Karl Emil Franzos
Ein Kampf ums Recht
Karl Emil Franzos

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Sechstes Kapitel

Der Herbst war gekommen, wieder nur ein kühler, unfreundlicher Herbst. Taras hatte geduldig ausgeharrt, aber ihm bangte es vor sich selbst, wenn er daran dachte, auch die trostlose Dämmerzeit des Winters in diesem stumpfen Hinbrüten zubringen zu müssen. So begab er sich denn zum Popen und bat ihn, in seinem Namen eine Anfrage an den Anwalt zu schreiben.

Vater Leo blickte ihn prüfend an; das Antlitz des Mannes war ruhig. »Du denkst zu viel an den Prozeß!« sagte er gleichwohl. – »Nicht mehr, als nötig«, erwiderte Taras. »Was etwa darüber zu grübeln war, habe ich mir bereits ausgedacht.«

Der Pope schrieb den Brief; die Antwort kam nach einer Woche. Er habe, meldete der Advokat, bereits im August um Beschleunigung des Verfahrens, namentlich um Anordnung der neuen Vernehmung gebeten. Eine Entscheidung sei bisher nicht erfolgt.

Taras seufzte tief auf, als ihm der Pope diesen Brief mitteilte. »Das wird ein harter Winter werden«, klagte er leise. Der Pope nahm die Worte nicht schwer. »Deine Pflicht hast du getan«, sagte er, »das muß dich trösten.« – »Trösten kann es nicht«, erwiderte Taras, »aber stark machen. Wer seine Pflicht zu tun begonnen, muß sie auch ferner erfüllen, bis ans Ende.«

Es wurde wirklich ein harter Winter für den Harrenden, aber je schwerer die Last auf seiner Seele wuchtete, desto sorgsamer schien er sie den anderen verbergen zu wollen. »Er seufzt nicht mehr vor sich hin«, erzählte Anusia erfreut ihrer behäbigen Freundin, der Frau Popadja. »Auch findet er jetzt Gefallen an einem Vergnügen, dem er bisher selten nachgegangen ist: er ist ein eifriger Jäger geworden!«

In der Tat strich Taras in jenem Winter wochenlang in den Bergen umher, den Bären zu erlegen. Allerdings wußten die drei Burschen, die ihn regelmäßig begleiteten, weil sie in fast abgöttischer Liebe an ihm hingen, die beiden Söhne seines greisen Freundes Simeon, Hritzko und Giorgi Pomenko, dann der Jüngling, dessen Bruder auf dem strittigen Acker erschossen worden war, Wassilj Soklewicz, wenig von besonderer Lustigkeit des Richters zu erzählen. »Er ist im Walde noch viel schweigsamer als im Dorfe«, berichteten sie, »und die Jagd erscheint ihm nur deshalb Vergnügen zu machen, weil er ein trefflicher Schütze ist. Er freut sich nicht an dem lustigen Leben unter den Tannen, nicht an der Aufregung, wenn das Tier getrieben wird, sondern nur an dem guten Schuß, mit dem er es niederstreckt.«

Noch war dieser Winter nicht zu Ende und Taras eben wieder auf der Jagd im Bergwald, als eines Tages, im März 1838, dem Popen ein dickes Schreiben aus der Kreisstadt zukam. Es kam vom Advokaten und enthielt außer dem Urteil des Guberniums einen Brief an Vater Leo. »Ich wende mich«, schrieb Dr. Starkowski, »an Sie, hochwürdiger Herr, weil ich aus Ihrem Schreiben im vorigen Herbst entnommen habe, daß auch Sie für den Richter Barabola lebhafte Sympathie empfinden. Teilen Sie ihm den Inhalt des beifolgenden Urteils schonend mit. Wie ich den Mann kenne, wird er gebrochen zusammensinken und für lange verstört bleiben. Die Rechtsmittel sind erschöpft, der Advokat ist mit seiner Weisheit zu Ende, nun hat der Seelsorger seine schöne Pflicht zu erfüllen.«

Der Pope geriet in Erregung. »Das arme, große Kind«, seufzte er, »es wird wohl ernstlich krank werden.«

