Karl Emil Franzos
Ein Kampf ums Recht
Karl Emil Franzos

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Drittes Kapitel

Man erzählt oft, daß eine freudige oder trübe Ahnung rätselhaft unser Herz bewegt, wenn wir zuerst dem Menschen begegnen, der im Guten oder Bösen unsere Zukunft bestimmen wird. Bei Taras traf dies nicht zu; der neue Mandatar hatte ihm einen günstigen Eindruck gemacht. Aber hiervon abgesehen, gebot es ihm schon sein Gerechtigkeitssinn, dem Richter entgegenzutreten, wenn dieser gegen den ›neuen Büttel des Herrn‹ loszog. »Unser Graf Georg«, sagte er, »hat seinen Besitz ererbt wie der Kaiser sein Recht; beiden hat Gott ihre Macht gegeben, denn es muß eine Ordnung sein auf Erden. Es ist hart, daß wir fronden müssen, aber so ist es uns auferlegt, und darum dürfen wir den Mandatar, der die Fronde einhebt, nicht hassen. Er tut seine Pflicht und wir die unsre.« Die Bauern widersprachen nicht, besonders da Hajek auch bei der Ernte nur dieselbe Robot forcierte wie sein Vorgänger Gonta. Mißtrauisch war der Richter zu ihm gegangen, entschlossen, aufs äußerste zu feilschen; aber er kam nicht dazu. In wenigen Minuten war die Sache zur Zufriedenheit des Dorfes geordnet.

Erst im Herbst, sechs Monate nach Hajeks Ankunft, entstand ein Streit: bei der Leistung des Viehtributs. Jeder Hof hatte, je nach seiner Größe, zum Feste Mariä Geburt ein Fohlen, ein Kalb oder eine Gans zu liefern. Unter Gonta war die Leistung nie pünktlich eingefordert worden, sondern dann, wenn sich eben eine Vermehrung des Viehbestandes ergab. Der Richter und die Ältesten gingen zum Mandatar, gaben die Fristen an, zu denen jeder Hausvater sein Stück liefern wolle, und damit war es gut. So dachten sie es auch diesmal zu halten. Der alte Stefan, Taras und der andere Älteste, Simeon Pomenko, begaben sich am Sonntag vor dem Feste ins Schloß, und der Richter trug die Sache vor. Herr Hajek hörte ihn ruhig an, dann aber erwiderte er: »Zu Mariä Geburt ist der Tribut fällig. Sollte er da nicht pünktlich geleistet werden, so müßte ich ihn zwangsweise einheben lassen.« – »Herr Mandatar«, rief Stefan heftig, »ändere den alten Brauch nicht!« – »Es ist ein Mißbrauch!« – »Ein Mißbrauch sollte es sein, was die Natur gebietet?« – »Ihr hättet euch eben früher vorsehen müssen!« – »Der Rat ist gut«, erwiderte der Richter mit grimmigem Hohne. »Vielleicht stimmt er auch mit deinen Erfahrungen in der Viehwirtschaft, vielleicht kalben in Böhmen die Kühe auf des Gutsherrn Befehl! Aber hier leider nicht!« Herr Wenzel wurde bleich und rot, jedoch die Ruhe verließ ihn nicht. »Ich muß das Recht meines Herrn wahren!« sagte er und ging ins Nebenzimmer.

