Karl Emil Franzos
Ein Kampf ums Recht
Karl Emil Franzos

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Dreizehntes Kapitel

Je tiefer die Sonne des Ostersonntags gegen Westen sank, desto mehr steigerte sich die Erregung der Leute in Zulawce. Die ganze Gemeinde hatte sich auf dem Platz vor der Schenke versammelt; alle Männer waren bewaffnet, gleichwohl stand der Entschluß fest, sich nicht selbst an dem Rachewerk zu beteiligen.

Von den Knechten und Sassen der Herrschaft ließ sich keiner blicken. Der Meier Boleslaw hatte die Tore des Kastells schließen lassen und hielt seine Leute im Hofe versammelt. »Brüder«, erklärte er ihnen, »wir werden keine Toren sein, unser Blut nutzlos zu vergießen. Ich zweifle nicht, daß Taras kommt, aber er wird sofort abziehen, wenn wir ihm die Tore öffnen und er sich überzeugt, daß hier kein eisernes Zimmer ist, geschweige denn der Mandatar selbst. Was wir befürchten müssen, ist nur, daß nach seinem Abzuge dem Bauernpack der Kamm schwillt. Gegen sie werden wir uns wehren, gegen Taras nicht!«

Auch von den Leuten der Anusia war niemand vor der Schenke; ihr Befehl hatte gewirkt. Sie selbst saß in der großen Stube, die kleine Tereska auf dem Schoße, die beiden Knaben dicht an sich gepreßt. Die Kinder wagten es nicht, zu sprechen, auf dem Antlitz der Mutter lag wieder jenes düstere Brüten wie in den Tagen der Krankheit. So trafen sie der Pope und seine Gattin. Nachdem die Begrüßung getauscht war, wollte sich kein Wort mehr finden. So saßen sie denn schweigend in der großen, vom roten Abendlichte erhellten Stube; im Westen sank eben der glühende, scharf umgrenzte Ball hinter die dunkeln Gipfel des Bergwalds.

»Wie rot!« rief der kleine Wassilj und streckte das Händchen darnach aus. – »Das deutet auf Blut«, meinte Halko. »Auf Blut«, sagte die Mutter dumpf und preßte den Knaben fester an sich. Da litt es den Popen nicht mehr auf seinem Sitze. Er trat auf sie zu und faßte ihre Hand. »Anusia«, sprach er, »glaubst du auch . . .

»Was weiß ich?« unterbrach sie ihn scharf. »Gehöre ich zur Schar des ›Rächers‹? Ich bin eine Witwe, die sich friedfertig hält, um ihren Kindern das Erbe zu erhalten.« Er schritt einige Male auf und nieder. »Das ist brav und klug«, sagte er dann. »Ich wollte, alle im Dorfe dächten gleich vernünftig. Ich fürchte, daß das Blut die Leute übermannen und berauschen wird.« Anusia erwiderte nichts. Auch er nahm wieder schweigend Platz. So saßen sie lange, während die Schatten der Dämmerung die Stube immer dichter erfüllten.

Da fuhren sie plötzlich zusammen, und die Kinder schrien auf. Es hatte mit leisem Finger an die Scheibe des Fensters gepocht, das in den Garten ging. Sie blickten dahin. Das Fenster hob sich in hellerem Scheine ab, der letzte matte Glanz der Abendröte lag dahinter, eine Gestalt war nicht wahrnehmbar. Dann aber sahen sie deutlich, wie sich von unten her eine Hand zur Scheibe hob und abermals leise an das Glas schlug. »Der Vater!« schrien die Kinder auf, und der Pope erhob sich.

