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Achtzehntes Kapitel.

Geschichte der Hausmagd Betty, nebst einer Erläuterung des Vorfalls, der zu dem heftigen Auftritt im vorigen Kapitel Anlaß gab.


Betty, die Ursache dieses ganzen Wirrwarrs, hatte einige gute Eigenschaften. Sie war gutmüthig, mildherzig und mitleidig, aber unglücklicherweise enthielt ihr Blut gewisse warme Partikelchen, die vielleicht an Höfen und in Nonnenklöstern gehörig im Zaum gehalten werden, keineswegs aber in der mißlichen Lage einer Magd im Wirthshause sich ruhig beweisen konnten. Ist nicht ein solches armes Geschöpf täglich den Zudringlichkeiten aller Klassen von Verehrungen bloßgestellt; den gefährlichen Anträgen der galanten Herren von der Armee, die bisweilen ein ganzes Jahr mit ihm unter einem Dache hausen müssen, noch mehr aber den Liebkosungen und Lockungen von Lakaien, Postknechten, Fuhrleuten, die sämmtlich das ganze grobe Geschütz der Küsse, Schmeicheleien, Bestechungen, und was sonst das Zeughaus der Liebe für Waffen darbieten mag, anzuwenden wissen.

Betty, die jetzt 21 Jahr alt war, hatte dermalen drei Jahre in dieser kritischen Lage zugebracht, und sich noch leidlich durchgewunden. Ein Fähnrich von der Infanterie war der erste, der einigen Eindruck auf ihr Herz gemacht, ja in der That eine Flamme in ihr entzündet hatte, die durch die heilende Hand eines Wundarztes gelöscht werden mußte.

Während sie für ihn brannte, brannte mehr als einer für sie. – Offiziere, junge Herren, die sich im Lande umsehen, herrenlose Landjunker, und andere ernsteren Schlages wurden durch ihre Reize entzündet.

Endlich, nachdem sie die Folgen ihrer ersten unglücklichen Leidenschaft glücklich überstanden, schien sie das Gelübde ewiger Keuschheit gethan zu haben. Lange blieb sie bei allem Leiden und Klagen ihrer Anbeter ungerührt, bis eines Tages auf einem benachbarten Jahrmarkte die Rhetorik Johns des Kellners, mit einem neuen Strohhut und einer Pinte Wein im Bunde, sie zum zweitenmal in Fesseln schlug. Sie fühlte jedoch diesmal nichts von jenen Flammen, welche die Folge ihrer ersten Liebschaft gewesen waren, und auch sonst keine jener unangenehmen Folgen, durch die kluge junge Frauenzimmer bei zu unbedingter Hingebung an die Aufforderungen ihrer Liebhaber mit Recht zu gescheuet zu werden pflegen. Letzteren Umstand hatte sie vielleicht eines Theils jenem andern zu verdanken, daß sie John nicht immer treu blieb, sondern ihre Gunst auch dem Kutscher Tom Whipwell, und dann und wann einem hübschen jungen Reisenden zuwendete.

Herr Towwouse hatte seit einiger Zeit die schmachtenden Augen der Zärtlichkeit auf dieses junge Mädchen geworfen, und dem zufolge jede Gelegenheit ergriffen, ihr artige Sachen zu sagen, ihr die Hand zu drücken, ja bisweilen sie zu küssen; denn da die Heftigkeit seiner Leidenschaft zu Mistreß Towwouse beträchtlich abgenommen hatte, so suchte sie, wie Wasser, wenn der natürliche Strom desselben an einer Stelle aufgehalten wird, sich an einer andern Bahn zu brechen. Seine Ehehälfte bemerkte höchst wahrscheinlich diese Erkaltung, und wurde dadurch eben nicht besser gelaunt; denn obgleich ihrem Mann so treu, wie die Sonnenuhr der Sonne, war es ihr in Folge ihres stärkern Gefühls für Wärme doch nicht so gleichgültig, wie dieser, ob sie beschienen wurde oder nicht.

