Karl Emil Franzos
Ein Kampf ums Recht
Karl Emil Franzos

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Sechzehntes Kapitel

Die greuelvolle Nacht war vorüber, die Besatzung längst zurückgekehrt, aber noch erfüllte eine verzweiflungsvolle Angst alle Bewohner der Kreisstadt. Was Taras gewagt hatte, grenzte ans Unglaubliche. Von einem Manne, dem solches straflos geglückt war, war mit Recht alles zu befürchten. Er konnte in der nächsten Nacht, er konnte am hellen Tage wiederkommen . . .

Diese Stimmung beherrschte auch die Herren, die sich am nächsten Morgen um den grünen Tisch des Kreisamts zusammenfanden. Das gewaltige Getöse, mit dem die Schar herangebraust war, die furchtbare Geschwindigkeit, mit der sie ihre blutige Arbeit an den Soldaten vollbracht hatte, machten eine Überschätzung ihrer Zahl begreiflich. Gleichwohl fand sich ein einziger, der steif und fest behauptete, daß Taras tausend Mann befehlige. Das war Herr Thaddäus von Bazanski. Nachdem er den Schrecken überwunden hatte, erschien ihm sein nächtliches Abenteuer mit Recht als ein Glücksfall. Wie viele Flaschen Moldauer ließen sich durch diese Erzählung verdienen! »Tausend und keiner weniger!« wiederholte er. »Sie werden mir, der ich jahrelang als Oberst ein Reiterregiment befehligt habe, die Fähigkeit zur Abschätzung einer solchen Schar nicht bestreiten. Was aber diesen Herrn Rächer betrifft, so würde, nach meiner Erfahrung, eine Drohung genügen, ihn zu entwaffnen. Wer ihm imponiert, vor dem duckt er sich, ich hab' es erfahren! ›Wo ist der Mandatar?‹ herrscht er mich an. ›Taras‹, erwidere ich finster, ›ich bin Edelmann, von mir erfährst du nichts!‹ Und er? Er beißt sich vor Verdruß auf die Lippen und wendet sich zu seinen Leuten: ›Brüder‹, sagt er, ›mit so einem alten Offizier ist nicht zu spaßen, und‹, sagt er –«

Aber die Versammlung sollte nicht erfahren, wie der eingeschüchterte Hetman ferner über den tapferen Bazanski geurteilt hatte. Vom Marktplatz her erhob sich plötzlich lautes Rufen und kam immer näher. Als die Herren ans Fenster traten, bot sich ihnen ein unerwartetes Schauspiel. Inmitten einer großen Volksmenge, die unablässig schrie und fragte, kam im Schritt ein Wägelchen daher, und drin saß der entführte und totgeglaubte Kaplonski.

Die Erregung, in der ihm die Versammelten entgegenharrten, war so groß, daß sie kaum gewahrten, wie er beim Eintreten in den Sitzungssaal die Mütze nicht abzog. Sie wurden dessen erst inne, als Herr Kaplonski nach einer tiefen Verbeugung mit etwas unsicherer Stimme sagte: »Verzeihen Sie, wenn ich mein Haupt nicht entblöße. Ich habe eine . . . Wunde.« »Eine Wunde?« rief der alte Stadtarzt eifrig, sprang hinzu und riß ihm die Mütze ab. Der Anblick, den Kaplonski nun bot, war so tragikomisch, daß die Herren trotz aller Sorge und Betrübnis lächeln mußten. »Was soll das heißen?« rief der Kreishauptmann. – »Es ist die Strafe, die unter den Huzulen den Ehrlosen trifft«, erläuterte Herr Wroblewski mit boshaftem Lächeln. Kaplonski warf ihm einen giftigen Blick zu. »Der Herr Sekretär hat vollkommen recht«, sagte er mit starker Stimme. »Aber dasselbe Schicksal harrt aller anderen Herren Kollegen, wenn sie diesem Manne in die Hände fallen. Denn er hat mich nur deshalb für ehrlos erklärt, weil ich meine Pflicht als Richter gegen ihn getan habe.« Die Herren lächelten nicht mehr. »Erzählen Sie!« klang es von allen Seiten.

Herr Kaplonski verbeugte sich und begann zunächst mit der Schilderung der Schrecknisse jenes nächtlichen Ritts, dann des Lagers. »Es ist zweifellos«, fuhr er fort, »daß er mich nur deshalb aufheben ließ, um zu zeigen, wie es jedem Beamten ergehen werde, der sich der Untersuchung gegen ihn erkühne, kurz, um mich henken zu lassen. Dies erklärte er mir auch in dürren Worten. Ich jedoch hatte während des Rittes Zeit gefunden, mir die Antwort zurechtzulegen. ›Das kannst du‹, sagte ich, ›ich bin einer gegen tausend. Aber für mein Blut fließt das deines Weibes und deiner Kinder‹.«

»Aber das war ja ungesetzlich!« rief der Kreishauptmann. »Id est, an welchen Paragraphen des Strafgesetzes dachten Sie dabei?«

Herr Kaplonski verbeugte sich tief. Er war auf den Einwurf gefaßt und hatte diese Einleitung nur deshalb gewählt, um seine verruchte Lüge, die bereits so schlimme Folgen für ihn gebracht hatte und deren Aufdeckung er nun stündlich befürchten mußte, in einer möglichst beschönigenden Form zur Kenntnis seines Vorgesetzten bringen zu können. »Ungesetzlich«, erwiderte er demütig. »Aber ich denke, es vertreten zu können.« Ein Murmeln der Zustimmung ging durch die Versammlung, auch der Kreishauptmann schüttelte nur noch leise brummend den Kopf, und der Kommissar fuhr fort: »Die Worte verfehlten ihre Wirkung nicht. Taras wurde nachdenklich. ›Ach was‹, sagte er dann mit gezwungenem Lachen, ›das könnt ihr ja gottlob nicht tun. Ihr müßt euch ja an das Gesetz halten.‹ Gleichwohl sprach er nun nicht mehr von meiner Hinrichtung, sondern erklärte mir, er wolle mich bloß als Boten benützen. Zweierlei habe er Ihnen, hochverehrter Herr Kreishauptmann, sagen zu lassen. Erstens: Sie mögen sofort die Truppen aus Zablotow und Zulawce zurückziehen und die Untersuchung gegen ihn einstellen. Insbesondere verbiete er Ihnen, etwa neue Truppen gegen ihn heranzuziehen.«

»Unerhört!« rief der Kreishauptmann. »Welche Frechheit!« hallte es im Chorus.

