Karl Emil Franzos
Ein Kampf ums Recht
Karl Emil Franzos

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Vierzehntes Kapitel

Steil und schmal, selbst dem Fußgänger nicht gefahrlos, aber dem kleinen, hageren Huzulenklepper bequem genug, zieht sich von Zulawce westwärts der Saumpfad in die Berge. Nur auf kurze Strecken ist er in jene tiefen, ewig kühlen und dämmerigen Einschnitte gelegt, welche die terrassenförmig aufgebauten Kuppen voneinander scheiden; sonst geht er geradeweg über die Berge, so daß jedem jähen Anstieg in wenigen Minuten ein ebenso jäher Abstieg folgt und der Wanderer vermeinen könnte, sich nicht dem Grat des Gebirgs zu nähern, wenn nicht von jeder Höhe, die er erreicht, der Ausblick ins Flachland immer weiter und herrlicher würde. Von dem Scheitel jeder Kuppe ist solcher Ausblick möglich, weil hier der östliche Orkan, der mit furchtbarer Gewalt aus der großen Ebene zwischen Don und Dnestr heranbraust, alles junge Baumwerk bricht oder biegt; sonst geht der Pfad immer zwischen mannshohem Farnkraut, haushohen Tannen dahin; an einer einzigen Stelle schlängelt er sich durch kahles, bräunlich-gelbes, sonderbar gezacktes Felsgestein.

Das ist die ›rote Schlucht‹, etwa eine halbe Tagreise von Zulawce entfernt. Wer sie durchzieht, folgt meist dem Hauptpfad, der immer westwärts zum ›Schwarzen See‹ und weiter in die Marmaros führt; nur wenige schlagen an der Gabelung, etwa in der Mitte dieser Felsgegend, wo unter einer verkrüppelten Föhre ein kleines rotes Kreuz steht, den schmaleren Pfad zur Rechten ein. Die dürftige Spur, die hier in kecker Steigung einen Felskegel hinanklimmt, dort wieder über mürben, rötlichen Schutt, der wie gebrannte Ziegel unter dem Fuße knirscht, stäubt und bröckelt, jäh zur Tiefe sinkt, ist kaum mehr ein Pfad zu nennen; wem Leib und Leben lieb ist, läßt dem Klepper die Zügel und vertraut sich blind der Gewandtheit des Tieres; gleichwohl wird, wer je den Ritt gewagt hat, mit Entzücken daran zurückdenken. Denn kaum eine Stunde lang führt der Weg durch jene bräunlichfahle Wildnis; dann aber, wenn man sich durch eine enge Felspforte hindurchgewunden hat, grüßt der Blick ein Tal, so voll heiterer Anmut, voll lichter Schönheit, wie sich in diesem Gebirge kaum ähnliches bietet.

Um einen kleinen, tiefblauen See steht herrliches Buchengehölz, die sanften Höhen, die die Wände dieses geschützten Kessels bilden, sind von unzähligen Blumen bedeckt, die sonst nur im Anland des Gebirgs gedeihen; dazwischen reift in Millionen die süße, große, dunkelrote Frucht der Erdbeere. Gegen Osten bricht aus dem See ein Flüßchen und braust durch eine enge Schlucht dem Pruth zu; von allen übrigen Richtungen ergießen sich kleine, silberklare Bäche in den leise bewegten, blauen Wasserspiegel. Hoch oben aber umkränzen düsteres Gestein und dunkler Tannenhag diese Perle der Karpaten, als wollten sie eifersüchtig die liebliche Stelle wahren. Sie heißt heute wieder, wie sie seit Jahrhunderten geheißen hat: ›Bei den weißen Quellen‹; nur ältere Leute gebrauchen den Namen, der vor einem Menschenalter üblich war: ›Am See des Taras‹.

Hier war sein Lager, hierher hatte er sich an jenem Palmsonntage von 1839 gewendet. Der Platz war trefflich gewählt; abgelegen genug, um von dem Verfolger nur eben durch Verrat erkundet zu werden; von der Natur so befestigt, daß sich die Besatzung gegen zehnfache Übermacht zu behaupten vermochte, und doch wieder der Ebene nicht ferne; wer jenem Ausflusse des Sees folgt, erreicht in drei Stunden das schilfige Ufer des Pruth. Auch ist die Umgebung der ›roten Schlucht‹ die wildreichste Gegend des Bergwalds, was diesem ›Hetman‹, der seine Bande auf durchaus ehrliche Weise ernähren wollte, höchst willkommen sein mußte. Freilich schien es in den ersten Tagen, als würde es Taras gar nicht nötig haben, den Braten für seine Leute zu erjagen und das Brot zu erkaufen. Denn kaum, daß sich die Kunde von seiner Ankunft ›bei den weißen Quellen‹ in den Einschichten verbreitet hatte, eilten die Hausväter herbei und brachten ›dem neuen Nachbar zum Gruß‹ Brot und Schaffleisch, Butter und Milch. Taras wußte, wie schwer den armen Menschen diese Gastlichkeit werde; auch reichte sein Geldvorrat für Monate; gleichwohl wagte er es nicht, die Geschenke zurückzuweisen, weil ihm wohlbekannt war, daß sie dies als bittersten Schimpf empfinden und ahnden würden. Nicht viel erwünschter kamen ihm ihre Söhne, die sich seiner Schar gesellen wollten; kühne Jünglinge, als Jäger und Hirten dieser Bergwüste an jegliche Gefahr, an alle Unbill der Witterung gewöhnt. Die Ergebenheit für den ›Rächer‹, noch mehr die Rauflust bestimmte sie zu diesem Entschlusse, und Taras war überzeugt, daß sie ihn in keiner Not verlassen würden. Dennoch schlug er den meisten ihre Bitte ab; an Gehorsam waren diese Halbwilden nicht zu gewöhnen, und wenn auch vielleicht die Speicher und Truhen vor ihnen sicher waren, so doch nimmer die Ehre der Frauen.

Nur mit dreien machte er eine Ausnahme, weil er ihrer Seelen völlig Herr zu sein glaubte. Das waren die beiden Jäger, die ihn als Wegweiser auf seinen Zügen begleitet hatten, und der ›Edelfalke‹ Julko Rosenko, der jüngste Sohn des ›gerechten Hilarion‹ am ›Schwarzen See‹. Männliche Schönheit, seltene Kraft und Gewandtheit, und ein Mut, so kühn und ungestüm, daß er selbst in dieser Umgebung auffallen mußte, hatten ihm seinen stolzen Beinamen erkämpft. Unter allen Huzulen, die vor Taras erschienen, war er der einzige, den nicht bloß die trotzige Sucht nach Abenteuern trieb, sondern der Drang, schuldlos erlittenes Leid zu rächen. Kaum dem Knabenalter entwachsen, war er auf dem Jahrmarkt zu Wiznitz auf Geheiß eines Offiziers in die Kaserne geschleppt und da kurzweg assentiert worden. Seine schlanke Gestalt war ihm zum Verderben geworden, und als er auf sein Alter hinwies, das ihn vor der Einreihung schütze, da erwiderte ihm der Hauptmann: »Wir haben keine Flügel, um dich später aus deinem Nest herabzuholen. Füge dich, junger Falke, werde vernünftig, und du wirst es gut haben!« Aber der Bursche wollte nicht vernünftig werden; keine Züchtigung, keine Körperqual brachte ihm die Worte des Fahneneids über die Lippen. Acht Monate währte diese Qual, bis der Besuch eines höheren Offiziers dem Hauptmann eine scharfe Rüge, dem Gefangenen Befreiung brachte. Julko kehrte in die Berge zurück: er liebte seinen Vater zu zärtlich, um dem ›gerechten Hilarion‹ das Weh zu bereiten, seinen Jüngsten unter dem Auswurf der Ebene zu wissen; er wurde kein Hajdamak, aber der ohnmächtige Zorn wütete um so grimmiger in diesem wilden Herzen. Nun endlich schlug die ersehnte Stunde; in die Schar des Rächers einzutreten, war nicht Schmach, sondern Ruhm.