»Schweigt!« befahl Anusia fast flüsternd, aber so nachdrücklich, daß sie sofort gehorchten. »Und du, Pope, bleib! Es ist nicht Taras, sondern sein Bote.«

Das leise Klirren erklang wieder. Anusia ging rasch zur Tür hinaus, und gleich darauf knarrte auch die äußere Pforte, sie war in den Garten getreten. In der Stube begannen die Kinder zu weinen; die Popadja zog sie an sich und fing halblaut zu beten an. Der Pope hatte sich erhoben und stand vorgebeugt da wie ein Lauschender. Aber es war nichts zu vernehmen, bis endlich draußen wieder der feste Schritt des Weibes erklang. Sie trat ein, ein Öllämpchen in der Hand. Die Freunde konnten ihr Antlitz sehen; es trug wieder jenen Ausdruck düsterer Ruhe. »Gute Botschaft?« fragte der Pope.

»Ja – das heißt, wenn man es so nennen darf.« Sie lächelte bitter. »Nun, gleichviel! Pope, du kannst deinen Pfarrkindern einen guten Dienst leisten. Geh zur Schenke und bewege die Leute heimzuziehen. Es könnte ihnen sonst übel bekommen.«

»Ich habe es bereits vergeblich versucht. Darf ich nicht erfahren, was dir Taras . . .«

»Nein!« fiel sie ihm scharf ins Wort. »Ich muß mit ihm Verkehr haben, ich bin sein Weib . . . Jeden andern will ich davor bewahren. Versuch es nochmals, Pope, du tust ein gutes Werk.«

Eilig brachte Vater Leo seine Gattin heim und mischte sich dann wieder unter die Harrenden. Aber die Leute bestanden darauf, sie müßten zusehen, wie Taras das Kastell stürme. Das lange Harren und der viele Schnaps, der zwischendurch getrunken worden, hatten sie nur noch erregter gemacht. Jedes mahnende Wort war nutzlos, und seufzend ließ der Pope von seinem Werke ab.

Es ging auf elf. Fern in der Kreisstadt hatte der Mandatar eben seinen klassischen Fußfall unter der Palme getan. Schwarz und still lag die Nacht über Berg und Ebene. Da hob sich plötzlich von ferne her ein rätselhaftes Dröhnen und schwoll an. Es war zuerst nur ein dumpfes, verschwimmendes Hallen, als hätte irgendwo, sehr fern, urplötzlich ein mächtiger Wasserfall zu stürzen begonnen. »Hört nur!« klang es von hundert Stimmen. »Was ist das?« schrie die Menge auf. »Er kommt!« schrie der Fleischer mit Donnerstimme. »Nein! Hört nur!« rief ein anderer, und alle lauschten.

Das Dröhnen wuchs und ward vernehmlicher, als stürzten in jenem Katarakt immer mehr Wasser hinab. Das Echo der Bergwand ward wach; es war nicht zu unterscheiden, woher das Rauschen rühre. »Es sind Tausende, die vom Berge kommen!« rief eine Stimme. »Nein, aus der Ebene!« riefen andere. »Höret nur!« In der Tat: vom Pruth dröhnte es heran, immer dumpfer, immer gewaltiger, ein hellerer Ton klang dazwischen, dann begann die Erde mitzudröhnen und leise zu erzittern, und wieder jener helle Ton, eine Fanfare. »Reiter!« klang es von hundert Lippen. »Die Husaren! Rettet euch!« – »Bleibt!« riefen andere, »wer will uns verwehren, ruhig dazustehen?« – »Rettet euch!« erklang es immer wieder. »Diese Zigeuner sind Bestien!«

Aber der Knäuel konnte sich nicht entwirren, da jeder nach anderer Richtung drängte und stieß. Die Finsternis, die Trunkenheit, das furchtbare Gedröhne, mit dem die Eskadron in vollem Galopp heransprengte, raubte allen die Besinnung.