So trat er denn, nachdem Taras von der Jagd zurückgekehrt war, betrübt vor den Freund hin und suchte ihn durch eine lange, salbungsvolle Rede auf die schlimme Kunde vorzubereiten. Aber Taras benahm sich anders, als der Pope gefürchtet hatte. Er wurde bleich, die drohende Furche zwischen den Brauen trat deutlicher hervor, doch zitterte seine Stimme kaum, als er fragte: »Das Gubernium hat also gleichfalls die Klage abgewiesen?« – »Ja!« sagte Vater Leo kleinlaut, »Aber du darfst es dir nicht zu Herzen nehmen, du hast ja redlich . . .« – »Was steht im Urteil?« unterbrach ihn Taras ruhig wie früher, nur daß er sich fester auf den Tisch stützte, neben dem er stand. Der Pope zog das Schriftstück hervor, verlas und erläuterte es. Das Gubernium lehnte eine neue Vernehmung ab, weil kein Grund dazu vorliege; wie aus dem Protokoll ersichtlich, sei die erste in aller Form Rechtens erfolgt. Im übrigen wiederholte es die Gründe des Kreisamts und bestätigte das erste Urteil.

Taras horchte bis zum letzten Wort mit derselben starren Miene. »Ich danke dir!« sagte er dann tonlos. »Aber nun laß mich allein. Auch du, Anusia. Ich muß das Weitere überlegen.« – »Was willst du noch darüber grübeln?« wendete Vater Leo schüchtern ein. »Der Anwalt schreibt mir, daß alle Rechtsmittel erschöpft sind. Beuge dich dem Ratschlusse Gottes!« – »Davon später«, erwiderte Taras mit einem Lächeln, das den Popen tief erschreckte. »Du sollst um deine Predigt nicht kommen! Aber nicht jetzt . . ., nicht jetzt!« wiederholte er heftig. Unschlüssig blieb Leo stehen. Da kam ihm Anusia zu Hilfe. Schluchzend war sie bisher auf der Ofenbank gesessen, nun richtete sie sich auf. »Bleib, Pope«, flehte sie und ergriff die Hand des Gatten. »Mann!« rief sie schrill. »Tobe, jammere, prügle den Schurken im Schlosse blau und gelb, wenn es dir das Herz erleichtert, aber verbirg deine Wut nicht in dir! Sei nicht so ruhig, Mann, ich sterbe vor Angst! Ich weiß, warum du uns aus der Stube schickst. Du willst dir ein Leid antun!« – »Nein!« beteuerte Taras feierlich. »So wahr mir Gott gnädig sei!« Dann ließ er die Hand sinken, und um seinen Mund spielte wieder das furchtbare Lächeln. »Beruhige dich, Weib! Nie habe ich meinen gesunden Leib nötiger gehabt als jetzt!«

Sie mußten ihm den Willen tun und die Stube verlassen; angstvoll lauschend, blieben sie vor der geschlossenen Tür stehen. Sie hofften, daß er nun sein bedrängtes Herz durch Klagen erleichtern werde. Aber was sie vernahmen, war nur der Hall seiner festen, ruhigen Schritte. Endlich verstummte auch dieser, und es wurde still in der Stube.

»Komm!« flehte das Weib und führte den Popen zu einem Fensterchen hin, von dem sie den Raum übersehen konnten. Taras saß auf der Ofenbank, die Arme auf die Knie gestützt, das Antlitz in die Hände vergraben. Er regte sich nicht. »Lassen wir ihn ungestört!« riet Vater Leo. »Er hat ein starkes Herz und wird es überwinden.« Aber das Weib ließ nicht von ihrem Posten am Fenster. »Ich traue ihm nicht«, flüsterte sie unter heißen Tränen. »Er ist ja sonst wie ein Kind und sagt jedem, was er auf dem Herzen hat. Und nun schweigt er sogar gegen uns!« Wieder versuchte es der Pope, sie zu trösten. Aber es gelang ihm schlecht, auch sein Herz war ja bekümmert genug.

