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Fünftes Kapitel.

Des Sir Thomas Borby Tod, seiner Wittwe ungemein zärtliche Betrübniß, und Joseph Andrews große Unbefangenheit.


Um diese Zeit ereignete sich ein Zufall, der jene angenehmen Spaziergänge unterbrach, die wahrscheinlich bald die Backen der Göttin Fama aufgeblasen und sie veranlaßt haben würden, ihre eherne Trompete durch die Stadt ertönen zu lassen; und dieses war nichts anderes als der Tod von Sir Thomas Borby, in Folge dessen seine untröstliche Wittwe so an ihr Haus gefesselt ward, als sei sie selbst von einer gefährlichen Krankheit befallen worden. In den ersten sechs Tagen ließ die arme Dame Niemanden vor sich, als Mistreß Slipslop und drei Freundinnen, mit denen sie eine Partie Whist spielen konnte; aber am siebenten Tage erhielt Joey, den wir aus einem guten Grunde von jetzt an Joseph nennen wollen, Befehl, das Theegeschirr zu bringen. Die Lady, die noch im Bette lag, rief Joseph zu sich, nöthigte ihn, sich zu setzen, und nachdem sie zufällig ihre Hand auf die seinige gelegt, fragte sie ihn, ob er noch nie verliebt gewesen sei? – Joseph antwortete in einiger Verwirrung, es sei noch Zeit genug in seinem Alter, an solche Dinge zu denken. – »So jung Du bist,« erwiederte die Dame, »bin ich doch überzeugt, daß Dir die Liebe nicht ganz fremd ist. Komm Joey, sage mir aufrichtig, wer ist die Glückliche, deren Augen Deine Eroberung gemacht haben?«– Joseph entgegnete: bis jetzt seien ihm alle Frauenzimmer, die er gesehen, eine so gleichgültig gewesen wie die andere. – »Aha,« fuhr sie nun fort, »Du liebst sie also Alle. Ihr hübschen Bursche macht es wie die hübschen Weiber, die sich auch in ihrer Wahl schwer entschließen können; doch dessen sollst Du mich nimmer überreden, daß Dein Herz so gänzlich unempfindlich ist; ich erkläre mir vielmehr Deine Worte aus Deiner Verschwiegenheit, eine sehr empfehlungswerthe Eigenschaft, über die ich Dir keineswegs zürnen mag. Nichts kann eines jungen Menschen unwürdiger sein, als die Gunst zu verrathen, worin er bei den Damen steht.« –

»Bei den Damen, gnädige Frau?« sagte Joseph, »ich war nie unverschämt genug, meine Gedanken so hoch zu erheben.« – »Stelle Dich nur nicht zu bescheiden,« entgegnete sie, »denn das kann bisweilen unartig sein; aber antworte mir nun auf meine Frage. Gesetzt, Du solltest einer vornehmen Dame gefallen; gesetzt, sie zöge Dich allen andern Männern vor und ginge mit Dir so vertraulich um, wie Du es nur immer von einer Person Deines gleichen erwarten könntest; bist Du sicher, daß Du Dich von der Eitelkeit nicht zum Plaudern verführen lassen würdest? Gestehe mir's aufrichtig, Joseph, hast Du so viel mehr Vernunft und Rechtschaffenheit, als ihr hübschen jungen Bursche selten habt, die ihr euch meist kein Bedenken daraus macht, unsern guten Ruf eurer Eitelkeit aufzuopfern, ohne die große Verpflichtung zu berücksichtigen, die wir durch unsere Herablassung und unser Zutrauen Euch auferlegen? Kannst Du ein Geheimniß bewahren, mein Joey?« – »Gnädige Frau,« versetzte er, »ich hoffe, Sie werden mir nicht vorwerfen können, daß ich je die Geheimnisse der Familie verrathen habe, und wenn Sie mich auch aus dem Dienste schickten, so würden Sie mir doch die Gerechtigkeit widerfahren lassen –« »Ich denke nicht daran, Dich fortzuschicken,« sagte sie seufzend, »das steht, fürchte ich, nicht mehr in meiner Macht.« Hier richtete sie sich ein wenig im Bette auf, und zeigte einen der weißesten Nacken, die je gesehen wurden, worüber Joseph erröthete. »Was ich da auch beginne!« – rief sie mit erkünstelter Bestürzung, »lasse einen Mann allein vor mein Bette; solltest Du nun schlimme Absichten auf meine Ehre haben, wie könnte ich mich vertheidigen?« – Joseph betheuerte, er habe nie die mindeste schlimme Absicht gegen sie gehabt. – »Je nun,« sagte sie, »vielleicht nennst Du Deine Absichten nicht schlimm, und vielleicht sind sie es auch nicht.« – Er schwur, sie seien es nicht. »Du verstehst mich nicht,« fuhr sie fort; »ich meine, wenn sie gegen meine Ehre gerichtet wären, so könnten sie doch nicht schlimm sein, aber die Welt nennt sie nun einmal so! – Nun kannst Du freilich dagegen einwenden, die Welt wird nie etwas davon erfahren; aber müßte ich mich dann nicht auf Deine Verschwiegenheit verlassen? Läge dann nicht mein guter Ruf in Deiner Gewalt? Würdest Du dann nicht mein Herr sein?« – Joseph bat seine Gebieterin, sich zu beruhigen; denn es werde ihm nie das mindeste Böse gegen sie in Sinn kommen, und er wolle tausendmal lieber sterben, als ihr zum geringsten Mißtrauen Anlaß geben. – »Ja,« sagte sie, »ich muß Grund zum Mißtrauen gegen Dich hegen. Bist Du nicht ein Mann? und ich kann wohl ohne Eitelkeit Anspruch auf einige Reize machen. Vielleicht fürchtest Du aber, daß ich Dich vor Gericht belangen möchte; ja ich vermuthe, Du fürchtest es; und doch kann ich wohl sagen, daß ich nie die Dreistigkeit haben würde, vor Gericht zu erscheinen; und Du weißt, Joey, ich bin sehr nachsichtig. Sage mir, Joey, glaubst Du nicht, ich würde Dir verzeihen?« – »Gewiß, gnädige Frau,« versetzte Joseph, »ich werde nie etwas thun, das Ihnen unangenehm sein könnte.« – »Wie,« sprach sie, »glaubst Du denn, es würde mir nicht unangenehm sein? Glaubst Du, daß Du mir damit einen Gefallen thätest?« – »Ich verstehe Sie nicht, gnädige Frau,« sagte Joseph. – »Wirklich?« rief sie, »dann bist Du entweder ein Einfaltspinsel, oder stellst Dich nur so; ich finde, daß ich mich in Dir sehr geirrt habe. Marsch fort, und komm mir nie wieder vor die Augen; mir machst Du mit Deiner affektirten Unschuld nichts weiß.« – »Gnädige Frau,« sagte Joseph, »ich möchte nicht, daß Sie das mindeste Böse von mir dächten. Ich habe mich jederzeit bemüht, Ihnen und meinem Herrn getreulich zu dienen.« – »O Du Ungeheuer!« schrie die Dame, »wie unterstehst Du Dich, den Namen des lieben braven Mannes zu erwähnen? Willst Du mich quälen und martern, indem Du sein theures Angedenken mir zurückrufst? (und sie brach in eine Thränenfluth aus) – fort, mir aus dem Gesicht! – Ich will nichts mehr von Dir wissen!« Mit diesen Worten wendete sie sich von ihm ab, und Joseph schlich trostlos aus dem Zimmer, und schrieb den Brief, den der Leser in dem folgenden Kapitel finden wird.


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