Gustav Frenssen
Peter Moors Fahrt nach Südwest
Gustav Frenssen

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Kapitel XI.

In der vierten Woche meines Aufenthalts im Typhuslager hörte ich, daß von Deutschland her frische Truppen angekommen wären, und noch mehr ankommen würden, lauter Husaren, im ganzen viertausend, und daß der Feldzug nun also mit mehr Macht wieder losgehn sollte. Aber mir war es gleichgültig; ich dachte: ›Wärst Du bloß aus diesem Affenlande heraus.‹

Aber in der fünften Woche wich meine Krankheit. Wie aber Gesundheit und Kraft leise wieder kamen, dachte ich, daß es doch nicht schön wäre, so, nach diesen Erlebnissen, nach Hause zurückzukehren. Ich wollte gern bei dem zweiten und bessern Teil des Feldzugs, bei dem »raschen Siegen«, dabei sein.

Es traf sich, daß ein Oberleutnant mit einer kleinen Patrouille von drei Mann von Osten her kam und unterwegs einen Mann verlor und einen andern als Typhuskranken hier liegen lassen mußte. Dem sprang ich vor die Füße und bat ihn, daß er mich mitnähme. Er fragte mich, ob ich reiten könnte. Ich sagte: »Ja,« obgleich ich seit meinen Kindertagen nicht wieder auf einem Pferd, und auf einem Sattel noch niemals gesessen hatten. Er sah mich mißtrauisch an und sagte: »Du fällst mir unterwegs vom Pferd.« »Zu Befehl,« sagte ich, »ich bin stark wie ein Baum,« und sah ihn an. Er war mager wie ein Brett, und seine Augen glitzerten unter der Stirn. Er sagte: »Ich habe vier Monate lang ein Hundeleben geführt.« »Zu Befehl,« sagte ich, »ich auch, und darum möchte ich hier weg.« Da machte er mich beim Hauptmann los.

Bevor der Morgen graute, ging ich zu den Pferden, die schon an unsern Wagen angebunden standen, und sagte dem Unteroffizier, der mitritt und der schon neben den Pferden stand, daß ich noch nicht auf dem Sattel geritten hätte. Er schimpfte erst mächtig und fragte mich, ob ich denn wenigstens wüßte, wo bei einem Pferd vorn oder hinten wäre. Ich dachte: ›Mach' ihn nicht ganz wild‹ und griff nach dem Sattel und trat an das eine Pferd heran und sah im Geist, wie ich in meinem Leben wohl schon hatte satteln sehn, und machte es ja wohl nicht ganz falsch; denn er fing wieder an, gewaltig zu schimpfen und mir zu zeigen, wie es richtig wäre. Dann übte ich ebenso das Auf- und Abkommen und dachte: ›Das wird schon gehn.‹ Am andern Tag erfuhr ich von dem andern Mann, daß auch der Unteroffizier erst vor kurzer Zeit zum erstenmal ein Pferd bestiegen hatte, und mit viel mehr Ach und Krach als ich. Da wunderte ich mich, was doch Gott für merkwürdige Kostgänger hat. Darüber habe ich mich überhaupt oft gewundert.

So ritt ich denn an diesem Morgen mit der Patrouille nach Westen, nach Windhuk zu, nachdem ich vier Monate lang im Busch und in der Wildnis gewesen war. Auch meine Begleiter waren so lange draußen gewesen. Ich fürchtete mich sehr vor dem ersten Trab; es ging aber leidlich gut. Mit frohem Herzen und wehem Gesäß, immer eifrig mit dem Kopf nickend, ritt ich dahin. Am andern Tag ging es schon viel besser. Der Oberleutnant, ein langer Rheinländer mit kurzem, schwarzem Vollbart, war ein gemütlicher Mann; er unterhielt sich oft mit mir und schien Gefallen an mir zu finden.

