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Neuntes Kapitel.

Was zwischen der Lady und Mistreß Slipslop vorging, wobei, wie wir vorher sagen, verschiedene Züge angebracht sind, die nicht jeder beim ersten Lesen richtig auffassen wird.


»Slipslop,« begann die Lady, »ich finde nur zu viel Ursache, Alles zu glauben, was Du mir von diesem leichtsinnigen Burschen berichtet hast, und bin entschlossen, ihn sogleich fortzuschicken. Gehe also zum Haushofmeister, und sage ihm, er möchte Joseph seinen Lohn auszahlen.«

Die Slipslop, die bisher mehr aus Nothwendigkeit, als aus freier Wahl sich in ehrerbietiger Entfernung von ihrer Gebieterin gehalten hatte, und jetzt durch die Kunde dieses Geheimnisses alle Schranken zwischen ihnen niedergerissen glaubte, antwortete ziemlich schnippisch: sie wünsche, daß die gnädige Frau selbst wisse, was sie wolle; und sie möchte wohl wetten, noch ehe sie die Treppe halb hinunter sei, würde sie wieder zurückgerufen werden.

Die Lady erwiederte, sie hätte ihren Entschluß gefaßt, und werde dabei beharren.

»Das thut mir leid,« rief die Slipslop, »und wenn ich gewußt hätte, daß Sie den armen jungen Menschen so strenge bestrafen würden, so hätten Sie nie ein Wörtchen über die Sache von mir gehört. Das nenne ich wirklich viel Lärmen um nichts.«

»Um nichts?« entgegnete die Lady, »glaubst Du, ich werde liederliche Streiche in meinem Hause dulden?«

»Wenn Sie jeden Bedienten fortjagen wollen.« sagte die Slipslop, »der den Mädchen nachläuft, so können Sie sich nur selbst den Kutschenschlag aufmachen, oder sich einen Trupp Maphroditen zur Bedienung anschaffen; doch was mich betrifft; so waren diese Geschöpfe mir schon zuwider, als ich sie in der Oper singen hörte.«

»Thu' was ich befehle,« sagte die Lady, »und beleidige meine Ohren nicht durch so unanständige Redensarten.«

»Ei, sieh doch!« rief die Slipslop, »die Ohren sind bisweilen der empfindlichste Theil am Menschen.«

Die Lady, welche der ungewöhnliche Ton, den ihr Kammermädchen sich gegen sie anmaßte, anfangs nicht wenig befremdete, die aber beim Schlusse ihrer Rede etwas von der Wahrheit ahnete, rief Jene zurück, und verlangte zu wissen, was der außerordentliche Grad von Frechheit bedeuten solle, womit sie sich auszusprechen beliebt habe.

»Frechheit!« wiederholte die Slipslop, »ich weiß nicht was Sie Frechheit nennen mögen; Dienstboten haben eben so gut Zungen, als ihr Herrschaften.«

»Ja, und unverschämte dazu,« antwortete die Lady, »aber ich versichere Dich, daß ich solche Impertinenz nicht länger dulden will.«

»Impertinenz! Ich wüßte nicht, daß ich impertinent wäre,« entgegnete die Slipslop.

»Ja wohl bist Du das,« rief die Lady, »und wenn Dein Benehmen sich nicht ändert, so taugst Du nicht in meinem Dienst.«

»Benehmen!« schrie die Slipslop; »es wurde mir noch nie ungebührliches Benehmen zum Vorwurf gemacht, so wenig als Mangel an Bescheidenheit; Dienste giebt es übrigens mehr als einen, und ich weiß was ich weiß!«

»Was wissen Sie, Mademoiselle?« fragte die Lady.

»Das brauche ich nicht Jedem zu sagen,« versetzte die Slipslop, »eben so wenig, als ich's vor Jedem geheim zu halten verpflichtet bin.«

»Du kannst Dich nach einer andern Stelle umsehen,« antwortete die Lady.

»Mit vielem Vergnügen,« rief die Kammerjungfer, und eilte wüthend hinaus, indem sie die Thür heftig hinter sich zuschlug.

Die Lady merkte nur zu wohl, daß die Zofe mehr wisse, als ihr lieb sein konnte, und da sie diesen Umstand Josephs Ausplaudern nach dem ersten Gespräch mit ihm zuschrieb, so wurde ihr Zorn gegen ihn noch mehr angefacht, und sie in dem Entschlusse bestärkt, ihn fortzuschicken. Ob sie aber auch die Slipslop entlassen solle, das war ein Punkt, über den sie sich nicht so leicht entscheiden konnte. Die Lady war sehr auf ihren guten Ruf bedacht, da sie wohl wußte, daß dessen Verlust auf so viele von den schätzbarsten Lebensgenüssen nachtheilig einwirken könne; daß er zum Beispiel die Ausschließung von Whistpartien, von dem Auftreten an öffentlichen Vergnügungsorten, vor Allem aber von dem Vergnügen, den Ruf Anderer zu vernichten, welche unschuldige Unterhaltung ihr ausnehmende Freude gewährte, zur Folge haben dürfte. Sie beschloß daher, lieber die Beleidigungen eines Dienstboten zu ertragen, als sich dem Verlust so vieler schätzbaren Vorrechte auszusetzen.

