Karl Emil Franzos
Ein Kampf ums Recht
Karl Emil Franzos

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Siebentes Kapitel

Das hatte sich in den ersten Apriltagen begeben. Taras war von seiner Anusia mit dem Versprechen geschieden, ihr so oft als möglich Kunde von der Reise zu senden, und in der ersten Zeit hielt er seine Zusage getreu ein. Schon drei Wochen nach seiner Abreise kam ein Brief aus Lemberg, von einem Dorfsohne geschrieben, Konstantin Turenko, der es im Regimente Herzog von Nassau bis zum Korporal gebracht hatte. »Weil mein Freund Taras«, schrieb dieser militärische Würdenträger herablassend, »nicht schreiben kann, während ich dies so gut verstehe wie ein Hauptmann, so gebe ich euch zu wissen, daß er gesund hier angelangt ist. Die Stadt habe ich ihm gezeigt, was ihm zur großen Freude war. Der Kasia und meinen Eltern könnt ihr sagen, daß ich noch vor der Ernte auf Urlaub heimkomme; sie werden stolz auf mich sein!« Dann traf im Mai ein Brief aus Krakau ein, von der Hand eines Kirchensängers, der eigentlich auch nur zu vermelden wußte, daß Taras glücklich dort angekommen sei. Denn wohl fügte der Künstler hinzu, daß der Reisende Geld benötige und die Zusendung unter seiner Adresse wünsche, aber auf diesen Beisatz legte der Pope mit Recht keinen Wert. Das war die zweite, aber auch die letzte Nachricht, die sie im Dorfe von dem Fernen empfingen.

Bis in den Hochsommer hinein harrten sie ohne Angst. »Wien ist weit«, tröstete der Pope die Anusia wie sich selbst, »und man findet dort nicht täglich einen Mann, der ruthenisch versteht und dabei gewillt ist, für einen Bauer Schreiberdienste zu tun.« Als jedoch die Erntezeit herankam und verstrich, ohne ein Lebenszeichen zu bringen, da wurde auch er unruhig und wußte der Geängstigten die Sorgen nicht mehr so kräftig auszureden wie bisher. Täglich kam sie in das Pfarrhaus, die Träume der verwichenen Nacht zu erzählen, von denen immer einer schrecklicher war als der andere. Das tröstlichste Traumbild war es noch, wenn sie ihren Taras zwar in den Armen einer schönen Ungarin sah, aber doch wenigstens lebendig; zuweilen jedoch sah sie ihn verhungernd an der Landstraße sitzen und am häufigsten tot unter einem Baume liegen. Mit der schönen Ungarin konnte Vater Leo fertig werden, wenn er darauf hinwies, daß der Weg des Taras nicht durch Ungarn führe; auch gegen das Verhungern waren die zweihundert Gulden, die dieser mitgenommen hatte, beweiskräftig genug; aber gegen den Tod ist allerdings nie und nirgendwo ein Kraut gewachsen. Und als dieser Traum die anderen überwucherte und das arme Weib sich sichtlich um alle Jugendfrische grämte, da wandte sich der Pope mit dringlicher Bitte an den Anwalt. Dieser versprach denn auch, sofort in Wien Erkundigung einzuziehen, aber Woche um Woche verging, und weder traf eine Antwort des Advokaten ein, noch kehrte der Vermißte zurück.

So war der Herbst gekommen, dann die erste Frostnacht, endlich der Tag Simon und Judä. Sonst regelt sich das Leben der Leute in Pokutien nur nach den kirchlichen Festen; dieser Tag ist die einzige Ausnahme. Zu Simon und Judä wird überall im Bergwald und bis tief in die Ebene hinein das Rüsten für den Winter begonnen; die Weiber bringen die Vorratskammer in Ordnung, die Männer versammeln sich vor der Schenke und beschließen die Verteilung des Holzes aus dem Gemeindewalde. So war es auch diesmal geschehen, und am Nachmittag war Simeon, der neue Richter, zum Pfarrer gekommen, um auch mit ihm das Holzdeputat der Gemeinde zu vereinbaren. Das war rasch geschehen, aber andere und traurige Dinge beschäftigten die Männer noch lange. Vater Leo vermochte nur zögernd zu widersprechen, wenn der Richter klagte, daß der unselige Acker nicht bloß dem Dimitri Soklewicz das Leben gekostet habe, sondern auch einem andern und teureren Menschen; auch er hielt Taras für verunglückt. So saßen die beiden Männer bis zur tiefen Dämmerung in trüben Gesprächen zusammen, und zuweilen klang aus der Nebenstube lautes Weinen zu ihnen herüber; dort versuchte die Frau Popadja vergeblich, die arme Anusia zu trösten . . .

Da vernahmen sie plötzlich ein Pochen an der Tür und fast gleichzeitig den von Tränen erstickten Jubelruf des Weibes: »Taras!«

Rasch sprangen sie empor und eilten in den Flur. Es war rätselhaft, wie Anusia ihren Gatten erkannt hatte, ohne ihn zu sehen, ohne seine Stimme, seinen Tritt zu hören, aber er war es wirklich. »Bist du wohl?« rief er. »Die Kinder habe ich schon geküßt!«

Schweigend blieben die anderen beiseite, während sich die beiden Gatten schluchzend umfaßt hielten. Dann erst kamen sie hinzu und begrüßten ihn in freudiger Rührung. Die Frau Popadja hatte inzwischen rasch die Kerzen in der Wohnstube angezündet. Aber als Taras nun in den Lichtkreis trat, da schrie Anusia gellend auf, und auch die Freunde erschraken. Der Mann sah übel aus, gealtert und verdüstert. Der stattliche Leib war abgemagert, in das blonde Haar mischten sich lichtere Strähnen, die Furche zwischen den Brauen hatte sich tief eingegraben, und die Augen blickten fast glanzlos aus dem fahlen Antlitz. »Bruder!« rief Simeon, »du bringst nichts Gutes heim!«

»Nichts Gutes!« bestätigte Taras. Dann versuchte er zu lächeln, aber es gelang ihm nicht, und als er in aller Augen den feuchten Schimmer sah, ließ er auch seine Tränen fließen.

»Du Ärmster!« schluchzte Anusia und bedeckte sein Haupt mit Küssen und Tränen. »Graue Haare . . . Graue Haare!«

Diese Worte gaben dem Erschütterten die Fassung wieder. Nun gelang es ihm wirklich zu lächeln. Sanft zog er das Weib auf den Sitz neben sich nieder und lehnte ihr Haupt an seine Brust. »Da seht ihr«, scherzte er, »wie die Weiber sind! Der bricht fast das Herz, weil ihr Mann nicht mehr so schön blond ist! . . . Nun aber erzählet, wie steht es im Dorfe?«

»Erzähle du!« riefen sie. »Wir haben uns so sehr geängstigt! Wo warst du nur so lange?«

»Es mußte ja sein!« erwiderte er. »Wien ist weit, auch hatte ich lange zu harren, bis ich ihn zu sehen bekam.«

»Den Herrn Kaiser! Hast du mit ihm gesprochen?«

»Ja, das heißt, was man dort so sprechen nennt«, erwiderte er mit seltsamem Lächeln. »Auch wollte ich nicht ohne Bescheid wiederkommen.«

»Und hast du den Bescheid?«

»Nein – aber es ist so gut, als ob ich ihn schon hätte . . . Davon später! Wie geht es euch? Was macht unser Herr Wohltäter?«

»Er läßt sich selten blicken!« erwiderte Simeon. »An deiner eigenen Wirtschaft«, fügte er hastig hinzu, »wirst du viel Freude haben. Es ist alles in Ordnung, das Vieh sieht prächtig aus, und die Ernte war so reich wie selten. Die Speicher sind gefüllt und außerdem bewahre ich für dich achtzig Gulden für Korn und dreißig für Hafer. Aber erzähle, hat dir der Herr Kaiser Hoffnung gemacht?«

»O ja!« lachte er bitter auf. »So viel Hoffnung, als ich nur wollte! . . . Verzeih, Frau«, wendete er sich dann zur Popadja, »aber mich hungert ganz entsetzlich. Ich habe, in der Hast heimzukommen, heute nirgendwo angehalten.«