Endlich ging er fort, einen Kranken zu besuchen. Aber schon nach einer Stunde war er wieder zur Stelle. Anusia war von dem Fensterchen nicht gewichen. »Er hat sich nur einmal geregt«, erzählte sie, »und da war er unheimlich anzuschauen. Wie ich so atemlos lausche, vernehme ich plötzlich ein leises Geräusch, und als ich mir die Tränen aus den Augen wische, um besser zu sehen, gewahre ich, wie er sich langsam aufrichtet und die Schwurfinger der Rechten gegen den Himmel erhebt. Sein Antlitz ist starr, während er dies tut, ganz starr, aber aus den Augen brechen ihm schwere Tränen und rollen über die Wangen hinab. Ach, Hochwürdiger, es muß ein sehr finsterer Eid gewesen sein, den er da sich selbst geschworen hat. Und nun sitzt er wieder regungslos und starrt vor sich hin . . .«

»Das tut nicht gut!« murmelte der Pope, öffnete geräuschvoll die Tür und trat ein. Er war entschlossen, nicht zu weichen, wenn ihn Taras etwa mit heftigem Worte hinwegweisen würde. Aber auch diesmal kam es anders, als er geglaubt hatte.

Der Richter erhob sich und trat ihm mit ruhigem, fast heiterem Antlitz entgegen. »Du hast recht, Hochwürdiger«, sagte er. »Alles Grübeln nützt nichts! Wie habe ich mir eben meinen armen Kopf zerquält und bin doch nicht klüger, als ich schon vor einem Jahre war! . . . Nur um eins möchte ich dich noch fragen: Der Advokat schreibt, daß die Rechtsmittel erschöpft sind? Das steht im Brief?« – »Ganz deutlich!« – »Und doch muß es ein Irrtum sein! In meinem Heimatsdorfe Ridowa führte mein Vormund, der Richter, durch fünf Jahre einen Erbschaftsprozeß mit seinem Vetter. Das Kreisamt sprach ihm die Felder zu, das Gubernium dem Gegner. Da wendete sich mein Vormund an ein besonders heiliges Gericht in Wien und erwirkte sein Recht. Es muß also dort Richter geben, die noch mächtiger sind als die in Lemberg.« – »Taras«, mahnte Anusia. »Du wirst doch nicht in Wien einen Prozeß führen wollen? Bedenke die Kosten!« – »Weib«, erwiderte er, »wüßtest du, wie die Sache steht, du würdest mich auf den Knien anflehen, den Prozeß in Wien zu führen, auch wenn wir dadurch zu Bettlern würden. Aber es ist fraglich, ob ich es kann. Der Advokat ist ehrlich und tüchtig, warum sollte er eine Lüge schreiben? Gleichviel, ich werde ihn mündlich darüber befragen.«

Er konnte die Reise nicht sofort antreten, weil vorher die Frühlingsrobot der Gemeinde mit dem Mandatar zu vereinbaren war. Das ging nicht so glatt wie im Herbste, denn Herr Hajek hatte jetzt keine Untersuchung mehr zu befürchten und zeigte daher sein richtiges Antlitz. Nun war auch Vater Leo nicht mehr ›ein Salomo an Weisheit‹, sondern ein ›sonderbarer Herr, der immer die Sache der Bauern führt.‹ Nur unter schweren Opfern gelang endlich die Vereinbarung, und Taras konnte nach der Kreisstadt fahren. In seinem Ledergurt führte er den ganzen Barschatz seiner Truhe mit: alle Taler und Dukaten, die er von dem alten Iwan ererbt oder selbst zusammengespart hatte.