Aus diesen sieben Leuten – den drei Huzulen, den beiden Knechten und den Burschen Lazarko und Wassilj, von welchen der letztere zudem fast immer als Kundschafter unterwegs war – bestand in den ersten Tagen die Bande des Taras. Der treue Jemilian schüttelte den grauen Kopf, da der erwartete Zuzug sich nicht blicken ließ, und als Wassilj, von seinem ersten Ritt heimgekehrt, die begeisterte Stimmung der Leute schilderte, da lachte der Alte bitter auf: »Oh, sie werden sogar Lieder auf uns singen, wenn wir erst gehenkt sind!« Taras hingegen blieb unbewegt; nach all den furchtbaren Stürmen schien wieder Ruhe über dies vielgequälte Herz gekommen. Er war wortkarg, und lächelten zuweilen auch seine Lippen, so doch niemals die Augen; aber jener Ausdruck schmerzlichen Ringens war von seinem Antlitz gewichen. Als ihm sein Kundschafter von dem Wahnsinn der Anusia berichtete, schüttelte er ungläubig das Haupt. »Es kann nicht wahr sein«, sagte er dem alten Jemilian, »ich weiß, was der Mensch erdulden kann, ohne wahnsinnig zu werden. Ich weiß es aus eigener Erfahrung, aber nun ist das Schlimmste überwunden: viel habe ich verloren, aber mich selbst wieder gewonnen.« Und die anderen ermutigte er: »Seid getrost! Es wird uns nicht an Armen und nicht an Arbeit fehlen.« Er befahl den Bau einer Vorratskammer, eines Stalles und einer Wohnbaracke für dreißig Mann.

Diese Zuversicht trog ihn nicht; schon der Festtag Mariä Verkündigung brachte vielen Zuzug. Und der erste darunter war ein Mensch, wie ihn weder Taras noch irgendein vernünftiger Mann dieser Landschaft als ›Freiwilligen‹ erwartet hätte.

Es war am frühesten Morgen, nur die Felsen und der Wald hoch oben standen bereits in scharfem, gelbem Licht, während über dem blanken Wasserspiegel und den sanft geneigten Wiesen an seinen Ufern nur eben erst ein zartes, rosiges Lichtnetz blinkte. Taras hatte den ›Edelfalken‹, der bis zum Morgengrauen die Wache gehalten hatte, abgelöst und saß nun, die Flinte zwischen den Knien, auf einem vereinzelten Felsblock, an dessen Rückwand sich jene Baracke lehnen sollte. Regungslos saß er da, nur die Augen wendeten sich von jener Felspforte zu der dicht umbuschten Kluft, durch die das Flüßchen aus dem Tale bricht, und wieder zurück, da beugte er sich plötzlich lauschend vor. Sein Ohr hatte Schritte vernommen, von der ›roten Schlucht‹ her, noch sehr entfernt, aber es waren schwere Schritte, und der Mann, der da herankam, mußte des Kletterns ungewohnt sein. Es dauerte noch geraume Zeit, bis endlich die dunkle Gestalt des Nahenden zwischen dem helleren Felsgestein sichtbar geworden.

»Ein Jude!« rief Taras halblaut, im Tone höchsten Erstaunens. »Er trägt eine Flinte über der Schulter. Alle Wetter, was will der Mensch?«

Das Staunen war berechtigt; einen bewaffneten Juden hatte er noch nie gesehen. Die wenigen Juden, denen man im Waldgebirg begegnet, sind ›Dorfgeher‹, arme Händler, die sich, ihr Warenbündel auf dem Rücken, demütig von Hof zu Hof schleichen und nicht von der eigenen Kraft den Schutz des Lebens und der Habe erhoffen, sondern von der Barmherzigkeit Gottes und dem Bewußtsein ihrer Armut. Der Mann jedoch, der hier herankam, trug das Haupt stolz erhoben und auf dem Rücken keine andere Last als das Feuerrohr, das ihm zu Häupten in der jungen Sonne gleißte. Er war ein junger Mann, hoch und breitschultrig; seinem langen aufgegürteten Kaftan war an den Rissen und Flecken abzusehen, welchen bösen Pfad er eben gegangen war, nicht seinen Bewegungen. Festen, raschen Schrittes kam er auf den ›Hetman‹ zu.

»Ich grüße dich, Taras«, begann er. »Schon von ferne habe ich dich erkannt, du aber wirst mich vergessen haben, obwohl du mich in meiner Knabenzeit lieb hattest.«

Taras blickte in das düstere, von schlimmen Furchen durchzogene Antlitz. »Naschko!« rief er. »Der kleine Naschko, der Sohn des Schenkers von Ridowa!«

Er hielt ihm beide Hände entgegen, der Jude schlug ein, und in seinem Antlitz zuckte es. »Das ist mir eine unverhoffte Freude«, sagte er. »Ich bin es wirklich, dein Freund Naschko, Manasse Zweig, der Sohn des Berisch!«

»Aber wie ist es nur möglich?« rief Taras und zog ihn auf die Felsenbank neben sich nieder. »Als ich vor zwölf Jahren aus dem Dorfe ging, schnitzte ich dir eine Knabenflöte zum Abschied und heute –«

»Heute«, ergänzte der Jude mit wehmütigem Lächeln, »heute wundert sich, wer mein Gesicht sieht, daß mein Haar noch nicht ergraut ist. Ich bin wirklich erst vierundzwanzig Jahre alt, aber an Leiden, Taras, an Leiden ein Greis!!«

»Es ist dir schlimm ergangen? Und du kommst um Hilfe zu mir?«

Naschko schüttelte das Haupt. »Und wenn ich deshalb käme?« fragte er dann. »«Würdest du mir helfen, obwohl ich ein Jude bin?«

»Und du zweifelst?« rief Taras. »Das Unrecht und die Gewalt fragen nicht nach dem Glauben, und ich sollte darnach fragen? Wie sie jeden treffen, will ich jeden schützen! Ich täte es auch dann, wenn ich die Juden haßte. Ich aber hasse euch nicht, weil ich mich von Kindheit auf gemüht habe, gerecht zu sein. So oft ich Schimpf gegen die Juden hörte und daß sie so ganz anders seien als wir, mußte ich immer an dich denken, Naschko, und an deinen Vater. Der alte Berisch war gegen uns weder ein Betrüger noch ein Fremder, und darum waren auch die Leute von Ridowa gegen ihn wie gegen jeden anderen guten Hausvater des Dorfes. Und du, Naschko, warst du nicht ein so munterer, frischer, tapferer Knabe wie jeder Christenbube? Der einzige Unterschied war, daß du kein Kreuzchen trugst, sondern das Westchen mit den Fäden! Und darum dachte ich immer: es steckt nicht im Blut, sondern die Juden sind gegen uns wie wir gegen sie. Nun denn, so sprich, und was ich kann, wird geschehen.«

»Ich danke dir«, erwiderte der Jude und ergriff seine Hand. »Aber ich bin nicht um Hilfe gekommen. Uns kann niemand mehr helfen, weder mir noch meiner Schwester. Und wenn Rache möglich wäre, ich würde sie selbst vollbringen. Ich komme zu anderem Zweck, und weil du eben so gut und gerecht zu mir gesprochen, so fasse ich den Mut, es dir zu sagen: Nimm mich in deine Schar auf.«