Die gute Frau entschuldigte sich verlegen ob der Versäumnis und trug einen riesigen Schinken auf. Dann ließ sie folgen, was sich in ihrer Vorratskammer an guten Sachen finden wollte. Aber die Gäste erwiesen dem Essen geringe Ehre; auch Taras verschlang nur hastig einige Bissen, trank ein Glas Moldauer und schob dann den Teller, den ihm die Popadja vollgehäuft hatte, dankend zurück. »So iß doch, Richter!« drängte sie. »Taras!« verbesserte sie sich verlegen. »Nein!« lachte sie dann, »ich will dich doch ›Richter‹ nennen, wie ich's gewohnt bin. Du wirst es ja ohnehin bald wieder.«

»Nein!« erwiderte er. »Ich will nicht, und ich kann nicht.«

»Du mußt!« rief Simeon eifrig. »Nur als dein Stellvertreter habe ich das Amt übernommen. Und einen Richter, wie du bist, hat das Dorf nicht an mir, noch bekommt es ihn jemals wieder.«

»Ich kann nicht!« wiederholte Taras feierlich und hob die Hand empor. »So wahr mir Gott gnädig sei!«

Sie blickten ihn erstaunt an; der feierliche Ton befremdete sie. Nur Anusia rief erfreut: »Du hast recht, Mann. Wir wollen still für uns leben und glücklich sein. Auch mußt du dich diesen Winter erholen und fleißig auf die Jagd gehen. Das wird dir Freude machen und deinen Körper stärken.«

»Ja«, versprach er, »das werde ich tun.« Und wieder setzte er langsam und nachdrücklich hinzu: »Es wird ja notwendig sein.«

»Wie das?« fragte der Pope, »du hast ja im letzten Winter so tüchtig unter den Bären aufgeräumt, daß sie uns nun nicht viel mehr belästigen dürften!«

Taras wollte erwidern; dann aber preßte er rasch die Lippen zusammen, als müßte er das Wort, das ihm hatte entschlüpfen wollen, gewaltsam zurückhalten. Und da auch die anderen schwiegen, so war eine Weile eine unbehagliche Stille in der Stube.

»Nun aber erzähle!« begann die Popadja und setzte sich bequem zurecht. »Ich bin schon gar zu neugierig auf deine Abenteuer. Wie sieht der Herr Kaiser aus? Und ist sein Haus wirklich von Gold?«

»Ich fürchte, Frau«, erwiderte er lächelnd, »du wirst sehr enttäuscht sein. Sein Haus ist von Stein und er ein armer, gebrechlicher Mensch. Auch habe ich wenig Abenteuer erlebt; ich bin sogar keiner einzigen Zauberin begegnet, Anusia. Das mag freilich nur meine Schuld gewesen sein, weil ich mir wenig Zeit ließ. Mich trieb das Herz stürmisch vorwärts; am liebsten wäre ich mit der Post gefahren; aber das ging der Kosten wegen nicht. So mietete ich mich denn bei Lohnkutschern ein, zuweilen nahm mich auch ein Bauer mit, und wenn es in einem Flecken keine Fuhre gab, so ging ich zu Fuß weiter. Mit vielen Menschen traf ich da zusammen, sie klagten mir ihr Leid vor und ich ihnen das meine. Es ist eigentlich merkwürdig: so schön die Erde ist, ich bin keinem glücklichen Menschen begegnet. Alle tragen sie ihre Last, und jedes Menschen Last ist groß; das erkennt man auf der Reise, wo sich dem Fremdesten das Herz offenbart wie einem Bruder. Die meisten meinten, ich hätte das rechte Mittel erwählt. Nur einer riet mir heimzukehren: ein jüdischer Weinhändler aus Czernowitz, der mich auf seinem Wägelchen bis Lemberg mitnahm. Er war ein freundlicher Mann, der kein Entgelt dafür annehmen wollte, auch meine Geschichte hörte er teilnahmsvoll an, dann aber warnte er: ›Es wird vergeblich sein. Ja, wenn der gute, große Kaiser Joseph noch lebte!‹ Ich ließ es mir nicht ausreden. ›Ich will ja keine Guttat‹, erwiderte ich. ›Wenn ich um eine Gnade bäte, dann käme es darauf an, ob der Herr Kaiser als Mensch gut oder böse, weise oder töricht ist. Ich aber fordere nur, daß er seine Pflicht tue, und die muß jeder Mensch erfüllen.‹ Da widersprach er nicht länger. So kamen wir nach Lemberg.«

»Und da trafst du endlich einen glücklichen Menschen«, unterbrach ihn der Pope lächelnd, »den Konstantin Turenko. Mir wenigstens ist noch kein Mensch vorgekommen, der so zufrieden mit sich selbst gewesen wäre.«

Auch Taras mußte lächeln. »Nein«, erwiderte er, »der Herr Korporal war damals auch nicht glücklich, denn er hatte gerade keinen Knopf Geld, und ich mußte ihm einen Gulden borgen. Ist er noch im Dorfe?«

»Freilich«, rief Anusia. »Oh, der Prahlhans! Mir hat er gesagt: ›Ich habe deinen Mann bewirtet wie ein Fürst. In der ganzen großen Stadt Lemberg ist kein Wirtshaus, wo ich ihn nicht freigehalten hätte!‹ Ich habe ihm natürlich keine Silbe geglaubt, aber die anderen Leute möchten gleich alles beschwören, was er ihnen vorlügt. Er führt ja jetzt das große Wort im Dorfe! ›Bassama! Ich, des Kaisers Korporal!‹« Sie suchte ihn in Stimme und Gebärde nachzuahmen. »So ein Prahlhans!«

»Nun, auch mir gegenüber hat er sein Mundwerk nicht geschont, nachdem er erst den Gulden hatte! Übrigens war ich doch herzlich froh, als er mich erkannte und ansprach; es war die erste große Stadt, die ich sah, und ich kam mir ganz verloren vor unter den vielen Menschen. Ich hielt mich auch nur einen Tag dort auf und fuhr dann nach Krakau weiter. Aber dabei wurde mir immer bänger, ich konnte keine tröstlichen Gespräche mehr führen und mußte froh sein, wenn ich mich über das Notwendige verständigte. Denn dort sprechen die Leute nicht mehr ordentlich aus voller Brust; sie stoßen mit der Zunge an oder spitzen den Mund und lispeln, diese Mazuren und Goralen. Da kam mir so am Wege ein Landsmann in den Wurf, ein ›Diak‹ (Kirchensänger) aus der Czortkower Gegend, der seinem Weibe entlaufen war, weil es ihn zu viel geprügelt hatte. So wenigstens erzählte mir das betrübte Männchen und klagte, wie ihm das Geld fehle, sich nach Rußland durchzuschlagen; aber ich bin ihm später auf so viele Lügen und Lumpereien gekommen, daß ich auch die Geschichte vom bösen Weibe für erlogen halte. Nun, gleichviel, ein Landsmann war er doch, und so hielt ich ihn bis Krakau frei. Diese Stadt aber gehört nicht mehr zu Österreich, die Polen haben dort einen Freistaat; ich begriff gar nicht, wie Menschen leben können, ohne einen Kaiser zu haben, der die Ordnung aufrecht hält. Jetzt freilich –« Er unterbrach sich und preßte wieder die Lippen zusammen. »Was ich also sagen wollte: es fiel mir schwer, außer dem Lande meines Kaisers zu sein; so wollte ich denn wenigstens ein Wort ruthenisch hören und behielt den Lumpen bis Krakau; dort gab ich ihm den Laufpaß . . .«

»Wie klug du warst!« rief die Popadja stolz ihrem Gatten zu, und sie erzählten von dem Briefe.

