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Zwölftes Kapitel.

Erstaunenswürdige Abenteuer, die Joseph Andrews unterwegs begegnen, Jedem, der nie in einer Landkutsche reiste, kaum glaubhaft.


Auf der Straße begab sich nichts Bemerkenswerthes, bis sie in dem Wirthshause anlangten, wohin die Pferde bestellt waren, und wo sie ungefähr um zwei Uhr in der Nacht eintrafen. Da der Mond jetzt sehr hell schien, so setzte Joseph, nachdem er seinem Kameraden einen Schoppen Wein zum Besten gegeben, und seinen besten Dank für die Benutzung des Pferdes abgestattet, trotz aller Aufforderungen, ihn noch weiter zu begleiten, seine Reise zu Fuß fort.

Kaum war er, von der Hoffnung beseelt, jetzt bald seine geliebte Fanny zu sehen, ein Stündchen gegangen, als in einem Hohlwege ein paar Räuber auf ihn zusprangen und ihm sein Geld abforderten. Er gab ihnen Alles, was er hatte, etwas weniger als zwei Pfund Sterling und sagte, er hoffe zu ihrer Großmuth, sie würden ihm einige Schillinge zurückgeben, damit er wenigstens unterwegs seine Zeche bezahlen könne.

Der eine von den Räubern antwortete mit einem Fluche: »Ja ja, Du sollst gleich etwas haben, aber erst ausgezogen, oder Dich soll –« »Ausgezogen,« rief der Andere, »wenn Du nicht eine Kugel durch den Kopf haben willst.« Joseph, der sich erinnerte, daß er seinen Anzug von einem Kameraden geborgt hatte und zugleich fühlte, wie er sich schämen würde, statt der Rückgabe eine Entschuldigung vorzubringen, erwiederte, er hoffe, sie würden nicht darauf bestehen, daß er seine Kleider ausziehe, da sie nicht viel werth seien, und sie möchten doch die Kälte der Nacht berücksichtigen. – »So, findest Du es kalt, Du Schuft?« sagte der eine von den Räubern; »wart', ich will Dir schon einheizen!« – und dabei drückte er mit einem Fluch ein Pistol auf Josephs Kopf ab; zugleich holte auch der andere mit seinem Knittel nach ihm aus, doch unser Held, der in dieser Art Kampf kein Neuling mehr war, fing den Hieb mit seinem Reisestock auf, und traf seinen Gegner so glücklich, daß er ihn zu Boden streckte, in demselben Augenblicke aber erhielt er von dem anderen Bösewicht mit dem umgekehrten Pistol von hinten einen solchen Schlag, daß er, alles Bewußtseins beraubt, darnieder sank.

Der zu Boden gestürzte Räuber war jetzt auch wieder aufgesprungen, und beide fielen mit ihren Knitteln über Joseph her, bis endlich, da sie glaubten, seinem elenden Leben ein Ende gemacht zu haben, sie ihn nackt auszogen, in einen Graben warfen und sich mit ihrer Beute davon machten.