»Dich!« rief Taras und schnellte vor Erstaunen empor. »Ein Jude als Kämpfer im Bergwald! Derlei hat sich noch nie begeben, seit die Erde steht. Freilich bist du unter Christen wie ein Christ aufgewachsen, dennoch fasse ich es kaum. Armer Mensch, über dich muß Furchtbares, Unerhörtes gekommen sein.«

»Furchtbares wohl, aber nicht Unerhörtes«, erwiderte der Jude, und seine Stimme zitterte vor verhaltener Erregung. »Ähnliches hat sich oft begeben, nur daß es diesmal Menschen traf, die das Unglück nicht leichtmütig abschütteln, sondern daran zugrunde gehen . . . Du wirst dich meiner Schwester Jütta kaum erinnern?«

»O doch!« rief Taras eifrig, »ein lieber, kleiner Blondkopf, ein so schönes Kind!«

»Nun, sie wurde mit den Jahren immer schöner, und mein Vater und ich, wir hüteten sie wie unsern Augapfel. Die Mutter starb früh, so zogen denn wir beide sie auf, und sie war das Licht und der Stolz unseres Lebens. Es waren schon einige ansehnliche Freier gekommen, obzwar mein Vater ein armer Mann war, gleichwohl lehnten wir sie ab: für unser Mädchen schien uns keiner gut genug. Das fiel meinem Vater in seiner Todesstunde schwer aufs Herz, und er fand nur Trost in meinem Schwur, auch ferner über ihr zu wachen, sorglicher als über meinem eigenen Glück und Leben. Nun, das hielt ich auch: Unsere Pachtwirtschaft warf wenig ab, die Schenkwirtschaft vollends fast nichts, weil unser Graf den Zins von Jahr zu Jahr steigerte; dennoch harrte ich in Ridowa aus, weil ich meine Jütta zu Fremden hätte geben müssen, wenn ich etwa ausgezogen wäre, mir ein anderes Brot zu suchen. Und um ihretwillen blieb ich auch unbeweibt, weil sie sonst nicht Herrin im Hause und meine einzige Sorge hätte bleiben können. Jedoch gerade diese beiden Dinge nahmen mir die Juden von Barnow sehr übel; es ist in ihren Augen ein Frevel, ledig zu bleiben, und fast ein ebenso großer Frevel, ohne zwingenden Grund einsam in einem Dorfe zu hausen. Aber eine andere, größere Gefahr ließ mich nicht an den Groll der Juden denken. Ein junger Neffe des Grafen, ein Baron Kaminski, war zu Besuch auf dem Schlosse, sah meine Schwester und verliebte sich in sie. In jener Art, Taras, in welcher sich ein polnischer Edelmann in ein armes Judenmädchen zu verlieben pflegt! Er hielt oft bei uns an und belästigte sie, wenn er mich abwesend wußte, mit frechen Reden. Sie verschwieg es mir so lange als möglich, weil sie meinen Jähzorn kannte; endlich faßte das arme Kind den Mut, mir alles zu gestehen. Sie kannte mich recht; es wurde mir rot vor den Augen, und wäre mir der Baron in jener Stunde begegnet, ich hätte ihn wohl mit diesen Fäusten erwürgt. Dann aber kam mir die Besonnenheit wieder; ich ging zu unserem Grafen und bat, uns Ruhe zu schaffen. Er versprach es eifrig, und es schien gefruchtet zu haben; der Baron mied unser Haus, und als er mir einmal zufällig begegnete, bequemte er sich sogar zu einer Art Entschuldigung.«

»Ich kenne die Brut«, sagte Taras finster, »es war eine List, deine Wachsamkeit zu betören.«

»Ja«, erwiderte Naschko, richtete sich empor und ging erregt auf und nieder. »So war es. Als ich drei Wochen später in die nächste Brennerei fuhr, meinen Einkauf zu besorgen, und am Morgen wiederkam, war in der Nacht der Baron im Hause gewesen mit seinen Jägern und Lakaien. Kaum nahm ich mir Zeit anzuhören, was mir das arme, zernichtete Geschöpf zu sagen hatte, dann riß ich meine Flinte von der Wand und stürmte ins Schloß. Aber ich traf den Frevler nicht mehr, er hatte sich schon davongemacht. Die Unglückliche lag in hitzigem Fieber; ich fürchtete, sie könnte mir ohne Arzt unter den Händen sterben, so fuhr ich denn nach Barnow. Die Leute dieser Stadt waren gegen uns erbittert, aber die Barmherzigkeit mit diesem großen Unglück machte alle Schadenfreude verstummen. Sie nahmen uns gütig auf; meine Schwester fand Hilfe und Pflege. Als sie außer Gefahr war, trat ich ihr meinen Besitz ab und machte mich auf, den Baron zu suchen. Ich wußte, was meiner harrte, wenn ich ausführte, was mir das Herz gebot, aber ich konnte nicht anders. Wieder war mein Suchen vergeblich, er wohnte nun in Paris. Dorthin konnte ich ihm nicht folgen und kehrte nach Barnow zurück, aber ich fand meine Schwester nicht mehr . . .« Er schlug die Hände vors Gesicht und verstummte.

»Sie war ihm heimlich gefolgt?« rief Taras.

»Wo denkst du hin?« fragte Naschko rauh und richtete sich stolz empor. »Sie war ja ein ehrlich jüdisch Kind! Nein! Ich fand sie deshalb nicht mehr, weil der Sereth ein tückischer Fluß ist, dessen Wellen nicht wiedergeben, was sie einmal ergriffen haben. Ich konnte nicht erfahren, warum sie es getan hat, ob nur aus Scham oder Leid oder weil die Leute vielleicht nur die Kranke geschont, aber die Genesene gehöhnt haben. Aber wozu ich noch auf Erden leben muß, weiß ich ganz genau. Und darum ist mir, der ich bisher schmerzbetäubt vor mich hingebrütet habe, dein Ruf ins Herz gedrungen wie eine Erlösung. Und ich frage dich, der du dich einen Richter und Rächer nennst, ob du mich in deine Schar aufnehmen willst.«

Taras trat auf ihn zu und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Höre«, sagte er feierlich, »wenn ich zögere, so ist es nicht deshalb, weil du ein Jude bist. Ein Mann, der erfahren hat, was ich erfuhr, würde Gottes Sonnenlicht nicht verdienen, wenn er einen Unterschied zwischen seinen Brüdern machen wollte. Und meine Brüder, Naschko, sind alle unglücklichen Menschen. Es geschieht also nicht um deines Glaubens, sondern um deinetwillen, wenn ich dich frage: Hast du wirklich alle Hoffnung aufgegeben, dein Herz jemals zu beruhigen und wieder glücklich zu werden?«

»Nein«, erwiderte der Jude, und seine Augen leuchteten in unheimlicher Glut auf, »darauf hoffe ich noch. Mein Herz wird wieder ruhig und glücklich werden an dem Tage, wo ich dem Verderber meiner Schwester das Hirn spalte . . . Spar deine Worte, Taras, wir pflegen genau zu überlegen, ehe wir handeln. Darf ich bleiben?«

»Ja«, erwiderte Taras kurz und rief die anderen herbei. Sie machten erstaunte Gesichter, als sie den neuen Genossen gewahrten, und dem ›Edelfalken‹ schwebte ein spöttisches Wort auf den Lippen, aber ein gebietender Blick des Hetmans machte ihn verstummen.

