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Großstadtbild.

Vor lichtüberflutetem Schaufenster steht
ein kleines Mädchen. Es ist schon spät,
acht schlägt die Uhr vom Rathausturm.
Um die Ecken pfeift der Novembersturm,
es zaust an dem Röckchen vom Bettelkind
der unbarmherzige, schneidende Wind.
Die Kleine aber beachtet ihn nicht,
sie schaut nur geblendet von all dem Licht
mit glänzenden Augen das Schaufenster an.
»Ach, wer sich doch hier was kaufen kann.«
Ganz leise hat sies für sich gesagt,
da tritt eine Dame zu ihr und fragt
– mit weltmüdem Lächeln, das Antlitz blaß,
die schimmernden Augen von Tränen naß –:
»Vertrau mir mein Kind, wonach steht dein Begehr?«
Die Kleine stammelt glückselig nur: »Der«
und deutet den stattlichsten Lebkuchenmann
mit den freudebebenden Händchen an.
Die vornehme Dame im Trauergewand
nahm das kleine Bettelkind an die Hand
und führte es in den Laden hinein,
da lag der sonnigste Sonnenschein
in dem Kinderantlitz, den Augen so blau,
und sie stammelt: »Danke, gnädige Frau.«
Die Dame küßte der blondlockgen Dirn
voll Rührung die freudegerötete Stirn.
Sanft lächelnd neigt sie sich zu ihr und spricht:
»Erfüllt ist dein Wunsch jetzt, doch meiner noch nicht,
man kauft sich mit Hab und mit Gut und Geld
weiß Gott nicht alles auf dieser Welt ...«

*

Dann steigt sie leis-weinend in ihr Gespann,
die Pferde stampfen: »Vorwärts, Johann.«

*


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