Erregt kehrten die Bauern heim, und wie ein Lauffeuer eilte die schlimme Kunde durchs Dorf. Als sich die Leute zwei Stunden später zur Versammlung vor der Schenke einfanden, vernahm man überall zornige Reden. Entrüstet trug der Richter die Sache vor. »Wir müssen auf dem alten Brauch bestehen!« rief er. »Und was die Gewalt betrifft, mit der er droht, Flinten haben wir gottlob auch!« – »Urrahah!« riefen ihm die Männer zu und schwangen ihre Waffen. Nur einer blieb ruhig, der Älteste Taras. Er ließ den ersten Sturm vertosen, dann meldete er sich zum Worte. »Es trifft uns hart«, begann er. »Wir haben uns nicht vorgesehen. Der alte Brauch war billig und vernünftig; wer könnte daran zweifeln? Aber so peinlich uns die Sache sein mag, wir müssen doch erwägen, wer im Recht ist. Und das geschriebene Recht, ihr Leute, spricht für den Herrn!« – »Wer hat es denn aufgezeichnet?« unterbrach ihn Stefan. »Des Kaisers Schreiber! Was verstehen die von der Wirtschaft!« – »Wenig genug!« gab Taras zu. »Aber dieselben Schreiber haben auch festgestellt, daß wir keine Leibeigenen mehr sind und auch Rechte gegen den Herrn haben. Wer das eine will, muß das andere befolgen!« – »Aber wo sollen wir plötzlich Fohlen und Kälber hernehmen?« – »Das findet sich. Einiges kann ich aus meinem Viehstand leihen, vielleicht tun andere das Gleiche. Auch bin ich bereit, mich für jeden braven Hausvater zu verbürgen, wenn er sein Tributstück in der Nachbarschaft kaufen will und das Geld nicht bar besitzt. Das ist Nebensache. Aber Recht muß Recht bleiben, um unsertwillen!« Die ruhigen, festen Worte machten tiefen Eindruck; die Männer begannen die Sache ernster und nüchterner zu erwägen. Mehreren nahm auch das Anerbieten des Taras die Sorge vom Herzen. Schließlich widersprach nur noch der Richter. »Seid nur geduldig wie die Lämmer«, rief er, »und ihr werdet bald geschoren sein!« Aber die große Mehrzahl entschied sich für das Nachgeben, und damit war die Gesamtheit gebunden.

Der Tribut wurde pünktlich geleistet, freilich nicht ohne schwere Opfer des Taras. Viele bedurften seiner Hilfe wirklich, andere nützten die gute Gelegenheit, zu einem Darlehen zu kommen, das sie nie zurückzahlen konnten oder wollten. So war es in der Tat vornehmlich das Verdienst des Podoliers, wenn am Morgen des Festtags kein einziger Hausvater mit seiner Leistung im Rückstand blieb. Das erkannte auch Herr Hajek an, als ihm Taras sein Stück, ein Fohlen, übergab. »Es war brav von dir«, sagte er, »daß du die Leute zur Vernunft brachtest! Du hast mir gleich besonders gut gefallen; ich sehe mit Freude, daß mich mein Blick nicht täuscht!« Der Bauer verbeugte sich tief. Aber was er erwiderte, war kein demütiger Dank, sondern das ernste Wort: »Recht muß Recht bleiben!«

Das war im September gewesen. Vier Wochen später ließ Hajek den Richter und die Ältesten zu sich entbieten. »Ihr habt«, sagte er ihnen nach freundlicher Begrüßung, »von Allerseelen bis zum Sonntag Judica täglich acht Mann zur Waldrobot zu stellen. Nicht wahr, die Verpflichtung besteht? Nun denn, so teilt euch die Sache ein und gebt mir dann das Verzeichnis der Arbeiter für jeden Tag der Woche. Am Morgen nach Allerseelen haben die ersten anzutreten.« – »Die Verpflichtung besteht«, erwiderte der Richter. »Aber da der Graf keinen Wald mehr hat, so hört auch die Waldrobot auf. Oder sollen vielleicht gar mitten im Winter neue Pflanzungen angelegt werden?« – »Nein«, sagte Hajek. »Aber Kräfte, die mir rechtlich gebühren, darf ich nutzen, wo ich will. Ich habe die Waldrobot des Dorfes an den Forstmeister in Prinkowce vermietet.« – »Das war Unrecht, Herr!« fuhr der Richter auf. »Nur unserem Grafen gilt die Verpflichtung und nur für seinen eigenen Besitz!« – Herr Wenzel tat, als hätte er die Worte nicht gehört. Er wendete sich zur nächsten Tür. »Also am Tage nach Allerseelen die ersten acht!« – »Das gibt Blut«, rief der Richter, »wenn du uns zwingst!« Aber der Mandatar war bereits im Nebenzimmer.