Der erste ›Freiwillige‹ aus den Bergen, Julko Rosenko, und der erste aus der Ebene, Manasse Zweig, oder, wie sie noch heute im Liede heißen, der ›Edelfalke‹ und der ›schwarze Naschko‹, sind die einzigen in der Schar des Taras gewesen, die durch ihr Wesen oder ihre Beweggründe als ungewöhnlich gelten durften. Die anderen aber, die ihr wildes oder rachedürstendes Gemüt zu diesem Entschluß bewog, hatten wohl insgesamt irgendein Leid oder Unrecht erfahren, das sie aus dem großen Haufen hinausdrängte und in abenteuerliche Bahnen riß, aber an sich waren sie Menschen von geringer Eigenart, und auch ihre Geschichte wies nur jene traurige Prägung auf, die in diesem Lande, wo Unterdrücker und Unterdrückte in wildem Hasse nebeneinander wohnten, nicht überraschen konnte. Da war ein Bauer aus der Bukowina, Thodika Synkow, der bis in sein vierzigstes Jahr still sein Ackergütchen bebaut hatte, bis ihn die Härte des Steuereintreibers, der seinem kranken Weibe den Polster unter dem Haupte weggezogen, zum Mörder machte. Da war ein Meier vom Grenzflüßchen Podhorce, Stas Barilko, den sein Herr nach langer, treuer Dienstzeit unmenschlich hatte peitschen lassen, weil der Mann ohne Erlaubnis einen Hasen geschossen! Da war ein Kirchensänger aus dem Tarnopoler Kreise, Sophron Hlinkowski, der in einem Steuerstreit zwischen dem Pfarrer und der Gemeinde die Partei der Bauern ergriffen hatte und sich dann, als der erzürnte Pfarrer seine Tätigkeit einstellte, durch die flehentlichen Bitten der Gemeinde bestimmen ließ, an den Gräbern der in der Zwischenzeit Verstorbenen Gebete zu sprechen. Das war das Verbrechen des Sophron gewesen; er hatte es auf Anzeige des Pfarrers mit zweijähriger Kerkerstrafe gebüßt und war dann brotlos. Sein Kind war in der Zwischenzeit gestorben, sein Weib treulos geworden; so ging er denn zu Taras, ›um des Kaisers Schreibern künftig ein anderes Lied singen zu können‹, und dieser nahm ihn auf, wie er denn überhaupt keinen abwies, der sich aus ehrlicher Entrüstung seiner Fahne anschloß, wenig zu verlieren hatte und dabei in seinem Wesen die Gewähr für die Eigenschaften bot, die dieser Hetman zur Bedingung machte: Gehorsam, Tapferkeit und Genügsamkeit. Er hielt sich streng an die Worte, die er unter der Dorflinde von Zulawce gesprochen hatte: »Wer lustig leben will, wer sich glücklich fühlt, komme nicht zu mir!« Männer, die zu ihm flüchteten, um gerechter Strafe zu entgehen, wurden ebenso erbarmungslos abgewiesen wie die wüsten Burschen, die aus Beutegier oder Rauflust kamen. Trotz dieser strengen Sichtung bestand seine Schar bereits am Morgen des Ostersonntags aus dreißig entschlossenen, wohlbewaffneten Männern.

Neben diesem kriegerischen Zuzug hatte er in jenen Tagen auch andere, friedfertige Leute zu empfangen: Männer, die kamen, um ihre eigene Not zu klagen, oder auch Abgesandte, die für eine ganze Dorfschaft das Wort zu führen hatten. Einige dieser Gesuche waren allerdings frevelhaft und töricht, aber viele Klagen, die ihm da vorgetragen wurden, stärkten ihm doch wieder das Bewußtsein, daß es ›in diesem unglücklichen Lande, wo man kein Recht finden kann‹, in der Tat eines ›Rächers‹ bedürfe. Allerdings stimmte ihn die Menschenkenntnis, die er um den Preis seines Lebensglücks erworben hatte, vorsichtig genug, um diesen Berichten, wie rührend und herzbeweglich sie auch klingen mochten, nicht blindlings Glauben zu schenken, und das einzige feste Versprechen, zu dem er sich herbeiließ, lautete: »Wohlan! Ich werde erkunden, ob dem so ist, wie ihr sagt! Weh euch, wenn ihr lügt, weh euren Peinigern, wenn ihr die Wahrheit sprecht!« Und wenn nun die Bittenden fragten, wann sie auf die Hilfe hoffen dürften, so erwiderte er: »Bald, aber Tag und Stunde vermag ich nicht anzugeben. Erstlich könnte ich, da ja doch einer oder der andere unter euch schwatzen wird, dann die ›Weißröcke‹ zu meinem Empfange bereit finden, und zweitens habe ich das Versprechen gegeben, vor allem den Mandatar in Zulawce zu richten, und obwohl mir sein Verderben nicht erwünschter ist als das jedes anderen Schurken, der ähnliches getan hat, so muß ich doch zunächst dies Versprechen einlösen!«

Dies freilich schien nach den Nachrichten, die sein Kundschafter Wassilj am Sonnabend morgen aus Kolomea brachte, unmöglich. Es war nun ein Wagnis auf Tod und Leben, des Mandatars habhaft zu werden, und Taras scheute davor zurück, seine Genossen in die wohlbesetzte Kreisstadt zu führen, nur um eine Zusage buchstäblich einzulösen. Aber seine Verstimmung darüber dauerte nur wenige Minuten, dann war er wieder voll Tatkraft und Zuversicht. Zunächst beorderte er den Wassilj wieder als Späher in die Kreisstadt zurück, ferner erhielten Sefko und der ›Edelfalke‹ den Auftrag, sich in zwei Dörfern der Ebene, aus denen Klagen gekommen waren, über deren Berechtigung zu erkundigen; gleichzeitig wurde Jemilian entsendet, der Anusia und durch sie den übrigen Bewohnern des Dorfes die Ankunft der ›Weißröcke‹ zu melden.

»Herr«, sagte der alte, treue Knecht zögernd, »hast du vergessen, daß dein «Weib . . .« – ». . . wahnsinnig ist«, ergänzte Taras. »Sie war es nie, und jetzt vollends ist sie so vernünftig und besonnen wie du und ich. Die Betäubung des Schmerzes ist von ihr gewichen; sie kennt ihre Pflichten und wird sie erfüllen.« – »Hast du Nachricht?« fragte der Knecht erstaunt. – »Nein! Aber ich kenne mein Weib. Mir sagt's mein Herz.«

Den Rest des Tages nützte er zu einigen wichtigen Anordnungen. »Ich habe versprochen, morgen früh bereit zu sein«, sagte er, »und dies wenigstens will ich halten.« Zunächst wies er in der Baracke, deren leichter Holzbau bereits vollendet stand, jedem sein Lager an, dann bestimmte er die Art der Verpflegung und die Ordnung des Wachtdienstes, endlich teilte er seine Schar in zwei Haufen und setzte jedem einen Führer. Den ersten sollte der ›Edelfalke‹ befehligen, den andern der ›schwarze Naschko‹. Als Taras diesen letzten Namen nannte, prüfte er gebietenden Blickes die Gesichter der Männer, die ihn im Halbkreis umstanden. Auf einigen erschien die Röte des Zornes, und einer, es war Stas Barilko, wollte sprechen, aber er verstummte, als sein Blick dem des Hetmans begegnete. »Also«, wiederholte dieser laut und langsam, »den andern Haufen führt unser Bruder Naschko.« Und erst dann, als auch nun sich niemand regte, gab er das Zeichen, auseinanderzugehen.