»Der kleine Schurke!« sagte Taras lächelnd. »Damals glaubte ich ja noch, mit dem Gelde auslangen zu können. Später jedoch wurde es immer teurer, und auch sonst erging es mir übel. Als ich bei Dziedzitz wieder die schwarz gelben Schranken erblickte, jauchzte ich freilich auf; aber meine Freude wurde bald geringer, als mich so die kleinen verhungerten Wasserpolaken von allen Seiten umschnatterten. Dann kam ich in eine reichere Landschaft, unter die Mährer, aber meine Not wurde deshalb nicht geringer. Als ich diese Leute zuerst untereinander reden hörte, verstand ich keine Silbe; das klang, als ob einer dem anderen immer heftige Vorwürfe machte. Später merkte ich, daß einzelne Wörter mit unserer Sprache Ähnlichkeit haben, und gerade die ich so am nötigsten hatte: Brot, Fleisch, Wein, dann die Zahlen. Ach ja, die hatte ich besonders nötig! Nun, auch das war das Schlimmste nicht; aber wie wurde mir erst, als ich von Lundenburg ab unter die Deutschen geriet! Gewiß ein tüchtiges Volk; die Dörfer so stattlich wie bei uns manche Städte nicht, die Äcker bebaut, daß jedem Landwirt das Herz im Leibe lachen muß; aber welche furchtbare Sprache! Kein Wort zu verstehen, keine Silbe! So mußte ich es denn machen wie ein Stummer: kauen, wenn ich essen, und schlürfen, wenn ich trinken wollte. Aber wenn ich Fleisch wollte, so bekam ich Gurken; wenn ich Wasser wollte, so brachten sie mir Wein. ›Polak! Polak!‹ zischelten sie untereinander und deuteten auf mich. Das ärgerte mich sehr, denn ich bin ja kein Pole, sondern, gottlob, ein Ruthene, und darum suchte ich sie aufzuklären. Aber so vernünftig ich auch sprechen mochte, sie lachten nur immer mehr, bis ich einsah, daß alle Mühe vergeblich sei, und verdrossen schwieg. ›Meinetwegen Polak‹, dachte ich, ›wenn ich nur nach Wien komme‹, und schritt rüstig auf der Heerstraße vorwärts. Ein kleiner Drahtbinder gesellte sich zu mir, ein Slowake; wir verstanden uns zwar auch nicht ganz, aber nun kam ich mir doch nicht mehr so verlassen vor. Ich hätte den Knaben gern bis Wien an meiner Seite gehabt, aber er mußte von der Straße abbiegen, seiner Heimat zu, und leistete mir nur noch den Dienst, daß er mich bei einem Fuhrmann, der Tuch von Brünn nach Wien führte, einmietete. Das war ein freundlicher, alter Mann, und auch ich schien ihm wohl zu gefallen, denn er nickte mir immer zu, während er so neben den Pferden herging, und ich nickte vom Kutschbock zu ihm hinab. Dann aber, als es bergab ging und er sich zu mir setzte, da vertrugen wir es doch nicht, so stumm nebeneinander zu hocken wie die Fische. Er begann zu reden, und ich horchte aufmerksam, dann redete ich, und er horchte, und zwischendurch tauschten wir von unserem Tabak aus und erwiesen uns auch sonst jede Freundlichkeit, die uns eben möglich war. Mir tat ordentlich das Herz weh, daß ich ihn nicht verstehen konnte; ich möchte wissen, warum Gott die Menschen auch noch durch die verschiedenen Sprachen geschieden hat, es lebt sich ohnehin schwer genug auf Erden! . . .«

»Das kommt ja vom Turmbau zu Babel«, bemerkte die Popadja überlegen. »Erkläre es ihm doch, Leo!« Aber dieser winkte ihr zu schweigen, und Taras fuhr fort:

»So war ich zwei Tage neben dem guten Alten dahingefahren, täglich nur drei Meilen, weil der Wagen schwer bepackt war. Als wir am dritten Morgen ausfuhren, nickte er mir besonders fröhlich zu und deutete vor sich hin und rief: ›Wien! Wien!‹ Nun, das verstand ich natürlich, und das Herz begann mir zu klopfen vor Freude und Bangen. Scharf lugte ich aus nach der Richtung, die er mir gewiesen hatte, aber dort war nichts zu gewahren als ferne ein trüber, grauer Dunst in den Lüften. Wie festgeballt stand er über der Ebene, dahinter ragte eine scharf gezackte Wolkenbank in den Himmel hinein. Das setzte mich in Staunen, weil der Tag heiter war und die Luft abgekühlt durch ein nächtliches Gewitter. Aber als wir so Stunde um Stunde fuhren und sich nichts an dem Bilde änderte, da ward ich meines Irrtums inne: es waren keine Wolken, sondern ferne, blaue Berge. Und jener Dunst? Den wußte ich mir noch immer nicht zu deuten und habe erst später erkannt, daß es der Dampf und Staub war, der aus der gewaltigen Stadt ewig zum Himmel emporwirbelt wie der Atem eines riesigen Drachen!«

Anusia und die Popadja bekreuzten sich.

»Mein Gefährte ließ die Rosse heute rascher traben als sonst; ›Wien!‹ wiederholte er immer freudiger und deutete mir durch Gebärden an, daß ihn dort Weib und Kind erwarteten. Der Glückliche! Ich mußte an euch denken und wie es mir in der ungeheuren Stadt ergehen werde, in der niemand meine Sprache verstand. Dann jedoch raffte ich meinen Mut zusammen und spähte aufmerksam um mich. Wir fuhren über eine lange, prächtige Steinbrücke, drunten wälzte ein Strom seine gelben, mächtigen Wogen, die Donau. Jenseits des Stromes standen die ersten Häuser. Sie sahen so aus wie die der Kreisstadt, kleine, freundliche Steinhäuser, meist von Gärten umgeben. Ich wußte, daß dies nur die Vorstadt sei, und dachte: In zehn Minuten sind wir wohl am Ringplatz, und da steht ja gewiß auch das Haus des Kaisers. Aber eine volle Stunde verging, und noch immer dehnten sich rechts und links Gärten, nur daß sie freilich allmählich immer seltener wurden und die Häuser näher zusammenrückten. Auch mehrte sich die Zahl der Menschen und Fuhrwerke, denen wir begegneten, es war nun schon ein Gewühle wie auf dem Ringplatz in Lemberg, aber es steigerte sich von Augenblick zu Augenblick, und von ferne scholl dumpfes Brausen. Je weiter wir fuhren, desto gewaltiger schwoll es an, desto banger wurde mein Herz. Längst lagen die letzten Gärten hinter uns, dicht standen die Häuser aneinander und wuchsen immer höher in den Himmel hinein, zwei, drei, endlich vier Stockwerke hoch, mit unzähligen Fenstern. Und aus all diesen Fenstern blickten Menschen, und Menschen eilten zu beiden Seiten der Straße dahin und kreuz und quer zwischen den Fuhrwerken hindurch. Noch immer fuhren wir dieselbe Straße hinab, und so weit mein Auge reichte, schien sie kein Ende zu nehmen und war wie besäet mit rollenden Wagen und hastig drängenden Leuten. Rechts und links öffneten sich Seitenstraßen, und auch in diesen standen die himmelhohen Häuser, drängten die Menschen, rasselten die Fuhrwerke. Fester klammerte ich mich an meinen Sitz: dieses Getümmel betäubte meine Sinne und bedrückte mein Gemüt. Mir schwindelte es vor den Augen, und mein Herz schlug in schweren, dumpfen Schlägen . . .«

»Ach!« seufzte Anusia.