»Zweitens: Sie mögen den Mandatar binnen 24 Stunden an der Furt, die zwischen Zulawce und Debeslawce über den Pruth führt, seinen Leuten ausliefern. Andere Herren, die er noch zu richten wünsche, werde er Ihnen später bezeichnen.«

Die Herren saßen starr vor Entrüstung. »Nun«, stieß endlich Herr von Bauer hervor, »und wenn ich dies nicht tue?« – »Dann«, erwiderte Herr Kaplonski, indem er sich tief verbeugte, »dann . . . es will mir schwer über die Lippen, aber es muß ja sein, und es ist das beste, wenn ich seine eigenen Worte wiederhole: ›Dann werde ich die Kreisstadt niederbrennen und ausplündern. Sämtliche Schreiber des Gerichts aber werde ich an die Bäume des Bergwaldes hängen lassen, den Kreishauptmann an den höchsten. Sie sind in meinen Augen ehrlos, und der Ehrlose gilt unter uns als vogelfrei. Und damit die anderen dir die Botschaft glauben, tue ich dir, wie man einem Ehrlosen tut.‹ Das ist alles. Er ließ mich bei Zulawce aussetzen.«

Ein Schrei der Entrüstung, des Entsetzens ging durch die Versammlung.

Der Rittmeister faßte sich zuerst. »Nun, meine Herren, nur nicht den Kopf verloren! Unsere erste Sorge muß es sein, raschestens neue Truppen heranzuziehen.«

»Gewiß!« rief der Bürgermeister eifrig. »Aber«, fügte er ängstlich hinzu, »zum Schutze der Stadt haben Sie wohl heute schon Truppen genug? Sie können die Bürgschaft für unsere Sicherheit übernehmen, Herr Rittmeister?«

»Wir werden ausharren bis zum letzten Mann«, erwiderte der Offizier, »aber diese Bürgschaft kann ich nicht übernehmen. Hat der Mordbrenner wirklich, wie es scheint, an tausend Mann, so wird ihm meine Eskadron und die halbe Kompanie Infanterie keinen Stand halten können.«

Der greise Mann sank schreckensbleich auf seinen Sitz zurück. »Dann«, stöhnte er, »dann muß der Mandatar augenblicklich aus der Stadt. Wir müßten ihn nötigenfalls zwangsweise entfernen und die Nachricht möglichst verbreiten, vielleicht sogar einen besonderen Boten an Taras . . .«

Der Kreishauptmann hatte sich gefaßt. Er erhob sich und streckte die Hand abwehrend gegen den Bürgermeister hin. »So lange ich lebe, geschieht dies nicht!« rief er feierlich. »Es ist eine furchtbare Prüfung über uns gekommen! Aber lieber sterben als freveln, id est, gegen Recht und Gesetz handeln. Der Wenzel Hajek hat nichts getan, weshalb ich ihm den Aufenthalt hier verbieten müßte, und darum soll er bleiben, so lange es ihm beliebt. Will er selbst gehen, quod melius; will er nicht, wehe dem, der ihm droht! Er wird Rechenschaft abzulegen haben.«

»Wollen Sie die Verantwortung auf sich laden?« rief ihm der Bürgermeister erregt zu.

»Ich übernehme sie«, erwiderte der Kreishauptmann. »Vor meinem Kaiser und vor Gott.«

»Aber man müßte ja nur mit Hajek sprechen«, rief der Rittmeister. »Ich kenne den Mann. Erfährt er, daß wir alle insgesamt hier unseres Lebens nicht mehr sicher sind, so reist er in derselben Stunde ab.«

»Gut, aber wo steckt der Mensch eigentlich?« brummte der Kreishauptmann.

»Im Gefängnis«, erwiderte Dr. Starkowski. »Als ich eben vorbeiging, erzählte es mir der Kerkermeister. Hajek kam im Morgengrauen zu ihm und bat um die Gnade, eingesperrt zu werden, da dies das einzige Haus sei, wo immer eine starke Wache stehe. Er soll vor Todesangst fast sinnlos sein.«

»Also davon später«, sagte Herr von Bauer. »Unsere erste Sorge muß es sein, sofort Verstärkung heranzuziehen. Ich werde binnen einer Stunde die Ersuchsschreiben an die beiden Militärkommanden in Stanislau und Czernowitz ausgehen lassen. Gleichzeitig werde ich nicht bloß eine schriftliche Meldung an das Gubernium erstatten, sondern auch einen der Herren Kommissäre dorthin entsenden, die Sachlage mündlich darzulegen.« Kaplonski zuckte freudig zusammen und trat vor. »Sie brauchen sich nicht vorzudrängen«, herrschte ihn der Kreishauptmann an. »Es bleibt mir ohnehin nichts übrig, als Sie zu schicken. Sie würden mir ja sonst mit Ihrem gerupften Kopf als lebendige Visitkarte des Taras in der Stadt herumlaufen und die Leute noch ängstlicher machen, als sie ohnehin sind. Auch wird es den Herren in Lemberg von Interesse sein, diese Karte mit eigenen Augen zu studieren. Sie haben binnen einer halben Stunde bereit zu sein.«