»Geht!« rief der Pope verzweiflungsvoll. Er hatte die Kienfackel, mit der das Tor der Schenke erleuchtet war, von der Wand gerissen und drängte vorwärts. Es schien zu spät. Schon war die Vorhut, vier Reiter, herangesprengt. Sie wendeten ihre Rosse, als sie urplötzlich auf die heulende, drängende Masse stießen; zwei von ihnen erhoben die Pistolen und feuerten in die Luft. Die Schüsse verletzten niemanden, aber sie übten furchtbare Wirkung auf die erregten Gemüter. In den einen steigerte sich die Furchtsamkeit zur Todesangst, in den anderen der Trotz zur Wut. »Rettet euch!« erscholl es, und dazwischen: »Wir lassen uns nicht morden wie die Lämmer! Männer, die Flinten hoch!« Die nächste Minute schien Tod und Entsetzen bringen zu müssen. Das Bewußtsein der Gefahr lieh dem Pfarrer Riesenkraft. Er stieß die Leute, die ihm entgegenstanden, mit geballter Rechten zur Seite. Andere wichen zurück, weil sie nicht von der Fackel in seiner Linken versengt werden wollten. So gelang es ihm, die Spitze des Haufens zu gewinnen, als eben die Husaren die Straße emporgesprengt kamen, an ihrer Spitze ein Offizier mit geschwungenem Pallasch. Er stutzte, als er vor der Menge den bleichen Mann im Priestergewande, mit der Fackel in der Hand, gewahrte, und kommandierte zu halten. Aber dies gelang erst, obwohl es bergan ging, als die Reiter dicht vor dem Haufen waren.

»Wer da? Ergebt euch!« rief der Offizier, es war der Rittmeister von Mihaly. Der Pope hob flehend die Hände. »Herr Rittmeister!« rief er mit durchdringender Stimme in deutscher Sprache, während hinter ihm das wüste Grollen und Jammern fortwährte, »es ist nicht die Bande des Taras, sondern die friedliche Bauernschaft des Dorfes. Sie werden sofort auseinandergehen!« – »Ist der Räuber nicht gekommen?« – »Nein!« – »Aber die Leute erwarten ihn, um ihm beizustehen?« – »Nein, aus Neugierde!« – »Die soll ihnen vergehen! Sagen Sie ihnen, ich will fünf Minuten warten. Wer später auf diesem Platze und in weiteren fünf Minuten in der Dorfstraße getroffen wird, den lasse ich niedermachen.« Der Pope rief es den Leuten zu. Wieder folgte wildes Jammern und Fluchen. Die meisten konnten nicht so rasch von der Stelle, eine Minderzahl harrte aus Trotz aus und bestärkte sich durch grimmige Rufe in der Rauflust. Vergeblich drängte und flehte der Pope. Viele flüchteten über die Hecken, andere gegen die Kirche, aber noch währte das Gewirre fort.

Der Rittmeister wartete nicht länger. Ein Kommandoruf, ein Trompetenstoß, und die Husaren sprengten, den Pallasch hoch geschwungen, in die Menge ein, die entsetzt zurückprallte. Der Pope ward an die Tür der Schenke geschleudert, sein Haupt schlug gegen einen Holzbalken, daß er sich, blutend und halb betäubt, kaum auf den Füßen erhalten konnte. Sein Auge konnte nicht gewahren, was sich auf dem Platze vor ihm begab, denn es herrschte tiefste, bängste Finsternis; aber die Töne, die an sein Ohr schlugen, machten sein Herz stillstehen vor Entsetzen. Furchtbares war in letzter Zeit über den Mann gekommen, das Furchtbarste in diesen Minuten.

Endlich ward das Lärmen schwächer, die Husaren sprengten weiter, gegen die Höfe hin, dann trat Stille ein. Nur noch ein leichtes Stöhnen und Ächzen schlug an das Ohr des Lauschenden. Die Glieder waren ihm wie gelähmt, und aus der Wunde am Hinterhaupt sickerte das Blut nieder; aber er schüttelte die Schwäche ab und rief laut ins Haus: »Kommt, draußen ist Hilfe nötig!« Er erhielt keine Antwort; nur wenige hatten sich in das Schankzimmer geflüchtet und hielten sich dort zusammengeduckt, ebenso die Familie des Wirtes in der Schlafstube. Endlich kam auf den wiederholten Hilferuf des Popen der kleine Avrumko hervor, ein Lämpchen in der zitternden Hand.

