Ludwig Ganghofer
Der Klosterjäger
Ludwig Ganghofer

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Kapitel 24

Zwei Monate waren seit dem Ostertag vergangen, und es kam der Abend vor dem Sonnwendfest.

Walti hatte am Morgen dem Jäger frische Zehrung gebracht. Auf die Botschaft, daß Herr Heinrich dem Jäger gestatte, am Tag nach Sonnwend, am Fronleichnamsfeste, in das Kloster zu kommen, um dem feierlichen Umzug beizuwohnen, hatte Haymo kopfschüttelnd erwidert: »Ich kann nit fort, das Hochwild ist in der Setzzeit, ich muß auf die jungen Kälber achthaben, daß mir keiner drüberkommt, der vier Füß hat oder weniger.« Dann hatte er die Armbrust hinter den Rücken genommen und war hinausgewandert in die vom Sonnenduft des Morgens umflimmerten Berge.

Müde, aber mit Augen, die sich nach keinem Schlummer sehnten, kehrte er abends in die Hütte zurück. Er bereitete sich den Imbiß, löschte das Feuer und zog gewaffnet, wie er gekommen, wieder hinaus in die sinkende Nacht.

Nicht allzufern von der Hütte, auf einer Felskuppe, die das weite Steintal beherrschte, ließ er sich nieder. Das war ein Lieblingsplatz seiner schlummerlosen Nächte.

Tausend Sterne funkelten über ihm, aber ihr Glanz erblaßte schon vor dem Schimmer des steigenden Mondes, dessen Scheibe voll und groß emporschwamm über die wie mattes Silber glänzenden Firnen des Steinernen Meeres. In zartem Grau, als wären sie nicht körperlich, sondern gebildet aus erstarrtem Nebel, hoben sich alle Grate, Zinnen und Kuppen der Berge mit duftverschwommenen Linien in den mondbleichen Himmel, und über sie alle hinaus ragte der Wazmann mit seinem schneebedeckten Haupt, wie ein greiser Ahn inmitten seiner Kinder.

Haymo saß, die Arme um die aufgezogenen Knie geschlungen, das Haupt an den kühlen Fels gelehnt. Mit heißen Augen blickte er über die Berge, weit, weit in die verschleierte Ferne, wo zwischen Göhl und Untersberg das finstere Tal gegen das ebene Land hinauskroch wie eine schwarze, riesige Schlange. Dort draußen konnte Haymo, wenn es Tag und reiner Himmel war, die Türme von Salzburg blinken sehen. Jetzt aber zeigte ihm die Ferne nichts als ein unentwirrbares, eintöniges Grau, in das der steigende Mond weder Helle noch Schatten brachte. Doch nein – je länger Haymo in die Ferne starrte, desto deutlicher sah er ein sanftes Leuchten, wie von zwei Sternen, die ein dünner Nebel umflossen hält; und immer näher schienen sie zu kommen, immer heller wurde ihr Glanz, und nun schimmerten sie vor ihm: zwei große, schöne, rätselhafte Augen in einem schmalen, blassen Gesicht, das ihn anlächelte, selig und traurig zugleich.

»Gittli!«

Er schrie den Namen in die Nacht hinaus und vergrub das Gesicht in die zitternden Hände.

Stunde um Stunde verging. Es mochte Mitternacht vorüber sein, als ein Geräusch den Jäger lauschen machte. Aus dem Steintal klangen Schritte, die immer aussetzten und nach einer Weile, gedämpft und näher, sich wieder hören ließen. Da kam einer emporgestiegen, der für seinen Schritt die grasigen Stellen des Pfades zu suchen schien; er mußte Gründe haben, nicht gehört zu werden.

Lautlos glitt Haymo über den Hang und barg sich im schwarzen Schatten eines Gebüsches. Da sah er einen dunklen, unförmigen Klumpen langsam durch das Tal emporschwanken. Haymo vermochte lange nicht zu erkennen, was es wäre; endlich sah er: es war ein Mensch, der einen gewaltigen Pack von dürrem Reisig auf dem Kopfe trug; nun erreichte er den freien Platz, auf dem die Hütten standen, und legte vorsichtig den Pack zu Boden. Da erkannte ihn Haymo im Mondlicht. Es war Zenzas Hüter, der Kropfenjörgi.