Herr Kaplonski verbeugte sich tief. Seine Freude war grenzenlos. Er hatte jene verhängnisvolle Lüge in bester Manier selbst gestehen können und sich durch seinen Bericht nicht bloß an Taras, sondern auch an seinen liebwerten Kollegen glänzend gerächt, denn von ganzem Herzen gönnte er diesen Männern, die ihn stets ihre Mißachtung hatten fühlen lassen, die Todesangst. Als aber nun gar durch den Auftrag des Kreishauptmanns das eigene Angstgefühl von ihm genommen war, da zuckte in dieser niedrigen Bedientenseele ein wahrhaft teuflischer Gedanke auf: er erinnerte sich der Drohungen, die Taras wirklich ausgestoßen hatte . . . »Herr Kreishauptmann«, begann er, und das Bewußtsein, eine gräßliche Schurkerei zu begehen, machte seine Stimme anfangs fast unverständlich. »Ich erlaube mir . . . nach meiner Erfahrung . . . im Interesse der Sache . . .«

»Sie wünschen?«

»Ich meine nur. Meines Erachtens ließe sich der Räuber rasch unschädlich machen, so daß er sich selbst stellt. Ich weiß, wie leicht ihm zu imponieren ist . . .«

»Ja«, rief der Bürgermeister, »das scheint wahr zu sein, wir haben es ja schon einmal gehört.«

»Aber von wem?« brummte Herr von Bauer und warf einen verachtungsvollen Blick in den Winkel, wo der alte Reiteroberst selbstbewußt lächelnd dastand. »Was wollen Sie sagen, Herr Kommissär?«

»Wollen Sie sich der Art erinnern, wie ich mein Leben rettete! Könnte sich das hohe Kreisamt in Anbetracht der Dringlichkeit der Gefahr und des Standes der gerechten Notwehr dazu entschließen, Weib und Kinder des Räubers in Verwahrungshaft zu nehmen?«

»Das wäre Rettung«, fiel der Bürgermeister eifrig ein.

»Schweigen Sie!« donnerte ihm der Kreishauptmann zu und erhob sich bleich vor Zorn von seinem Sitze. »Schimpf und Schande, daß sich unter den Kommissären meines Amtes ein Mensch findet, der einen solchen Vorschlag zu machen wagt!«

Der Kommissär zuckte zusammen und wich bis an die Wand zurück. »Es war gut gemeint«, stammelte er, »und in Lemberg . . . werde ich . . . nichts davon sagen.«

»Zittern Sie für Ihren Auftrag?« Der alte Herr begann mit starken Schritten auf und ab zu gehen. »In der Tat, es wäre zu überlegen, ob ein solcher Mann . . .« Den Rest brummte er vor sich bin und ging immer rascher auf und nieder. Endlich blieb er vor Kaplonski stehen. »Ich will doch Sie schicken«, sagte er, »nur, daß mein Begleitschreiben an das Gubernium jetzt etwas ausführlicher wird. Holen Sie es in einer Stunde.«

Der Kommissär atmete erleichtert auf und wendete sich zur Tür. Aber es schien seiner Seele vorbestimmt, in dieser Stunde zwischen Himmel und Hölle zu balancieren. »Halt!« rief ihm der Kreishauptmann nach. »Wenn der Mandatar mitkommen will, reist er natürlich mit Ihnen.« Kaplonski blieb starr vor Entsetzen stehen. Es hätte ihn nicht mit größerem Schauer erfüllen können, wenn man ihm den leibhaftigen Tod als Reisegenossen angeboten hätte. »Und wenn Taras . . .«, stammelte er. »Dann sind Sie ohnehin verloren!« tröstete Herr von Bauer und trat auf den Advokaten Starkowski zu. »Lieber Doktor«, bat er, »wollen Sie mit Hajek sprechen? Von Ihnen bin ich überzeugt, daß Sie ordnungsgemäß handeln, id est: weder etwas verschweigen noch unwürdige Pression üben werden.«

Der Advokat sagte es zu und machte sich sofort auf den Weg zum Gefängnis. Als er in die Stube des Kerkermeisters eintrat, ließ ihn der erste Blick erkennen, daß seine Mission bei dem Manne, der da fiebernd, mit wirren Augen auf dem Sofa lag, eine vergebliche bleiben werde. In der Tat fuhr der Kranke bei seinen ersten Worten so ungestüm vom Lager empor, daß ihn sein Wärter mit Mühe und Not wieder zu beruhigen vermochte.

So konnte Herr Kaplonski die Reise nach Stanislau ohne den Mandatar antreten und bekam zudem zahlreiche Geleitschaft. Denn kaum hatte sich die Hiobspost verbreitet, daß der Rittmeister eine Verbürgung für die Sicherheit der Stadt ablehne, als auch alle, die ein Gespann auftreiben konnten, zur schleunigen Flucht nach Stanislau rüsteten. Wer nicht selbst abkommen konnte, lud mindestens Weib und Kind und seine beste Habe auf den Wagen; vor jedem Hause wiederholten sich dieselben Szenen der Furcht, des Jammers, der grenzenlosen Verwirrung. Auch war ja den armen Flüchtlingen wirklich nur eine sehr kurze Frist gesteckt, wenn sie sich dem Kommissär und der ihm beigegebenen Eskorte anschließen wollten. Um die Mittagsstunde konnte endlich der lange, traurige Zug die Stadt verlassen. In der Mitte fuhr das Wägelchen des Kommissärs; zur Seite ritten zwanzig Husaren; der Kreishauptmann hatte sich durch die flehentlichen Bitten der Bürger bewegen lassen, die Eskorte zu verstärken.

