Gustav Frenssen
Peter Moors Fahrt nach Südwest
Gustav Frenssen

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Kapitel XIII.

Weil ich schon länger im Lande war als die andern, bekam ich am fünften Tag nach meiner Ankunft vom Hauptquartier den Auftrag, mit drei Mann eine Meldekarte zu der westlichen Abteilung zu bringen, die als die letzte von Deutschland gekommen und in ihrem Anmarsch noch etwas zurück war.

Ich setzte noch durch, daß der Mecklenburger ein besseres Pferd bekam, und sah auch selbst nach, ob das Sattelzeug in gutem Stand war und ob in jeder Satteltasche der nötige Proviant und die acht Pfund Hafer waren: dann ritten wir nach Westen zu in die helle Nacht hinaus. Der Oberleutnant hatte alles genau mit mir durchgesprochen: Wasserstelle, Wegspur und Richtung nach dem Kreuz, das klar am Himmel stand. Ich sollte möglichst südlich reiten und dann nordwestlich, um zu sehn, wie weit die Feinde nach Süden hinunter säßen. Nach einem Ritt von etwa achtzig Kilometern sollte ich verrichteter oder unverrichteter Sache umkehren.

Wir ritten scharf, eine Viertelstunde Trab, dann fünf Minuten Schritt. Voran ein Berliner, ein heller Junge, Sohn eines Droschkenkutschers, dann ich und ein ganz junger Elsässer, dann, hinter uns, der Mecklenburger. Es war eine kalte, klare, sehr helle Nacht. Mondschein war nicht; aber das wirre Sternenheer funkelte am ganzen Himmel.

Die ersten drei Stunden vergingen ohne ein besonderes Ereignis. Der Berliner und ich lugten scharf ins Dunkle vor uns und zur Seite. Der Elsässer neben mir rückte zuweilen wunderlich im Sattel und gestand mir leise, daß er sich durchgeritten hätte; er hätte aber den Ritt so gern mitmachen wollen. Der Mecklenburger trabte treulich im Sande hinter uns her. Es war so hell, daß ich die Staubluft sah, welche die Pferdehufe hochwarfen. Zwischen dem stumpfen Aufstoßen der Hufe im Sand klang von fern aus dem Buschfeld das lange, klagende Heulen eines Schakals und das scharfe Keckern einer Hyäne, das mich jedesmal, wenn es plötzlich ansetzte, erschreckte. Zuweilen stolperte ein Pferd; mit leisem Fluch riß der Reiter es wieder hoch. Dann und wann stieß ein Huf gegen einen Stein, daß es einen hellen Klang gab. Nach Nordwest zu stand überm Busch hinter fernen, hohen Bäumen ein heller Feuerschein; der Berliner behauptete, er könne riechen, daß es ein Grasbrand wäre. Der Mond ging auf. Ein klares, sanftes Licht lag weich und still weit und breit über dem Busch.

Etwas nach Mitternacht, als wir eine langsam ansteigende Wagenspur hinauftrabten, hob der Berliner die Hand und deutete nach rechts vor uns über eine Lichtung. Nicht fünfhundert Meter von uns entfernt, ganz unten an der Erde, glühten, klein und wie umhegt, mehrere Feuer, wie Katzenaugen im Dunkeln unter Büschen. Da unsere Pferde laut schnoben, was sie in der Nachtkälte oft taten – und die Nacht war nun bitterkalt – stiegen wir leise ab und führten sie eine Weile und spähten dabei nach rechts, nach den Feuern. So kamen wir bald an eine Stelle, wo das lange Gras zu beiden Seiten des Weges zertreten war. Da legte ich mich in die Knie und kroch eine Strecke und sah die Spuren unendlich vieler Kinderfüße, dazwischen die Spuren Erwachsener. Große Kinderscharen, von ihren Müttern geführt, waren hier nach Nordosten zu über den Weg gegangen. Ich stand wieder auf und ging nach einem niedrigen Baum, der da am Wege stand, und kletterte in meinen schweren Stiefeln einige Meter hinauf. Da sah ich, nur hundert Meter von mir entfernt, eine breite, mondbeschienene Anhöhe hinaufsteigend, Hunderte von runden Laubhütten, aus deren niedrigen Eingängen hier und da Feuerschein blitzte, und hörte auch Kinderweinen und das Aufblaffen eines Hundes. Es lagen da Tausende von Frauen und Kindern unter leichtem Laubdach um versunkene Feuer. Und weiter dahinter, auf immer breiter werdender Anhöhe, bis zum Rande des Gebirges, das scharf gegen den blauen Sternhimmel aufragte, standen in Haufen Hütten, wie Klumpen, verschwommen und dunkel. Auch von dorther kam Hundegebell und Viehbrüllen. Ich starrte mit großen, lungernden Augen auf das mächtige nächtliche Bild und merkte mir genau die Lage zum Rand des Gebirges; doch fuhr es mir durch den Kopf: ›Da liegt ein Volk, mit all seinen Kindern und all seinem Hab und Gut, von allen Seiten von wildem, schrecklichem Blei gedrängt und zum Tode verurteilt;‹ und es ging mir kalt über den Rücken.