»Leuchte!« befahl der Pope, trat in das Schankzimmer, beschwor die Leute, die er fand, mit ihm zu gehen, ließ einige Fackeln anzünden und eilte, indes ihm die Erschreckten zögernd folgten, in die Nacht hinaus. Was er bei dem Scheine der Fackeln auf dem Platze fand, war nicht so schlimm, als er befürchtet hatte, aber immerhin schlimm genug. Fünf Menschen lagen da, ächzend, mehr oder minder schwer verwundet; vier Bewohner des Dorfes und ein Husar. Der Soldat trug die schwerste Wunde: eine Kugel war aus nächster Nähe auf ihn abgefeuert worden und durch die Schulter gegangen. Der Pope ließ ihn zuerst in die Schankstube tragen, dann einen Greis, der durch einen Säbelhieb über die Stirne verwundet worden, endlich drei Weiber, die von den Hufen der Pferde getroffen waren; doch waren ihre Verletzungen unbedeutend.

Leo machte sich daran, die Wunden zu verbinden, so gut er es verstand. Avrumko und der Urlauber Maxym Bobra halfen ihm dabei. Während sie sich um die Verwundeten mühten, waren die Reiter draußen wieder zurückgekehrt. Eine Fanfare erklang. »Das Signal zum Absitzen«, flüsterte Maxym dem Popen zu. Gleich darauf wurde die Tür der Schenke aufgerissen; der Rittmeister trat ein, einige Soldaten folgten ihm. »Fackeln und Reisig!« herrschte er dem Schenker zu. Dann wendete er sich zu den Verwundeten.

Der Pope trat ihm entgegen. »Herr Rittmeister«, begann er schüchtern, »wollen Sie nicht den Arzt aus Zablotow holen lassen?« – »Nicht nötig. Habe den Feldscher mit.« Er winkte einem seiner Begleiter, den Chirurgen zu rufen, und beugte sich dann über den verwundeten Husaren. »Die Neugierde Ihrer friedlichen Bauern scheint etwas weit gegangen zu sein, Herr Pfarrer.«

Der Pope erwiderte nichts, sondern kniete wieder neben dem verwundeten Soldaten nieder. Der Chirurg trat ein, untersuchte die Wunden und begann sein Verbandzeug auszukramen. »Der Bauer wird es wohl überstehen«, meldete er, »aber schwerlich unser Mann. Der Schuß hat die Lunge verletzt.« Der Rittmeister stampfte wütend auf den Boden. »Die Kerle sollen es büßen!« rief er zum Pfarrer gewendet, »und Sie auch! Sie haben mich belogen.« Leo blickte ihm sanft und ruhig ins Antlitz. »Das hat bis morgen Zeit«, sagte er. »Jetzt will ich noch die Dorfstraße begehen, ob sich da kein Verwundeter befindet.« Der Rittmeister sah ihn erstaunt an. »Aber Sie bluten ja!« sagte er dann milder, fast verlegen. Der Pope erwiderte nichts und verließ mit dem Urlauber und zwei anderen Männern die Schenke.

Das Dorf, das eben noch von so wüstem Getöse widergehallt, lag nun totenstille. Auf dem Platze vor der Schenke hatte sich ein Piquet Reiter um ein Wachtfeuer gelagert, ein anderes vor dem Tor des Kastells. Das waren die einzigen Lichter in der tiefen Dunkelheit. Die Patrouillen, die im Schritt, mit gespanntem Hahn, die Gassen durchschritten, fanden keine Arbeit mehr. Auch der Pope nicht; wohl fand er noch ein Weib hilflos auf der Schwelle einer Hütte liegen, aber nur die Schwäche und der Schrecken hatten die Greisin hingestreckt.