Der Jude trat auf ihn zu. »Taras«, rief er, »warum hast du mich nicht früher von deinem Willen unterrichtet? Ich fürchte, es wird weder dir noch mir zum Heile sein. An mir liegt nicht viel, wohl aber an dir und deiner Sache. Du hättest die Meinung der Leute, die ihnen anerzogen und fast heilig ist, nicht grundlos kränken dürfen.« – »Grundlos?« rief Taras. »Ich habe dich zum Führer gemacht, weil ich dich nach reiflicher Überlegung für den ernstesten und tüchtigsten Mann meiner Schar halte. Die anderen aber – nun, sie werden ja bald erkennen, daß du der Ehre wert bist, und bis dahin werden sie eben gehorchen.« – »Aber grollend und widerwillig«, wendete der Jude ein. »Vergiß nicht, daß deine Macht auf ihren freien Willen gegründet ist.« – »Nein!« rief Taras. »Es war ihr freier Wille, zu mir zu kommen oder nicht. Aber nachdem sie sich dazu entschlossen haben, sind sie, gleich mir, Werkzeuge zur Erreichung des gemeinsamen heiligen Zweckes.«

Am nächsten Morgen, dem des Ostersonntags – es war ein milder, wunderbar schöner Frühlingsmorgen –, ließ Taras ein Holzkreuz, das in den letzten Tagen gezimmert worden, auf der Spitze jenes kleinen Felskegels befestigen, und die Männer scharten sich entblößten Hauptes um das heilige Zeichen. Nur Naschko hielt sich in einiger Entfernung. Taras trat neben das Kreuz hin. »Brüder!« begann er, »wir müssen den heiligen Tag ohne Priester und Altar begehen. Aber Gott läßt sich überall finden, wo immer sich gläubige Herzen ihm zuwenden, und darum wird er auch hören, was wir ihm zustammeln, wir, ein Häuflein Friedloser, die alles verlassen haben, was dem Menschen wert und teuer ist – um seinetwillen.« Er schlug ein Kreuz und begann laut und langsam das Vaterunser zu sprechen, und die anderen sprachen es nach. Dann trat Sophron, der Kirchensänger, neben das Kreuz hin und stimmte den Ostergesang an, und im tiefsten Herzen bewegt, fielen die Männer ein und sangen die uralte schöne Weise: »Christus ist erstanden! . . .«

Das war die Osterfeier der Friedlosen im Bergwald.

Noch während des Gesangs war der alte Jemilian zurückgekehrt. Nun berichtete er seinem Herrn, daß er Anusia wirklich so gefunden habe, wie es Taras vermutet hatte. »Sie hat sogar schon Vorsorge für die Soldaten getroffen«, rief er staunend. »Die anderen freilich«, fuhr er fort, »ahnen nichts, sie glauben sogar, du würdest heute nacht das Kastell stürmen, und wollen dir zusehen. Und bei diesem Glauben werden, sie auch bleiben, denn Anusia weigert sich, sie aufzuklären. Folgendes läßt sie dir sagen, ich habe es mir wohl gemerkt: »Ich werde willig und dankbar jede Kunde meines Herrn anhören, aber ich bitte ihn flehentlich, mir nur über sein Befinden Nachricht zu geben, nicht über seine Pläne oder über die Pläne seiner Feinde. Denn ich will nicht lügen, wenn mich die Schreiber fragen, und will auch in meinem Herzen schuldlos bleiben. Das ist meine Bitte, es steht bei ihm, sie zu erfüllen oder nicht. Eines aber werde ich niemals tun, wenn er es noch so gebieterisch fordern sollte, ich werde niemals zur Vermittlerin zwischen ihm und dem Dorfe werden. Weder werde ich seine heutige Kunde verbreiten, obwohl sie nur zum Nutzen des Dorfes gereicht, noch die folgenden, die er mir etwa senden mag. Denn ich will nicht als seine Mitschuldige in den Kerker gehen. Sag es ihm, er kann es mir nicht verargen. Er hat den Kindern den Vater geraubt und muß ihnen darum die Mutter lassen.‹ So hat sie gesprochen, Herr . . .«

Taras war bleich geworden und wollte heftig erwidern, da unterbrach ihn die Ankunft eines neuen Boten. Es war ein Knabe, den der ›Edelfalke‹ aus Zablotow gesendet hatte: die Husaren würden heute nacht nach Zulawce kommen. Der Hetman wurde unruhig und Jemilian vollends bestürzt. »Herr«, sagte er, »das kann böse werden, wenn die Zigeuner in der Nacht mit den Harrenden zusammenstoßen.« – »Ja«, rief Taras, »wir müssen sie warnen. Du mußt sofort wieder nach Zulawce reiten. Und weigert sich mein Weib wirklich, auch diese Warnung zu verbreiten, so mußt du es dem Pfarrer sagen.«

Jemilian versprach pünktliche Besorgung. Dennoch verließ den Hetman die Unruhe nicht, und sie steigerte sich, als der Abend einbrach. »Mich hat alles Unheil meines Lebens ungeahnt getroffen«, sagte er seinem treuen Naschko, »und ich zweifle, ob diese Kraft dem Menschen gegeben ist; aber jetzt möchte ich fast glauben, daß den Meinigen daheim soeben ein schweres Leid geschieht.«

Als er im Morgengrauen aus schweren Träumen emporfuhr, kauerte der Knecht bereits an seinem Lager. Der alte Mann war bleich, und seine düstere Miene verkündete nichts Gutes. »Sie sind tot!« schrie Taras auf und fuhr empor. »Die Deinigen leben«, erwiderte Jemilian; »aber anderer Blut ist geflossen.« Er war bereits auf dem Heimweg gewesen, als das Getöse sich erhoben hatte, da war er vorsichtig zurückgekehrt und hatte einiges erkundet, so die tödliche Verwundung des Schmiedes. »Sei nicht so fassungslos«, tröstete er, als Taras jammernd aufstöhnte, »dieses Blut kommt wahrlich weder über dich noch über dein Weib. Sie hat die Leute durch den Pfarrer warnen lassen.« – »Über mich!« schrie Taras auf. Dann aber bezwang er sich und befahl dem Knechte zu gehen. Erst nach einer Weile erschien er unter seinen Leuten, erwiderte ihren Morgengruß durch stummes Nicken und schlug sich dann einsam durch den Wald.

Die Männer begriffen nicht, was über ihn gekommen war. »Das ist ja gute Nachricht!« riefen sie. »Diese Metzelei wird selbst die sanftesten Gemüter im Lande empören!« Nur der Jude ahnte, was im Herzen des Führers vorging, und er faßte den Mut, ihm zu folgen. Er traf ihn unter einer Tanne hingestreckt, sein Antlitz war leidvoll und düster. »Taras!« begann er und faßte seine Hand, »ich verstehe deinen Schmerz, aber dir bleibt der Trost, daß du alles getan, das Unglück zu verhüten!« Aber der Hetman schüttelte finster das Haupt. »Wer Sturm säet, wird Sturm ernten!« – »Bereust du, was du getan hast?« – »Nein!« rief er heftig. »Oh, wie schlecht du mich verstehst! Was ich tat, mußte geschehen. Aber was ich mußte, die ganze Entsetzlichkeit meines Vorhabens, weiß ich erst seit heute . . . Und«, fügte er mit fast versagender Stimme hinzu, »noch etwas anderes. Früher befürchtete ich zuweilen, daß ich selbst bei meinem Werke ein böses Ende nehmen könnte, und war darauf gefaßt. Seit heute weiß ich, daß mein Ende kein gutes sein kann, sein darf!« – »Ich verstehe dich nicht!« rief der Jude bestürzt. – »Und ich kann es dir nicht erklären«, erwiderte der Hetman mit unheimlichem Lächeln, indem er sich erhob. »Mir sagt's ja nicht mein Verstand, sondern mein Herz.«

Am nächsten Tage erschienen die Abgeordneten des Dorfes, der Fleischer Wassilj und Hritzko Pomenko, vor Taras und entledigten sich ihres Auftrages. »Wir sind überzeugt«, schlossen sie, »daß du unsere Bitte erhörst, und fragen nur, welche Nacht du zur Rache anberaumst!«