Dies war aber auch das einzige Zugeständnis, das er ihnen machte. Der alte Herr bewies es in diesem drangvollen Moment, daß er trotz seiner komischen Schwächen ein ganzer Mann sei. Er versammelte die Bürgerschaft und schlug ihr vor, sich zum eigenen Schutze zu bewaffnen. Aber der wohlgemeinte Vorschlag wurde mit Entrüstung, ja mit Hohn zurückgewiesen. »Wir lassen uns nicht ins Verderben jagen!« riefen ihm die Erregten zu. »Kommt Taras, so wollen wir ihn durch Flehen zu begütigen suchen. Vielleicht begnügt er sich mit den Köpfen der Leute, die ihm Unrecht getan haben.« Daneben wurden noch andere, schlimmere Stimmen laut: »Wir lassen uns nicht wegen eines Schurken hinschlachten! Schafft den Mandatar sofort aus der Stadt, oder wir tun es selbst und so gründlich, daß dem Taras keine Arbeit mehr übrig bleibt.« Der Kreishauptmann stand allein den Tobenden gegenüber, hielt aber gleichwohl zur Erwiderung eine Rede, wie sie kürzer und unhöflicher nicht gedacht werden konnte: »Ihr feigen Dummköpfe! Mut kann ich euch nicht eintrichtern und Waffen nicht aufzwingen, aber wer sich an dem Mandatar vergreift, wird gehenkt.« Die Verblüffung darüber war so groß, daß er die Versammlung ungefährdet verlassen konnte. In der nächsten Stunde bewies er, wie ernst gemeint seine Worte waren. Unter Trommelschlag und feierlichem Geläute aller Glocken wurde das Standrecht für Kreis und Stadt Kolomea verkündet und den Bürgern mitgeteilt, sie hätten ruhig in ihren Häusern zu bleiben, jede Zusammenrottung werde wie Rebellion geahndet, jeder Angriff auf Leben und Eigentum eines Bewohners der Stadt mit dem Strick bestraft werden. Damit war mindestens dem Schlimmsten, vorgebeugt, daß sich nicht zu der Not von außen die inneren Greuel gesellten.

Gleichzeitig gingen die Eilboten nach allen Richtungen um Hilfe ab; nicht bloß an die benachbarten Kommanden, sondern auch an einige große Gemeinden der Ebene, deren Bauernschaften sich acht Jahre vorher, als der große polnische Aufstand auch nach Galizien hinüber zu greifen drohte, dem Kreisamt aus eigenem Antrieb zum Schutz der Stadt zur Verfügung gestellt hatten. Als der Abend einbrach, konnte sich der todmüde Mann sagen, daß das mögliche getan sei; ging diese Nacht glücklich vorbei, so war die Stadt gerettet.

In der Tat verging die Nacht ruhig. Der Morgen aber brachte eine Hiobspost um die andere. Zunächst kehrte der Bote aus der Ebene zurück und meldete als Antwort der Bauern: »Wir kommen nicht, weil wir nicht gegen unser eigen Fleisch und Blut kämpfen. Wir raten des Kaisers Schreibern, Frieden mit dem Taras zu machen, denn er ist ein gerechter Mann.« Aber die Bauern schienen sich nicht allein neutral verhalten, sondern sogar offen für den Rächer eintreten zu wollen. Von Stunde zu Stunde häuften sich die Meldungen der Mandatare, Gutsherren und Pfarrer aus den umliegenden Dörfern: die Gärung der Gemüter sei durch die Erfolge des Taras aufs höchste gestiegen und Gewalttat unausbleiblich, wenn nicht sofortige Hilfe komme. Das Maß voll zu machen, kam um die Mittagsstunde die Nachricht von einer neuen Tat des ›Rächers‹ aus dem Dorfe Zadubrowce. Taras war dort um Mitternacht erschienen, hatte die Bauern, die wegen rückständiger Robot in Gewahrsam gehalten wurden, befreit und dem Herrenvogt vor der versammelten Gemeinde nach langem Verhör das Haar abscheren lassen, mit der Drohung, ihn das nächste Mal zu erschießen, falls er mit seiner ungerechten Bedrückung nicht aufhöre. Allerdings habe er, ›unglaublicherweise‹, wie der Pfarrer hinzufügte, der statt des Vogts die Meldung erstattete, auch den Bauern dieselbe Strafe angedroht, falls sie eine Plünderung des Herrenhofes wagen sollten. Was etwa an Beruhigung in diesem Zusatz lag, wurde durch die bloße Tatsache aufgehoben, daß sich Taras überhaupt bereits so weit vorgewagt hatte; Zadubrowce lag in der Ebene, nahe der Grenze der Bukowina. Nur schwachen Trost konnte es gewähren, als in der Dämmerung eine Eskadron Dragoner von Stanislau eintraf, denn ihr Kommandant meldete zugleich namens des Generals, weitere Verstärkung sei vor Ablauf einer Woche nicht zu erwarten. Endlich rückte um Mitternacht die Kompanie aus Zulawce ein; Hauptmann Stanczuk war am Morgen auf eigene Verantwortung hin aufgebrochen, weil das bestimmte Gerücht von der bevorstehenden Einnahme der Kreisstadt zu ihm gedrungen war. Da auch dieser verläßliche, des Volkscharakters genau kundige Mann die Erregung der Bauern und die drohende Gefahr wuchtig betonte, so wurde beschlossen, die geringe Streitkraft, zusammen etwa fünfhundert Mann, zum Schutze der Kreisstadt beisammen zu halten und erst nach erlangter Verstärkung die Ordnung auf dem flachen Lande wiederherzustellen.