Er ging heim. Entsetzt schrie die gute Fruzia auf, als sie ihn blutend, wankenden Schrittes eintreten sah. Aber dann faßte sie, die sonst nicht leicht des Jammerns ein Ende finden konnte, ihr Herz in beide Hände . . . »Ich will nicht klagen«, sagte sie mit zuckenden Lippen, indem sie seine Wunde wusch und verband, »es war deine Pflicht.« Auch erhob sie keine Einsprache, als er erklärte, wachen zu wollen. »Es muß sein«, sagte er; »ich weiß, die Leute werden meiner noch in dieser Nacht bedürfen. So gnädig kann der Angriff nicht abgelaufen sein; es wird noch mancher Verwundete in den Hütten liegen, vielleicht ein Sterbender.«

Die Ahnung trog ihn nicht: Gegen die dritte Morgenstunde kam ein Bote, er möge mit dem Sakrament zur Schmiede kommen, Marko liege im Sterben. Er machte sich eilends auf, aber es war doch zu spät. Der trotzige Hüne, der noch vor wenigen Stunden seine Knabenstimme so kampfesmutig erhoben hatte, war nun verstummt für immer. Er hatte sich vor der Schenke den Reitern entgegengeworfen, war durch einen Säbelhieb verwundet worden und dann blutend heimgeflüchtet. Auf der Flucht erreichte ihn ein tödlicher Schuß in den Rücken; noch konnte er sich heimschleppen, aber nur, um da zu sterben. Der Pope versuchte das Weib zu trösten, das in starrem, tränenlosem Schmerz die Leiche umfaßt hielt. »Schweig«, erwiderte sie finster, »es gibt nur einen Trost für mich: ich werde seine Flinte zu gebrauchen wissen, wenn wir unsere Rechnung mit den Schergen machen.«

Derselben Stimmung begegnete der Pope überall, als er im Morgengrauen den Weg von Hütte zu Hütte machte. Nur wenige waren verwundet oder beschädigt, aber alle von gleichem Rachedurst erfüllt. Diese Ruhe erschreckte ihn weit mehr als der Zorn, den er sonst an ihnen gewohnt war. »Uns ist Frevel geschehen«, sagten sie, »und wir werden ihn heimzahlen. Wir sind allein zu schwach und haben keinen Führer, aber Taras wird uns nicht verlassen. Er ist heute nachts nicht gekommen, weil der Mandatar offenbar nicht im Schlosse ist, sonst wäre ja dieser Schurke unter dem Schutze der Zigeuner gewiß schon hervorgekrochen. Aber gleichviel, nun wird Taras um unseretwillen kommen.«

Am Nachmittag des Ostermontags rückte staubbedeckt und müde die Kompanie Parma-Infanterie ein, die in Eilmärschen aus Czortkow herbeigekommen war. Die Husaren zogen ab, nur der Verwundete blieb in der Schenke zurück. Der neue Kommandant erwies sich als ebenso klug wie human und erbot sich freiwillig, bei der Einquartierung alle mögliche Rücksicht walten zu lassen. Da das Kastell genügende Räumlichkeiten biete, so werde er dahin den Hauptteil der Mannschaft legen. Die übrigen müßten freilich auf einem Hofe unterkommen, dem Hofe des Taras: er habe Befehl dazu. »Es tut mir leid«, fügte der Hauptmann hinzu, »die Familie des Mannes, von der er mir so viel erzählt hat, gerade auf diese Weise kennenzulernen.« – »Sie kennen den Taras?« fragte der Pope erstaunt. – »Ja. Mein Name ist Eugen Stanczuk. Ich war Dolmetsch bei seinen Wiener Audienzen.«

Mit scheuem Grimm sahen die Bauern zu, wie die ›Weißröcke‹ in ihre Quartiere zogen, und ihr Grimm steigerte sich noch, als sie erfuhren, daß der Hauptmann ein Ruthene, ein Popensohn war. Ähnlich benahm sich Anusia. Sie empfing den Offizier, der seine Leute selbst führte, mit kalter Ruhe, aber als ihr der Pope zuflüsterte, es sei derselbe Mann, von dem Taras erzählt habe, schrak sie heftig zusammen, und ihr Antlitz verdüsterte sich. »Was hast du nur?« fragte der Pope erstaunt. »Dieser Mann wird dir keine Unbill zufügen. Hat er sich nicht gegen Taras sehr freundlich betragen?« – »Eben darum«, stieß sie hastig hervor. »Es tut mir leid um ihn.« Dann aber preßte sie ihre Lippen zusammen und wendete sich rasch ab.

