Gustav Frenssen
Peter Moors Fahrt nach Südwest
Gustav Frenssen

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Kapitel XVII.

So machten wir uns denn also aus dem fernen Osten auf und zogen nach Westen, der Hauptstadt zu. Weit über die Hälfte von uns mußte zu Fuß, die Packtasche auf dem Rücken, dahinziehn.

Es war um die Zeit des Oktobers, wo in dieser Gegend der Frühling ins Land zieht. Regen und Gewitter waren schon tüchtig über die Steppe gefahren und fuhren noch darüber; davon sprießte nun neue Kraft aus der Erde, die so unfruchtbar aussah. In dem langen gelblichen Gras erschienen Blumen und erfüllten die Luft mit ihrem milden, schönen Duft. Der verhaßte Dornbusch bekam dunkelgrüne Blätter und schneeweiße Blüten; manch einer von uns trat heran und pflückte ein buntes Zweiglein von dem Verhaßten. Die einzelnen großen Bäume schmückten sich mit langstieligen gelben oder lilafarbenen Dolden; andre trugen Blüten, die federartig waren und von schneeiger Weiße. Und über all dem frischen Grün und dem herrlichen reinen Weiß und satten Gelb wölbte sich hoch, hoch oben der wolkenlose blaue Himmel. Wenn wir recht gesund und satt gewesen wären und wir nicht an Krankenkolonnen und an frischen Gräbern vorbeigemußt hätten, wäre es wohl ein schöner Weg gewesen.

Ich hatte das fremde Land schon lange gern; bleiben wollte ich zwar nicht; ich wollte meine Eltern und mein Handwerk nicht aufgeben; doch stand bei mir fest, daß ich es nach Jahren einmal wieder besuchen wollte; und ich werde das auch durchsetzen. Es waren aber nicht wenige unter uns, denen das Land desto mehr gefiel, je mehr sie es kennen lernten, und die ernstlich bei sich beschlossen, zu bleiben und Farmer zu werden. Wenn auch nur die Hälfte bei ihrem Beschluß geblieben ist, werden an fünfhundert von uns im Lande bleiben.

Als wir noch zehn Tagemärsche von der Hauptstadt entfernt waren und abends bei besserer Kost – es war ein Proviantwagen mit Speck und Kaffee und andern guten Dingen angekommen – gemütlich ums Feuer saßen und wieder mal von unsrer fröhlichen Heimkehr sprachen, kam Heinrich Gehlsen vom Hauptquartier herüber zu uns und sagte, daß die Hottentotten, die im Süden wohnen, sich plötzlich erhoben hätten, und daß nun also noch ein zweiter Feldzug käme, der wohl ebenso schwierig sein würde wie der eben beendete; an Heimkehr wäre jedenfalls nicht zu denken. Da wurden wir aber sehr still. Dann schalten wir und wunderten uns. Ein Berliner, der unter uns saß, kam zuletzt zu dem Schluß und sagte: »Na, mich soll's ejal sein; aber meine Mutter wird schön schimpfen.« Wir beredeten die Sache noch sehr lange, gingen auch zu den anderen Backschaften und erfragten und erfuhren allerlei. Am Spätabend kam ein mächtiges Gewitter vom Süden herauf und stieg bis über das breite, trockne Flußbett; flackernder Lichtschein erfüllte bis nach Mitternacht die ganze südliche Himmelsseite. Es war, als wenn wir wissen sollten, wie schwer der Kampf würde, der da unten bevorstand. Gegen Morgen wurde die Nacht bitterkalt und windig.

Am folgenden Morgen fragte mich der Oberleutnant, mit dem ich den letzten Patrouillenritt gemacht hatte, ob ich ihn aufs schnellste nach der Hauptstadt begleiten wollte; er wäre krank und wolle ungern auf der Pad zusammenbrechen. Ich war mit Freuden bereit und ritt also mit ihm, so rasch unsere Pferde konnten. Am dritten oder vierten Tag unsres Rittes fiel mir auf, daß mein Herz so schwer und laut schlug. Ich drückte oft die flache Hand fest darauf und dachte: ›Was fällt dir ein, sei ruhig!‹ aber das half nicht. Ich dachte mir auch noch nicht viel, als ich am vierten oder fünften Tag, zum erstenmal in meinem Leben, ohnmächtig wurde. Ich hatte auch viel zu sorgen, daß ich den Oberleutnant im Sattel hielt, der sein letztes bißchen Kraft zusammen nahm, um den Ritt zu Ende zu bringen. Aber als wir am achten Tag morgens durch die Hauptstadt ritten, wurde der stechende Schmerz im Herzen unerträglich; ich konnte den Oberleutnant noch an der Tür des Lazaretts abliefern und im Schritt zur Feste hinaufreiten. Da aber wurde ich ohnmächtig von heranspringenden Kameraden vom Pferde gehoben.

Man brachte mich ins Lazarett, und der Arzt untersuchte mich und sagte, ich hätte mir durch die langen Anstrengungen, besonders durch den letzten scharfen Ritt, einen Herzfehler geholt und könnte in einem Lande mit so hoher Lage und so dünner Luft jetzt nicht leben und müßte nach Haus.