Wir gingen vorsichtig weiter, erst zu Fuß; dann stiegen wir wieder in den Sattel. Um sechs Uhr, im anbrechenden Morgenlicht, kamen wir an eine Stelle mit hohem, krausem Gras, das die Pferde gern fraßen. Da lockerten wir die Sättel und ließen die Pferde eine Stunde lang grasen, während wir, die Trense in der Hand, dabei standen. Rechts von unserer Wegrichtung erhob sich steil, mit Wucht und Kraft, wie eine Festung, der breite Berg, vor dem das feindliche Volk lagerte. Die Morgensonne beschien warm und hell die Wälder, die auf seinem Rücken lagen, und vertrieb die Nebel, die noch hier und da in den Waldecken hingen. Als wir wieder in den Sattel stiegen, merkte ich, wie steif und müde unsere Pferde waren, besonders das des Mecklenburgers.

Da wir vom Feind nichts sahen, auch keine Spur mehr über den Weg lief, als höchstens die eines einzelnen, glaubte ich, daß wir die Stellungen des Feindes hinter uns hätten. Auch der Berliner meinte es. So ritten wir langsam vier Stunden, in immer größerer Hitze, da trafen wir drei tiefe Wasserlöcher im kalkigen Grund, seitwärts von einem hohen Baum. Der Berliner warf einen Stein hinein und hörte am Klang, daß Wasser in der Tiefe war. Da beredete ich es kurz mit dem Berliner, daß wir hier der Pferde wegen, die am Ende ihrer Kraft waren, eine ordentliche Mittagsrast halten wollten. Wir sattelten also ab, banden die Trensen zusammen, die Futtersäcke daran, ließen den Berliner hinuntersteigen und holten ein wenig schlechtes, aber kühles Wasser herauf und tränkten die Pferde. Wir tranken aber selbst nicht von dem Wasser, sondern nahmen das letzte aus unsern Wassersäcken und füllten von dem schlechten Wasser hinein und gingen nach einem hohen Baum, um zu essen. Ich weiß noch, daß mir der Gedanke durch den Kopf fuhr, daß wir in der brennenden Sonne bleiben wollten, weil der Baum mir zu nah am Busch stand; aber ich gönnte ihnen den kühlen Schatten, und ich wollte nicht, daß der Berliner, der ziemlich naseweis war, mich heimlich für feige hielte; ich verließ mich auch auf die Lebendigkeit des Berliners, der als erster wachen sollte. Indes wollte ich die Pferdewache übernehmen. Ich erzähle dies so genau, weil ich mir immer wieder Gedanken mache, ob ich etwas versehen habe.

Als ich wohl bald zwei Stunden zwischen den weidenden Pferden gestanden hatte, die Trense in der Hand, und mich gerade bücken wollte, um eine große, stechende Fliege zu töten, welche zwischen den Vorderbeinen meines Pferdes saß, daß es heftig stampfte, da hörte ich von der Lichtung her einen kurzen, furchtbaren Aufschrei, der sich mir sofort wie ein harter Druck aufs Gehirn legte. In die Höhe fahrend sah ich, wie sich zwanzig oder dreißig Feinde mit Gewehren und Keulen um meine liegenden Kameraden drängten, die unter Schüssen und Hieben liegen blieben. Der Berliner, der noch eben, halbaufgerichtet, zum Schuß kam, erhielt im selben Augenblick, das Gewehr an der Backe, einen furchtbaren Kolbenhieb, daß er in sich zusammensank. Im selben Augenblick kamen auch Schüsse von links her über die Lichtung gegen mich. Laute Rufe und Scheltworte flogen heran. Kriechend und springend kamen sie durch das hohe, bewegte Gras auf mich zu. Da sprang ich, die Trense noch in der Hand, in fliegender Eile auf das nächste ungesattelte Pferd und brachte das müde Tier in Galopp und entkam ihnen am Busch entlang.