»Was will der Unverstand?« murmelte Haymo und sah kopfschüttelnd zu, wie Jörgi die Schuhe von den Füßen streifte und auf die Jägerhütte zuglitt. Der Bursche lauschte an Tür und Fenster, dann schleppte er einen Felsbrocken herbei, holte einen zweiten, einen dritten, und so türmte er lautlos einen dicken Steinwall vor der Tür empor. Das Reisig verteilte er um die Blockwand und kauerte sich mit leisem Kichern auf die Erde nieder. Ein Schwefelfaden leuchtete bläulich auf, und aus dem Reisig züngelte eine helle Flamme. Jörgi schlich davon und rief mit häßlichem Gelächter gegen die Hütte zurück: »Du wirst der Zenza keinen Schimpf mehr antun!«

Da traf ihn ein Faustschlag, daß er bewußtlos zu Boden stürzte.

Haymo eilte auf die Hütte zu, riß das brennende Reisig auseinander und zertrat die Flammen.

Jörgi kam zur Besinnung; er wollte sich erheben, aber der Jäger warf sich über ihn, und da half es dem Burschen nichts, ob er auch um sich schlug, ob er biß und kratzte wie ein Tier; ein kurzer Kampf, und Jörgi lag mit geknebelten Händen.

»Steh auf!« sagte Haymo.

Jörgi erhob sich.

»Geh voran!«

Der Bursch trottete gesenkten Kopfes auf dem Steig dahin. Mit geschultertem Griesbeil ging Haymo hinter ihm her.

Es war Morgen geworden, als sie die Alm erreichten. Die Kühe zogen schon läutend über das Feld; aber an Zenzas Hütte war die Tür noch geschlossen. Haymo stieß das Griesbeil gegen die Bohlen. »Sennerin! Mach auf!«

Man hörte in der Hütte eine stammelnde Stimme, ein Geräusch, dann wurde die Tür aufgerissen, und Zenza erschien, mit ungeordnetem Haar und nackten Schultern, den Jäger anstarrend mit erschrockenem Blick.

»Da bring ich dir deinen Hüter!« sagte Haymo. »Er hat mich in meiner Hütt verbrennen wollen. Damit ich dir keinen Schimpf mehr antu!«

Zenza wurde kreidebleich, dann wieder schoß ihr brennende Zornröte in die Wangen. Mit heiserem Schrei stürzte sie auf Jörgi zu und schlug ihm, ehe Haymo es hindern konnte, die Faust ins Gesicht. Jörgi wankte, sein Gesicht verzerrte sich, aber kein Laut kam über seine Lippen, und mit gläsernem Blick hingen seine Augen an dem Mädel.

Haymo war davongegangen. Da kam ihm Zenza nachgerannt und umklammerte seinen Arm.

»Haymo! Haymo! Ich tu dir schwören bei allem, was heilig ist im Himmel und auf der Welt: ich hab's ihm nit geschafft. Ich hab nichts gewußt davon.«

»Das weiß ich, Zenza.«

»Schau, Haymo, wenn's geschehen wär, ich selber hätt sterben müssen.«

Er sah sie mit traurigen Augen an, löste ihre Hände von seinem Arm, nickte einen Gruß und ging seiner Wege.

Wie zu Stein verwandelt stand das Mädel und starrte ihm nach. Sie strich den Arm über die Stirn und kehrte müd zur Hütte zurück. Mit einem Messer zerschnitt sie den Strick an Jörgis Händen. »Geh, sag ich, und komm mir nimmer unter die Augen!«

Der Bursch glotzte sie an und rührte sich nicht.

»Mach fort, sag ich! Und wenn du hinunterkommst, dann richt meinem Vater aus, er soll mir einen anderen Hüter schicken.«

Jörgi stand unbeweglich; nur ein Zittern lief über seinen Körper, als Zenza in die Hütte trat; dann atmete er schwer, rieb die Knöchel seiner Hände, faßte die Geißel, die an der Hüttenwand lehnte, und begann seinen Hüterdienst.