Der Unglückliche, der lange unbeweglich gelegen hatte, fing eben an wieder zur Besinnung zu kommen, als eine Landkutsche herbeikam. Als der Postknecht auf den Vorderpferden ein Stöhnen hörte, hielt er seine Pferde an und sagte dem Kutscher, es müsse in dem Graben ein todter Mann liegen, denn er höre ihn winseln. »Fort! fort!« rief der Kutscher, »es ist schon spät geworden, und wir haben keine Zeit mehr, uns nach Todten umzusehen.« – Eine Dame im Wagen, welche die Worte des Postknechts und zugleich das Stöhnen vernommen hatte, bat sehr lebhaft, der Kutscher möge anhalten, worauf dieser den Postknecht vom Pferde springen ließ und ihm befahl, in dem Graben nachzusehen. Er that es, und kehrte mit der Meldung zurück: Da unten sitze ein Mann so nackt, wie er aus Mutterleibe gekommen. – »O Himmel!« rief die Dame; »ein nackter Mann? Fahrt zu, Kutscher, und laßt ihn liegen.« – Jetzt stiegen die Herren aus dem Wagen, und Joseph flehte sie um Erbarmen an, da er beraubt und halb todtgeschlagen sei. – »Beraubt?« – schrie ein alter Herr, – »dann schnell fort, damit es uns nicht eben so geht!« – Ein junger Rechtsgelehrter bemerkte, er wünsche, daß sie vorbeigefahren wären, ohne von der Sache Notiz genommen zu haben; jetzt aber könne ihnen bewiesen werden, sie seien zuletzt um den Unglücklichen gewesen; und wenn er sterben sollte, dürften sie zur Rechenschaft gezogen werden; er halte es daher für rathsam, um ihrer selbst willen dem armen Menschen wo möglich das Leben zu retten, wenigstens den Vorwurf der Jury zu vermeiden, als ob sie es vernachlässigt hätten. Er schlug vor, den Mann in den Wagen und mit nach dem nächsten Wirthshause zu nehmen. Die spröde Dame dagegen betheuerte, man dürfe ihn nicht in die Kutsche bringen, geschähe es, so müsse sie selbst aussteigen, denn sie wolle lieber in alle Ewigkeit auf der Stelle weilen, als mit einer nackten Mannsperson fahren. Der Kutscher bemerkte, er könne nicht zugeben, daß der Mensch in den Wagen genommen würde, wofern nicht Jemand für ihn die noch zu fahrende Meile mit einem Schilling bezahlen wolle. Die beiden Herren weigerten sich dessen, doch der Rechtsgelehrte, welcher für sich selbst eine Unannehmlichkeit befürchtete, wenn man den Unglücklichen in dieser Lage ließe, sagte, in solchen Angelegenheiten könne Niemand zu vorsichtig sein, und er erinnere sich, von einigen sehr merkwürdigen Rechtsfällen dieser Art gelesen zu haben. Er bedrohte den Kutscher, und stellte Alles dessen Verantwortung anheim; denn wenn der Mensch stürbe, so würde er als der Mörder in Anspruch genommen werden; bliebe er aber am Leben, und träte mit einer Klage gegen ihn auf, so wolle er selbst ihm gern als Advokat seinen Beistand leihen. Diese Worte verfehlten ihren Eindruck auf den Kutscher nicht, der seinen Mann schon kannte; und da der oben erwähnte alte Herr die Hoffnung nährte, der nackte Mensch werde ihm häufige Gelegenheiten darbieten, seinen Witz vor der Dame leuchten zu lassen, so erbot er sich, eine Kanne Bier für seinen Antheil zum Besten zu geben, bis endlich die Drohungen des Einen, die Verheißungen des Andern, vielleicht sogar einiges Mitleid mit der Lage des Unglücklichen, welcher blutend und vor Frost bebend dastand, den Kutscher vermochten, einzuwilligen, und Joseph näherte sich jetzt dem Wagen; doch als er die Dame sah, welche die Stäbe ihres Führers vor die Augen hielt, weigerte er sich schlechterdings, trotz seiner elenden Lage, einzusteigen, wofern man ihn nicht mit einer genügenden Hülle versähe, wie der Anstand sie erheische; so durchaus sittsam war dieser junge Mann; einen so mächtigen Einfluß hatten auf ihn das makellose Beispiel der liebenswürdigen Pamele und die vortrefflichen Predigten des Herrn Adams gehabt.