Am selben Abend gingen die beiden Männer, die sich tags zuvor so heftig über die Haltung des Dorfes befehdet hatten, Wassilj, der Fleischer, und Hritzko Pomenko, einträchtig zusammen von Hütte zu Hütte und fragten an: »Eine Versammlung kann der ›Weißröcke‹ wegen nicht stattfinden, und darum erkunden wir einzeln eure Meinung: Stimmt ihr zu, daß wir morgen früh in den Bergwald gehen und den Taras im Namen des Dorfes hierher berufen, den Frevel zu rächen? Und verpflichtet ihr euch, ihm zu helfen?« Alle Hausväter stimmten zu, obgleich viele bangen, widerstrebenden Herzens. Aber sie wagten es nicht, sich der herrschenden Meinung entgegenzustemmen.

Der Pope erfuhr es erst am Dienstagmorgen, nachdem die beiden bereits ihren Weg angetreten hatten, und geriet in einen peinlichen Widerstreit der Empfindungen. Sollte er die Sache dem Hauptmann anzeigen, die beiden braven Menschen in den Kerker liefern? Sollte er schweigend das Unheil geschehen lassen? Dies erschien ihm als das größere Unglück; er teilte dem Hauptmann den Beschluß mit, doch ohne die Namen der Boten zu nennen. Der Offizier lächelte. »Ich weiß seit gestern abends alles«, sagte er, »auch das, was Sie mir verschweigen, und einiges dazu, was wahrscheinlich erlogen ist. Der Korporal Konstantin Turenko war bei mir. Seien Sie ruhig, Herr Pfarrer, ich habe meine Maßregeln ohnehin mit Vorsicht getroffen, aber jeder überflüssige Zwang soll vermieden bleiben. Und darum werde ich trotz der Warnung des Korporals gestatten, daß heute der Leiche des Schmiedes folge, wer da will.«

In der Tat verlief das Begräbnis ohne Störung. Der Pope ging mit, doch unterblieb auf Wunsch der Witwe die Rede. »Meinem Marko«, sagte sie, »soll die Rede erst später ins Grab nachtönen, nicht in Worten, sondern in Schüssen.«

Am Abend dieses Tages gingen abermals zwei Männer, Alexa Sembrow und der Greis Wilko Sembratowicz, von Hütte zu Hütte: »Es ist Nachricht gekommen, daß morgen ein Schreiber eintrifft, uns wegen der Rede des Taras zu vernehmen. Wohl hat uns Taras selbst erlaubt, zu verbreiten, was er gesagt hat, aber was in der großen Versammlung gesprochen wird, darf keinen Schreiber kümmern. Es ist unsere Meinung, jegliche Antwort zu verweigern, stimmt ihr zu?« Auch diesmal waren alle einverstanden und leichteren Herzens als am Tage zuvor.

Während so die Bewohner von Zulawce rüsteten, die Tätigkeit des Kreiskommissärs ersprießlich zu machen, rollte eben Herr Ladislaus Kaplonski in leichtem Wägelchen inmitten zweier bewaffneter Polizisten und in Begleitung eines Kanzlisten aus Kolomea den Bergen zu. Da ihm seine Würde nicht vom Gesicht abzulesen war, so blieb mancher Bauer, der dem Wägelchen begegnete, am Wege stehen und murmelte neugierig: »Was wohl der feine Herr angestellt haben mag?« Der Irrtum war verzeihlich. Herr Kaplonski glich in der Tat, während er so dahinfuhr, in Haltung und Gebärde einem armen Sünder, der auf frischer Tat ertappt worden und nun erbarmungslos dem Kerker entgegengeführt wird.