Er hatte sie geduldig angehört. Dann jedoch entgegnete er ruhig, aber mit furchtbarem Ernste: »Merket wohl! Wenn ihr mich aufgefordert hättet, mit euch gemeinsam die Husaren zu überfallen, ich wäre nicht gekommen. Um euretwillen nicht, denn es wäre euer Verderben gewesen, und um des Rechtes willen nicht, weil diese Männer gewiß nur dem Befehl ihres Offiziers gefolgt sind und dieser vielleicht auch nur dem Befehl seiner Oberen. So hätte ich euch denn freundlich zugesprochen, euer Herz zu sänftigen. Eine andere Antwort aber gebührt euch heute, da ihr die Weißröcke morden wollt, die nichts gegen euch verbrochen haben. Und diese Antwort lautet: ›Hinweg aus dem Lager des Rächers!‹ Mit Männern, die Meuchelmord planen, darf er keine Gemeinschaft haben!«

Wassilj schrie auf und wich einen Schritt zurück. Der junge Hritzko hingegen blieb wie angewurzelt stehen, mit weit geöffneten Augen, fassungslos vor Erstaunen. Anders die Leute des Taras; wohl blickten sie schweigend zu Boden, aber auf ihrem Antlitz wies sich ihr heftiger Unwille.

»Taras!« rief Hritzko endlich. »Ich fasse es nicht! Hast du nicht in unser aller Beisein dem Kaiser den Krieg erklärt? Und du willst uns nicht helfen, seine Soldaten zu vernichten, die Handlanger der Gewalt?«

»Nein«, entgegnete Taras, »ich will es nicht, weil ich kein Mörder bin, sondern ein Kämpfer für das Recht.«

»Ein Kämpfer, der kein Blut vergießen will?« fragte Wassilj höhnisch.

»Ein Kämpfer«, rief Taras, »der nur dann Blut vergießen will, wenn es um des Rechtes willen geschehen muß

»O Taras!« rief Hritzko, »du denkst an die Soldaten und an dich nicht! Glaubst du, daß sie zögern würden, dich im Schlafe zu ermorden?«

»Dagegen werden wir, meine Leute und ich, uns zu schützen wissen.«

»Möge es euch gelingen«, sagte Wassilj. »Komm, Hritzko!« Aber der Jüngling gehorchte nicht, sondern trat auf Taras zu. »Was sollen wir unseren Leuten sagen?« fragte er bittend und faßte seine Hand. »Sie sind über den Angriff der Zigeuner sehr erbittert und haben fest auf dich vertraut. Ihre Erbitterung wird sich gegen dich kehren, wenn sie erfahren, welches furchtbare Wort du über sie gesprochen hast. Findest du kein anderes, Taras, das du uns mit auf den Weg geben möchtest?«

»Nein«, erwiderte dieser fest. »Ich danke dir für deinen guten Willen. Aber ich habe Menschenfurcht abgetan, seit ich Gott diene! Saget ihnen die Wahrheit.«

Das war um die Mittagsstunde des Dienstag gewesen. Am Abend versammelte Taras seine Schar, die inzwischen durch neuen Zuzug auf etwa vierzig Köpfe angewachsen war, zum ersten Kriegsrat und besprach die beiden wichtigsten Nachrichten der letzten Tage. Wassilj Soklewicz hatte die Kunde von der Verlobung des Mandatars gebracht, und daß sich dieser des Abends im Landhause des Bogdan aufzuhalten pflege; der ›Edelfalke‹ war aus dem Dorfe Kossowince mit dem Bericht heimgekommen, daß die Beschwerde der Gemeinde gegen ihren hartherzigen Pfarrer begründet sei; er halte die Kirche geschlossen und treibe die Abgaben erbarmungslos ein. »Der Mandatar wie der Pfarrer«, schloß Taras, »beide sind reif für unser Werk! So wollen wir denn nicht länger zögern, die Erde von ihnen zu reinigen! Beides ist gefährlich, denn im Pfarrhof von Kossowince lagern Soldaten, und das Landhaus des Bogdan liegt nahe der Stadt, die durch eine starke Besatzung geschützt ist. Aber wir wollen unsere Hoffnung auf Gott setzen und das Wagnis bestehen. Morgen nachmittags brechen wir auf, richten in der Nacht den Unhold von Kossowince und sind Donnerstag vor Mitternacht am Tore der Kreisstadt. Stimmt ihr zu?«

»Urrahah!« riefen ihm die Männer jubelnd zu und verteilten sich dann fröhlich an ihre Wachtfeuer. Zum ersten Male vernahm man im Lager muntere Reden. Nur Naschko hatte sich abseits gesetzt und starrte stumm vor sich hin. »Der Unglückliche!« dachte er. »Diese Burschen verstehen ihn so wenig wie der Ochs des Pfarrers Predigt. Sie halten ihn für einen eigenwilligen Narren, weil er mich zum Führer gemacht und die Hilfe der Leute von Zulawce abgewiesen hat. Wäre nicht heute abends der Beschluß erfolgt, er hätte binnen drei Tagen seinen Kampf vor allem mit den eigenen Leuten beginnen müssen. Nun sind die bösen Gedanken in ihnen zurückgedrängt, aber sie werden wieder auftauchen, in Wochen, in Monaten. Gegen die Soldaten wird er selbst sich schützen, aber wer wird sein Herz vor diesen Menschen wahren?«

Am nächsten Morgen begann mit dem ersten Grauen das Rüsten für den Zug nach Kolomea. Die Männer schmückten sich und ihre Pferde, prüften und säuberten ihre Flinten. Taras beriet mit Julko und Naschko den Plan und teilte dann jedem seine Aufgabe zu. So vergingen die Stunden in fieberhafter Arbeit. Da, plötzlich – die Sonne stand eben in der Mittagshöhe – tönte ein gellender Pfiff von der ›roten Schlucht‹ her: das Zeichen der Wache, daß Fremde nahten. Und als die Männer ihren Blick dahin wendeten, sahen sie einen halbwüchsigen Jungen auf einem kleinen Klepper den steilen Abhang hinabgaloppieren. »Der Bursche ist toll!« schrien sie auf, »er muß ja stürzen.« Auch Taras wendete den Blick dahin und wurde bleich; er hatte den Jungknecht Halko erkannt. »Den Meinen ist ein Unglück geschehen!« schrie er auf und eilte ihm entgegen.

Der kühne Bursche war trotz der tollen Gangart, zu der er den Klepper zwang, glücklich bis zu jener Felspforte gelangt, welche die Schlucht schloß. Da erst, bei dem letzten kühnen Sprunge, überschlug sich das Tier und schleuderte seinen Reiter an die Felswand. Den Männern entfuhr ein Schrei des Entsetzens. Aber nur das Tier blieb hilflos liegen, der Bursche hingegen schnellte gewandt wie eine Katze wieder empor und eilte auf Taras zu. »Der Braune ist zu Schanden«, stieß er atemlos hervor, »aber ich habe meinen Auftrag erfüllt. Kurz nach Mittag bin ich bei dir. Höre, was dir dein Weib sagen läßt!« Und er berichtete die Unterredung der Anusia mit dem Kommissär. Voll Spannung lauschend, standen die Männer im Kreise, nur zuweilen unterbrach ein Ausruf der Empörung die Erzählung des Burschen. »Die feigen Hunde!« riefen sie, »zu uns trauen sie sich nicht empor, aber mit Weibern führen sie Krieg!« Taras allein schien ruhig zu bleiben. »Gut«, sagte er, nachdem Halko geendet hatte. »Der Schreiber reist noch heute zurück, da wollen wir ein Wörtchen mit ihm reden! Du, Julko, wirst ihn mir baldigst hierher bringen. Natürlich heil und unverletzt, die Augen verbunden. Ich selbst kann ja leider nicht abkommen. Du, Halko, kehr heim, sag meinem Weibe, sie kann ruhig sein.«