Ich weiß nicht viel von den nächsten Stunden. Ich weiß nur, daß es mir entsetzlich schwer und dumpf auf dem Schädel lag, als wäre mein Hut voll Blei, und daß ich den Kopf sonderbar geduckt zwischen den Schultern hielt und die Augen halb geschlossen und daß ich immer die furchtbaren Hiebe fühlte, die ich gesehen hatte. In schrecklich wüster Dumpfheit und wirrem, halbverrücktem Grübeln ritt ich wohl drei Stunden lang. Wann und wie ich dem Pferd die Trense angelegt habe, weiß ich nicht. Es war das erbärmliche Pferd des Mecklenburgers.

Als mir ein wenig klarer wurde, dachte ich nach, wohin ich wohl ritte, und wußte es nicht. Ich sah nach der Sonne; aber sie stand fast gerade über mir. Da richtete ich mich nach dem leisen Wind, der die Nacht über vom Meer her geweht hatte, und ritt ihm entgegen. Ich ritt immer gerade aus, zwei oder drei Stunden, aber ich traf keine Spur oder Weg oder Menschen.

Ich kam über lichte Stellen und durch hohen, dichten Busch, der über meinem Kopf zusammenkam. Mein Rock war von den Dornen zerfetzt, und Gesicht und Hände waren blutrünstig. Um das Pferd zu schonen, stieg ich zuweilen ab und führte es; es war übermüdet und verdurstet. Als ich mich wieder aufgesetzt hatte und über eine Lichtung ritt, stolperte es und fiel in die Knie und blieb eine Weile in den Knien liegen; dann fiel es mit Stöhnen um. Da ließ ich es und ging zu Fuß weiter.

Ich zog mein Messer heraus und band es mir mit einem Ende Tau um das linke Handgelenk, damit ich es zur Hand hätte, wenn ich etwa das Gewehr nicht mehr brauchen könnte; ich wollte mir lieber das Letzte antun, als daß ich lebend in ihre Hände fiele. Nachdem ich es gut angebunden hatte, wagte ich es und gab drei Schüsse ab und horchte, ob eine Antwort käme; aber es kam nichts. Die Sonne sank, und ich sah nun, wo Westen war. Aber es half mir nicht viel, daß ich es wußte, weil mir ganz unbekannt war, in welcher Richtung ich in den ersten Stunden nach dem Überfall geritten hatte. Meine Zunge lag schwer und dick im Mund; mein Hals wurde trocken bis in die Brust hinunter; meine Gedanken wurden stumpf. Ich dachte, daß ich hier so allein und so erbärmlich umkommen müßte – wie gern läge ich unter dem Baum, weit im Osten, wo meine lieben Freunde lagen –, ich quälte mich mit der Heimat, gab jedem die Hand und sagte ihm, daß ich nun vom Leben schiede und er sollte nicht so sehr trauern, das Leben wäre doch nicht viel wert, und ging auch zu dem Oberleutnant und sagte ihm, daß er mir vergeblich vertraut hätte, ich wäre kein klarer und ruhiger Mensch, sondern von meiner Kindheit an ein Träumer gewesen. Ich wollte ein leises Wort sagen, um meine Stimme zu hören, aber ich konnte es nicht.

Ich ging aber immer weiter, in den schweren Stiefeln, durch Sand und durch hohes, spärliches, hartes Gras, kletterte auch zwei- oder dreimal auf einen Baum oder auf einen Termitenhaufen. Einmal erschreckte mich ein großes, schweres Tier, wie ein Ochse; es hatte aber zwei Hörner, lang, und wie Spieße aufrechtstehend. Ich habe nicht erfahren, was für ein Tier es gewesen ist, da ich mit keinem über diese Stunden gesprochen habe. Einmal erhob sich nicht weit von mir ein riesiger Baum, der ganz abgestorben war. An einem seiner toten Äste hing eine dunkle Masse dichten Flechtwerks, so groß und so gestaltet wie der Leib eines Ochsen; darin wohnten unzählig viele kleine graue Vögel. Eine dicke, dunkle Schlange wand sich langsam heraus aus den Nestern und wandte züngelnd den Kopf hin und her, als wäre sie vom Sonnenschein geblendet; ich lief in Angst weiter. Einmal stieg ich auf einen Felsen, der plötzlich, zehn Meter hoch, aus dem Buschfeld aufstieg. Ich sah aber nichts, als an mehreren Stellen in der Ferne Rauch oder sonnebeschienenen Staub. Rund um mich lag weit und breit das stille Buschfeld.