Auch die Morgensonne brachte ihm keinen Mut. Denn nun kam er ja dem fürchterlichen Dorfe immer näher, und vielleicht zeigte es sich schon im nächsten Augenblicke, daß Taras inzwischen die Garnison gemordet hatte. Er atmete auf, als er endlich gegen die zehnte Vormittagsstunde am Holzbrücklein über den Pruth der ersten Patrouille begegnete. Ihr Führer, ein Korporal, versicherte ihm etwas erstaunt, die ganze Kompanie lebe noch und die Bauern seien ruhig. Während er die Höhe hinan fuhr, entwarf er seinen Feldzugsplan. Vor allem mußte er das Weib des Taras unter vier Augen zu sprechen suchen. »Denn«, sagte sich der Gute, »der Rat des Mandatars ist zwar ungesetzlich, aber praktisch, und wer in meiner Lage ist, darf nicht viel nach Formalitäten fragen.« Er befahl, zuerst zum Hofe des Taras zu fahren, ließ aber, zum Erstaunen seiner Begleiter, ziemlich fern von der Pforte halten und begab sich allein ins Haus. Sein Herz klopfte ungestüm auf diesem Gange. »Es ist gewiß ein gefährliches Weib«, murmelte er, aber das war nun einmal nicht zu ändern.

Das Glück war ihm günstig. Anusia war allein in der Wohnstube. Sie musterte den Mann, der sich offenbar vor Furcht nicht zu fassen wußte, finsteren Blickes. »Ich bin der Kreiskommissär«, begann Herr Kaplonski. »Ich erinnere mich!« sagte Anusia. »Was steht zu Diensten?« Der Ton dieser Worte, der Blick, von dem sie begleitet waren, waren nicht geeignet, den Mut des Kreiskommissärs zu erhöhen. Gleichwohl rüttelte er sich gewaltsam zurecht und sagte hastig: »Ich habe eine Botschaft des Kreisamtes an dich auszurichten. Dein Mann hat Ruchloses begangen. Ihn können wir schwer erreichen, aber dich, deine Kinder und diesen Hof sehr leicht. Wenn Taras gegen mich, wohlverstanden, gegen mich oder gegen jemand anderen auch nur den Finger erhebt, so verfällt dieser Hof dem Kaiser, du selbst dem Gerichte. Wir wissen, daß du mit ihm in Verbindung stehst, sage es ihm.« Das Weib hatte die Worte ruhig angehört, als brächten sie ihr eine höchst gleichgültige Kunde. »Ja, ja«, murmelte sie, »ich kenne euch! Es ist gut, Schreiber«, fuhr sie laut fort, »ich werde es nach eurem Wunsche sagen lassen.« – »Aber bald?« – »Sogleich!« Rasch war Herr Kaplonski an der Tür und eilte auf seinen Wagen zu. ›Das ist gnädig abgelaufen‹, dachte er erfreut. ›Ein ganz vernünftiges Weib. Freilich sollte man ein wenig aufpassen, wer denn eigentlich als Bote zum Taras geht, es wäre die bequemste Gelegenheit, seinen Aufenthalt zu erkunden. Doch nein, lieber nicht! Wir wollen das gute Weib in ihrer vernünftigen Verrichtung nicht stören.‹

Er befahl, zum Richter zu fahren. Aber Jewgeni hatte sich dem Seelenkampf, ob er die Mahnungen seines Bruders oder den Beschluß der Gemeinde achten sollte, durch ein einfaches Mittel entzogen, er war nach Zablotow zur Schenke gegangen. Hingegen war Konstantin zu Hause und diktierte dem Kanzlisten durch zwei Stunden die wahnwitzigsten Schmähungen gegen Gott und den Kaiser als angebliche Rede des Taras. Das war aber auch der einzige Zeuge, der zur Sache sprach; die anderen bedauerten, die Rede vergessen zu haben, oder verweigerten finster jede Antwort. So war es sechs Uhr geworden. Die Angaben des Korporals ausgenommen, stand eigentlich nichts in den Protokollen; gleichwohl entschloß sich der Kommissär zur Rückreise. Es war höchste Zeit, wenn er die gefährlichste Stelle des Weges noch bei Tage passieren wollte.