Als er in die Kanzlei trat, erschrak der aufgeklärte Herr Stupka nicht mehr, wohl aber diesmal der Anwalt selbst. »Mann!« rief er, »du bist ja um zehn Jahre gealtert! Ist es nur der Kummer um den Prozeß? Bedenke, du bist nicht bloß Richter, der für sein Dorf einzutreten hat, sondern auch Gatte und Vater!« – »Es war ein böses Jahr«, erwiderte Taras. »Aber, Herr Doktor, ich will dich nicht durch Klagen belästigen, sondern zwei Geschäfte abtun. Zum ersten, was bin ich dir schuldig?« Der Anwalt schlug eines seiner Bücher auf und nannte die Summe, es waren an zweihundertfünfzig Gulden. »Der Advokat des Grafen«, bemerkte er zur Entschuldigung, »hat seine Rechnung hoch gestellt.« – »Daran liegt nicht viel«, erwiderte Taras gleichmütig, griff in seinen Gurt und zählte die Summe auf den Tisch. »Und nun das zweite. Du hast unserem Hochwürdigen geschrieben, daß nichts mehr in der Sache zu machen ist. Gibt es denn nicht in Wien höhere Richter?« – »Für diese Sache nicht«, erklärte Dr. Starkowski. »Es gibt einen Obersten Gerichtssenat in Wien, aber er darf nur angerufen werden, wenn Kreisamt und Gubernium verschiedene Entscheidungen gefällt haben.« – »Das ist schlimm. Doch hast du ja im vorigen Jahre noch ein anderes Mittel erwähnt, die Anzeige wegen Meineids?« – »Dazu riet ich damals nicht«, erwiderte der Anwalt eifrig, »und möchte dich auch heute beschwören, davon zu lassen. Sieh, freiwillig wird niemand sein Verbrechen eingestehen, und nur einigen wenigen wirst du es durch ihre unvorsichtigen Äußerungen nachweisen können. Diese drei oder vier Leute, wahrscheinlich die Ärmsten und Verächtlichsten im Dorfe, werden in den Kerker wandern. Du aber wirst ihnen als Verleumder folgen, dafür werden die anderen sorgen, bei denen dir der Beweis nicht gelingt. Und der Acker wird schließlich natürlich doch dem Grafen Borecki bleiben.« – »Dann will ich nicht weiter daran denken«, erwiderte Taras. »Ich heische nicht Rache, sondern mein Recht.«

Er gab sich offenbar übermenschliche Mühe, um gefaßt zu bleiben. Gleichwohl lösten sich die Worte nur noch stammelnd von seinen Lippen: »Also gibt es – keine Hilfe mehr?«

»Keine! Höchstens etwa die Gnade des Kaisers! Aber –«

»Des Kaisers!« fiel ihm der Bauer jubelnd ins Wort und richtete sich hoch auf. So jäh war der Übergang von der tiefsten Verzweiflung zur freudigsten Zuversicht, daß der Mann wankte, als hätte er plötzlich einen berauschenden Trank genossen. »Des Kaisers!« wiederholte er jauchzend.

»Hm!« meinte der Advokat, »eigentlich –«

Aber Taras achtete nicht darauf. »O Herr!« rief er und wehrte den Freudentränen nicht, die jäh aus seinen Augen brachen und ihm die Wangen netzten, »da nennen mich die Leute einen gescheiten Mann, und ich war solch ein Tor! Wie habe ich mich gequält und gehärmt, und alles um ein Nichts! Ich habe an den Herrn Kaiser gedacht, solange keine Gefahr war, aber als nun die Wolken aufzogen, da vergaß ich, daß ja doch die Sonne hinter ihnen steht, und zürnte ihr, daß sie nicht scheine. Ja, so töricht war ich, dem Herrn Kaiser zu zürnen um seiner Schreiber willen! Aber jetzt habe ich meinen Verstand wieder. Der Herr Kaiser muß ja helfen, sobald er nur davon erfährt; es ist ja seine Pflicht, die ihm von Gott auferlegt ist! Seine Schreiber mögen irren, er aber wird die Wahrheit erkennen, seine Schreiber mögen nach Laune urteilen, er aber ist gerecht und versteht alles . . . Ach, Herr, verzeih, wenn ich tobe wie ein Trunkener und weine wie ein Kind! Aber wenn du wüßtest, wie mir zumute war, als ich vorhin vor dir stand und vernahm, daß keine Hilfe mehr sei! . . . Doch es ist dir rechtzeitig eingefallen, rechtzeitig, Herr! Denn nach einigen Tagen wäre es schon zu spät gewesen!«

»Warum?« fragte der Advokat erstaunt.