Als es Mittag wurde, sah ihn Zenza die Kühe zum Stall treiben. »Du bist noch allweil da?« rief sie mit zornbebender Stimme.

Ein funkelnder Blick traf sie aus seinen Augen. »Ich geh nit, Sennerin! Und wenn einer mit zehn Rossen käm und tät mich fortziehen wollen, ich bleib.«

Sie trat auf ihn zu, riß ihm die Geißel weg und hob sie zum Schlag.

»Willst du gehen?«

»Hau zu! Ich wehr mich nit. Aber bleiben tu ich.«

Klatschend fuhr ihm die Schnur der Geißel ins Gesicht und zeichnete einen blauroten Striemen über Stirn und Wange. Jörgi rührte sich nicht; das Wasser lief ihm aus den starren Augen.

Wieder fragte sie: »Willst du gehen oder nit?«

Er biß die Lippen übereinander und schüttelte den Kopf.

Sie wollte schlagen. Ein Gefühl des Ekels überkam sie – und sie wußte nicht, war es Ekel vor sich selbst, oder Ekel vor diesem menschenähnlichen Tier. Sie warf ihm die Geißel vor die Füße und ging der Hütte zu.

Zitternd hob Jörgi die Geißel auf, ließ die Schnur durch die Finger gleiten und machte sich wieder an seine Arbeit.

Gegen Abend wurde es lebendig auf der Alm. Eine Schar junger Burschen kam; mit ihnen ein Sackpfeifer und ein Zitherschläger. Die Spielleute begannen eine lustige Weise, während die Burschen singend und jauchzend den Holzstoß zum Sonnwendfeuer rüsteten. Dann wurde die Bahn für das Scheibenspiel geebnet. Auf dem untersten Hang des Almfeldes baute sich eine grasige Kuppe über den steil zum See abfallenden Bergwald hinaus; man mußte schwindelfreie Augen haben, um von dieser Stelle furchtlos hinunterzublicken in die gähnende Tiefe, in welcher der See gebettet lag. Ein geflochtener Zaun umschloß den Platz, um das grasende Vieh vor der gefährlichen Stelle zurückzuhalten. Diesen Zaun entfernten jetzt die Burschen, und mit Holzpflöcken stampften und schlugen sie den sacht ansteigenden Grasboden der Kuppe glatt, um eine ebene Bahn für die rollenden Scheiben zu gewinnen; das machte ihnen nur wenig Mühe, denn der Boden war noch glatt vom vergangenen Sommer her. Es wurde auf dieser Kuppe, die der ›Feuerpalfen‹ hieß, seit grauen Zeiten, Jahr um Jahr, das Sonnwendspiel gehalten.

Lange, biegsame Stangen wurden zugerichtet, eine mächtige Fichte wurde gefällt, der Stamm mit der Säge in Scheiben zerschnitten, und aus jeder dieser Scheiben wurde das Mark herausgebohrt.

Der Abend dämmerte schon, als alle Vorbereitungen getroffen waren. Der Gäste wurden immer mehr; ein Bursch um den anderen kam aus dem Tal emporgestiegen, mit hellem Jauchzer sich ankündend; von allen Almen her, oft viele Stunden weit, kamen die Sennerinnen, und jede brachte ein mit geweihtem Wasser besprengtes Scheit zum Sonnwendfeuer und eine lange Kienfackel, um die heilige Flamme heimzutragen durch die finstere Nacht.

Als am dunklen Himmel die Sterne blinkten, wurde Feuer an den Stoß gelegt. Alle standen schweigend im Kreis umher, um achtzuhaben, wie hoch die erste Flamme emporzüngelte: denn so hoch würde der Flachs geraten in diesem Jahr.

Mit Knistern und Prasseln wuchs das Feuer, und es währte nicht lang, da loderte es baumhoch empor mit rauschenden Flammen, die sich durcheinander ringelten wie hundert glühende Schlangen. Und da begannen auch in der finsteren Ferne, auf allen sichtbaren Gebirgsstöcken, auf den Lattenbergen und dem Wazmann, auf dem Göhl und Untersberg die Sonnwendfeuer aufzuleuchten, daß es anzusehen war, als hätte der Himmel seine Sterne als feurige Flocken heruntergeschüttet auf die Berge.