Der Weg von Zulawce nach Zablotow läuft zuerst am Ufer des Pruth hin gegen Norden und wendet sich dann in scharfer Biegung ostwärts, um die Ebene zu durchschneiden. Als der Wagen diese Biegung passierte – die Dämmerung begann eben einzubrechen – richtete sich einer der Polizisten plötzlich empor und spähte nach dem andern Ufer hinüber. »Was gibt's?« schrie Herr Kaplonski entsetzt auf und umklammerte ihn; sein Auge trug nicht soweit. »Bewaffnete Reiter«, erwiderte der Mann. »Etwa ein Dutzend, sämtlich in Huzulentracht. Sie sind eben aus dem Walde hervorgebrochen und setzen durch eine Furt über den Fluß.« Nun konnte auch der Kommissär die dunklen Gestalten auf den helleren Wogen unterscheiden. »Kehren wir um«, stammelte er. »Es geht nicht«, erwiderte der Kanzlist. »Die Leute sind früher am Ufer, als wir an ihnen vorbeikommen. Fahr zu – gegen Zablotow!« rief er dem Kutscher zu.

Rascher rollte das leichte Gefährt dahin, an den Äckern von Debeslawce vorüber. Aber da erscholl von ferne der Hufschlag der Schar, die das Ufer erreicht hatte und nun hinter ihnen her war. Bald hörte man auch verworrenes Rufen. Der Kommissär hielt den Arm des Polizisten umklammert und schloß die Augen; er war kaum mehr seiner Sinne mächtig. »Halt!« scholl es nun deutlich. »Halt! – oder wir schießen!« – »Fahr zu!« riefen die Polizisten. Aber der Kutscher hielt die Rosse an, sprang ab und warf die Zügel hin. »Ich bin nicht gemietet, mich morden zu lassen!« rief er. »Und dem Taras soll man nicht entfliehen wollen!«

Im nächsten Augenblick war der Wagen umringt. Zwei Reiter faßten die Zügel der Pferde, die anderen hielten sich zu beiden Seiten, die Pistole im Anschlag, den Finger am Hahn. Ein schlanker, brauner Mann, ein rechtes ›Falkenangesicht‹, schien der Anführer zu sein. »Die Gewehre her!« rief er den Polizisten zu. Sie gehorchten. »So, weiter haben wir nichts mit euch zu schaffen. Unser Auftrag geht nur an den Herrn Schreiber da. Habe die Güte, auszusteigen.« »Gnade!« wimmerte Herr Kaplonski »Wir tun dir nichts«, versicherte der Anführer lächelnd. »Wir haben dich nur zu unserem Hetman Taras zu geleiten, der dich zu sprechen wünscht. Also – habe die Güte!«

Er hielt ihm die Pistole vor. Der Kommissär erhob sich, aber seine Füße trugen ihn nicht. Die Reiter mußten ihn vom Wagen heben. »Kannst du reiten?« fragte der Anführer und winkte einem Huzulen, der einen Klepper mit am Zügel führte. Der Kommissär regte sich nicht und gab keine Antwort. »Hebt ihn aufs Pferd!« befahl der Anführer. »Bindet ihn fest! Zwei von euch nehmen ihn in die Mitte!«

Es geschah. Der Anführer nickte und wendete sich zu den anderen, die auf ihren Sitzen geblieben waren: »Fahrt zu! Glückliche Reise!«

Sie ließen es sich nicht zweimal sagen. Als sie zurückblickten, verschwand die Reiterschar, den Kommissär in der Mitte, bereits in den Schatten der Dämmerung.

 


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