Der ›Edelfalke‹ ließ seine Leute flugs aufsitzen und war nach wenigen Minuten auf dem Weg ins Pruthtal. Taras aber wendete sich wieder seiner Aufgabe zu, jedes Mannes Waffen zu prüfen, Pulver und Blei sowie den nötigen Proviant verteilen zu lassen und die sonstigen Vorbereitungen für den nächtlichen Zug zu treffen. Wer ihn so schaffen sah, hätte nicht ahnen können, daß er einer Begegnung entgegenging, die für sein besorgtes Herz von höchster Bedeutung sein mußte. Mit sinkender Dämmerung war alles bereit. Die Männer standen harrend neben ihren Rossen und lauschten ungeduldig nach der Waldschlucht hin, ob Julko noch nicht zurückkehre. Aber der letzte Tagesschein verblich, die Sterne begannen heller zu schimmern, die tiefe, dunkle Nacht breitete sich über den Bergwald, und noch immer ließ sich kein anderer Laut vernehmen als das leise, fast metallen klingende Sausen in dem Föhrengezweig und fernab das Gekrächze eines Uhus. »Der Totenvogel!« flüsterten die Männer einander scheu zu. »Wer weiß, ob Julko wiederkehrt.«

Taras achtete nicht darauf, er war in tiefe Gedanken versunken. Ihm selbst war, als der Schrei des Uhus aus der Ferne an sein Ohr schlug, die Frage im Gemüte wach geworden: »Vielleicht gilt der Ruf dir!« Dieser unheimliche Ton von außen her paßte zu der Stimme, die in ihm rief: »In der nächsten Stunde wirst du Menschenblut vergießen!« Jemilian trat auf den Brütenden zu. »Herr«, sagte er besorgt, »sie bleiben sehr lange aus.« Taras fuhr zusammen und starrte ihn an. Der Knecht wiederholte seine Worte. »Daran liegt nichts«, erwiderte der Hetman mit auffallend lauter Stimme – es war, als ob er sich selbst überschreien wollte – und richtete sich auf. »Julko ist des Schreibers später habhaft geworden, und der Weg durch die Waldschlucht ist selbst bei Tage nicht bequem . . . Ihr fürchtet euch wohl in der Dunkelheit, ihr großen Kinder! Nun, so zündet ein Feuer an. Da könnt ihr euch dann auch unseren werten Gast bequem beschauen.«

Die Worte wirkten wie eine Erlösung; sie nahmen blitzschnell den Bann des Unheimlichen von den Seelen. Und als nach wenigen Minuten ein mächtiger Holzstoß aufprasselte, Licht und Wärme spendend in der kühlen, dunklen Frühlingsnacht, da kehrte vollends die alte Zuversicht zurück, und das scheue Bangen schlug in tollen Übermut um. Sie bildeten einen Kreis um das Feuer, Karol Wygoda, ein Bauer aus Kozman, mußte seinen Dudelsack hervorholen, und sie begannen sich nach dem Reigen der Hora zu drehen, des wilden, seltsamen Tanzes, der den Karpaten-Bewohnern aller Zungen gemeinsam ist und hier, zu dieser Stunde, von diesen Männern ausgeführt, wieder zu dem wurde, was er wohl ursprünglich gewesen ist: ein Kriegs- und Waffentanz.

Taras ließ sie gewähren; er trat auf Naschko zu, der auch nun wieder, in trübes Sinnen verloren, abseits stand. »Wie spät?« fragte er. Der Jude war der einzige in der Schar, der eine Uhr besaß, und außer ihm waren nur noch Taras und Sophron der Kunst mächtig, die Zeit vom Zifferblatte abzulesen. »Elf Uhr!« war die Antwort. »Nun bist auch du besorgt?« – »Nein! Was könnte ihnen auch geschehen sein? . . . Aber horch! Was war das? . . . Schweigt!« herrschte er den Johlenden zu. Sie gehorchten, auch das Gequieke des Dudelsackes verstummte.

Nun hörten sie alle, was früher nur das feine Ohr des Taras vernommen hatte, einen zischenden Ton, der von fernher die nächtliche Stille durchschnitt. Es klang wie das Schwirren eines Pfeils. »Das Pfeifchen des Julko!« riefen die Männer fröhlich. Taras setzte sein Pfeifchen an die Lippen und blies das Gegensignal. Sie lauschten. Wieder ward jenes Zeichen vernehmbar, dreimal hintereinander und langgezogen. »Ihr wißt, was das Zeichen bedeutet«, wendete sich Taras an die Schar. »Sie haben in der Dunkelheit den Pfad verfehlt und suchen uns. He! Stas und du, Jemilian, nehmt zwei Kienfackeln und geht ihnen entgegen, so weit ihr könnt, und blast auf den Pfeifchen, was eure Lungen vermögen.« Die beiden gehorchten, die anderen gingen auf seinen Befehl zu ihren Pferden, koppelten sie los und standen nun bereit da.

»In einer halben Stunde können sie hier sein«, meinte Taras. Aber die Zeit verstrich, ohne daß aus dem Walde den Lauschenden ein anderer Ton ins Ohr gedrungen wäre, als das schrille Pfeifen der beiden Suchenden und zuweilen das ferne Zischen der Verirrten. Allmählich wurde der erste Ton gedämpfter, der andere deutlicher, und endlich klangen einige kurze, rasch folgende Signale herüber, die verkündeten, daß Sucher und Gesuchte sich vereinigt hatten. Nach einigen Minuten war der Ton ihrer Stimme aus dem Walde vernehmbar, dazwischen der dumpfe Hall des Hufschlags ihrer Pferde auf dem Felsboden.

Allen voran kam der ›Edelfalke‹ herangesprengt. »Verzeih die Verspätung«, meldete er dem Hetman. »Zwei Stunden mußten wir an der Furt über den Pruth im Hinterhalt liegen, und dann der böse Weg in der Dunkelheit! Ich bringe dir den Schreiber, wie du befohlen hast, unverletzt. Das heißt, wir haben ihm nichts getan. Ob ihn nicht inzwischen die Furcht getötet hat, kann ich freilich nicht verbürgen.«

In der Tat war dem Körper, den sie da herangeschleppt brachten, auf den ersten Blick nicht abzusehen, ob noch Leben in ihm sei. Julko hatte sich nicht damit begnügt, den Kommissär an das Pferd festschnallen zu lassen, sondern auch einen Mann hinter ihn gesetzt, der ihn in den Armen halten mußte, um den Wankenden vom Sturze, und da ihm die Augen verbunden waren, vor jedem Anprall an die Äste zu bewahren. Auch hatte er ihm vorsorglich eine große, warme Bunda umhängen lassen. So lag denn der Vermummte, in sich zusammengeduckt, auf dem Halse des schwerbelasteten Kleppers. Die Männer johlten auf, als sie die Jammergestalt gewahrten; ein Wink des Taras brachte sie zum Schweigen.

»Ist er ohnmächtig?« fragte er den Mann, der den Kommissär noch immer vorsorglich in den Armen hielt. »Nein, Hetman«, war die Antwort, »er stellt sich nur so. Noch vor wenigen Minuten flüsterte er mir zu: ›Rette mich, und ich will dir in Kolomea hundert Gulden auszahlen.‹ Ich hätte ihm gern einige Rippenstöße dafür gegeben, aber es war mir ja leider verboten.« Der Mann machte ein so betrübtes Gesicht, daß selbst Taras lächeln mußte. »Bindet ihn los!« befahl er.

