Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Einleitende Bemerkungen

In dem Fortschritt von Heinrich Fieldings Talenten lassen sich drei besondere Perioden aufstellen; die erste, in welcher sein Genius plötzlich mit einem Glanz hervorbrach, der alle früheren Strahlen seines Geistes, wie die Sonne bei der Pracht ihres Aufganges überbot; die zweite, worin er sich mit gesammelter Kraft und einer Reihe der Vollkommenheit, wie die Sonne in der Mittagshöhe, in seiner höchsten Wärme und Intensität zeigte; und die dritte, worin derselbe, aber kühler und gemäßigter gewordene Genius, noch anzuregen und zu beleben fortfuhr, aber zugleich ahnen ließ, daß er bereits seinem Untergang sich zuneigte, wie dieselbe Sonne, von ihrer Kraft nachlassend, aber noch den westlichen Himmel vergoldend; und diesen drei Epochen in dem Genius unsers Schriftstellers entsprechen seine Hauptwerke: Joseph Andrews, Tom Jones und Amelia.

In dieser Unterstellung, welche vielleicht etwas phantastisch sein mag, liegt zugleich einige Wahrheit. Wenn wir nur den Eindruck berücksichtigen, den Fieldings drei Romane auf das Publikum machten, so bemerken wir leicht, daß Tom Jones der erste, Amelia der zweite, und Joseph Andrews der dritte ist, und prüfen wir sie nach den strengern Regeln der Kritik, so werden wir diese Ordnung zu verändern vielleicht nicht Ursache haben. Tom Jones übertrifft ohne Zweifel als ein vollkommneres Werk sowohl Amelia als Jospeh Andrews, aber nicht in so hohem Grade, als er jede andere Leistung dieser Art überbietet.

Joseph Andrews war der erste Versuch unseres Schriftstellers, und gehörte zu den ersten dem Publiko dargebotenen Romane. Er erklärt, daß er eine Nachahmung des Styls und der Art des Cervantes beabsichtigt habe, und sein Biograph scheint der Ansicht zu sein, er habe den Humor, den Ernst und die glückliche Laune seines Meisters vortrefflich aufgefaßt. Gegen diese Ansicht lassen sich jedoch unseres Bedünkens viele Einwürfe aufstellen, und wir können nicht einsehen, weßhalb man eine Leistung eine Nachahmung des Cervantes nennen soll, welche ohne die Absicht einer solchen Nachahmung wahrscheinlich nie irgend einen Leser an die Art des Cervantes erinnert haben würde. Das vorliegende Werk ist unstreitig reich an ernstem Humor und feinem Scherz; dieser Humor und dieser Scherz erscheinen uns aber so vollkommen originell und Fielding eigenthümlich, daß wir nochmals unser Befremden aussprechen müssen, weßhalb er den Namen von Cervantes auf dem Titelblatt anführte, es sei denn seine Absicht gewesen, welches, wie wir vermuthen, der Fall war, die Aufmerksamkeit des Publikums einer Schreibart zuzuwenden, die damals noch sehr ungewöhnlich war, und in welcher er selbst sich zuvor nie versucht hatte. Auch die Gegenstände, welche Cervantes und Fielding wählten, waren so verschieden, daß nicht leicht eine Vergleichung statthaft ist. Cervantes beabsichtigte, eine große Nationalschwäche lächerlich zu machen, zu welchem Behuf er einen Helden wählte, der fast ein Wahnsinniger, und einen Gefährten, der ein einfältiger Mensch ist. Fieldings Zweck dagegen war der von fast jedem Romanschriftsteller, das menschliche Leben in verschiedenen Verhältnissen mit den durch sie hervorgerufenen Schwächen und Thorheiten darzustellen, und seine Charaktere nicht eingebildeten Helden irgend einer frühern Periode, sondern der menschlichen Natur und englischen Zuständen und Sitten, wie sie zu seiner Zeit bestanden, zu entnehmen.

 