So blieb es auch bis in die ersten Maitage. Allerdings wurde ein neuer Angriff, obwohl allnächtlich erwartet, nicht gewagt, und die Besatzung von Kossowince traf ungefährdet in Kolomea ein, aber die Bande streifte bis dicht an die Stadt heran, und alle Nachrichten aus den Dörfern bewiesen, daß Taras wirklich im Guten wie im Bösen als unumschränkter Herr über Willen und Kraft der pokutischen Bauernschaft verfüge. Denn so schwer es den Herren in Kolomea fiel, daran zu glauben, daß er seine Macht auch zum Guten nütze, sie mußten nachgerade auch dies einsehen. Jene erste Meldung des Pfarrers von Zadubrowce hatte der Kreishauptmann mit grimmigem Lächeln zu den Akten ›contra Taras Barabola et consortes‹ gelegt; aber seither brachte fast jeder Tag die Bestätigung, daß Taras wirklich den Bauern überall bei Todesstrafe das Plündern sowie jegliche Selbsthilfe verbiete, ja noch mehr, daß er sie sogar bei gleicher Strafe zur Entrichtung aller rechtlichen Abgaben verhalte. Und diese Nachrichten wurden nicht etwa von Anhängern des Taras verbreitet, sie kamen dem Kreisamt von Mandataren und Gutsherren, von Pächtern und Pfarrern zu, also von Männern, die dem ›Rächer‹ als ihrem Todfeind aus ganzer Seele den Strick wünschten. Denn ebenso gewaltig wie im Guten, erwies sich dieser sonderbarste Hetman, der je in Pokutien aufgestanden war, auch im Bösen. Fast täglich kam nach Kolomea die Kunde von einem neuen ›Gericht‹. Der Vogt in Zadubrowce hatte einige Schicksalsgenossen gefunden, sie alle hatte Taras bloß ›ehrlos‹ gemacht und zum Ersatze des widerrechtlich Erworbenen verhalten. Schlimmer war es zweien Gutsherren in der Niederung gegen Horodenko ergangen; Taras hatte sie erschießen, ihre Wohnhäuser der Erde gleichmachen lassen. Der Mann, den diese Nachrichten am tiefsten hätten entsetzen müssen, vernahm sie nicht; Wenzel Hajek lag im Inquisiten-Spital an einem typhösen Fieber darnieder. Solcher ›Gerichte‹ hielt der furchtbare Mann binnen drei Wochen nicht weniger als zehn. Die Fälle glichen sich genau. Er erschien mit seiner Bande, umzingelte das Haus, nahm den Beschuldigten fest, verhörte ihn, stellte ihm, falls er leugnete, Zeugen gegenüber, sprach dann das Urteil und ließ es sofort vollstrecken. Bezeichnend war, daß er sein Opfer stets durch Pulver und Blei, nie durch den Strick richtete; ebenso, daß er das erbeutete Geld immer der betreffenden Ortschaft überließ. Kurz, die Fälle glichen sich so sehr und folgten sich so rasch, daß es dem Kreishauptmann in diesen furchtbaren Wochen schließlich fast zur Gewohnheit wurde, täglich die Anzeige über ein neues ›Delictum‹ dem Aktenbündel beiheften zu müssen.

Erst im Mai änderte sich die fast unleidlich gewordene Lage der Bewohner von Kolomea. Von Stanislau traf ein Bataillon Infanterie ein, aus der Bukowina ein Bataillon Jäger und eine Eskadron Husaren. Mit diesen Truppen war auch ein General gekommen, das Kommando zu übernehmen, und versammelte alsbald die Offiziere zu einer Beratung über die zunächst notwendigen Schritte. Zu dieser Versammlung wurden auch der Kreishauptmann, der Bürgermeister und der Advokat Starkowski als Berater beigezogen.

Während die Herren um den Tisch des Kreisamtes beisammen saßen, wurde Herrn von Bauer ein Brief überreicht, den ein Eilbote soeben aus Hankowce gebracht hatte. »Aus Hankowce?« rief er bestürzt. »Mein armer Freund Zborowski! . . . Aber nein«, fügte er hinzu, »es ist ja seine Schrift!« Er öffnete, las, las noch einmal, sprang dann, dunkelrot im Gesicht, auf, schleuderte das Schreiben hin und rief mit Donnerstimme, indem er mit der Faust auf den Tisch hieb: »Meine Herren! Ich werde im nächsten Augenblick aus der Haut fahren! Aus der Haut! Lesen Sie diesen Brief, und sagen Sie mir dann gefälligst, ob mir etwas anderes übrig bleibt!«

Die Herren beeilten sich, von dem Brief Kenntnis zu nehmen, dessen Inhalt dem Kreishauptmann schon für den nächsten Augenblick eine so ungewöhnliche körperliche Verrichtung aufnötigte. Was sie da lasen, war allerdings erstaunlich genug. Der Besitzer von Hankowce, Herr Alfred Baron Zborowski, einer der geachtetsten Edelleute des Kreises, schrieb in hastigen, zitternden Schriftzügen, so daß sie der Advokat kaum zu enträtseln vermochte:

»Wir sind heute nacht wie durch ein Wunder vom Tode gerettet worden. Sie wissen, ich halte meine Bauern gut, wir hatten niemals Streit, aber seit dem Auftreten des Taras waren sie wie vertauscht. Plötzlich grüßen sie nicht mehr, leisten keine Robot und führen drohende Reden. Ich tue alles, den Frieden zu erhalten, vergeblich. Endlich kommt am letzten Sonntag ein Haufe zu mir, lauter junge Burschen, mit Sensen und Pistolen bewaffnet, und fordert für das Dorf ein Darlehen von fünfzig Gulden. Ich weigere es. Da kommen sie in der Dämmerung wieder, etwa hundert Mann, alle angetrunken, darunter auch ältere Hausväter. Es bleibt mir nichts übrig, als nachzugeben, mit einem Dutzend treuer Knechte kann ich mich nicht gegen sie wehren, und soll ich mein Weib, meine Kinder einem Kampf aussetzen? Sie ziehen johlend ab und versaufen das Geld. Vorgestern kommen sie wieder, diesmal auch meine besten Bauern, alle betrunken. ›Gib uns wenigstens hundert Gulden von dem Geld, das du uns erpreßt hast‹, sagt ihr Wortführer, ein Tagelöhner namens Juzef Supan, ›oder wir rufen den Taras.‹ – ›Ruft ihn‹, sage ich. ›Ich kenne ihn, und er kennt mich aus der Zeit, da er als Pferdeknecht bei mir diente; er weiß, daß ich kein Erpresser bin.‹ Sie antworten mit Schimpfreden. ›Übrigens‹, schreien sie, ›brauchen wir den Taras nicht, wir werden selbst mit dir fertig. Hundert Gulden – oder wehe dir!‹ Ich gebe das Geld; sie ziehen ab.