Verstört gingen die Männer von dannen. »Richter«, begann Taras auf dem Wege, »das ist eine bittere Sache. Wir müssen der Versammlung vorschlagen, was Rechtens ist. Aber eben darum müssen wir selbst vorher die Papiere prüfen, die du bewahrst; der Pfarrer wird uns helfen!« – »Podolier!« rief Stefan wütend, »führ hier keine neuen Sitten ein! Gegen Unrecht« – er riß die Pistole aus dem Gürtel – »ist das hier ein Beweisstück!« Taras blickte traurig zu Boden. »Willst du das Blut auf dein Gewissen nehmen?« fragte er dann ruhig. – »Willst du das Unrecht auf dein Gewissen nehmen?« entgegnete der Richter. – »Nein!« beteuerte Taras. »Aber erstens gibt es gegen Unrecht nur eine Waffe: die Klage beim Kreisamt, und zweitens müssen wir erst aus den Papieren ersehen, ob wir im Rechte sind!« Lange sträubte sich Stefan dagegen. Da jedoch auch Simeon der Ansicht des Taras war, so holte er endlich die Amtsschriften aus der Truhe hervor, und die drei Männer begaben sich zum Pfarrer.

Se. Hochwürden Herr Martin Sustenkowicz waren ein braver Mann, der gern jeden und alles auf Erden gelten ließ, den Schnaps ausgenommen, den er überall vertilgte. Auch hatte er über jede Sache seine eigene Ansicht und brachte sie mit Entschiedenheit vor; aber es war stets die des Menschen, den er zuletzt angehört hatte. So konnte denn sein Beirat auch diesmal nicht erheblich zur Klärung der Sache beitragen. Dies war um so mehr zu beklagen, als die Frage keineswegs leicht zu entscheiden war. In dem Erlasse des Guberniums stand nämlich bloß kurz und bündig: die Gemeinde Zulawce habe der Herrschaft die Waldrobot zu leisten. »Seht ihr!« rief Stefan triumphierend. »Der Herrschaft, dem Besitzer von Zulawce, und für dieses Dorf, also nicht in Prinkowce!« – »Natürlich nicht in Prinkowce«, bestätigte der Hochwürdige. »Sonst könnte er euch gar nach Wien vermieten! He! He! Lächerlich!« – »Der Herrschaft?« meinte Taras bedächtig. »Wenn wirklich kein Beisatz bezüglich des Ortes steht, so darf er vielleicht sagen: ›Ich vermiete die Kraft, für die ich keine Verwendung habe!‹« – »Natürlich!« rief Herr Martin. »Um den Wald ist er gekommen, soll er auch noch auf die Waldrobot verzichten? He! He! Lächerlich!« – »Ohne Wald keine Waldrobot!« rief Stefan dagegen. – »Freilich«, bestätigte der Hochwürdige, »das muß ja ein Kind einsehen! He! He! Wo ist der Wald, in dem er euch roboten lassen will? He! He!« – »Nun«, meinte Taras, »in Prinkowce ist Wald genug!« – »Sehr viel Wald«, nickte der Pfarrer eifrig. »Über Berg und Tal, zwei Meilen weit, teils Buchen-, teils Tannenwald. Und in welchem Wald ihr robotet, kann euch doch eigentlich gleichgültig . . .« – »Pfarrer!« fiel ihm der Richter zornig ins Wort, »Eure heiligen Weihen in Ehren, aber der Schnaps hat Euch offenbar um Euer Restchen Verstand gebracht!« Da auch dies eine entschiedene Behauptung war, so widersprachen Se. Hochwürden nicht, sondern meinten nur schüchtern: »Der Avrumko rollt jeden Monat ein Fäßchen ins Haus, so ein Jud, weiß Gott, was er damit will . . .«