Es geschah. Als Herrn Kaplonski die Binde vom Gesichte entfernt wurde, riß er die Augen weit auf, taumelte dann entsetzt zurück und fiel nieder, daß sein Haupt an die Erde schlug. Das war keine Komödie. Der Anblick, der sich ihm so plötzlich bot, war unheimlich genug, um selbst einem mutigeren und minder schuldbewußten Manne die Sinne zu verwirren. Vor ihm die hochaufgerichtete Hünengestalt des Taras, im Hintergrunde die Schar der Männer, bis an die Zähne bewaffnet und an den Bug ihrer Rosse gelehnt, und all die wilden Gestalten und die Berglandschaft ringsum hell beleuchtet von dem roten, zuckenden Lichte des Wachtfeuers.

»Hebt ihn auf!« befahl der Hetman ungeduldig. Zwei Männer traten hinzu, aber trotz aller Mühe brachten sie den Zitternden nicht auf die Füße, nur auf die Knie. »Gnade!« wimmerte er und hob die gefalteten Hände zu Taras empor.

Dieser trat näher heran. »Ah!« rief er mit bitterem Hohne, »du bist es, unser alter Freund Herr Ladislaus Kaplonski? Steh auf!« befahl er, »du brauchst nicht für dein Leben zu zittern.« Nun erst erhob sich der Kommissär und stand mit gesenktem Haupte da, die Hände noch immer gefaltet und weit vorgestreckt. »Nicht von meiner eigenen Sache will ich mit dir sprechen«, begann Taras. »Ihr werdet sie mit gewohnter Gerechtigkeit führen, was liegt daran!«

Herr Kaplonski hatte sich gefaßt. »Ja«, beteuerte er und verbeugte sich tief, »ich habe es ja selbst dem Kreishauptmann gesagt, daß eine Untersuchung gegen Sie keinen Zweck hat. Denn Sie sind ja so tapfer und klug und der Liebling des Volkes, verehrter Herr – Herr – Rächer.«

»Schweig«, herrschte ihm Taras zu. »Ich schäme mich für dich, denn du bist ja schließlich doch auch ein Mensch! . . . Nicht wegen der Untersuchung«, fuhr er wieder ruhigeren Tones fort, »will ich mit dir sprechen, sondern wegen der Botschaft, die du meinem Weibe gebracht hast!«

»Gnade! Es war mir ja befohlen!«

»Wirklich?« Taras blickte ihn scharf an, daß der Kommissär den Blick nicht ertrug und stärker zu zittern begann. »Warum bebst du dann wie Espenlaub? Ist es etwa nicht eine Erfindung von dir, tapferer, kluger, edler Mann?«

»Nein!« schrie der Kommissär auf. »Bei allen Heiligen! . . .«

»Ich will es dir glauben! Aber meine Vermutung war nicht grundlos. Denn dir wäre die Lüge zuzutrauen gewesen, und dann ist ja die Sache an sich unglaublich! Ihr nennt euch Hüter des Rechts und wollt so furchtbares Unrecht begehen? Und dann – wie feig, wie feig ihr seid! Ihr, die ihr über Tausende von Soldaten gebietet, ihr wißt euch nicht anders vor mir zu schützen, als indem ihr nach meinem Weibe, nach meinen Kindern greift?«

»Oh«, beteuerte Herr Kaplonski, »das sagte ja auch ich! Aber was nützt es? Ich wurde überstimmt! Vergeblich sagte ich –«

»Lüge nicht, sondern höre und sage es den anderen! . . . Eure Drohung wird mich nicht hindern, zu vollführen, was mir mein heiliges Amt gebietet. Und wüßte ich, daß mein Weib und meine Kinder morgen den Tod von Henkershand erleiden müßten, wenn ich heute eine Tat ausführe, die mir meine Pflicht auferlegt, die Tat würde doch geschehen, auf mein Geheiß, unter meiner Beihilfe! Hast du verstanden?«

»Ja – oh! oh! –«

»So höre nun auch das übrige! Ich kann euch nicht hindern, mein Weib und meine Kinder in den Kerker zu werfen. Aber an dem Tage, wo ihr eure Drohung wahr macht, an diesem selben Tage stelle ich meine übrigen Pflichten hintan, um die höchste zu erfüllen, um die schlimmsten Schurken im Lande unschädlich zu machen, euch, sämtliche Schreiber des Gerichts in Kolomea! Weh dem, der dann in meine Hand fällt. Ich lasse euch der Reihe nach an die Bäume des Bergwalds hängen, den Kreishauptmann an den höchsten . . .«

Herr Kaplonski knickte zusammen. »Mich nicht!« flehte er. »Mich wenigstens nicht! Ich war ja immer für Sie . . .«

»Höre!« fiel ihm Taras ins Wort, »du bist wirklich ein merkwürdiger Mensch. Du hast den schlechtesten Ruf, der einem Manne anhaften kann, und bringst es dennoch zustande, noch schlechter zu sein als dein Ruf . . . Aber davon später. Ich habe nun einmal leider nur dich zur Hand, und es kommt ja auch nicht auf den Boten an, sondern auf die Botschaft. Ich habe den Herren in Kolomea noch ein Drittes zu sagen, und schwöre bei allem, was mir heilig ist, daß mich nur die Menschlichkeit dazu bewegt, daß keinerlei Trug oder Hinterlist dabei obwaltet. Ich bitte die Herren, die Soldaten aus Zulawce zurückzuberufen. Durch die Husaren ist bereits Unheil geschehen, durch die von Parma könnte noch Schlimmeres über diese armen Menschen kommen. Es hat keinen Zweck, die Soldaten dort zu lassen, denn ich gelobe hiermit, daß ich das Dorf nie betreten werde, nie, selbst wenn der Mandatar im Kastell säße. Auch dann würde ich meine Pflicht an ihm anderswo zu üben wissen. Ich wiederhole: Ich komme nie dahin, wenn ihr meinen Willen erfüllet, und weil kein Mensch auf Erden lebt, der mir nachsagen könnte, daß ich ein Versprechen nicht gehalten habe, so werdet vielleicht sogar ihr mir glauben.«

»Oh! Gewiß! Ich selbst werde . . .«

»Schweig! Mit den Botschaften bin ich fertig, nun auch zwei Worte an den Boten. Zum ersten: hüte dich, die Herren in Kolomea zu belügen, wie du eben mich zu belügen versucht hast! Die Wahrheit würde dann doch einmal ans Licht kommen, und wenn es sich herausstellen sollte, daß du auch nur ein Wort anders berichtet hast, dann . . .«

»Gnade!«

»Und zum zweiten! Ich habe dir versprochen, dein Leben zu schonen und halte dies natürlich ein. Aber du hast dich hier vor mir so feig, so ehrlos, so lügenhaft benommen, daß du Strafe verdienst. Und da du mir deinen Besuch im Bergwald abgestattet hast, so will ich dieselbe Strafe an dir vollziehen, die hier auf Ehrlosigkeit gesetzt ist.« Er wendete sich zu seinen Leuten. »Schneidet ihm das Haar ab!«

»Erbarmen!« stöhnte Kaplonski auf. Es nützte ihm nichts. Im nächsten Augenblicke war er von vier starken Armen gehalten, während Sophron mit einer Riesenschere in seinem Haar wühlte, daß die Strähne flogen. Binnen einer Minute glich das Haupt des Kommissärs einem Stoppelfelde im Herbste.

»Nun bindet ihn wieder aufs Pferd!« befahl Taras. »Legt ihm das Tuch um die Augen!« Es geschah. »Zündet die Fackeln an! Zu Pferde! Auf, zum Pruth hinab! An der Furt wollen wir unsern teuren Gast entlassen.«

Die Signale erklangen, der Zug formierte sich und betrat den Waldweg, der zum Pruth und dann flußabwärts nach Kossowince führt . . .

 


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