»Endlich hatten wir das Ende der meilenlangen Straße erreicht, aber da hörten auch die Häuser auf. Erstaunt blickte ich um mich, wir fuhren zwischen Grasflächen dahin, aber vor uns erhob sich ein Erdwall und hinter diesem wieder Häuser, blinkende Türme und eine riesige Kuppel. Auch das Gewühle um uns hatte sich noch vermehrt, und alles flutete zu einem Tore hinein und heraus. Ich begriff es nicht: hatten wir die Stadt bereits durchfahren, oder sollten wir sie erst betreten? Fragend blickte ich den Alten an. Er verstand mich und deutete mit der Peitsche auf den Erdwall. ›Wien!‹ sagte er fröhlich. ›Hilf Himmel!‹ dachte ich, ›so habe ich bisher nur die Vorstadt gesehen, wie mag es erst in der Stadt sein?‹ An jenem Walle war die Wegmaut angebracht, auch suchten die Zöllner nach Lebensmitteln, denn nach Wien darf niemand seinen Proviant mitbringen, ohne eine Abgabe dafür zu zahlen. Ich verstand nicht, was die Grünröcke von mir wollten, bis sie mir nach dem Schnappsack griffen. Aber sie fanden nichts darin als einen Laib Brot und ein Stück Käse, und das schoben sie lachend zurück . . . Mir aber ward immer banger zumute. Denn wenn schon das Gewühle draußen qualvoll gewesen war, so ward es mir nun fast unerträglich. Wie soll ich's euch schildern? Denkt euch, alle Nadeln im Tannenwald droben würden plötzlich zu Menschen und wirbelten wie toll durcheinander; denkt euch, alle Bäume und Sträucher würden zu turmhohen Häusern und rückten zu engen Gassen zusammen, daß selbst die Sonne nicht hinabdringen kann; denkt euch, Gott habe ein Gewitter am Himmel festgenagelt und nun gehe das dumpfe Gedröhne über die Erde, Stunde um Stunde, Tag um Tag! . . . Doch nein, wie es in Wien aussieht, kann niemand begreifen, der nicht dort gewesen ist! Und ebensowenig kann ich schildern, wie mir dabei ums Herz war. Es war mir wohl am Gesichte abzulesen, denn der Fuhrmann faßte meine Hand und richtete eine Frage an mich. An dem Ton erkannte ich, daß er erkunden wollte, ob ich etwa unwohl sei, und so schüttelte ich den Kopf und versuchte zu lächeln. Aber nun fuhr er fort zu fragen, und dies erriet ich nicht mehr, bis er auf die Häuser deutete, dann den Kopf mit geschlossenen Augen an meine Schulter legte und mich wieder forschend ansah. Nun wußte ich, daß er zu erfahren wünsche, wo ich zu schlafen, zu wohnen gedächte. Du guter Himmel, das hatte ich in meiner Herzensangst ganz vergessen. Früher hatte ich es mir bequem ausgedacht: ich wollte zuerst jenen Herrn Beamten Broza aufsuchen, an den mir der Advokat einen Brief mitgegeben hatte, und der, rechnete ich, würde mich schon irgendwo unterbringen. Aber nun sah ich wohl ein, daß es unmöglich war, in diesem Gewühle mit einem Lastwagen zu jemand hinzufahren, und den Herrn allein zu suchen, davor graute mir. So gab ich dem Alten zu verstehen, daß ich nicht wüßte, wohin ich mich wenden solle; er möge mir einen Rat geben. Da deutete er in eine Seitengasse und machte die Gebärde des Essens und Trinkens; das sollte heißen, ob er mich in ein Einkehrhaus führen solle? Ich nickte, und so bog er in die Seitengasse ein und dann in ein stilles, enges Gäßchen und hielt vor einem einstöckigen Hause, über dessen Tor ein Kranz aus grün bemalten, blechernen Blättern schwankte. Auf sein Knallen trat der Hausknecht vor die Tür, und dem erklärte er meinen Wunsch. ›Polak‹ hörte ich wieder, und nochmals ›Polak‹. Da lächelte der Knecht und fragte mich polnisch, ob ich eine Stube wünschte. Denn er war als Soldat einige Jahre in Galizien gewesen; von Geburt war er ein Tscheche.«

»Also ein Landsmann unseres Herrn Wohltäters!« rief Simeon.

»Ja! Aber dieser Frantisek war ein braver Bursche. Nachdem er gehört hatte, wozu ich nach Wien gekommen war, nahm er sich nach Kräften meiner an und erwirkte mir zunächst bei seinem Herrn, daß ich für mein Stübchen und die Kost bloß zwei Zwanziger täglich zu bezahlen brauchte. Du darfst kein so empörtes Gesicht machen, liebe Anusia, das ist für Wien ein sehr billiger Preis. Und dann erbot er sich, mich am nächsten Morgen zu dem Herrn Beamten zu führen. ›Heute geht es nicht mehr‹, sagte er, ›es ist zu weit, der Herr wohnt in der Stadt.‹ – ›In der Stadt?‹ fragte ich erstaunt, ›ja, wo sind denn wir?‹ – ›In der Vorstadt Leopoldstadt‹, erklärte er. Nun erfuhr ich, daß die Stadt, die wir früher durchfahren hatten, nur der Vorort Floridsdorf war. Solcher Vororte, hört nur! gibt es um Wien sechs, dazu neun Vorstädte, macht fünfzehn Städte um die eine Stadt herum. Wieviele Menschen da wohnen, ist kaum zu zählen; es sollen doppelt soviel Seelen sein wie in Pokutien und der ganzen Bukowina zusammen.«

»Da hat man dich angelogen!« rief Simeon. Aber der Pope bestätigte es: »In den Büchern steht es so.«

»Nun also, da könnt ihr euch denken, wie es erst in der eigentlichen Stadt aussah, wohin mich der Frantisek am nächsten Morgen führte. Es geht dort Tag für Tag toller zu als am tollsten Jahrmarkt in Kolomea, und was mir das gräßlichste schien, im ewigen Zwielicht drängen die Wagen und Menschen durcheinander. Denn so eng sind die Gäßchen, so hoch die Häuser, daß man stehenbleiben und den Kopf in den Nacken zurückwerfen muß, um oben ein Stücklein blauen Himmels zu erspähen und das tröstliche Licht der Sonne. Aber wer stehen bleibt, bekommt Püffe und wird hin und her geschoben; so ergriff mich denn mein Führer am Arm und geleitete mich wie ein Kind durchs Gedränge. Durch enge und breite Gassen ging es, dann am Stephansdom vorbei, der wohl zwanzigmal so hoch und breit ist wie unser Kirchlein, und endlich auf einen stilleren Platz. Man sieht dort keinen einzigen Kaftan und kein einziges Schmachtlöckchen, und dennoch heißt er der ›Judenplatz‹, weiß Gott, warum! Dort wohnte der Freund des Advokaten, der Herr Viktor Broza, in einem stattlichen Hause, aber wir mußten viele Stufen steigen, bis wir vor seiner Tür standen; in Zulawce würde es kein Bettler in einer Wohnung aushalten, die er so mühsam erklimmen müßte! Der Bediente wollte mich nicht vorlassen, als ich jedoch den Brief hineinschickte, hieß mich der hochmögende Herr sofort eintreten. Ein stolzer Mann mit silbernem Haar und einer goldenen Brille auf der Nase, ein rechter Herr, dabei doch gut und menschenfreundlich. Ach, wie es mir wohltat, als ich wieder meine Sprache reden konnte, ohne angestarrt und ausgelacht zu werden! Freilich endete meine Freude, als er zu reden begann. Seine Worte waren herzlich und vernünftig, aber er warnte mich, große Hoffnungen auf den Kaiser zu setzen. ›Er ist ein guter Mann‹, sagte er. ›Gewiß, kämest du um eine Unterstützung für deine Gemeinde, etwa eines Brandschadens wegen, er würde dich reichlich beschenken. Aber um Rechtssachen kann er sich ja nicht bekümmern, dem armen, kranken Manne ist ja die Regierung ohnehin zur Last.‹ – ›Das verstehe ich nicht‹, erwiderte ich. ›Gnade gewährt er und sollte das Recht weigern?‹ – ›Nun‹, meinte Herr Broza, ›dafür hat er ja die Gesetze aufschreiben lassen und seine Schreiber eingesetzt, sie zu handhaben.‹ – ›Wenn aber diese Unrecht tun, so muß doch er helfen; wer sonst?‹ – ›Freilich, wer sonst? Eure Geschichte ist ja wirklich himmelschreiend! Ja, wenn er so wäre wie sein großer Onkel Joseph oder wenigstens wie sein Vater Franz. Hier ist ja wirklich einer der seltenen Fälle, wo ein Herrscher in die Rechtspflege eingreifen muß. Er aber –‹ Er brach verlegen ab. ›Sprich‹, bat ich, ›ist er dessen nicht fähig?‹ Kaum konnte ich diese Frage vorbringen, mir war das Blut zu Eis erstarrt. Herr Broza gab zuerst gar keine Antwort und trat zum Fenster. ›Er hat oft Kopfschmerzen‹, sagte er dann halblaut, ›auch drechselt er so gerne und macht Kästchen aus Pappendeckel.‹ Ich traute meinen Ohren nicht, und da wiederholte er: ›Nun ja, der arme, kranke Mann hat diese unschuldige Leidenschaft und widmet ihr viel Zeit . . .‹ Nun mußte ich es wohl glauben.«

»Aber wie ist dies möglich?« rief Simeon.