Seit Josephs erstem Erscheinen im Hause hatte Betty außerordentlich viel Wohlgefallen an ihm gefunden, das sich immer mehr steigerte, als sich's mit ihm besserte, bis an jenem verhängnißvollen Abend, da sie ihm das Bett durchwärmte, ihre Leidenschaft eine solche Höhe erreichte und ihrer Sittsamkeit und Vernunft so ganz Meister wurde, daß sie nach manchen fruchtlosen Winken und scheuen Andeutungen endlich die Wärmflasche hinwarf, und indem sie Joseph inbrünstig umarmte, schwor, er sei der schönste junge Bursche, den sie je gesehen.

Aeußerst verwirrt wand sich Joseph von ihr los, und sagte ihr, es thue ihm leid, ein junges Frauenzimmer so aller Zucht vergessen zu sehen; sie aber, die schon zu weit gegangen war, um zurückzutreten, wurde jetzt so unverschämt, daß Joseph, so gern er dessen überhoben gewesen wäre, nichts übrig blieb, als sich ihrer gewaltsam zu erwehren; er nahm sie in die Arme, trug sie aus dem Zimmer, und schloß die Thür hinter ihr zu.

Welches erfreuliche Gefühl muß es dem Manne sein, daß er seine Keuschheit jeder Zeit in seiner Gewalt hat; daß, wenn er nur hinreichende Seelenkraft besitzt, es ihm nie an entsprechender Körperkraft mangeln wird, um sich selbst zu vertheidigen, und er nicht wie ein armes schwaches Frauenzimmer wider seinen Willen zur Sünde gezwungen werden kann.

Betty war jetzt in der heftigsten Aufregung über ihren fehlgeschlagenen Angriff. Wuth und Liebe zerrten wie zwei Stricke ihr Herz hin und her; im einen Augenblick wollte sie Joseph umbringen, im andern ihn umarmen und mit Küssen bedecken; aber die letztere Leidenschaft war bei weitem überwiegend. Dann kam ihr in den Sinn, die erlittene Schmach an sich selbst zu rächen, aber zum Glück zeigte sich ihr der Tod in so verschiedenen Gestalten – des Ersäufens, Erhängens, Vergiftens etc. – daß sie in ihrer Verwirrung zu keiner Wahl kommen konnte. In diesem traurigen Gemüthszustande fiel es ihr plötzlich ein, daß ihres Herrn Bette noch nicht gemacht sei; sie eilte daher in seine Schlafkammer, wo er zufällig eben an seinem Büreau beschäftigt war. Als sie ihn erblickte, wollte sie sich zurückziehen; aber er rief sie, faßte sie bei der Hand, drückte ihr diese so zärtlich, flüsterte ihr zugleich so artige Sachen ins Ohr, drang so mächtig mit Küssen auf sie ein, daß die besiegte Schöne, deren Leidenschaften schon so aufgeregt, und überhaupt nicht so launenhaft waren, daß nur ein Mann sie befriedigen konnte, wenn sie auch vielleicht diesen einen vorgezogen haben würde – die besiegte Schöne, sage ich, unterwarf sich ruhig ihres Herrn Willen, der eben seine Wünsche erreicht sah, als Mißtreß Towwouse unerwartet eintrat, und allen den Wirrwar verursachte, wovon wir berichteten, dessen Verfolg mitzutheilen jetzt aber nicht mehr nöthig ist, da ohne die geringste Andeutung unsererseits jeder Leser, dem es nicht ganz an Scharfsinn oder Erfahrung fehlt, – gesetzt, er sei auch nicht selbst verheirathet, – sich leicht denken kann, daß Betty verabschiedet wurde, Herr Towwouse sich seiner Ehehälfte unterwarf, und sich aus Dankbarkeit für deren versöhnliche Güte zu gewissen Dingen verstand, indem er ernstlich gelobte, nie wieder sich ein ähnliches Vergehen zu Schulden kommen zu lassen, und schließlich seine übrige Lebenszeit hindurch sich täglich ein oder zweimal als eine Art von Buße sich ruhig und ohne Murren darin fügen mußte, an diesen Vorfall erinnert zu werden.


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