»Frag nicht, Herr«, rief Taras und wischte sich die Tränen von den Wangen. »Ich selbst will es vergessen, als wäre alles ein wüster Traum gewesen. Welch ein Tor war ich! Die finstersten Gedanken habe ich ausgebrütet, und gerade auf diese Hilfe bin ich nicht gekommen, die doch so nahe liegt wie das Gebet! Denn wer ist uns am nächsten? Gott und der Herr Kaiser! Gott ist überall und hört unser Flehen, aber weil er nicht jeden Augenblick mit eigenem Arm hinabgreifen will auf die Erde, hat er einem erhabenen Menschen die Macht gegeben, an seiner Statt zu richten und zu helfen. Freilich kann man den Herrn Kaiser nicht überall anrufen wie Gott, man muß nach Wien gehen und ihm die Sache erzählen. Das will ich auch tun, Herr, und damit er nochmals alles gut überlesen kann, wirst du mir eine Schrift aufsetzen!«

So schluchzte und jubelte der Bauer wirr durcheinander und bückte sich nach der Hand des Advokaten, um sie zu küssen. Hastig wich der alte Herr zurück und trat ans Fenster; auch er war in großer Erregung. Fast gedankenlos hatte er des Kaisers erwähnt, nur um eben etwas zu sagen, und war nun tief erschreckt und erschüttert über die Wirkung dieses einzigen Wortes. Denn daß ein Majestätsgesuch keinen Erfolg haben könne, war ihm klar. Wohl stand seine Überzeugung fest, daß den Bauern schweres Unrecht geschehen sei, aber wie sollte dies der Kaiser erkennen? Jeder Heller, den der Richter auf die Reise verwendete, jede Minute Zeit war nutzlos geopfert! »Es darf nicht sein«, dachte er, »ich muß es ihm ausreden.« Aber da fiel ihm die Erwägung aufs Herz, ob es nicht eine schwerere Versündigung sei, dem armen Manne die letzte Hoffnung zu rauben, an die er sich noch klammerte. Wenn er sich die Worte ins Gedächtnis zurückrief, die Taras vor Jahresfrist gesprochen hatte, und das heutige Bekenntnis dazu, dann ahnte er zwar noch immer nicht, welcher verzweifelte Entschluß in dieser verdüsterten Seele reif geworden war, er verstand es nur so, daß Taras nun mit Gewalt den Acker für die Gemeinde zurückerobern wolle, aber auch dies war schlimm genug! Nur einen Ausweg ersah er sich in diesem Widerstreit der Empfindungen. »Höre, Taras«, sagte er nach einer Weile, »so wollen wir uns denn an den Kaiser wenden! Ich schreibe dir das Gesuch und schicke es nach Wien. Du aber geh ruhig in dein Dorf zurück. Du darfst dich deinem Amt, deiner Wirtschaft, deiner Familie nicht so lange entziehen. Auch wäre es überflüssige Mühe. Der Kaiser wird schon aus der Schrift erkennen, um was es sich handelt, und darnach entscheiden.« Damit ist Zeit gewonnen, dachte er, der erregte Mann beruhigt sich und vernimmt dann nach Jahren den abschlägigen Bescheid fast gleichgültig.

Aber er hatte die kluge Rechnung gemacht, ohne das Wesen dieses Mannes zu erwägen. »Nein«, erwiderte Taras mit eiserner Festigkeit. »In allem will ich deinem Rate folgen, aber darin nicht. Mein Schicksal und das Glück der Meinen steht auf dem Spiel, da verlasse ich mich auf keinen Zufall. Ich selbst gehe nach Wien, spreche mit dem Herrn Kaiser und überreiche ihm die Schrift.«

»Aber, so bedenke doch nur«, bat der Anwalt, »welcher Zufall ist da zu befürchten? Ich schicke das Schreiben mit der Post nach Wien und lasse es durch einen verläßlichen Mann überreichen.«

»Das ist es eben«, fiel ihm Taras ins Wort. »Der Brief kann auf der Post verloren gehen. Oder dein Freund in Wien ist schon tot. Aber wenn dies alles nicht wäre, wird dein Freund so für mich reden wie ich selbst? Er wird aus Gefälligkeit für dich dem Herrn Kaiser so einige Worte sagen, aber meine Sache kann nur ich gut vertreten!«

»Aber Kaiser Ferdinand spricht ja nicht ruthenisch!« rief der Anwalt.

