Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Ein gekröntes Opfer.

I.

»Leb wohl, mein Wien – o Mutter lebe wohl,
ich fühle es, euch seh ich niemals wieder;
mich treibt mein Schicksal fort in fremdes Land.«
Marie-Antonie preßt die schmale Hand
aufschluchzend an das weiße Seidenmieder.
Laut, ungestüm klopft heut ihr stolzes Herz
vor bittrem Leid und Weh im Trennungsschmerz.

Die Glocken dröhnen von Sankt Stephans Dom,
es wehen Banner, Fahnen rings im Winde;
des Volkes Jubel tönt allüberall,
er findet keinen frohen Widerhall
bei der Caesarin blondem Lieblingskinde.
Es senkt zu Boden den umflorten Blick
und flüstert leise: »Führt mein Weg zum Glück?«

Hinab zur Staatskarosse wankt die Braut,
das Herz erfüllt von ahnungsvollem Bangen,
sie wendet noch das Haupt ein letztes Mal:
»O Mutter,« stöhnt sie auf in Seelenqual,
»laß mich noch einmal dir am Halse hangen;
auf dein Gebot werd ich nach Frankreich gehn,
Mutter! – Nie werden wir uns wiedersehn!«

Hatschiere machen schweigend die Honneurs,
Fanfaren schmettern, Trommelwirbel dröhnen,
und all der Kirchenglocken hehrer Laut
sagt Lebewohl der jungen deutschen Braut
des Frankenprinzen, die mit dumpfem Stöhnen
zur Fremde zieht aus ihrer Heimat Flur
ins Land der Dubarry, der Pompadour ...

*

II.

Gar lustig gehts her zu Versailles im Schloß,
zu Trianon unter Platanen,
die junge Dauphine besteigt ihr Roß,
gefolgt von ihrer Bewundrer Troß.
»Mich schützt das Schild meiner Ahnen.

Mich schützt es vor der Verleumdung der Welt,
wenn ich mir auch huldigen lasse,
mein liebliches Antlitz jedem gefällt,
mir huldigt der Dichter, mir huldigt der Held,
mir huldigt das Volk auf der Gasse.«

Doch Jugend und Schönheit haben fürwahr
ihre Feinde wie nichts auf Erden,
Der Neid blickt aus allem so sonnenklar.
Marie-Antoinette, dein rotblondes Haar
soll Fluch, soll Verderben dir werden.

Marie-Antoinette, nimm dich in acht,
du wirst deinen Feinden zur Beute;
du bist noch so jung, noch so unbedacht,
was gingst du zu Balle allein in der Nacht
mit dem Grafen von Artois heute?

Was ließest du dich allein auf dem Eis
von Fersen in Trianon fahren?
Graf Axel ist feurig, sein Blut wallt heiß,
und er liebt dich wie keiner ... daß Gott es weiß!
Was soll denn die Welt dazu sagen?

Dein Gatte sitzt in der Werkstatt und feilt
an Schlössern schon frühe am Morgen;
wenn sich der Herr König nicht bald beeilt
und den Schlüssel zu deinem Herzen nicht feilt,
muß ihn wohl ein andrer besorgen.

Dein Gatte ist kühl bis ans Herz hinan,
holdselge Marie-Antoinette,
Du bist vermählt – und du hast keinen Mann,
o, wer doch den Toren begreifen kann –
leer läßt er das Ehebette ...

Und Maria-Theresia schreibt: »Schenk einen Sohn,
einen Erben dem König der Franken.
Der prunkende alte Bourbonenthron
erwartet ihn längst.« – Sie ahnt nicht den Hohn,
sie sieht nicht das Königreich wanken.

Es wogt das Geschick wie ein brandendes Meer
zu des jungen Herrscherpaars Füßen.
Maria-Theresia erlebt es nicht mehr –
Der Enkel des heiligen Ludwig muß schwer
die Sünden der Väter büßen ...

*

III.

Dreißigtausend Mann bilden heute hier
von der Conciergerie bis zum Richtstuhl Spalier.
Ein elender Karren mit hölzerner Bank
steht bereit für der Königin letzten Gang.
Verbogen die Räder, beschmutzt mit Kot,
so führt man die Kaisertochter zum Tod.

Mit vornehmer Würde, doch einfach und schlicht,
Geringschätzung auf dem stolzen Gesicht,
sitzt sie mit gefalteten Händen da
auf dem Leidenswege nach Golgatha.
Ihre Augen blicken zum Himmelszelt,
die Seele ist längst schon in andrer Welt,
bei der Mutter, den Kindern, bei ihrem Gemahl.
Tod heißt ihr Erlösung von Erdenqual.

Sie hört und sie sieht es längst schon nicht,
wie der johlende Pöbel die Schranken durchbricht,
wie die Strickerinnen Verwünschungen schrein,
und Gremmont, der Hundsfott, sich rühmt:
»Die war mein.«

Stumm küßte sie knieend, erhobenen Blicks
ein winziges goldenes Kruzifix.
Dann stieg sie – nichtachtend des Volkes Spott –
jeder Zoll eine Königin – auf das Schafott.

*


 << zurück weiter >>