Wir verbringen furchtbare Stunden, nun wissen wir ja, was unser harrt: sie werden wiederkommen und dann alles nehmen; auch unser Leben ist nicht mehr sicher. Und nirgendwo eine Hilfe. Sollen wir fliehen, mitten durch das empörte Land? So sitzen wir verzweifelt beisammen. Da richtet sich meine arme Frau, die bisher wie betäubt vor Schrecken war, plötzlich mit leuchtendem Antlitz auf, als hätte sie eine Eingebung von oben. ›Alfred‹, sagt sie, ›rufe du den Taras.‹ Ich weiche zurück. ›Du sprichst im Fieber!‹ sage ich. ›Wenn ich den Bauern gegenüber so zuversichtlich tat, so log ich aus Notwehr! Allerdings bin ich meinen Bauern ein Freund gewesen, aber darnach würde Taras nicht fragen. Weißt du nicht, daß er jetzt ein Mordbrenner geworden ist, der den Adel hinschlachtet? Wir wären verloren, wenn er käme!‹ – ›Nein!‹ ruft sie begeistert, ›wir wären gerettet! Erinnere dich, wir haben nie einen braveren Menschen in unserem Dienste gehabt. Er hat ein Herz, und dieses Herz wird sich unser und unserer Kinder erbarmen.‹ Ich suche es ihr auszureden, aber da sie fest bleibt, so widerspreche ich nicht weiter, sondern gehe still an meine harte Pflicht. Den Taras lasse ich nicht holen – wo hätte ich ihn übrigens auch suchen sollen? – sondern befehle, die Tore zu verrammeln, bewaffne meine Knechte, schaffe Weib und Kind in den Turm und harre nun, aufs Äußerste gefaßt, zum Äußersten entschlossen.