»Das ist nicht wahr!« erwiderte Taras. »Das heißt: verzeih, es muß dich eben irgendein Wicht angelogen haben. Denn daß der Herr Kaiser unsere Sprache versteht, sagt ja schon die Vernunft! Der Herr Kaiser ist ein Vater seiner Völker, wir Ruthenen gehören dazu, wie sollte ein Vater die Sprache seiner Kinder nicht verstehen? . . . Also, es bleibt dabei, ich gehe nach Wien. Habe die Güte, die Eingabe zu schreiben, in einer Woche bin ich wieder hier und nehme sie mit. Denn so lange wird es wohl dauern, bis ich meine Angelegenheiten daheim geordnet habe.«

Dabei blieb er, trotz allen Zuredens. Und als er, nach Zulawce heimgekehrt, seinen Entschluß verkündete, da waren auch alle Einwendungen seines Weibes und des Popen fruchtlos. Beide jubelten über die sichtliche Wandlung, die sich mit Taras begeben hatte, aber beide stemmten sich gegen seinen Plan, wenn auch aus verschiedenen Gründen. Anusia zweifelte nicht daran, daß der Herr Kaiser helfen würde, aber die Reise nach Wien schien ihr kaum minder abenteuerlich und gefährlich als etwa eine Reise ins Jenseits. »Was kann da alles geschehen?« klagte sie der Frau Popadja. »Man wird von Räubern erschlagen oder verhungert in der Einöde, oder man gerät unter Zauberer und vergißt die Heimat. Aber selbst wenn dies alles nicht wäre, auf einer so ungeheuren Reise kann ja ein Mensch auf der Straße verloren gehen und weiß selbst nicht, wie . . .« Vater Leo aber befürchtete, daß die Reise fruchtlos sein werde. »Der Kaiser«, sagte er dem Freunde, »kann beim besten Willen nicht nach Zulawce kommen, um zu untersuchen, wann das schwarze Kreuz aufgerichtet worden ist. Er kann also höchstens seine Beamten fragen, wie die Sache steht, und die werden doch nicht eingestehen wollen, daß sie aus Lässigkeit schweres Unrecht geübt haben.« Aber Taras hatte auf alles eine Antwort. »Du fürchtest dich weniger vor Zauberern«, erwiderte er Anusia, »als vor Zauberinnen!« Und dem Popen sagte er: »Du bist ein kluger und gelehrter Herr, aber was ein Kaiser alles kann, wirst du doch nicht so genau wissen.«

Am nächsten Sonntag berief er die Versammlung der Männer. »Meine eigene Wirtschaft«, erklärte er, »habe ich meinem Freunde Simeon anvertraut. Er hat sich erboten, mich auch in meinen Pflichten als Richter zu vertreten. Das kann ich nicht annehmen, die Gemeinde darf nicht so lange verwaist bleiben. Ich lege mein Amt nieder und rate euch, Simeon zum Richter zu wählen.«

Seine Freunde widersprachen, am eifrigsten Simeon selbst. Da jedoch Taras auf seinem einmal gefaßten Beschlusse beharrte und auch seine Gegner nicht untätig blieben, so nahm die Gemeinde seine Entsagung mit großer Mehrheit an und wählte Simeon zum Richter. Aber dieser erklärte ausdrücklich, das Amt nur bis zur Rückkehr des Freundes führen zu wollen.

Wenige Tage später stand Taras wieder vor dem Advokaten. Dieser übergab ihm das Gesuch und einen Brief dazu. »Erfrage vor allem diesen Herrn«, riet er, »er ist Beamter in Wien, ein Landsmann und mein Freund.«

»Gern«, erwiderte Taras, »sonst hätte ich zuerst das Haus des Kaisers aufgesucht. Das kann mir sicherlich jedes Kind in Wien zeigen.«

»Aber die Kinder in Wien sprechen doch nicht ruthenisch!« rief der Anwalt, und seufzend fügte er hinzu: »Ach, Mann, wie wird es dir ergehen!«

»Mir ist nicht bange, Herr!« erwiderte Taras feierlich. »Wer den Weg des Rechtes wandelt, muß doch schließlich sein Ziel erreichen.«

 


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