Obgleich es im Wagen nicht an Mänteln fehlte, so war doch die Einwendung, die Joseph vorbrachte, nicht so leicht zu heben. Die beiden Herren klagten über Frost und behaupteten, sie könnten keinen Fetzen entbehren, wobei der Witzbold noch lachend hinzufügte: Jeder sei sich selbst der Nächste; der Kutscher, der auf zwei Mänteln saß, weigerte sich, einen davon zu leihen, weil Blut daran kommen könnte; der Bediente der Dame entschuldigte sich aus demselben Grunde, ohne von seiner Gebieterin, trotz ihres Abscheues gegen einen nackten Menschen, deshalb getadelt zu werden; und es ist mehr als wahrscheinlich, daß Joseph, welcher hartnäckig bei seiner sittsamen Erklärung beharrte, umgekommen sein würde, hätte nicht der Postknecht (ein Bursche, der seitdem wegen des Einbruchs in ein Hühnerhaus über See transportirt worden ist) freiwillig einen Mantel, seine einzige Bekleidung, ausgezogen, indem er zugleich mit einem hohen Schwur (weshalb die Passagiere ihn tüchtig zurechtwiesen) betheuerte, er wolle lieber sein Leben lang im bloßem Hemde reiten, als ein Mitgeschöpf in einer so elenden Lage zurücklassen. Nachdem Joseph sich in den Mantel eingehüllt hatte, wurde er in den Wagen gehoben, der nun weiter fuhr; er klagte, daß er fast halbtodt vor Frost sei, welches dem Witzbold Anlaß gab, die Dame zu fragen, ob sie ihm nicht mit einem Schlückchen Branntwein aushelfen könne, worauf sie mit großem Unwillen erwiederte, eine solche Zumuthung müsse sie sehr befremden sie sei nicht gewohnt, derartige Getränke bei sich zu führen. Der Rechtsgelehrte erkundigte sich eben noch nach den näheren Umständen der Beraubung, als die Kutsche angehalten ward, und einer jener Räuber mit hineingehaltenem Pistol von den Passagieren ihr Geld verlangte, was sie ihm auch gleich hinreichten. Die Dame lieferte in ihrer Angst zugleich ein silbernes Fläschchen aus, das ungefähr eine halbe Pinte halten mochte, und welches der Räuber an den Mund setzte, indem er, ihre Gesundheit trinkend, erklärte: er habe noch in seinem Leben nicht so guten Wachholderschnapps getrunken. Später versicherte die Dame der Gesellschaft, ihre Magd müsse einen Irrthum begangen haben, denn sie habe ihr befohlen, das Fläschchen mit ungarischem Wasser zu füllen.

Sobald die Räuber sich entfernt hatten, sagte der Rechtsgelehrte, der ein Paar Pistolen im Kutschkasten hatte: »Wäre es Tag gewesen, und hätte ich zu meinen Waffen kommen können, so sollte es den Burschen schlimm ergangen sein;« – ferner erzählte er, auf seinen Ritten sei er oft mit Straßenräubern zusammengestoßen, ohne daß sich je einer an ihn gewagt habe, und versicherte zum Schlusse, wäre er nicht für die Dame mehr besorgt gewesen, als für sich selbst, so hätte er sein Geld gewiß nicht so leicht hingegeben.

Da nach einer allgemeinen Bemerkung der Witz sich gern in leeren Taschen einquartiert, so begann der Herr, den wir bereits als einen Witzbold kennen lernten, sobald er sein Geld los war, ungemein spaßhaft zu werden. Er machte häufige Anspielungen, auf Adam und Eva, und sagte viel Vortreffliches über Feigen und Feigenblätter, was Joseph vielleicht mehr verdroß, als sonst Jemanden in der Gesellschaft.