Gegen Abend kam ich an eine undeutliche, lange nicht befahrene Wagenspur. Da ruhte ich nicht weit davon, im Busch versteckt – ich dachte, es könnte doch jemand dieses Weges kommen –; und schlief ein. Als ich erwachte, weil mich sehr fror, war es Nacht. Es war eine Nacht, wie die vorige: kalt, und die Sterne klar. Da stand ich auf und sah mich in großer Not um und begehrte, tot zu sein.

Da, wie ich so stand, kam plötzlich schräg vor mir über das Buschfeld hin ein grelles, scharfes Aufblitzen. Nun wieder! Nun wieder! Eine Signalstation! Aber wie fern wohl! Wohl viele, viele Meilen weit! Wie hell und warm es schien! Da waren Kameraden; da war Rettung. Es war töricht, schien mir, drauf loszulaufen; aber ich merkte mir am Himmel die Richtung und lief, so rasch ich konnte.

Ich lief wohl zwei Stunden oder mehr; ich zerriß mir an den schrecklich langen und harten Dornen Kleider, Gesicht und Hände. Da merkte ich mit heißer Freude, daß ich näher kam. Denn das Licht fing zusehends an, höher über den Büschen zu blitzen; es war aber zu nahe, als daß es etwa von einem fernen, hohen Berge herabkäme. Da schrie ich laut und lief noch mehr. Aber das gab ich bald wieder auf. Ich lief wohl noch eine halbe Stunde, da fing ich wieder an zu rufen, damit sie nicht auf mich schössen.

Da fingen sie an zu antworten: »Komm nur her! Wer bist Du denn? Komm 'ran!« Aus den Büschen kam ich heraus und lief über die Lichtung zu ihnen, die am Fuß von klippigen Felsen standen, und sagte, wer ich wäre und wie es mir gegangen wäre.

Sie sagten: »Du armer Teufel. Wir können Dir wenig helfen; wir sitzen hier selbst im schlimmsten Dreck, unser Unteroffizier, der das Signalgeben versteht, ist vorgestern mit einem andern zum Wasserloch gegangen und nicht wiedergekommen; und der Gefreite, der die Lampe jetzt bedient, ist krank. Und wir haben seit vierzehn Tagen keine Ablösung, keinen Schlaf und kein Brot, bloß ein bißchen Reis, Büchsenfleisch und Wasser; und warten, bis die Schwarzen kommen und uns abtun.« Zwei von ihnen waren gleichmütig liegen geblieben, in ihre Mäntel gewickelt. »Die sind krank,« sagten sie.

Ich hörte nicht auf das, was sie noch sagten; ich hörte das Wort »Wasser« und bat sie. Sie gaben mir aus einem Wassersack zwei Deckel voll. Da merkte ich, daß es eklig war, und nahm den dritten Deckel voll nicht an. Unterdes rief der Gefreite von oben immerzu, wer da unten wäre, ob Ablösung da wäre. Ich merkte an der Sprache, daß er ein Bayer war. Sie sagten zu mir: »Geh hinauf und rede mit ihm und sprich ihm gut zu. Er hat zwei Nächte nicht geschlafen.«

Ich kletterte die Felsen mühsam hinauf und kam zu ihm. Er stand im Mantel neben der Lampe und riß im Takt die Blende ab, daß es grell in die Nacht hinausschien. Das Licht flackerte in dem eisig kalten Nachtwinde. Er flog am ganzen Körper.

Nun ließ er ab von der Lampe und sah scharf über das nächtliche Buschfeld nach einem Licht, das fern am Horizont aufblitzte, und schrieb mit hin- und herfliegender Hand auf einem Block Papier, was er sah, fragte mich in Absätzen nach woher und wohin und sagte: »Wir sind schmutzig und hungrig und durstig und krank, und zwei von uns sind schon abgetan; und keiner kommt und löst uns ab.«

Ich fragte ihn: »Hast Du Verbindung mit der neuen Abteilung?« Er sagte: »Gerade seit einer Stunde,« und lächelte kläglich und sagte: »Man wird noch verrückt hier. Gestern nacht habe ich lauter dummes Zeug signalisiert, immer los: ›So leben wir, so leben wir,‹ und so was; aber sie haben den Unsinn nicht verstanden.« Er ließ den Block sinken und hockte sich nieder und schüttelte sich. Er schien zu meinen, daß ich Ablösung wäre.