Die Pfeife klang, Die Zither fiel ein, jeder Bursch faßte sein Mädel um die Mitte, und in geschlossenem Reigen wirbelten die jauchzenden Paare rings um das Feuer, bis der Holzstoß zerfiel und die Flammen zu schrumpfen begannen. Da stellten sich die Paare in langer Reihe auf.

»Springet, Dirnen und Buben,« rief der Zitherschläger, »daß euch beim Traidschneiden das Kreuz nit weh tut!«

Und der Bursch, der zuvorderst in der Reihe stand, warf seinen Hut in die Luft und sang dazu:

»Unterm Kopf, überm Kopf
Tu ich mein Hütl schwingen!
Dirndl, wie lieber mich hast,
So höher mußt springen.«

Lachend reichte ihm sein Mädel die Hand, in gleichem Schritt begann das Paar den immer flinker werdenden Anlauf. »Hupp auf!« schrien alle anderen. Und in hohem Schwung flog das Paar über die breite Glut hinweg und durch die züngelnden Flammen. Jauchzender Zuruf folgte dem glücklichen Sprung, und der Bursch halste das Mädel: »Schatz! Wir haben uns ein glückselig Jahr erschwungen!«

Paar um Paar sprang über das Feuer; mißglückte der Sprung, dann regnete es spottende Scherze über die Ungeschickten, die mit verdrossenen Gesichtern hinter die Reihe zurücktraten, um den Sprung ein zweites Mal zu versuchen.

Zenza stand mit verschränkten Armen unter der Hüttentür und schaute finster dem fröhlichen Treiben zu.

Da trat ein Bursch zu ihr. »Zenza, willst du dich nit schwingen mit mir?«

Sie blickte auf; es war Ulei der Bildschnitzer. Sie gab ihm keine Antwort; nicht einmal den Kopf schüttelte sie; schweigend trat sie aus der Tür, wandte dem Burschen den Rücken und wanderte langsam in die Nacht hinaus.

Das letzte Paar war glücklich über das Feuer gesprungen, und nun begann das Scheibenspiel. Ein Bursch um den anderen faßte mit langer Stange eine der durchlöcherten Scheiben und hielt sie ins Feuer, bis sie zu glühen begann; dann sagte er den altherkömmlichen Scheibenspruch, setzte das glühende Rad auf die ebene Bahn und begann gegen den Feuerpalfen zu laufen; nahe vor dem Abgrund ließ er die rollende Scheibe mit kräftigem Schwung von der Stange gleiten, daß sie funkensprühend hinausflog in die Luft und verglimmend in die Tiefe sank. Auch hier gab es Lob und Spott, je nachdem der Wurf gelang. Unter den Scheiben war eine, mit welcher keinem Burschen der Schwung gelingen wollte; die Scheibe war zu plump und schwer geraten; bald wollte sie nicht richtig glühen, bald brach unter ihrem Gewicht die Stange, bald wieder rollte sie seitwärts davon, noch ehe der Feuerpalfen erreicht war. Am Ende ließ man sie liegen und hielt sich an die leichteren Scheiben, die sich flink und lustig treiben ließen. Wohl eine Stunde währte das fröhliche Spiel, das sich wundersam ausnahm in der finsteren Nacht.

Da kam noch ein später Gast zum Sonnwendfeuer: Haymo, der Klosterjäger. »Schenket mir auch eine Scheib!« sagte er zu den Burschen, die ihn mit herzlichem Willkomm empfingen.