Nachdem wir zwei Tage lang durch öde, menschenleere Gegend geritten waren, näherten wir uns der Stadt. Als wir von fern den ersten Telegraphenpfahl sahen, sagten wir es einer zum andern und besahen das lange, dünne Ding von oben bis unten mit frohen Augen. Als wir uns dem ersten Hause näherten, das nicht dachlos war und nicht ausgebrannte Fensterhöhlen hatte, bewunderten wir es sehr; und als wir im Vorbeireiten bemerkten, daß auf der offnen Veranda ordentliche Möbel standen, ein Tisch und Stühle darum, staunten wir sie an und wandten uns im Sattel, bis wir vorüber waren. Mit großen Augen spähten wir in den Garten hinein, den die Schutztruppler in früheren Jahren mit großer Mühe hier angelegt hatten; da waren wahrhaftig Palmen und Weinlauben, von denen wir in Kiel und auf dem Meere geträumt und geredet hatten; und da war ein Teich! O, wenn man da hineinreiten dürfte! Und da, im Schatten einer Veranda, stand eine deutsche Frau; sie hatte ein kleines Kind auf dem Arm. Wie wir hinsahen! Wie wir uns über das helle, saubere Kleid freuten und über das reine, freundliche Gesicht und über das kleine weiße Kind. Wie auf ein Himmelswunder starrten wir auf das, was man in Deutschland alle Tage sehn konnte. Wie die heiligen drei Könige, die auch aus der Wüste kamen und vom Pferd herab Maria mit ihrem Kinde sahen. Sie sah uns hungrige, ganz verlumpte und schmutzige Gesellen mit großen, mitleidigen Augen an und neigte sich freundlich, als wir alle wie auf Befehl die Hand an die Feldmütze legten.

Müde und doch eifrig gingen unsre Pferde den Sandweg zur Feste hinauf. Im Hof, wo etliche Soldaten und einige Weiber der Hottentotten waren, stiegen wir von den Pferden und besorgten sie. Der Oberleutnant ging zum Kommandanten, seine Meldung zu machen.

Ich aber – als wir die Tiere besorgt hatten – ging über den Hof und reckte meine Arme zu beiden Seiten von mir – so ekelte mich vor mir selbst – und kam in die Kammer und erhielt einen ganz neuen Kordanzug ausgeliefert samt hohen Reiterstiefeln, und schob meinen verlumpten linken Ärmel zurück und legte den Anzug darauf und ging eilig quer hinüber nach der Badeanstalt, riß mir alle Lumpen von den Gliedern und stieg ins Wasser und wusch und seifte und rieb, bis ich über den ganzen Körper rot war. Als ich wieder in den Hof kam, in meiner schmucken, reinen Schutztruppenuniform, stand der Oberleutnant da, noch in seinen Lumpen, und sprach mit einem Bürger und erkannte mich nicht. Dann aber lachte er mich an und sagte etwas zu dem Bürger über mich. Da wandte er sich zurück und sagte: »Ich bin der Mann jener Frau, die mit ihrem Kind auf der Veranda stand, als Sie vorüberritten. Sie möchte sich für den freundlichen Gruß bedanken. Wollen Sie heute abend unser Gast sein?« Da freute ich mich so, daß ich rot wurde.

Also ging ich am Abend, nachdem ich noch einmal wieder gebadet und mich noch einmal wieder eingeseift hatte, in die Gegend des Hauses voraus und wartete, bis der Oberleutnant hineingegangen war, und ging gleich hinterher. Als ich in die Stube kam und der Mann mir die Hand gab und die Frau mich freundlich ansprach und mir das Kind zeigte und ich dann mit ihnen am Tisch saß, starrte ich stumm auf das weiße Tischtuch und die Teller und auf Brot und Milch und Zucker und horchte auf die liebliche Stimme der Frau. Ich wäre in dieser Stunde überglücklich gewesen, wenn ich es hätte lassen können, an die vielen kranken und toten Kameraden zu denken.