Der Tag verstreicht ruhig, aber mit der sinkenden Dämmerung hören wir sie auch schon heranziehen. Unter betäubendem Lärm kommen an die vierhundert Männer und Weiber vors Schloß, darunter auch Leute aus den Nachbardörfern. Sie fordern Einlaß. ›Wir wollen zurück, was du uns geraubt hast!‹ Dann machen sie sich ans Stürmen. Die Äxte donnern an die Tore, die brennenden Pechkränze fliegen an die Fenster, wir sind in den nächsten Minuten verloren! Da dröhnt es plötzlich von ferne heran, eine Reiterschar in rasendem Galopp. ›Husaren!‹ ruft mein Verwalter, aber da hören wir das Johlen der Stürmenden: ›Urrahah, . . . der Rächer!‹ und wir geben uns nun vollends verloren. Da aber wird es plötzlich still, und wir hören eine mächtige Stimme: ›Halunken! Ihr lügt! Ich kenne den Mann!‹ Und dann: ›Brüder! Umzingelt diese Mordbrenner! Und daß mir keiner entrinne!‹ Es ist die Stimme des Taras. Meine Leute jubeln auf, ich bin wie betäubt. Da pocht es ans Tor: ›Öffne, Herr, ich bin gekommen, dich zu retten!‹ Die Knechte schieben die Riegel zurück, er tritt mir entgegen. Hätte ich nicht gewußt, daß er es sei, ich hätte ihn kaum erkannt; er ist in den zehn Jahren um dreißig gealtert. ›Armer Herr‹, sagt er und faßt meine Hand, ›was mußt du gelitten haben, und die gute, schöne Frau Baronin und eure lieben Kindlein. Nun aber, fürchte nichts, komm mit, wir wollen Ordnung machen.‹ Ich folge ihm, keines Wortes mächtig. ›Aber halt!‹ sagt er mit sanftem Lächeln, ›wollen wir es nicht früher den Deinen sagen lassen, daß die Gefahr vorbei ist? Wozu sollen sie sich länger ängstigen?‹ Ich winke einem der Knechte, dann aber, Herr Kreishauptmann, seit meiner Knabenzeit ist mein Auge nicht feucht geworden, da übermannte es mich . . . ›Fasse dich‹, sagt er sanft, wie zu einem Kinde, und führt mich hinaus. Ich sehe ein merkwürdiges Schauspiel. Da steht auf dem Anger vor meinem Schlosse die Schar der Bauern, festgeballt, die Köpfe geduckt, wie eine Herde Schafe vor dem Gewitter, rings um sie bewaffnete Reiter, jeder dritte Mann eine lodernde Pechfackel in der Hand. Dicht am Tore hält eine andere Schar zu Pferde, in Reihen geordnet, wie eine Eskadron, vor ihnen ein Mann in Bauerntracht, aber mit jüdischen Gesichtszügen. ›Wohlan!‹ ruft Taras und führt mich vor die Leute hin. ›Nun sagt, wodurch dieser Mann das Ende verdient hat, das ihr ihm bereiten wolltet? Aber kurz und wahr!‹ Da sinken die meisten auf die Knie und bitten um Gnade, nur wenige bleiben stehen, aber von ihnen wagt es nur einer zu sprechen, jener Juzef Supan: ›Wir haben nicht gedacht, daß du, unser Rächer, dich eines Polen, eines Gutsherrn annehmen würdest, . . . sind das nicht Verbrechen genug? Übrigens hat er uns auch alle bedrückt.‹ – ›Du bist ein schlechter Ankläger‹, sagt Taras. ›Ich kenne dich aus früherer Zeit. Dein Herz ist ein Sumpf und dein Wort ein Pesthauch. Wen hat der Baron bedrückt?‹ – Juzef schweigt, die andern aber rufen: ›Verzeihe uns! Juzef hat uns verführt, er hat gesagt: Das ist die Zeit, wo man auf Kosten der Herren lustig leben kann. Und wir‹ – ›Und ihr‹, herrschte sie Taras an, ›wurdet wegen einiger Gläschen Schnaps aus ehrlichen Leuten Schelme und schließlich Mordbrenner. Ihr verdient den Tod schon um dessentwillen, was ihr an mir und meiner heiligen Sache gefrevelt habt. Ihr habt meinen Kampf für das Recht dazu benützt, Unrecht zu üben. Aber ich will euch um eurer Reue willen verzeihen, sofern nicht dieser Mann, wie ihm zusteht, eure Bestrafung von mir heischt.‹ – ›Ich verzeihe ihnen!‹ rufe ich. – ›Dann‹, sagt er, ›dann bleiben mir noch drei Dinge übrig. Zum ersten: Ihr beginnt morgen mit der Robot wieder und benehmt euch gegen den Herrn ehrerbietig, wie er verdient. Wer gegen ihn die Hand erhebt, wer gegen ihn murrt, ja noch mehr, wer ihn auch nur um ein Häuflein Getreide oder eine Arbeitsstunde verkürzt, den lasse ich erschießen, so wahr mir Gott gnädig sei.‹ – ›Wir wollen es tun!‹ rufen sie. – ›Zum zweiten.‹ Er wendet sich an mich. ›Ist ein Tribut rückständig?‹ – ›Nein.‹ – ›Aber die Robot ist nicht geleistet worden. Durch welche Zeit?‹ – ›Drei Wochen!‹ – ›Also achtzehn Arbeitstage. Und was haben sie dir an Geld erpreßt?‹ – ›Einhundertfünfzig Gulden. Aber ich schenke es ihnen.‹ – ›Das darfst du nicht, Herr!‹ ruft er mit furchtbarem Ernst und wendet sich zu den Bauern: ›Richter, tritt vor!‹ Aber der brave Mann war nicht mitgezogen; bloß der Älteste, Grigori Borsak, ist im Haufen, und der schleicht beschämt heran. ›Die achtzehn Robottage‹, sagt Taras, ›werden binnen sechs Wochen, nach Belieben des Herrn, durch doppelte Arbeit ersetzt sein. Das Geld jedoch muß in barem oder Geldeswert binnen einer Stunde hier erlegt werden. Besteure dich und die anderen Schuldigen; meine Schar wird euch ins Dorf geleiten und weh euch, wenn ihr nicht rechtzeitig wiederkommt! Nun zum dritten!‹ ruft er und läßt den Juzef ergreifen. ›Verzeihe ihm!‹ rufe ich, aber er schüttelt den Kopf und winkt zweien seiner Leute. Zwei Schüsse, und Juzef liegt als Leiche zu unserem Füßen; die anderen eilen entsetzt, von der Schar geleitet, ins Dorf zurück. ›So, Herr‹, wendet sich Taras an mich, ›das wäre besorgt. Jetzt muß ich nur noch harren, bis sie den Ersatz des Geraubten bringen.‹ Ich stehe wortlos da; die Furchtbarkeit und der Edelmut dieses Menschen haben mich betäubt; er aber fährt mit leiser Stimme, fast schüchtern, fort: ›Wohl hätte ich auch die gute Frau und die lieben Kindlein gerne gesehen, aber darum wage ich nicht zu bitten.‹ – ›Verzeih‹, stammele ich beschämt. ›Komm! Wie gern wird sie dir danken! Gab sie mir doch den Rat, dich zu holen.‹ – ›Ei, wirklich?‹ ruft er freudig, folgt mir aber doch nur zögernd in den Torweg. Meine Frau eilt ihm entgegen, das Antlitz von Tränen überströmt, unser jüngstes Kind auf dem Arm. Sie will sich zu seinen Füßen stürzen, er aber wehrt ihr, wie erschreckt, ab, beugt sich vor ihr und küßt den Saum ihres Gewandes. ›Ich höre, Gebieterin‹, sagt er, ›daß du mir ein gutes Andenken bewahrt hast wie ich deinem Herrn und dir. Ich wußte eure Not schon seit gestern, aber ich konnte nicht kommen, weil ich vorher den Vogt von Rossow richten mußte.‹ – ›Den Bawinski!‹ ruft meine Frau entsetzt. ›O das arme Weib!‹ – ›Ich konnte nicht anders‹, erwidert Taras. ›Er hat's verdient!‹ – ›Unseliger!‹ schluchzt sie, ›wie lange soll noch dieses Morden währen?‹ – ›So lange Unrecht auf dieser Welt ist‹, erwidert er feierlich, ›und ich die Macht habe, es zu sühnen.‹ Ich trete dazwischen, frage ihn nach Weib und Kind, auch meine Frau faßt sich und ladet ihn ein, ins nächste Gemach zu treten. Er folgt zögernd und ehrerbietig, will sich auch nicht setzen, sondern beginnt nach uns zu fragen, in einer Haltung, einem Tone, wie eben ein alter Diener, der zufällig mit seiner früheren Herrschaft zusammengetroffen ist und es sich im Bewußtsein treuer Ergebenheit herausnimmt, seine herzliche Teilnahme zu bekunden. Als aber der Älteste mit einigem Geld und Viehstücken zurückkehrt, da ist Taras plötzlich wie umgewandelt, wieder der gebietende Hetman, und als ich nochmals versuche, den Ersatz abzulehnen, fährt er mich drohend an: ›Du mußt, Herr!‹ Ich gehorche, er nimmt gerührten Abschied und sprengt mit seiner Schar davon. – – Ich habe dies im Morgengrauen geschrieben, so schwer es mir fiel, mein Gewissen drängt mich. Zur Zeugenschaft wie zur Beeidung dieser Tatsachen bin ich jederzeit bereit. Ihr Freund Alfred Baron Zborowski.«