Ich wollte ihn aufmuntern und fragte ihn nach den Lichtem, die hier und da durch die Nacht zuckten. Er raffte sich wieder auf und zeigte mir mit hastender Hand das Licht jeder Abteilung. Im Halbkreis lagen sie um den Feind, bereit, ihn morgen gegen die Wand des breiten Berges zu drücken, vor dem er stand. Indem er noch zeigte, blitzte oben, vom Berge herab, ein neues Licht. Grell und frech stand es plötzlich da. »Sieh,« sagte er verwundert. »Die sind hinten herum auf den Berg geklettert. Nun stehen sie da hoch oben über dem Kopf des Feindes und übersehen alles und melden, was sie sehen.« Ich sah lange nach dem grellen Licht und dachte trotz meiner eignen Not an die zehn oder zwanzig Kameraden, die da oben auf den ungastlichen Höhen saßen, jeden Augenblick gewärtig, überrannt zu werden. Und sah nach dem weiten Gebiet, das dunkel zwischen all den Lichtern lag. Da saß im Busch das feindliche Volk. Mit welchen Gedanken mochten sie und ihre Kinder die Lichter sehen?

Der Bayer hatte wieder nach der Lampe gegriffen und wollte das Empfangene weitergeben. Er redete leise bei sich selbst, sank in sich zusammen und stellte sich dann wieder stramm –: da hörten wir unter uns aus dem Busch her Pferdeschnauben und gleich darauf die helle Stimme eines Offiziers. Da kletterte ich eilig hinunter und stand und hörte, wie der Offizier fragte, was hier los wäre, da wäre so eine verrückte Meldung gekommen. – Da trat ich vor und nannte mich: Gefreiter Moor, und woher ich käme, und daß der Bayer oben krank und nicht ganz mehr bei Sinnen wäre, und daß ich Kameraden und Pferd verloren hätte. Und ich möchte wieder zu meiner Abteilung.

Er schickte einen Mann den Hügel hinauf und sagte, es wäre nicht nötig, daß ich den gefährlichen Ritt jetzt sofort machte; denn sie hätten jetzt wieder Signalverbindung mit dem Hauptquartier. Ich aber sagte: »Ich habe meine Kameraden verloren und muß melden, wie es gekommen ist.«

Er hatte wohl Mitleid mit mir und sagte: »Wir haben einen überzähligen Gaul bei uns. Schön ist er nicht; aber wenn Sie gern hinüber wollen, sollen Sie ihn haben.« Er ging noch selbst mit mir zu dem Pferd, und ich glaube, daß er mir ein besseres gab; denn ich hörte, wie er leise zu dem Unteroffizier sagte: »Er hat sieben Stunden zu reiten und reitet allein.« Er sah auch selbst nach dem Sattelzeug, fragte mich, ob ich gedienter Kavallerist wäre, zog am Gurt und sagte: »Nach drei Stunden müssen Sie den Gurt anspannen,« und zeigte mir den Proviant für mich und das Pferd in der Satteltasche. Dann rief er nach dem Hügel hinauf: »Wo steht das Hauptquartier?« Die deuteten mit der Hand. Er zeigte mir noch am Kreuz, das klar am Himmel stand, die Richtung und empfahl mir, geradeaus zu reiten, bis ich an die große Pad käme, und ließ mich ziehen.

Auf diesem Ritt, der zehn Stunden dauerte, begegnete mir keinerlei Unfall. Ich erreichte todmüde den Weg, den meine Abteilung zog, und zwar an der Wasserstelle, an der ich sie vorgestern verlassen hatte, trank und tränkte auch mein Pferd und ritt dann den Weg hinauf, den sie heute und gestern gezogen waren. Es lagen viele tote und sterbende Tiere an dem Weg. An der nächsten Wasserstelle traf ich die Abteilung rastend.

Ich meldete mich und berichtete und ging dann nach meiner Backschaft und setzte mich auf die Erde und schlief sechs Stunden wie ein Toter. Sie sagten nachher, sie hätten mich mit Fragen überstürmt; ich hätte sie auch angesehen; aber ich hätte kein Wort gesagt, sondern wäre hingefallen und hätte geschlafen.

An diesem Abend war ein eifriges Leben im Lager. Jeder war betriebsam. Der eine sah sein Gewehr nach; der andre füllte sorgfältig seinen Patronengurt; der dritte sorgte um sein Pferd; der vierte und fünfte lag auf der Erde und schrieb einen Gruß nach Hause. Als wir uns zum Schlafen um unser Kochloch in den Sand legten, sagte der Freiwillige, der zehn Jahre älter war als wir: »Na, Jungs, nun betet noch ein Vaterunser. Wer weiß, ob Ihr es morgen abend könnt.«

Feuer brannte in dieser Nacht nicht.


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