Taras lächelte bitter. »Wie dies möglich ist? Ja, das fragte auch ich und noch manches andere dazu, daß mich der gute Herr Broza ganz entsetzt ansah. ›Ich begreife deine Erregung‹, sagte er und strich mir über das Haar, wie man ein Kind zu begütigen trachtet. ›Du bist ja ein Prachtmensch, Taras, aber die Welt sieht sich von Zulawce anders an, als sie ist.‹ – ›Das mag sein‹, erwiderte ich, ›aber dies eine weiß ich: wir Menschen müssen anders zueinander sein als die Tiere im ›Welyki Lys‹, wo das stärkere das schwächere auffrißt. Und dies muß jeder Mensch fühlen, ob er als Bauer in Zulawce sitzt oder als Kaiser in Wien.‹ – ›Er fühlt es ja auch!‹ rief Herr Broza, ›er ist ja der beste Mensch. Aber nur darfst du nicht glauben, daß er sich um jeden einzelnen bekümmern kann.‹ – ›Darum eben bin ich gekommen, ihm mein Leid selbst zu sagen.‹ – ›Aber er kann dich ja nicht verstehen, er spricht ja nicht ruthenisch noch polnisch.‹ Das traf mich hart; dem Advokaten hatte ich es nicht glauben wollen, diesem Manne mußte ich es glauben. ›Ein Vater sollte doch seine Kinder verstehen‹, klagte ich. ›Kann er wenigstens tschechisch?‹ – ›Ja!‹ – ›Nun‹, erwiderte ich, ›dann ist mir schon geholfen. Wenn ich mich mit dem Frantisek verständige, so wird es auch da möglich sein.‹ Aber er war mit seinen Einwendungen noch nicht fertig. ›Dann ist noch eine große Schwierigkeit: er gibt nur selten Audienzen.‹ – ›Gut‹, sagte ich, ›so werde ich täglich wiederkommen, bis er zu sprechen ist.‹ Herr Broza lächelte. ›Wo denkst du hin!‹ rief er, ›das ist nicht wie ein Gang zum Herrn Pfarrer! Nur jede Woche einmal ist Audienztag, selbst der wird nicht regelmäßig eingehalten. Wozu sollst du hier Zeit und Geld totschlagen? Gib das Gesuch mir, und ich werde es einreichen.‹ – ›Hochmögender Herr‹, erwiderte ich, ›ich danke dir, denn du meinst es gut mit mir armen Manne, aber wie es um mich steht, weißt du nicht.‹ Er aber, der brave, hilfreiche Mann, wurde mir deshalb nicht böse und versprach sogar, mir für die nächste Audienz den Zutritt zu erwirken. ›Wann kann es sein?‹ fragte ich. Er wußte es selbst nicht, ›vielleicht in einer, vielleicht erst in fünf Wochen.‹ Und so ging ich betrübt von dannen . . .«

»Ich aber«, rief Anusia mit blitzenden Augen, »ich hätte nicht so lange gewartet! Der Herr Kaiser muß ja täglich auch an die frische Luft gehen wie jeder andere Christenmensch. Und so wäre ich vor seinem Hause gestanden, bis er heraustritt, dann hätte ich höflich gegrüßt, um die Erlaubnis gebeten, ihn ein Stückchen Weges zu begleiten, und hätte ihm die ganze Geschichte haarklein erzählt. Ja, so hätte ich getan!«

»Liebes Weib«, erwiderte Taras lächelnd, »was du da sprichst, ist zwar eine Dummheit, aber ich darf sie dir nicht verübeln, denn einen Tag lang war ich selbst ebenso dumm. Mir bangte vor dem Harren; darum bat ich also den Frantisek: ›Zeig mir das Haus des Kaisers‹, und er tat es am nächsten Nachmittag. Wieder mußten wir in die Stadt, am Dome vorbei, durch viele lärmerfüllte Straßen, daß mir abermals das Hirn zu wirbeln begann, bis er endlich vor einem großen Hause anhielt: ›Hier ist es!‹ – ›Du mußt dich irren‹, rief ich, ›es ist ja kein Gold daran!‹ Er aber schwört, er wisse es bestimmt. Darauf gucke ich mir das Haus noch einmal an, es ist gar nicht besonders stattlich, die Mauern vom Alter geschwärzt. ›Einen neuen Anstrich könnte sich der Herr Kaiser spendieren‹, denke ich; dem Frantisek aber sage ich: ›Nun zeige mir, wo der Kaiser selbst wohnt!‹ Und da führt er mich zuerst auf einen großen Platz, um den hohe Häuser stehen, und dann durch ein Tor auf einen andern, der gleichfalls von hohen Gebäuden umgeben ist, und in jedem Eckchen steht ein Soldat als Wache. ›All dies‹, sagt er, ›ist die Wohnung des Kaisers, seiner Verwandten und seiner Schreiber!‹ Da staune ich sehr, dann aber frag' ich: ›Gut! Aber er wird doch nicht nur in einem Zimmer schlafen und in einem essen, kurz, wo wohnt er selbst?‹ Da führt mich der Frantisek auf einen dritten Platz, in dessen Mitte ein Reiter aus Eisen steht, und deutet zu einigen Fenstern empor. – ›Schön‹, sag' ich, ›und nun verweilen wir ein wenig an dieser Tür hier! Vielleicht tritt er gerade heraus.‹ – ›Tor!‹ lacht er, ›der Kaiser geht ja nie aus; hier, aus dem inneren Schloßhofe, fährt sein Wagen blitzschnell heraus und jagt durch die Stadt in ein Wäldchen an der Donau und dann ebenso schnell wieder zurück.‹ Und kaum hat er dieses gesprochen, als wir ein ganz furchtbares Gebrülle hören, daß ich erschreckt zusammenfahre. ›Die Wache hat ›Gwerraus‹ (Gewehr heraus) geschrien!‹ ruft Frantisek. ›Nun kommt er gerade von der Spazierfahrt zurück.‹ Und richtig jagt eine geschlossene Karosse an uns vorbei und verschwindet im nächsten Hofe. Aber so schnell sie fahren, ich erkenne, wer darin sitzt, zwei Offiziere, der ältere in einen einfachen, grauen Mantel gehüllt, der jüngere mit vielen Orden auf der Brust. ›Das muß er sein!‹ denk' ich; da seufzt aber der Frantisek: ›Der arme Herr Kaiser! Trotz der Hitze muß er sich in den Mantel hüllen, weil es ihn immer friert!‹ Nun, auch dies mußte ich ihm natürlich glauben, weil er ja schon fünf Jahre in Wien als Hausknecht war, und ging noch betrübter heim. Denn der im Mantel hatte wirklich recht müde ausgesehen.«

»Und war es wirklich der Rechte?« fragte die Popadja.

»Ja, aber es sollte noch lange dauern, bis ich ihn aus der Nähe sah. Eine Woche hindurch harrte ich vom frühen Morgen bis zum späten Abend auf einen Boten des Herrn Broza. Ach! Das waren traurige Tage; viele Stunden saß ich in meinem engen, dunklen, feuchten Stübchen auf dem Bette und starrte grübelnd vor mich hin. Während der Reise hatte ich mir eine lange, schöne Rede ausgedacht, die ich dem Kaiser halten wollte, aber nun war es nichts damit, er verstand ja nicht ruthenisch, und so stellte ich mir jetzt nur einige Worte zusammen, die ich ihm sagen wollte. Aber ach! dachte ich, auch dies Wenige versteht er vielleicht nicht, und all die Mühe ist nutzlos, und es kommt alles, wie es kommen muß! . . . Nach acht Tagen faßte ich mir das Herz, den Herrn Broza wieder zu stören. ›Du kommst zur nächsten Audienz, die stattfindet‹, sagte er, ›aber der Tag ist noch unbestimmt.‹ Und so harrte ich wieder, und immer schwerer wurde mein Herz. Nun kam auch die Geldsorge hinzu; hundert Gulden hatte mich die Reise gekostet, einen Gulden brauchte ich täglich in Wien; wie sollte ich wieder heimkehren, wenn ich hier noch länger sitzen und zehren mußte? Oft genug machte ich mir nun Vorwürfe, daß ich nicht eurem Abmahnen gefolgt war. Aber hatte ich anders tun können, handelte es sich nicht um mein Heiligstes, meine Ehre und meine Seele? War nicht . . .«

Er unterbrach sich, weil er dem Blicke des Popen begegnete, der scharf und prüfend auf ihm ruhte.