Sie ließ ihren Haushofmeister, Herrn Peter Pounce rufen, und befahl ihm, Joseph seinen Lohn auszuzahlen, ihm seine Livree abzunehmen, und ihn noch denselben Abend aus dem Hause zu verweisen. Darauf ließ sie die Slipslop kommen; und nachdem sie sich durch einen kleinen Trank gestärkt, den sie immer zur Hand hatte, begann sie, wie folgt:

»Slipslop, wie konntest Du, da Du doch meine Hitze kennst, mich durch Deine Antworten so aufreizen? – Ich bin überzeugt, daß Du es treu und ehrlich mit mir meinst, und möchte mich nicht gerne von Dir trennen. Auch glaube ich, bei vielen Gelegenheiten mich nachsichtsvoll gegen Dich gezeigt zu haben, so daß Du Deinerseits eben so wenig Ursache hast, eine Veränderung zu wünschen. Jedenfalls muß es mich daher befremden, daß Du den sichersten Weg erwählt hast, mich zu beleidigen – nämlich, meine Worte zu wiederholen, was mir von jeher, wie Du weißt, unausstehlich gewesen ist.«

Die kluge Zofe hatte bereits Alles reiflich in Erwägung gezogen, und war zu dem Ergebniß gelangt, daß eine gute Stelle, die man schon hat, besser ist, als eine andere, auf die man noch hofft. Da sie nun ihre Gebieterin zur Nachgiebigkeit geneigt sah, hielt sie es für rathsam, auch ihrerseits den Ton ein wenig herabzustimmen, welches Entgegenkommen schnell Anklang fand; und so wurde denn der Friede geschlossen, Alles vergessen und vergeben, und als Bürgschaft für die fernere Gunst ihrer Gebieterin erhielt sie von derselben ein Kleid und einen Unterrock zum Geschenk.

Ein- oder zweimal versuchte sie noch ein gutes Wort für Joseph einzulegen, fand aber der Lady Herz so verhärtet, daß sie klüglich diese Bemühung aufgab. Sie bedachte, daß noch mehr Lakeien im Hause seien, und einige eben so kräftige Burschen, wenn auch nicht ganz so schön, wie Joseph; überdem hat der Leser bereits gesehen, daß ihr zärtliches Entgegenkommen nicht die Aufmunterung von Seiten des jungen Mannes gefunden, welche sie geglaubt hatte, erwarten zu können. Sie sah jetzt wohl ein, daß sie viel Confekt und andere Leckerbissen an einen Undankbaren verschwendet habe, und da sie sich ein wenig zu der Meinung jener weiblichen Sekte neigte, die des Dafürhaltens ist, daß ein munterer junger Bursche fast eben so gut ist als ein anderer, so gab sie endlich Joseph und seine Sache auf, entfernte sich mit einem ungemein empfehlenswerthen Triumph über ihre Leidenschaft mit ihrem Geschenke, und erfrischte sich mit großer Gemüthsruhe aus einer wohlgefüllten Flasche, was einem philosophischen Temperament von höchstem Nutzen ist.

Sie ließ ihre Gebieterin nicht eben so ruhig zurück. Die arme Lady konnte nicht ohne Besorgniß daran denken, daß ihr kostbarer guter Ruf in der Gewalt ihrer Dienstboten sei. Was Joseph betraf, so konnte sie sich nur mit der Hoffnung trösten, daß er sie nicht ganz verstanden habe; wenigstens konnte sie behaupten, sie habe sich in nichts deutlich ausgesprochen, und das Schweigen der Slipslop glaubte sie durch Geschenke sich sichern zu können.

Am meisten kränkte es sie jedoch, daß sie wirklich ihre Leidenschaft noch immer nicht vollkommen besiegt hatte; der kleine Gott lauerte fortwährend in ihrem Herzen, obgleich Zorn und Verachtung sie so sehr verblendeten, daß sie sich seiner Gegenwart kaum bewußt wurde. Tausendmal stand sie in Begriff, das gegen den armen Jüngling gesprochene Urtheil zu widerrufen. Die Liebe ward sein Fürsprecher, und flüsterte Vieles zu seinen Gunsten; auch das Ehrgefühl suchte ihn von jedem Vergehen freizusprechen, und das Mitleiden seine Strafe zu mildern. Andererseits erhoben Stolz und Rache eben so laut ihre Stimmen gegen ihn, und so wurde die arme Lady von entgegengesetzten Leidenschaften gewaltsam hin- und hergerissen.

So habe ich vor dem Gerichtshofe von Westmünster, wo Anwalt Bramble der einen Partei, und Anwalt Puzzle der andern diente, die Wage der Meinung bald die, bald jene Schale senken sehen (so gleichmäßig wurden beide Anwälte bezahlt). Jetzt bringt Bramble einen Beweis vor, und hoch hinauf schnellt die Schale des Puzzle; jetzt theilt jene Bramble's dasselbe Geschick, überboten durch das Gewicht von Puzzle. Hier trifft's Bramble, dort erhascht es Puzzle; hier gewinnt Euch der, dort überzeugt Euch jener, bis endlich die geplagten Zuhörer ganz verwirrt werden; sie gehen gleiche Wetten auf den Erfolg ein, weder Richter noch Jury können aus dem Ding mehr klug werden; Alles ist durch die scharfsinnigen Anwälte in Nacht und Nebel gehüllt worden.

Eben so wird das Gewissen von dem Ehrgefühl und der Tugend nach der einen, von den Leidenschaften und der Nothwendigkeit nach der andern Seite gezogen. – Hätten wir nur den Zweck, Gleichnisse aufzufinden, so könnten wir mit noch vielen andern in dieser Beziehung aufwarten, doch ein Gleichniß (so gut wie ein Wort) genügt für den Weisen. – Wir wollen daher zu unserm Helden zurückkehren, um den ohne Zweifel der Leser etwas besorgt ist.


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