Als ich mich nach dem Essen verabschiedete und wieder nach der Feste hinaufging, sah ich im Hof einige Kameraden mit den Weibern der Hottentotten reden und lachen, und einer ging an mir vorüber und sagte, daß alle diese Weiber uns zu jeder Zeit zu Willen wären. Da ärgerte ich mich und ging auf die lange Veranda, die nach Westen hin liegt. Dort stand ich lange und sah nach den fernen Bergen, welche die sinkende Sonne vergoldete, und dachte mit heftiger Sehnsucht nach Hause.

Ich lebte nun drei Wochen auf der Feste und kam von der bessern Nahrung, die ich erhielt, und von der Reinlichkeit, die ich nun hatte, mehr und mehr zu Kräften. Ich schrieb drei Tage lang an einem ausführlichen Brief nach Hause, und ging oft in das Haus des Kaufmanns, spielte mit seinem Kind und redete mit den Eltern.

Da der Feldzug zu dieser Zeit noch ganz und gar stockte, waren die Feinde sehr frech. Ihre reitenden Patrouillen kamen von Norden herunter und belästigten und überfielen Proviantkolonnen, Patrouillen und Viehwachen. Sie wagten sich sogar bis dicht an die Hauptstadt, trieben Vieh weg und erschossen mehrere der Unsrigen. Ich saß oft mit andern zu Pferde, um sie zu erspähen; aber wir kamen selten einmal zum Schuß.

Ich hatte auch viele Unterhaltung mit Kameraden, die beim Kommando waren, oder die krankheitshalber, wie ich, in Windhuk waren, oder die ab- und zugingen, und mit den Buren, welche der Gouverneur als Frachtfahrer angenommen hatte, und mit den Farmern, die aus dem Buschfeld hierher geflohen waren. Es gingen unter allen diesen verschiedenen und von allen Seiten zusammengekommenen, ab- und zugehenden Menschen die wildesten Gerüchte hin und her. Denn wie überhaupt zu Kriegszeiten verworrene Gerüchte immer neu aufsteigen und von den erregten Gemütern geglaubt und weitergetragen werden, so ist besonders Südafrika, vom Kongo bis zum Kap, wegen seines erst werdenden und unruhig und rasch sich entwickelnden politischen Daseins, wegen der vielen gegeneinander streitenden Interessen der Rassen und der Unternehmungen, und wegen der ungeheuren Entfernungen und unzähligen faulen Stunden, welche das Trekken mit Ochsen mit sich bringt, von einem ungeheuren Klatsch übersponnen. Man mag sagen, daß es in Südafrika hergeht wie in einem großen Neubau, in dessen sämtlichen Räumen die Handwerker klopfen, hämmern und reden. Es hallt hell und laut durch die großen, leeren Räume.

Aber gerade nach solchen Unterhaltungen ging ich gern allein auf die Veranda und sah nach Westen ins weite Land hinaus und sah die Sonne versinken. Und wie sie sank, sah ich alsbald oben vom Himmel herunter leichte, weite Wolken fallen, die waren ausgebreitet wie ein Gewand. Und ich sah das Gewand langsam vor der Sonne niedersinken bis zur Erde, und sah, wie die vergehende Sonne alle wunderbaren Farben darauf malte, die es gibt. In zarten Streifen glitten sie nebeneinander zur Erde herab. Seitwärts aber, nach Süden zu, glänzte ein mächtiges Gebirge von nacktem Stein; es glänzte wie Metall; da aber, wo das scheidende Licht nicht mehr hinkam, drohte es hart und finster. Ich stand und sah es immer mit neuem Wundern, bis das ganze schöne Bild verblich und rasch die Nacht kam und die Sterne. Und die Sterne waren auch schön. Wie wunderbar heiß glühten sie am tiefschwarzen Himmel! Aber ich dachte bei aller Pracht des Tages und der Nacht: ›Ach Afrika! Wär' ich zu Hause!‹


 << zurück weiter >>