»Nun denn«, fuhr er fort, »so verflossen wieder zehn Tage. Da endlich kam der Diener des Herrn Broza: ›Am zweitnächsten Dienstag ist die Audienz.‹ Erleichtert atmete ich auf. Das waren freilich wieder zwölf Tage, aber nun löste sich endlich die Qual des endlosen Harrens von meinem Herzen. Seht, so bescheiden wird der Mensch, wenn die Trübsal auf ihm lastet wie ein Berg. Ich zählte die Stunden, die mich noch von dem ersehnten Tage trennten, und am Sonntag vorher ging ich zum Herrn Broza, mit ihm zu beraten, wie ich mich zu benehmen hätte. ›Du meinst‹, fragte er, ›wenn der Kaiser selbst erscheinen sollte? Denn zuweilen läßt er die Gesuche nur durch einen Verwandten einsammeln.‹ Ich erschrak tödlich, meine Füße wollten mich nicht tragen, ich mußte mich setzen. Er suchte mich zu trösten: ›Bekommst du ihn nicht zu sehen, so gibst du eben die Schrift dem Erzherzog. Dein Gewissen kann ruhig sein; du hast ja ohnehin die Pflicht gegen die Gemeinde erfüllt wie vielleicht nie ein anderer Dorfrichter in Österreich.‹ – ›Schönen Dank‹, erwiderte ich, ›aber diesem Rat folge ich nicht. Ich gebe die Schrift keinem anderen als dem Kaiser. Und wenn er übermorgen nicht erscheint, so komme ich zur nächsten Audienz wieder und so fort, bis ich ihn treffe.‹ – ›Aber Taras‹, rief er, ›wie soll ich dir dann immer wieder den Eintritt verschaffen? Das ist ja unmöglich!‹ – ›Wenn es‹, erwiderte ich, ›unmöglich ist, dann werde ich mir anders zu helfen wissen; dann werfe ich mich vor seine Pferde hin, wenn er ausfährt. Kann der Kutscher noch anhalten, so werde ich dem Kaiser das Gesuch übergeben und mit ihm reden. Gehen die Rosse über mich hinweg, so war es eben mein Schicksal.‹ – Er blickte mich ganz erschreckt an. ›Ja‹, murmelte er, ›so ein Ruthene, der um sein Recht kämpft, spaßt freilich nicht.‹ Dann aber befahl er: ›Ich lasse dich durch meinen Diener hinführen und abholen. Du kommst sofort nach der Audienz hierher, verstanden? – Sofort!‹ Ich versprach's und ging. Aber mein Entschluß stand fest.«

»Taras!« rief Anusia und bekreuzte sich, »was waren das für Gedanken?«

Er starrte düster vor sich hin und strich das ergrauende Haar aus der Stirne. »Vielleicht noch lange nicht meine schlimmsten«, murmelte er, aber die anderen verstanden es wohl nicht. Dann fuhr er laut und ruhig fort: »Also – die Audienz! Ich hatte mich schon am frühen Morgen dazu geschmückt wie der Bräutigam zur Hochzeit. Die hohen Stiefel zog ich an, meinen langen braunen Leibrock mit dem Ledergurt und darüber den weißen Schafpelz, den mit den schönen Stickereien, Anusia. ›Es ist ja sehr heiß‹, meinte der gute Frantisek, der mir die Stiefel so blank gewichst hatte, daß man sich darin spiegeln konnte, aber ich wußte, daß man dem Kaiser Ehrerbietung schuldet, und so nahm ich auch nicht meinen Strohhut, sondern die Lammfellmütze. Die Leute des Hauses starrten mich neugierig an, als ich die Treppe hinunterkam und in den Wagen stieg, den mir der gute Herr Broza geschickt hatte. Es war eine Halbkalesche, und so blieben auch auf der Straße die Leute stehen und guckten sich die Augen nach mir aus. Es kümmerte mich wenig, denn obwohl ich nicht viel von den Wienern wußte, das hatte ich doch schon heraus, daß sie das neugierigste Volk der Erde sind. So kamen wir zur Burg und hielten an der Treppe, nächst dem eisernen Reiter. Der Diener half mir aus dem Wagen und zog tief den Hut ab; ich wußte, daß es der Schelm spöttisch meinte, und verzog darum keine Miene zum Danke. Als ich die Treppe emporgestiegen war, standen zwei Rotröcke mit Spießen da. Auch sie machten erstaunte Gesichter, ich wies meinen Audienzschein vor, da deuteten sie auf die nächste Tür. Ich öffnete, einige Lakaien trieben sich da herum, wieder dasselbe Erstaunen! Einer von ihnen wollte mir meinen schönen, geschnitzten Eichenstab aus der Hand nehmen, ich duldete es natürlich nicht. Sie lachten, ich aber schritt wieder auf die nächste Tür zu. Da war endlich das Audienzzimmer, ein langer, breiter Saal, weiße Wände, mit Gold verziert und mit mannshohen Spiegeln; es war eine Pracht, ein Blinken, daß ich geblendet wurde. Wohl an die fünfzig Menschen standen bereits da. Junge und Alte, Männer und Weiber, Bürger und Soldaten, Geistliche und Weltliche, fröhliche und betrübte Gesichter. Gemeinsam war uns nur, daß wir alle Bittgesuche in den Händen hielten, aber im übrigen war jedes Alter vertreten und jeder Stand und vielleicht auch jedes Volk in Österreich. Da stand ein armer, alter Zigeuner und neben ihm eine dicke, fröhliche Frau in einem Seidenkleide, ein alter Mann in einem fadenscheinigen, städtischen Anzug und neben ihm ein junger, schöner Offizier, ein Jude in einem schwarzen Kaftan und neben ihm ein katholischer Geistlicher. Alle drängten und flüsterten durcheinander, zwischen ihnen standen die rotröckigen Trabanten, auf ihre Spieße gelehnt, steif und unbeweglich wie draußen der eiserne Reiter. Ich war anfangs sehr betrübt über die große Zahl meiner Gefährten; ›ach!‹ seufzte ich, ›wenn so viele da sind, dann müßte ja der Kaiser einen halben Tag darauf verwenden, um alle anzuhören, und das wird der schwache Mann beim besten Willen nicht können.‹ Aber andererseits war es ja auch tröstlich, daß so viele gekommen waren. ›Da sind ja offenbar Leute darunter‹, dachte ich, ›die gleich dir von ferne gekommen und gewiß noch schwerer das Geld aufbringen als du. Wären sie wohl gekommen, wenn der Herr Kaiser nicht im Rufe stünde, allen zu helfen?‹ Auch labte sich mein dürstendes Herz daran, daß hier der Reichste neben dem Ärmsten stehen und ehrerbietig harren mußte. ›Vor Gott sind wir alle gleich‹, dachte ich, ›und vor dem Kaiser auch; er ist der Stellvertreter Gottes auf Erden, wie sollte er nicht das Recht schützen?‹ Getröstet richtete ich mich auf und schaute die Leute an, wie sie mich anschauten. Damit vertrieb ich mir eine gute Weile die Zeit. Dann trat ein feiner, schlanker Herr in einem grünen, goldgestickten Frack ein, zwei Rotröcke hinter ihm, und sie gingen durch die Reihen, überlasen die Audienzscheine und wiesen den einen dahin, den andern dorthin. Ich merkte, daß wir nun nach den Ständen eingeteilt wurden, denn die Geistlichen wie die Offiziere wurden in besondere Häuflein zusammengestellt. Mich führten sie, ohne zu fragen, zu zwei anderen Bauern hin. Der eine war ein feister Mensch in engen blauen Hosen, einem engen Leibröckchen und einer federgeschmückten Tuchmütze, der andere, ein gelber, hagerer Kerl, trug eine weite rote Hose, darüber eine lange hellgelbe Jacke und in den Händen einen spitzigen Filzhut. Als wir alle auf den angewiesenen Plätzen standen, bildeten wir einen großen Halbkreis. Erwartungsvoll blickten nun alle nach der Tür. Aber die blieb geschlossen, auch der Herr im grünen Frack hatte sich wieder entfernt. Da wurde mir abermals die Zeit lang, und ich machte es wie die anderen und versuchte, ein Gespräch mit meinen Nachbarn anzuknüpfen. Sie antworteten jeder in seiner Sprache; beide klangen mir fremd ins Ohr, wir verstanden uns alle nicht. So wollte ich doch mindestens erkunden, zu welchen Völkern sie gehörten, und weil mir kein anderes Mittel beifiel, so versuchte ich es mit den Flüchen, die unsere Soldaten in allen Ländern auflesen und dann ins Dorf hineinbringen. ›Psie sobaczy!‹ begann ich. Aber beide rührten sich nicht. Slawen also waren sie nicht. ›Holl dik der Taifl!‹ Sie verzogen keine Miene, also auch keine Deutschen. ›Bassama teremtete!‹ Da machte der Feiste in den engen Hosen einen Luftsprung und begann auf mich loszuschnattern. Also ein Ungar! Aber zu welchem Volke mochte nur der in der gelben Jacke gehören? Kein Deutscher, kein Slawe, kein Ungar – was konnte er nur sonst sein? ›Merge la Dracul!‹ rief ich. Er rührte sich nicht, also auch kein Rumäne. Ich dachte nach und versuchte ein letztes Mittel: ›Corpo di bacco!‹ Da aber wurde der Gelbe wie toll vor Freude und umarmte mich. So war's denn glücklich herausgebracht: ein Italiener! Aber da hatte ich mir eine schöne Bescherung auf den Hals gehetzt! Denn nun redeten beide so eifrig auf mich ein, daß der ganze Halbkreis lachte, und ich konnte nichts erwidern als immer: ›Corpo di bacco!‹ und ›Bassama teremtete!‹ Doch wozu diese Dummheiten erzählen? Es wurde also ganz plötzlich still, die Tür hatte sich geöffnet . . .«

Der Erzähler hielt an, sicherlich nicht, um seine Zuhörer zu spannen, sondern weil ihn jener Moment selbst in der Erinnerung noch übermannte.