Da fuhr ich denn, nachdem ich acht Tage im Lazarett gelegen hatte, in vier ungemütlichen Tagfahrten mit der kleinen klappernden Bahn in den offenen kleinen Rübenwagen nach der Küste und kletterte am zweiten Tag nach meiner Ankunft in meiner Schutztruppenuniform mit Tornister und Mantel die Strickleiter hinauf an Deck des Wörmanndampfers.

Wir waren fünfzig Mann an Bord, die meisten kränklich, einige sehr krank. Einer hatte einen Schuß in die Brust bekommen, der noch eiterte. Wir saßen oft neben ihm und trugen ihn auf seinem Lager an die Sonne und trösteten ihn; aber er hatte keinen Mut; er lag dumpfbrütend, und zuweilen wimmerte er leise. Ich weiß nicht, was aus ihm geworden ist. Einer, eines Tagelöhners Sohn aus Pommern, hatte ein Bein verloren; er konnte schon an Krücken springen und tat, als wenn er guter Dinge wäre; er sagte, er könne nun in Wahrheit singen, was sie in der Dorfschule so oft gesungen hätten: »Alles, was ich bin und habe, dank ich dir, mein Vaterland.« Aber er saß oft mit stillem Gesicht in seinem langen Stuhl; er war erst dreiundzwanzig Jahre alt. Einer hatte auf einem Eilmarsch einen Hitzschlag bekommen und hatte seitdem fixe Ideen, die während der Fahrt immer schlimmer wurden. Er hielt sich für den König von Südafrika und wollte in Deutschland Kanonen bestellen. Ich habe gehört, daß er wieder ganz gesund geworden ist. Einer hatte einen Knochenschuß und sollte in Berlin noch einmal operiert werden. Die andern waren fast alle herzkrank oder hatten schweren Typhus hinter sich. Wir waren alle freundlich miteinander und hielten gut zusammen; nur einer war da, der von Tag zu Tag unbeliebter wurde, ein Berliner, der alles hatte, konnte und wußte.

Ich hatte mir über hundertfünfzig Mark von der Kriegslöhnung gespart und verwandte sie dazu, daß ich in der zweiten Kajüte fuhr. Heinrich Gehlsen, der einen schweren Typhus überstanden hatte und auch mit zurückfuhr, hatte mich auf den Gedanken gebracht. Ich tat es gern und habe es nicht bereut. Wer in äußerlichen Dingen auf sich hält, der wird dadurch vorwärtsgetrieben, daß er es auch in allen anderen Dingen weiterbringt. Ich verkehrte am meisten mit ihm und mit einem Stückmeister von der Marine, das ist der Mann, der auf den großen Kriegsschiffen einen Panzerturm bedient. Er war mit Gehlsen und mir bei unserem ersten schweren Gefecht mit dabei gewesen und war ein breiter, behaglicher Mann, voller Schnurren und Schelmereien. Ich mochte ihn besonders darum so gern, weil er seinen beständigen und großen Humor nicht allein den Gesunden, sondern besonders auch unseren Kranken zukommen ließ.

Obgleich wir fast alle irgendwelchen Schaden hatten, waren wir doch fröhlich über die Heimkehr. Bis hinauf nach Spanien hat die Back viel Schelmenspiele, Gesang und Narrheit gesehn; ich konnte selbst nichts dazu beitragen; ich hatte aber viele Freude daran.

Wir waren sehr froh, als wir die Küste von England wiedersahen. Gleich darauf begegnete uns das erste deutsche Schiff, ein kleiner, schlanker Kreuzer unserer Marine, noch ganz neu. Er stürmte gewaltig dahin. Am Abend des anderen Tages kam uns ein Wörmanndampfer entgegen, der Mannschaft für den Feldzug gegen die Hottentotten an Bord hatte. Sie standen in ihren weiten, grauen Mänteln und großen Schlapphüten an der Reling und riefen zu uns herüber.

Am anderen Abend um fünf Uhr näherten wir uns Cuxhaven; wir sahen es deutlich im Dämmern liegen. Obgleich es schneidend kalt war, standen wir doch in unseren dicken Mänteln lange an der Reling. Erst als es dunkle Nacht wurde, gingen wir unter Deck. Um ein Uhr in der Nacht machte das Schiff in Hamburg am Petersenkai fest; wir blieben aber die Nacht über an Bord.

Am Vormittag kam der Arzt und besah einen jeden von uns. Dann kamen zuerst die Schwerkranken von Bord; dann wir. Am Nachmittag wollte ich zur An- und Abmeldung nach Kiel fahren.

Als ich so in meiner abgetragenen, schmutzfarbenen Korduniform, mit dem sonnenverbrannten dunkeln Gesicht den Jungfernstieg entlang schlenderte, gesellte sich ein Mann in mittleren Jahren zu mir, der mich im Weitergehen dies und das fragte. Im Laufe des Gespräches kam es heraus, daß ich schon oft im Elternhause von ihm gehört hatte; denn er war von Kind an mit meinen Eltern bekannt gewesen und hatte sie neulich wieder besucht. Da fing ich an, nach allen zu Hause zu fragen, und hörte nicht auf damit. Es war mir, als wenn ich sieben Jahre von Hause fortgewesen wäre.

Ende


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