So mußten die Männer den Pfarrhof verlassen, ohne ins klare gekommen zu sein. Nun versuchte es Simeon, eine Einigung zwischen den beiden herbeizuführen. Er schlug vor, die Entscheidung des Kreisamts anzurufen. Lange sträubte sich der Richter, endlich willigte er doch ein. »Sein Recht behaupten«, rief er, »und jeden niederschießen, der daran greift, das ist Huzulenart! Doch meinetwegen, versuchen wir es mit den Federfuchsern!« Aber auch dazu war Taras nicht zu bringen. »Das Amt des Kaisers«, meinte er, »darf nur anrufen, wer das klare Bewußtsein seines Rechts hat. Ich habe es nicht! Ich weiß nicht, ob wir im Recht oder Unrecht sind. Und darum – Gott mag mir verzeihen, wenn es eine Sünde ist, aber ich kann nicht anders; ich werde der Gemeinde vorschlagen, die Waldrobot in Prinkowce zu leisten.« – »Bruder!« rief Simeon, »das solltest du nicht! Erwäge wohl, daß du nicht mehr in der Ebene lebst! Wir Männer von Zulawce beugen unseren Nacken nicht gerne!« Taras errötete. »Der Vorwurf ist nicht ganz gerecht!« erwiderte er sanft und fest. »Es ist wahr: Wir Podolier sind friedfertiger und demütiger als ihr. Das macht, weil wir geknechteter sind. Aber was Recht und Unrecht ist, wissen wir so genau wie irgend andere Menschen, ja vielleicht noch genauer, weil uns wenig Recht widerfährt und viel Unrecht. Ihr erkennt es vielleicht mehr mit dem Verstande, wir jedoch fühlen es mit dem Herzen. Und eben darum ist uns das Recht so heilig!« – »Nun, so wahre es auch diesmal!« – »Das kann ich nicht! Mein Verstand kennt sich in dieser Sache nicht aus, und mein Herz schweigt. Darum werde ich nicht zu des Kaisers Schreibern gehen, sondern zum Nachgeben raten!«

So tat er auch am nächsten Sonntag in der Versammlung der Hausväter unter der Linde. Die Männer hörten ihn schweigend an. Dann trat Simeon auf und wollte seinen Antrag vorbringen. Aber kaum hatte er das Wort »Kreisamt« ausgesprochen, als ihn höhnisches Lachen unterbrach. »Wir wollen keinen Prozeß!« riefen alle. Nun endlich entschloß sich der Richter, die Erbitterung über die letzte Niederlage zu verwinden und seinen Vorschlag zu machen. Einige riefen Beifall, die meisten schüttelten den Kopf. »Taras!« riefen sie endlich, »erkläre es noch einmal, warum du uns zum Nachgeben rätst!« Er wiederholte seine Gründe ruhig und gemessen. Wieder folgte tiefes Schweigen, es war ungewiß, wofür sich die Versammlung entscheiden würde.

Der Richter schritt zur Abstimmung. »Ihr Männer«, sagte er, »vor allem gilt es, den Rat zu verwerfen, der für das Dorf schädlich ist. Wer für den Vorschlag des Taras ist, erhebe die Hand.« Es war die Mehrzahl. Der Richter traute seinen Augen nicht, und in der Tat war diese Entscheidung überraschend. Denn sie ging ja gegen die Interessen, gegen die Art dieser Männer. Aber seit Taras zu Mariä Geburt so schwere Opfer für die Gesamtheit gebracht hatte, galt sein Wort im Dorfe wie ein Evangelium. Der Greis weinte vor Zorn und Schmerz, als er den Beschluß verkünden mußte, und legte dann seine Würde sofort nieder. Nur durch flehentliche Bitten bewogen ihn die Männer, noch ferner Richter zu bleiben. »Aber zum Halunken im Schlosse gehe ich nicht wieder«, schwor er.

Das mußte Taras auf sich nehmen und mit Herrn Wenzel die Reihenfolge der Leute vereinbaren. Als sie damit fertig waren, klopfte ihm dieser leutselig auf die Schulter. »Du hast dich wieder einmal als trefflicher Untertan erwiesen«, sagte er. Aber diesmal verbeugte sich Taras nicht mehr; er trat einen Schritt zurück, blickte dem Mandatar fest ins Auge und sagte laut: »Unser Gewissen ist ruhig, ich will hoffen, daß du, Herr, dasselbe von dir sagen kannst . . .«

Die Waldrobot in Prinkowce wurde geleistet, pünktlich, Tag um Tag. Aber das Verhältnis zwischen Stefan und Taras war nun für immer getrübt. Es hatte sich in den acht Jahren, da der Podolier als Gatte der Anusia im Dorfe lebte, allmählich doch gut gestaltet. Nach schweren Kämpfen war es dem Greise gelungen, den Stolz und die schmerzliche Enttäuschung seines Herzens zu bezwingen und dem Fremdling ebenso warm zu begegnen, wie es alle anderen taten. Aber diese Freundlichkeit schlug nach jener Abstimmung wieder jählings in schroffe Kälte um. Er wendete den Blick ab, wenn er Taras zufällig begegnete, und mußte er in Sachen des Dorfes mit ihm sprechen, so geschah es in kurzen Worten. Alle Versuche, den Greis zu versöhnen, scheiterten an seiner Festigkeit. »Taras ist ein braver Mann«, entgegnete er den Vermittlern, »und ich selbst habe ihn hierher gebracht. Aber wenn dieses Lamm nun auch die Bären zu seinesgleichen macht, so ist dies unrecht von ihm! Das schwerste Unrecht! Ich kann es nicht ändern, aber ich meinerseits will ein Bär bleiben!«