»Der Kaiser!« rief Anusia atemlos und vergaß auch jetzt nicht, sich zu bekreuzigen.

Er schüttelte den Kopf. »In der Tür erschien«, fuhr er ruhigen Tones fort, aber seine Stimme zitterte, »ein kleiner, weißhaariger General und hinter ihm drei Hauptleute von verschiedenen Regimentern. Mir stand das Herz still, es dunkelte mir vor den Augen, ich mußte mich auf den Arm des Ungarn stützen, um nicht umzusinken. Denn der Kaiser war es nicht! Ich hatte ihn ja nur einmal im Fluge gesehen, aber in der Schenkstube meines Einkehrhauses hing sein Bild, und ich hatte mir die Züge genau eingeprägt. Dieser kleine, freundliche Greis mit der starken Unterlippe mußte sein Verwandter sein, denn er sah ihm ähnlich, er selbst war es nicht! Ach! Ihr Lieben, was ich dabei empfand, könnte ich nicht sagen, und wenn ich hundert Stunden fortredete. Halb betäubt sah ich zu, wie der Greis mit dem Einsammeln der Bittschriften und dem Anhören der Wünsche begann. Er redete fast mit jedem in seiner Sprache; kam jemand, den er nicht verstand, an die Reihe, so diente einer der Offiziere als Dolmetsch. Auf jeden kam etwa eine Minute, der Erzherzog warf zuerst einen Blick auf das Gesuch, fragte dann etwas und schnitt hierauf die Unterredung mit einem freundlichen Worte und Kopfnicken ab. Einige machten traurige, andere fröhliche Gesichter hinter ihm her, während sie von den Lakaien zur Nebentür hinausgeleitet wurden. Ich sah dies alles anfangs nur wie durch einen Nebel, doch mit der Zeit faßte ich mich wieder, ich stand fast an dem entgegengesetzten Ende des Halbkreises, wo er begonnen hatte, und es konnte immerhin eine Stunde währen, bis er zu mir kam. Aber alle Überlegung konnte nichts an dem Entschlusse ändern, mit dem ich hergekommen war: den Kaiser selbst wollte ich sprechen und keinen anderen. Klopfenden Herzens, aber festen Mutes sah ich den Prinzen heranschreiten.«

»Alle Heiligen!« seufzte die Popadja, und Anusia bekreuzte sich wieder.

»Endlich steht er vor mir! Ich beuge mich tief, er nickt und streckt die Hand nach meiner Bittschrift aus. Da aber beuge ich mich noch tiefer und sage: ›Herr Prinz! Ich weiß, wer du bist und daß dich der Herr Kaiser geschickt hat. Aber nur ihm allein kann ich die Schrift überreichen.‹ Der Greis sieht mich erstaunt an und sieht dann fragend auf die Hauptleute. Einer von ihnen, mit den aschgrauen Aufschlägen vom Regiment Parma, das seinen Werbbezirk in Podolien hat, tritt vor und übersetzt ihm meine Rede. ›Bauer‹, sagt dann der Offizier freundlich zu mir, ›du kannst dem Herrn ruhig deine Schrift geben, es ist ja der Onkel des Kaisers, der Herr Erzherzog Ludwig.‹ Wieder beuge ich mich tief und erwidere: ›Herr Hauptmann, habe die Gnade, dem Prinzen folgendes zu sagen: Der vor dir steht, ist Taras Barabola, Bauer und bis vor einigen Wochen Richter in Zulawce, vormals ein glücklicher, heute ein verzweifelter Mann. Er mag wohl ein Nichts sein vor den Augen der Mächtigen, aber er ist ein Mensch vor den Augen Gottes und darum auch seines Stellvertreters, des Kaisers. Und er ruft nach seinem Rechte, wie der Hirsch im Wald nach Wasser schreit. Du bist ein Landsmann, erbarme dich meiner und sage es ihm Wort für Wort!‹ Er wendet sich zum Prinzen und übersetzt es. Dieser blickt mich scharf an und tut dann wieder eine Frage. ›Was ist deine Sache?‹ übersetzt der Hauptmann. – ›Raub am Gemeindeacker!‹ erwidere ich und füge hinzu: ›Sage ihm noch folgendes: Es handelt sich nicht bloß um irdisches Gut, sondern auch um das künftige Heil einer Menschenseele. Er ist ein alter Mann und wird bald vor Gottes Thron stehen; so wahr er wünscht, daß ihm Gottes Erbarmung werde, möge er mir erwirken, daß ich mit dem Kaiser selbst reden kann!‹ – ›Höre, Taras‹, erwidert der Hauptmann, ›ich bin ein Popensohn aus Podolien, bin selbst unter Bauern aufgewachsen und meine es gut mit dir! Diese Worte werde ich anders übersetzen, denn so spricht man mit einem Prinzen nicht!‹ – ›Und doch mußt du es tun!‹ flehe ich. ›Du ladest sonst eine große Verantwortung auf deine Seele! Auch der Prinz scheint es zu verlangen!‹ Und so übersetzt er denn, und während er spricht, zuckt keine Miene im Antlitz des Greises, nur seine Blicke bohren sich immer fester in meine Augen. Ich aber schlage die Lider nicht nieder; mein Gewissen ist ja rein! Darauf sagt er dem Hauptmann ein kurzes Wort. ›Warte!‹ übersetzt dieser, und nun wendet sich der Prinz zum Ungarn, zum Italiener, bis die Reihe erschöpft ist, dann geht er zum Saale hinaus. Der Hauptmann aber tritt auf mich zu: ›Folge mir, der Prinz will deine Geschichte hören!‹«

»Das war ja ein seltenes Glück!« rief der Pope.

»Nun, es ließ sich ertragen! Wir gingen also durch einen langen Korridor, dann über verschiedene Treppen und Gänge, bis wir endlich in die Wohnung des Prinzen kamen. Man wies uns in ein ganz schmuckloses Zimmer voll Bücher, etwa wie jenes des Herrn Broza. Der Prinz saß schon hinter einem großen Tisch voll Schriften. Wir traten vor, ich erzählte, und der Offizier übersetzte. Wieder blieb das Antlitz des Prinzen ruhig, was ich auch sagen mochte, nur seine Augen blickten mich forschend an. Dann tat er einige Fragen, wie unsere Lebensweise im Dorfe wäre, ob wir Viehzucht trieben und ähnliches. Endlich sagte er dem Offizier einige Worte, und der geleitete mich wieder hinaus. ›Nun?‹ fragte ich, zitternd vor banger Erwartung. – ›Dein Wunsch soll erfüllt werden‹, sagte der Hauptmann. ›Komm morgen nachmittags 4 Uhr zum eisernen Reiter und erwarte mich, ich bin als Dolmetsch zur Audienz beschieden. Dieser Mensch ist ja wie aus einer anderen Welt, hat der Prinz gesagt, sein Vertrauen darf nicht zu Schanden werden! Auch will er dich schon deshalb dem Kaiser vorführen, weil er glaubt, daß ihm deine Tracht viel Freude machen wird. Er gibt dir den Auftrag, dich für morgen genau so zu kleiden wie jetzt, und wenn du vielleicht noch etwas Besonderes mitführst, etwa Waffen, so bringe es gleichfalls mit.‹ – ›Herr Hauptmann‹, rief ich, ›es handelt sich ja um mein Recht und nicht um meine Kleider!‹ Er aber beruhigte mich: ›Du kannst Gott danken, Landsmann, denn wenn dir auch vielleicht die morgige Audienz nichts nützt, so kann dir doch die heutige Unterredung mit dem Herrn Erzherzog Ludwig zum Heile sein.‹ – ›Das verstehe ich nicht!‹ rief ich. – ›Ich kann es dir auch nicht erklären‹, erwiderte er lächelnd, ›aber es ist doch so.‹ Und ganz dasselbe sagte der Herr Broza, zu dem ich nun fuhr, und auch der Gastwirt, dem ich mit Hilfe des Frantisek alles erzählen mußte, war derselben Meinung.«

