Als er sich endlich wieder zu rühren wagte und zum Heuboden hinaufstieg, knarrte auch noch die Leiter.

Draußen war der Mond aufgegangen; sein bleicher Schimmer quoll durch die Lücken im Dach. Haymo lag schlaflos; er hielt die Hände unter dem Nacken verschränkt und starrte mit brennenden Augen auf eine der hellen Lücken.

Als er meinte, daß der Morgen zu grauen begänne, erhob er sich und stieg in die Küche hinunter. Dabei machte er Lärm und hustete. An der Türe rüttelte er, als wüßte er noch nicht, daß sie versperrt wäre.

Er trat in die Stube.

»Haymo?« fragte Herr Heinrich in der Schlafkammer.

»Wohl, Herr! Ich kann nit hinaus. Es muß einer die Tür versperrt haben.«

»Komm her zu mir!« Herr Heinrich griff unter das Lederpolster und zog den Schlüssel hervor. »Da nimm! Und kannst auch gleich am Fenster den Laden aufstoßen. Ich mein, der Morgen wird schön.«

Haymo tat, wie ihm geheißen war. Nun trat er ins Freie. Das graue Licht des Morgens kämpfte mit dem Mondschein. Still und dunkel lag die Jägerhütte. Als Haymo ihr entgegenschritt, schlug ihm das Herz bis an den Hals herauf. Trotz der Dämmerung sah er mit seinem Falkenaug, daß am Fenster der Laden offen stand. Aber ein offenes Fenster war auch hinter ihm.

»Wart nur,« murmelte er und raffte ein Steinchen von der Erde, »so gescheit wie die Herrenleut bin ich auch noch!«

Als er die Hütte erreichte, warf er, fast ohne die Arme zu rühren, das Steinchen ins Fenster. Ein leiser Schrei klang aus der Stube. Haymo lehnte das Griesbeil an die Blockwand und bückte sich, als müßte er die Schuhriemen fester knüpfen.

»Gittli!« flüsterte er.

»Haymo!« klang es in der Stube mit zitterndem Laut, und gleich darauf erschien ein weißes Gesicht am Fenstergitter.

»So, jetzt kann er meintwegen zuschauen, wie er mag!« Mit flinkem Satz sprang Haymo auf das Fenster zu. Das war nun freilich ein beschwerlicher Kuß, denn die Lücken des Fensters waren eng, die eisernen Stäbe dick – aber ein Kuß war es doch.

»Laß dich nur nichts verdrießen, Gittli! Tu nur festhalten, gelt?«

»Wie ein Astl am Baum!«

Wieder fanden sich ihre Lippen.

»Behüt dich Gott, Schatzl!«

»Behüt dich Gott tausendmal, mein lieber, lieber Bub!«

Haymo faßte das Griesbeil und taumelte davon, das Herz zum Springen voll von Leid und Freude.

Hinter dem offenen Fenster des Herrenhauses standen der Propst und Desertus.

»Es eilt, Dietwald, es eilt!« sagte Herr Heinrich lächelnd.

»Das merk ich, Herr! Wenn ich nicht das Elend meines Kindes will, muß ich flink die Hände rühren zu seinem Glück.«

Haymo war schon hinausgewandert in die Dämmerung. Er kam an diesem Morgen mit seinem Hegergang so rasch zu Ende wie noch nie. Als die Sonne über die Berge emportauchte, war er schon wieder auf dem Heimweg. Von der Kreuzhöhe sah er die Hütten; sie waren geschlossen. Spähend blickte er über die Täler, die der Pfad durchschnitt. Nahe dem Bergwald sah er die Herren mit Gittli gegen die Almen wandern; sie verschwanden unter den Bäumen und kamen auf dem Almfeld wieder zum Vorschein. Aus der Sennhütte lief ihnen ein Mädel entgegen. Das mußte wohl die Zenza sein? Eine Weile standen die viere beisammen. Dann gingen sie der Hütte zu, und trotz der weiten Ferne meinte Haymo zu erkennen, daß Gittli von den Herren gestützt und geführt wurde.

»Lieber Herrgott,« stammelte er, »sie wird doch nit letz geworden sein!« Über Felsen und Buschwerk stürmte er hinunter ins Tal.

Als er nach einer halben Stunde atemlos die Alm erreichte, trat ihm unter der Hüttentür eine fremde Person mit verweinten Augen entgegen.

Er starrte sie an. »Sind die Herrenleut schon wieder fort?«

»Schon lang wieder.«

»Wo ist die Sennerin?«

»Die bin ich selber. Oder weißt du noch nit, was geschehen ist?« Weinend erzählte sie.

Haymo sank erblassend auf die Bank.

»Gestern um Mittag hat man das arme Leut gefunden. Und der Jörgi geht ab. Seit der Früh schon sucht man nach ihm.«

»Suchen?« stammelte Haymo. »Wo?«

»Beim Wildbach drunten.«

Sich bekreuzend und ein Vaterunser betend, stürzte Haymo davon, um sich den Suchenden anzuschließen.


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