Dabei verharrte er. Als die Männer der Gemeinde um die Mitte des Dezember unter Führung des Richters zur Bärenjagd auszogen, um sich für den Weihnachtsabend den gebräuchlichen Braten zu erschießen, ward Taras nicht eingeladen. »Entweder er oder ich!« erklärte der alte Stefan. Drei Tage pflegt diese Jagd zu währen, und trotz aller Entbehrung und Todesgefahr ist diese Frist für den Huzulen die hohe Zeit des Jahres. Aber diesmal kehrten die Männer schon am zweiten Tage zurück, betrübt und schweigend. Denn wohl brachten sie zwei riesige Bären heim, aber auch einen todwunden Mann: Stefan, den Richter. Er hatte sich in seiner ungestümen Art zu weit vorgewagt, sein Gewehr hatte versagt, und er war der Bestie unter die Pranken geraten. Das Tier stürzte bald im Kreuzfeuer, aber die Wunde des Greises war so schwer, daß die Leute kaum hofften, ihn noch lebend ins Dorf zu bringen. »Eilt euch«, stöhnte der Verwundete auf dem Wege, »ich darf nicht hier im Walde sterben, ich habe noch im Dorfe eine Pflicht zu erfüllen!«

Die Bauern wußten nicht, was er meinte; sie begriffen es erst, als er vor dem Hause des Taras halten ließ. Schluchzend stürzte dieser hervor und sank an der Bahre in die Knie.

»Weine nicht«, flüsterte der Sterbende, »höre mich an! Du hast mir einst das Leben gerettet, bist der rechtlichste Mann im Dorfe, hast meine Bruderstochter glücklich gemacht, und dennoch habe ich dir gezürnt. Es war nicht, weil du mir meine Hoffnung vernichtet hast, bei Gott! Nein, es war nur um des Dorfes willen! Und in dieser heiligen Sache habe ich dir noch ein Wort zu sagen, ehe ich sterbe. Du wirst Richter werden nach meinem Tode. Ich kann es nicht verhindern; könnte ich es, ich täte es! Nicht aus Groll gegen dich, sondern aus Sorge für die Gemeinde und für dein eigenes Schicksal, Taras. Es kann nicht gut enden, wenn der Richter, der Führer aller Männer, von anderem Schlage ist als sie. Das ist aber nun einmal nicht zu ändern. Sie werden dich wählen, du wirst die Wahl annehmen. So will ich dir nur noch das eine sagen: glaube nicht, daß es unter uns Menschen anders zugeht als droben im Walde unter den Tieren. Der Starke will immer den Schwächeren fressen, der Böse den Guten; es kommt nur darauf an, ob er es kann! Wer sich nicht wehrt, ist verloren! Aber du verstehst mich doch nicht, du glaubst mir nicht! So will ich mich mit dem begnügen, was du verstehen und mir versprechen kannst. Halte fest an unseren Rechten, wahre sie gegen den Dränger, dulde nicht, daß uns freien Männern ein Joch auf den Nacken gelegt wird. Versprich mir, nicht friedfertig zu bleiben, wo es gilt, das Recht zu erstreiten!« Er erhob mühsam die Hand; Taras umfaßte sie mit seiner Rechten. »So ist es gut«, seufzte der Sterbende. »Dein Wort wirst du halten!«

Weinend trugen sie den Toten in sein Haus. Auf seinem Antlitz lag der Ausdruck ruhiger Zuversicht. Und wahrlich, im rechten Glauben ist er gestorben. Denn nie ist ein Versprechen ehrlicher eingehalten worden als jenes, das er in seiner letzten Stunde erhalten.

 


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