Noch ein andrer Beweggrund scheint ihn veranlaßt zu haben, dieses Werk zu schreiben, welcher besondern Einfluß auf dessen Anlage hatte, und insofern vielleicht nicht sehr zu der Regelmäßigkeit und Einheit der Geschichte beitrug. Offenbar beabsichtigte er, Richardsons Pamela lächerlich zu machen, welche um die Zeit, als Joseph Andrews erschien, ein sehr berühmtes Werk war. Fielding soll in freundschaftlichen Verhältnissen zu Richardson gestanden haben, und man machte es ihm daher um so mehr zum Vorwurf, daß er dessen Pamela zu verspotten suchte. Einerseits fehlt es uns jedoch an Beweisen für freundschaftliche Verhältnisse zwischen ihnen, welche dadurch hätten verletzt werden können, während andererseits wir triftige Gründe haben, anzunehmen, daß Fielding damals einsah, wie seitdem alle moralischen Schriftsteller, daß es dem Roman Pamela durchaus an moralischer Tendenz ermangelt, und er leicht auf eine ganz entgegengesetzte Art, wie der würdige Verfasser es beabsichtigte, wirken kann. Da Fielding dieses nicht entging, so vermochte er seinen Witz nicht zu zügeln, und wenn auch Joseph Andrews kein vollkommener Gegensatz zur Pamela ist, indem sein tugendhafter Widerstand gegen Lady Borby's Anträge ihm keine weltlichen Vortheile darbietet, so dringt sich uns doch der Zweck des Verfassers am Ende des Romans bestimmt auf. Hier stellt er die jetzt an ihren Gebieter vermählte Pamela so dar, wie ein listiges und unedles Mädchen handeln würde, nemlich mit Unverschämtheit, Hochmuth und ungebührlichem Benehmen. Die Pamela's sind im wirklichen Leben so selten, daß wir nach der Beobachtung oder Berechnung nicht absprechen können; die menschliche Natur ist aber der Art, daß höchst wahrscheinlich Pamela sich so benommen haben würde, wie Fielding es dargestellt hat; und unsere moralischen Schriftsteller fühlen dieses so sehr, daß wir keinen kennen, der über Richardsons Romane sich ausgesprochen, und nicht den verfehlten Plan in seiner Pamela angedeutet hätte. »Die Moral dieses Werks,« sagt Herr Barbauld, einer der letzten Schriftsteller über diesen Gegenstand, »ist zweifelhafter, als die Freunde des Verfassers während seines Lebens zuzugeben geneigt waren. So lange Pamela sich nur mit Planen beschäftigt, ihrem Verfolger zu entfliehen, billigen wir durchaus ihren tugendhaften Widerstand; doch von dem Augenblick an, da sie Hoffnungen zu nähren beginnt, ihn zu heirathen, bewundern wir mehr ihre vorsichtige Klugheit, als die Reinheit ihres Herzens. Sie hat eine Absicht, eine eigennützige Absicht, und wir können sie nur als die bewußtvolle Besitzerin eines Schatzes betrachten, welchen aufzugeben sie nur für seinen entsprechenden Preis entschlossen ist.« – Mistreß Barbauld bemerkt auch, »man habe mit Recht die indelikaten Scenen in diesem Roman getadelt, und sie seien in der That durch nichts zu vertheidigen.« Doktor Watts, welchem Richardson das Werk schickte, schreibt ihm statt Lobeserhebungen: »er höre, die Damen könnten es nicht ohne Erröthen lesen.«

Man kann daher Fielding nicht darüber tadeln, daß er ein Werk von so zweifelhafter Tendenz etwas lächerlich zu machen suchte, indem er zugleich seinen Lesern eine an Weltkenntnis und wahrem Humor bei weitem überlegene Erzählung darbot. Richardson konnte ihm dieses jedoch nicht verzeihen, und aus seinen vor kurzem veröffentlichten Briefen ersehen wir, mit welcher thörichten Strenge er es ahndete, daß man seine geliebte Pamela lächerlich zu machen sich herausnahm. Richardson, der sonst ein guter Mensch und ein guter Schriftsteller war, erscheint bei dieser Gelegenheit in einem Licht, welches mehr unser Mitleiden in Anspruch nimmt. Von Schmeichlern beiderlei Geschlechts umgeben, prophezeit er den Untergang von Fieldings Werken, als spreche er von einem elenden Schriftsteller aus der Grubstraße. In einem seiner Briefe in Beziehung auf Amelia, kurz nach dem Erscheinen dieses Romans, hat er die Schwäche, seine Correspondenten zu versichern: »dieses Werk sei, was den Verkauf betreffe, so todt, als wäre es vor vierzig Jahren erschienen.« Er fügt hinzu: »Sie vermuthen, daß ich Amelia gelesen habe. Ich las aber nur den ersten Band. Meine Absicht war allerdings, den Roman ganz durchzulesen; aber ich fand die Charaktere und Situationen so durchaus gemein und niedrig gehalten, daß ich für keinen derselben mich glaubte interessiren zu können etc.« Trotz dieses thörichten Zorns erhielten sich jedoch die Werke Fieldings bis auf den heutigen Tag, und seine Romane haben mehr Auflagen erlebt, als die irgend eines andern Schriftstellers.

Joseph Andrews, der jetzt dem Leser vorliegt, steht an Regelmäßigkeit der Anlage seinen spätern Romanen nach, doch er ist reich an Scenen von originellem und feinem Humor und an einer großen Mannigfaltigkeit von Charakteren, die mit genauer Kenntniß des Lebens und der Sitten gezeichnet sind. Einer dieser Charaktere fand so allgemeinen Beifall, daß hier nur wenig als Zeugniß zu dessen Gunsten hinzugefügt werden kann. Der Charakter, auf den wir uns beziehen, jener des Pfarrer Adams, ist wahrhaft originell, und der Verfasser scheint sich dessen bewußt zu sein, denn er sagt: »Wie ich glaube, ist er noch in keinem bisher bekannten Buche zu finden. – Ich beabsichtigte,« fügt er hinzu, »ihn als einen Charakter von der vollkommensten Sitteneinfalt darzustellen, und ich hoffe, daß seine Herzensgüte ihn nicht nur den Edelgesinnten empfehlen, sondern mir auch bei dem geistlichen Stande zur Entschuldigung dienen wird, für dessen Mitglieder, wenn sie ihrer heiligen Bestimmung würdig sind, niemand mehr Hochachtung fühlen kann, als ich; sie werden mich daher entschuldigen, daß ich ihn trotz der niedrigen Sphäre der Abenteuer, in die er verwickelt wird, zu einem Geistlichen gemacht habe, indem keine andere Stellung ihm so viele Gelegenheiten hätte darbieten können, seine würdige Denkungsart an den Tag zu legen.«