»Schad, Jäger, du bist zu spät gekommen. Die Scheiben sind all schon vertrieben.«

»Dort liegt noch eine.«

»Die will sich nit treiben lassen.«

»Sie muß!« Der Jäger packte den rußigen Klotz und warf ihn ins Feuer. Als die Scheibe um und um glühte, hob er sie mit der Stange aus den Flammen und sagte mit bebender Stimme den Spruch:

»Eine Scheiben
Will ich treiben
Meiner Herzallerliebsten zu Ehren!
Will's einer wehren?«

Mit jähem Ruck setzte er den brennenden Klotz auf die verkohlte Grasbahn, fing zu laufen an und wirbelte die Scheibe, daß die Funken emporstoben wie aus einer Esse. Dicht vor dem Absturz hielt er inne. »Gittli, ich tu dich grüßen!« Das schrie er mit zitterndem Ruf in die Nacht hinaus. Und von mächtigem Schwung getrieben, surrte das feurige Rad in weitem Bogen über den Abgrund.

Alle rannten zum Feuerpalfen. »Schauet nur, schauet,« riefen die Mädchen, »so hat noch keiner eine Scheib getrieben!«

Inmitten der Lärmenden stand Haymo und blickte stumm seiner Scheibe nach, die einer fallenden Sonne gleich in die Tiefe sank und immer noch keinen Grund erreichte.

»Schauet, schauet,« rief es rings um ihn her, »sie fallt hinunter bis in den See!«

Tiefer und tiefer sank das kreisende Feuerrad, es wurde kleiner und kleiner, nun glich es schon einem winzigen Stern, und jetzt – die Scheibe mußte auf einen Fels gefallen und zersplittert sein – jetzt sprühte der Stern in hundert Funken auseinander, die sacht erloschen.

Schwer atmend schloß Haymo die Augen. So war sein leuchtendes Glück zerbrochen, versunken und erloschen.

Er wand sich aus dem jubelnden Kreis und trat in die Finsternis des Waldes. Dort stand er im schwarzen Schatten der Bäume und starrte nach dem erlöschenden Sonnwendfeuer, dessen zuckende Flammen vor dem Licht des steigenden Mondes erblaßten. Er sah, wie eine Sennerin nach der andern zum Feuer trat, um die Kienfackel zu entzünden. Paarweis zogen sie davon, bergab oder seitwärts über die Halden, jede Dirn mit ihrem Buben. Grüße, Jauchzer und Jodler hallten von allen Pfaden durch die mondhelle Nacht. Und vom Steig herauf, der hinunterführte ins Klosterdorf, klangen noch die gurgelnden Töne der Sackpfeife. Bald waren die letzten Gestalten der Heimwärtsziehenden im Dämmerschein der Mondnacht entschwunden, und man sah auf allen Wegen nur noch die Fackeln ziehen, gleich gaukelnden Sternen, und jeder von diesen Sternen leuchtete einem heimlichen Glück, zärtlichem Geplauder und endlosen Küssen.

Haymo wollte aus dem Wald hervortreten. Da sah er noch einen letzten zu dem erlöschenden Feuer treten. Jörgi war es; er steckte ein Bündel Späne in die Glut, und als sie Feuer fingen, trug er die heilige Sonnwendflamme in Zenzas Hütte.

Haymo wollte ihm nicht begegnen; im Schatten des Waldes schritt er langsam dahin. Als er dann quer über das Almfeld wanderte, hörte er plötzlich in seiner Nähe ein bitterliches Weinen. Unter einer einsam stehenden Fichte sah er Zenza auf der Erde sitzen; sie hielt das Gesicht mit den Händen bedeckt, ihr ganzer Körper schauerte von Schluchzen. Sie hörte seinen Schritt nicht; erst als er, leis ihren Namen nennend, die Hand auf ihre Schulter legte, blickte sie erschrocken auf. »Was willst du von mir?«

»Ich hab dich weinen hören. Das hat mir weh getan. Und ich möcht dir's abbitten, wenn ich dir etwas Ungutes angetan hab. Schau, Zenz, ich kann nichts dafür.«

Sie lachte zornig.