Der Advokat hatte mit steigender Bewegung gelesen und legte das Blatt aus der Hand, ohne eine Bemerkung daran zu knüpfen. Auch die anderen Herren blickten schweigend vor sich nieder. Nur der Kreishauptmann schlug wieder auf den Tisch, daß es dröhnte, und rief:

»Nun sagen Sie jetzt selbst: muß ich nicht sofort aus der Haut fahren? Was bleibt einem Menschen übrig, der nicht mehr weiß, was ein elender Mordbrenner ist und was ein edler Retter. Ohne diesen Taras wäre jetzt mein braver Zborowski eine Leiche, ohne ihn wäre heute jeder Edelhof im Kreise eine Ruine, ohne ihn hätten wir einen blutigen Aufruhr auf dreißig Meilen in der Runde! Ja, so ist es, mein Standrecht ist ja nicht einmal ordnungsgemäß publiziert, das seine hat genützt. Aber was rede ich da? Ohne ihn wäre ja der ganze Rummel nicht entstanden, und der Kerl vergießt Menschenblut wie Wasser! Verstehen Sie diesen Taras? Ich fahre aus der Haut!«

»Allerdings ein eigentümlicher Bandit!« bemerkte der General.

»Doch nicht so sehr, als es scheinen will«, nahm der Bürgermeister eifrig das Wort. »Ein ursprünglich braver Mann, hat er, wenigstens nach seiner Überzeugung, in einem Rechtsstreit schweres Unrecht erfahren. Darum hat er sich erhoben, sich sein Recht selbst zu verschaffen, will den Mann vernichten, der den angeblichen Frevel an ihm verübt hat, und diejenigen strafen, die das ungerechte Urteil gesprochen haben. Das sind Herr Hajek und – verzeihen Sie – die Herren vom Kreisamt. Alle, die er sucht, sind hier, und darum ist die Stadt, nur die Stadt vor ihm zu schützen.«

Dr. Starkowski war anderer Meinung. »Auch ich«, sagte er, »halte die Stadt für bedroht, so lange Hajek hier ist. Aber die Gefahr für Kolomea ist um kein Haar größer oder geringer als die für jedes Schloß, jeden Hof, in dem ein anderer ›Frevler‹ sitzt. Denn Taras handelt nicht aus persönlicher Kränkung oder Rachsucht; solche Fälle haben sich hier und anderwärts zuweilen begeben; sein Motiv steht meines Wissens einzig da. Hajek hat ihm selbst nichts genommen, nichts angetan; schon der Prozeß, den er mit fast beispielloser Hartnäckigkeit geführt hat, war nie ein Kampf um sein Recht, sondern um das Recht anderer, und schließlich um das Recht überhaupt, um ›die heiligste Sache‹, wie er es mir gegenüber nannte. Der friedliche Kampf war vergeblich, er setzt ihn nun mit den Waffen fort. Er haßt den Mandatar nicht mehr als jeden andern ›Frevler‹; er kämpft um das Recht, für das Recht, gegen das Unrecht. Darum würde er sich nicht beruhigen, auch wenn Sie ihm heute den Mandatar gebunden überliefern wollten. Erinnern Sie sich, was er der Baronin erwidert hat. Und darum erlaube ich mir den Rat, zwar die Stadt zu schützen, aber zugleich mit aller Tatkraft die Ebene seiner Macht zu entziehen.«

Nachdem auch Hauptmann Stanczuk für diese Ansicht eingetreten war, wurde beschlossen, gegen Taras schon am nächsten Morgen vorzugehen. Der Stadt wurde eine Besatzung in der bisherigen Stärke belassen, die übrigen Truppen sollten als fliegende Korps die Ebene durchstreifen.

Als die Herren alles vereinbart hatten und sich nun erheben wollten, bat sie der Kreishauptmann, noch eine Weile zu bleiben. »Meine Herren«, begann er, indem er ein großgesiegeltes Schreiben hervorzog, »jetzt muß leider auch ich noch reden. Leider! Denn bei allem Respekt gegen ein hohes Gubernium . . . Hm! Also! Das hohe Gubernium weist mich in dieser gestern erhaltenen Zuschrift vor allem an, fünfhundert Gulden Konventionsmünze als Preis auf den Kopf des Taras zu setzen. Ich halte dies für eine ganz vergebliche Maßregel, welche die Bauern erbittert, ohne etwas zu fruchten. Was aber gar das zweite betrifft, so . . .« Das Antlitz des alten Mannes färbte sich dunkelrot, und er hieb grimmig auf den Tisch.

»Das zweite?« fragte der General erstaunt.

»Wir wollen später einmal darüber reden«, erwiderte der Kreishauptmann. »Vorläufig warte ich noch den Erfolg meiner Vorstellung ab, die ich dagegen eingereicht habe, warte, ob in der Tat ein feiger Schurke . . .« Er schluckte heftig und sagte dann mit verhaltener Wut in Stimme und Ton: »Schönen guten Abend, meine Herren! Ich habe die Ehre, mich Ihrem Wohlwollen zu empfehlen. Ich für mein Teil will wieder einmal reiflich darüber nachdenken, wie angenehm es ist, Kreishauptmann in Galizien zu sein . . .«

 


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