»Das kann ja auch ein Kind verstehen!« rief Simeon. »Der Herr Kaiser gibt eben viel auf das Wort seines alten Onkels.«

»Sie haben es auch noch anders gemeint«, sagte Taras mit trübem Lächeln, »ich habe es schon am nächsten Tage verstehen gelernt. Ihr könnt euch denken, daß ich schon lange vor 4 Uhr neben dem eisernen Reiter war, der den Kaiser Joseph vorstellt. Auch der Offizier fand sich pünktlich ein und geleitete mich durch den inneren Schloßhof zu einer prächtigen Marmortreppe und dann durch viele Gänge zu einer vergoldeten Tür, vor der Rotröcke mit Spießen standen. Dann schritten wir durch einen großen, einen kleineren Vorsaal, und dort hieß man uns warten. Der Kammerherr, der dort den Dienst tat, hatte ein dummes Gesicht und musterte mich spöttisch, aber das störte mich nicht; mir war so feierlich zumut wie selten in der Kirche. Endlich, endlich ertönte ein Glöckchen, der Kammerherr eilte hinein, kam gleich zurück und winkte uns einzutreten.« Er atmete tief auf. »Ich glaube, wenn ich tausend Jahre alt würde, ich würde doch immer dieses Zimmer vor mir sehen und die beiden Herren. Ein großes, prächtiges Zimmer, künstlich verdunkelt, im Hintergrunde ein Tisch, an dem zwei Generale saßen. Der eine war der alte Ludwig, den anderen erkannte ich sofort, als er sich erhob, der Kaiser! Ein hagerer, mittelgroßer Mann, etwas vorgebeugt, mit sehr gutmütigem Gesicht und freundlichen, blauen Augen. Er winkte mich heran, ich aber tat nur einige Schritte und sank dann auf die Knie und hob die Bittschrift empor. Ach, nicht bloß deshalb, weil es die Sitte verlangte, sondern auch, weil es mir mein Herz gebot! Aller Jammer, den ich bisher still getragen hatte, war in mir lebendig geworden, und so gewaltig ich dagegen kämpfte, ich konnte meinen Tränen nicht wehren . . .«

»Und er?« rief Anusia.

»Er trat auf mich zu, war ganz bestürzt, als er mich weinen sah, nahm mir die Bittschrift aus der Hand und gab sie dem Prinzen; dann sprach er hastig einige deutsche Worte zu mir. ›Er sagt, daß du aufstehen und nicht weinen sollst!‹ raunte mir der Hauptmann zu. Ich aber blieb auf den Knien, nicht um ihn zu rühren, sondern weil es mir so zumute war. ›Herr!‹ rief ich. ›Erbarme dich meiner!‹ Er war offenbar in großer Verlegenheit, dann griff er rasch in die Tasche, zog einen Dukaten hervor und wollte ihn mir in die Hand stecken. ›Ich will kein Geschenk‹, sagte ich, ›ich will mein Recht!‹ Da trat der alte Prinz dazwischen, flüsterte dem Kaiser einige Worte zu und sagte dem Hauptmann, ich möge aufstehen, der Kaiser werde die Sache gewissenhaft prüfen. Ich gehorchte und stand auf, aber dann bat ich den Hauptmann: ›Sage ihnen, daß ich es nicht eher glaube, bis es der Kaiser selbst verspricht!‹ – ›Das kann ich nicht‹, flüsterte er angstvoll, ›es wäre eine Beleidigung für den Prinzen.‹ – Ich aber wiederholte es noch einmal, laut und fest, gegen den Kaiser hin gewendet. Der Prinz fragte, was ich noch wünschte, der Hauptmann übersetzte es, und darauf nickte der Kaiser, aber er lachte zugleich laut auf, als wäre es ein köstlicher Spaß. Er hat es gewiß nicht böse gemeint, er ist ja herzensgut und könnte keine Fliege kränken, aber wie weh mir dieses Lachen tat, sagt kein Wort, noch heute tönt es in meinen Ohren, und ich werde es nie vergessen! . . . Was ich fühlte, war mir gewiß vom Gesichte abzulesen, aber er achtete nicht darauf. Er trat auf mich zu, beguckte mich neugierig, ging im Kreise um mich herum und stellte allerlei Fragen: wer mir diesen Pelz gestickt und ob ich mehrere Pelze dieser Art hätte und einige Paare hoher Stiefel, ob ich sie täglich selbst putzte und so weiter. Ich beantwortete alles, aber mit welchem Gemüte! – Beim allmächtigen Gott, ich hätte viel darum gegeben, wenn er auch nur eine einzige Frage gestellt hätte, die sich nicht auf meine Kleidung bezog. Aber das fiel ihm nicht bei, und er hätte sich wohl lange noch an meinem Pelz und an meinen Stiefeln gefreut, wenn ihm nicht der Prinz etwas ins Ohr geflüstert hätte. Da ließ er ab, lächelte mich noch einmal recht herzensfreundlich an und bot mir wieder den Dukaten, ›nicht als milde Gabe‹, ließ er mir durch den Hauptmann sagen, ›sondern zur Erinnerung‹. Da nahm ich das Goldstück. Hier ist es, es steht sein Bild darauf geprägt . . .«

Er holte die Münze aus dem Gürtel hervor. Alle beguckten sie neugierig und gaben ihre Ansicht über die Züge des Kaisers ab. »Es ist ein freundliches, gutmütiges Gesicht«, darin stimmten alle überein. Dann aber fragten sie: »Und nun tratest du die Heimreise an?«

»Leider noch nicht!« erwiderte Taras seufzend. »Der Zweck meiner Reise war erfüllt, aber die Unruhe nicht von meinem Herzen genommen. Nun wollte ich den Bescheid abwarten. In meinem Gesuche stand, daß ich um eine neue Vernehmung der Zeugen bitte, und die konnte ja der Kaiser sofort anordnen. Vergeblich riet mir Herr Broza ab: ›Es kann Monate dauern, wozu Geld vergeuden?‹ Ich aber blieb bei meinem Entschlusse und flehte den wackeren Herrn so lange an, bis er endlich auch meine Bitte erfüllte, eine Woche nach der Audienz in der Kanzlei des Kaisers anzufragen, ob bereits eine Entscheidung getroffen sei. Die Antwort lautete trostlos: Mein Gesuch war noch gar nicht eingetragen! ›Da muß der Herr Onkel Ludwig helfen!‹ dachte ich in meiner Verzweiflung und suchte mit großer Mühe den Hauptmann auf – er heißt Eugen Stanczuk und ist aus Kossow, drei Meilen von meinem Heimatsdorf –, damit er mich wieder zum Prinzen führe. ›Das könnte ich keinesfalls‹, sagte er. ›Nun ist aber zudem der Herr Erzherzog gestern auf seine Güter nach Steiermark gereist und kommt erst nach Monaten wieder.‹ Nun erkannte auch ich, daß weiteres Harren nutzlos sei, schnürte mein Bündel, ließ mir von meinem treuen Frantisek zum letzten Male meine Stiefel putzen und ging zum Herrn Broza, Abschied zu nehmen und, wenn er mir vertraute, ein Darlehen aufzunehmen, denn meine Barschaft betrug noch zehn Gulden. ›Das soll deine geringste Sorge sein‹, sagte er und zählte mir ohne Zeugen hundert Gulden auf den Tisch, als wäre ich sein Bruder. ›Ich hoffe auf eine günstige Entscheidung!‹ versicherte er. ›Aber wenn ich dir hier vielleicht kleine Gefälligkeiten erwiesen und dich verpflichtet habe, so versprich mir zum Dank nur eines: Trag es geduldig, wenn sie ungünstig lautet.‹ Das aber konnte ich ihm leider nicht versprechen. Mutig bin ich nach Wien gegangen, gebrochen kehre ich zurück!«

Er verstummte und blickte traurig vor sich hin.

»Das begreife ich nicht«, rief der Pope, »wenn es dir der Herr Kaiser versprochen hat?«

Taras erhob sich. »Warst du in Wien?« fragte er. »Du weißt nur, was meine Ohren gehört, aber weißt du auch, was meine Augen gesehen haben? Doch – es ist spät, wohl gegen Mitternacht! Habt Dank, Freunde! Komm, Weib! Gute Nacht!«

 


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