»So mußt du nit sein, Zenza! Es kann doch keines was dafür. Es hat halt nit sein mögen, daß wir zwei uns zusammenfinden in Freud und Fried. Schau, Zenz, so laß uns zusammenstehen und gute Kameradschaft halten im Herzleid! Könntest du nur hineinschauen in mich, wie's ausschaut da drin. Ich weiß, du tätst mir nimmer zürnen, sondern tätst ein Erbarmen mit mir haben.«

»Haymo!« stammelte sie und zog ihn an ihre Seite. »Komm, schau, tu dich vor mir nit scheuen! Vor mir kannst du alles reden. Was hast du für ein Herzleid? Sag's, Haymo!«

In heiß quellendem Schmerze rang es sich aus seiner Brust: »Ich kann das Mädel nit vergessen. Ich würg mich und plag mich und zwing mich, und ich kann sie halt nit vergessen. Wo ich hinschau bei Tag und Nacht, überall steht ihr Gesicht und schaut mich an. Jedes Lüftl im Wald, jedes Wasser, das ich rinnen hör, alles hat dem Mädel seine Stimm. Jedes schlachtige Bäuml, jedes Blümel tut mich mahnen dran. Und den See, den darf ich schon gar nimmer anschauen. Und niederst hab ich kein Bleiben nimmer. Bin ich draußen, so treibt's mich heim, und bin ich daheim, so treibt's mich wieder fort. Das ganze Herz brennt's mir zusammen wie ein dürres Scheitl Holz. Ich spür's, Zenza, ich muß versterben dran!«

»Haymo! Jesus, Maria! Du mein lieber Bub!« Sie verstummte. Dann sprach sie weiter, mit ruhiger, fester Stimme: »Weswegen sollst du das Mädel vergessen müssen? Tut dich vielleicht die Gittli nit mögen? Aber geh, so eine dumme Frag! Wie soll dich eines nit lieb haben? Ich weiß schon – ich hab's gehört, man hat sie fortgeschafft, gelt?«

»Ja, Zenza!«

»Warum denn?«

»Ich weiß nit. Es hat geheißen, man tät ihr Glück machen.«

»Glück?« murrte das Mädel. »Das Glück, das die Herrenleut für unsereins übrig haben, das geb ich keiner Kuh zu fressen. Aber sag, wo ist sie denn hingekommen?«

»Nach Salzburg zu den Domfrauen.«

»Was tut sie denn da? Schafft sie im Stall oder in der Küch?«

»Ich weiß es nit.«

Zenza blickte sinnend vor sich hin. Dann sprang sie auf. »Schau, es muß schon mitternächtige Zeit sein, das Mondmanndl steigt schon hinunter über die Berg. Geh, Bub, steh auf und mach, daß du heimkommst. Schau, du bist so müd und übernächtig, daß du dich schier nimmer auf den Füßen halten kannst. Da hast du dein Käppel und dein Griesbeil! So! Und jetzt schau, daß du heimkommst, und leg dich schlafen! Gut Nacht, Bub!«

»Gut Nacht, Zenza!« sagte Haymo mit versunkener Stimme. »Und Vergeltsgott für den Haimgart!«

»Wohl! Kehr nur wieder einmal zu auf meiner Alm! Morgen bin ich nit daheim. Aber übermorgen, da findst du mich wieder.« Ein schmerzliches Lächeln zuckte um ihren Mund. »Und jetzt schau, daß du heimkommst! Und schlaf auch! Gelt?«

»Wenn ich's fertig bring. Gut Nacht, Zenza!«

»Gut Nacht, Haymo!«

»Vergeltsgott!«

»Und Glück auf Sonnwend!«

»Glück? Möcht wissen, wo's herkommen soll?«

Müden Ganges stieg Haymo über den Almhang empor.

Zenza blickte ihm nach, bis seine Gestalt im Zwielicht der Mondnacht zerfloß. »Nein, Bub,« stammelte sie, »versterben sollst du mir nit, solang ich noch eine Zung hab und Füß am Leib!«

Sie eilte der Hütte zu. Als sie zur Türe kam, sah sie Feuer auf dem Herd; Jörgi kauerte im Winkel und glotzte in die züngelnden Flammen. Mit leisem Schritt entfernte sich Zenza wieder. Als sie den Steig erreichte, der in das Klosterdorf hinunterführte, begann sie zu laufen.

Der helle Mondschein leuchtete auf ihrem stillen Weg.


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