 

Diese »niedrige Sphäre der Abenteuer« thut jedoch allerdings einigermaßen unserer Achtung für den würdigen Mann Eintrag, und sein Charakter möchte vielleicht eben so viel Unterhaltung und Belehrung darbieten, wenn der Verfasser ihn in seiner äußern Erscheinung und seiner Kleidung weniger ärmlich dargestellt hätte. Es mag nöthig sein, vielen Lesern dieses Werks mitzutheilen, daß Pfarrer Adams nicht gänzlich ein durch den Verfasser geschaffener Charakter war. Viele Umstände entnahm er unstreitig seiner eigenen Phantasie, und die Scenen, in denen er erscheint, gehören gänzlich dem Roman an; doch die Hauptzüge seines Charakters fanden sich in dem Pfarrer Herrn Young, einem gelehrten und sehr geachteten Freunde Fieldings. Ueber diesen Herrn theilt uns Herr Murphy Folgendes mit: »Herr Young zeichnete sich durch seine genaue Kenntniß der griechischen Klassiker aus, und hegte eine eben so leidenschaftliche Verehrung für Aeschylus, als der Pfarrer Adams; seine Gutmüthigkeit war eben so groß, und seine Anfälle von Zerstreuung eben so häufig, und sie befielen ihn ebenfalls bei den interessantesten Gelegenheiten. In dieser letztern Beziehung theilt ein Herr, der in Flandern in demselben Regiment diente, in welchem Herr Young Kaplan war, ein merkwürdiges Beispiel mit.

An einem schönen Sommerabend gab Herr Young sich seiner Neigung zu einem einsamen Spaziergang hin; er trat aus seinem Zelt; die heitere Luft und die schöne Landschaft erregten seine Einbildungskraft; sein Herz war mit Wohlwollen gegen alle Geschöpfe Gottes, und mit Dank gegen den Allmächtigen, dessen Ruhm alles Erschaffene verkündete, erfüllt. Es ist sehr möglich, daß eine Stelle aus seinem geliebten Aeschylus bei dieser Gelegenheit sich seinem Gedächtniß aufdrang, und ihn zu tiefem Nachdenken anregte. Was auch der Gegenstand desselben gewesen sein mag, so ist es sicher, daß etwas seine Phantasie mächtig genug erfüllte, um alle Aufmerksamkeit auf die unmittelbaren Gegenstände seiner Anschauung auszuschließen; und in diesem tiefen Anfall von Zerstreuung setzte Herr Young seinen Spaziergang fort, bis er sehr ruhig und unbefangen in dem Lager des Feindes ankam, wo er mit Mühe durch die Wiederholung des Rufes der Schildwache: Qui va la? wieder zum Bewußtsein gebracht wurde. Als der dort befehlende Offizier sich überzeugte, daß er in der arglosen Einfalt seines Herzens sich dorthin verirrt hatte, und die Harmlosigkeit seines Gefangenen bald erkannte, so gestattete er ihm sehr höflich, seine Betrachtungen auf der Rückkehr fortzusetzen. So war der Herr, nach welchem der Charakter des Pfarrers Adams gezeichnet ward.«

Die übrigen Charaktere in diesem Werk sind, obgleich weniger originell, den damaligen Zuständen des Lebens und der Sitten entnommen; es ist jedoch nöthig hinzuzufügen, daß der Verlauf von mehr als einem halben Jahrhundert eine wichtige und nicht ungünstige Veränderung in den Charakteren der Zeit herbeigeführt hat. Zwei von den hier beschriebenen würden sich wenigstens jetzt nicht mehr auffinden lassen; wir meinen den Pfarrer Trulliber, und den Squire; es ist wohl möglich, daß die Menschen ihre Thorheiten nur verändern, statt sie ganz aufzugeben, sicher ist es jedoch, daß man solche Charactere jetzt sehr selten findet, oder wenn sie sich aufdringen sollten, aus der Gesellschaft verweisen würde. Fielding zeichnete sich in der Darstellung von Charakteren und Sitten aus; und obgleich wir keinen regelmäßig angelegten Plan in diesem Roman haben, so sind doch seine Portraits sehr schätzenswerth, und der Spott ist so scharf, daß die Wirkung auf den Leser unmöglich bezweifelt werden kann.


 << zurück weiter >>