Auch der Rechtsgelehrte erlaubte sich einige hübsche Scherze, ohne jedoch dabei seinem Beruf untreu zu werden. Er sagte, wenn Joseph mit der Dame allein wäre, so würde er ihr eine um so reichere Morgengabe sichern können, da keine Hypothek auf seinem Grund und Boden laste; und obgleich derselbe ganz und ausschließend Mannlehen sei, so dürfe er doch auf Lebenszeit einem Weibe zur Nutznießung übergeben werden, indem dies der einzige Weg sein dürfte, ihn seinen Nachkommen zu erhalten. Mit diesem und ähnlichem Kauderwelsch unterhielt er die Gesellschaft, bis die Kutsche vor einem Wirthshause hielt, in welchem nur eine Magd auf und bereit war, den Kutscher mit kalter Küche und Branntwein zu laben. Joseph bat, ihm ein Bette zu bereiten, was die Magd ihm auch willig zusagte, und da sie ein gutmüthiges Geschöpf und nicht so spröde war, als die reisende Dame, so bat sie Joseph, nachdem sie einen tüchtigen Holzkloben in das Kamin gelegt und unserm nackten Helden den Ueberrock eines der Hausknechte umgeworfen hatte, sich niederzusetzen und, während sie sein Bett mache, zu wärmen. Der Kutscher rief einen Chirurgus aus dem Schlaf, der nur wenige Häuser weit wohnte, worauf er seine Passagiere erinnerte, daß es schon sehr spät sei, und nachdem sie von Joseph Abschied genommen, fuhren sie so schnell als möglich von dannen.

Die Magd brachte Joseph bald zu Bette, und versprach, sich Mühe zu geben, ihm ein Hemde zu verschaffen; da sie aber, wie sie nochmals sagte, ihn wegen seines blutigen Ansehens dem Tode nahe hielt, lief sie schnell nach dem Chirurgus, der schon mehr als halb angekleidet war, indem er glaubte, die Landkutsche sei umgeworfen, und ein Herr oder eine Dame verletzt worden. Als ihm aber jetzt das Mädchen durch das Fenster zurief, der Patient sei ein armer, aller seiner Habseligkeiten beraubter, fast ermordeter Fußgänger, so fuhr er sie an, weshalb sie ihn so früh störe, zog seine Kleider wieder aus und legte sich in aller Ruhe zu Bett, um seinen Schlaf fortzusetzen.

Aurora begann jetzt, ihre blühenden Wangen über den Hügeln zu zeigen, während Millionen gefiederter Sänger in frohen Chören Oden wiederholten, die tausendmal lieblicher waren, wie die unseres gekrönten Hofpoeten, als der Besitzer des Wirthshauses, Herr Towwouse, aufstand, und nachdem er von seiner Magd einen Bericht der Plünderung und der traurigen Lage seines armen nackten Gastes vernommen, mit Kopfschütteln und dem Ausruf: »Daß es Gott erbarme!« dem Mädchen befahl, jenem eins seiner eigenen Hemden hinunterzubringen.

Mistreß Towwouse war eben erwacht, und hatte vergebens ihre Arme ausgestreckt, um ihren schon aufgestandenen Gatten zu umfassen, als das Mädchen in das Zimmer trat. – »Wer ist da? bist Du es, Betty?« – »Ja, Madame!« – »Wo ist mein Mann?« – »Draußen, Madame; ich soll eins seiner Hemden für einen armen nackten Menschen holen, der beraubt und beinahe ermordet worden ist.« – »Unterstehe Dich und rühr' eins an, Du Schlampe,« rief Mistreß Towwouse. »Das wäre mir wieder so was von meinem Manne, nackte Landstreicher aufzunehmen und sie mit seinen eigenen Sachen zu bekleiden. – Das muß ich mir verbitten! Wenn Du etwas anrührst, so werfe ich Dir den Nachttopf an den Kopf. Geh', und schicke mir meinen Mann her.« – »Ja, Madame!« erwiederte Betty.

Sobald der Wirth eintrat, begann seine Frau also: »Was zum Henker soll das heißen, Herr Towwouse? – Soll ich Hemden anschaffen, um schäbige Taugenichtse damit zu bekleiden?« – »Liebe Frau,« sagte Jener, »es ist ein armer unglücklicher Mensch.« – »Ja«, entgegnete sie, »das weiß ich, aber was haben wir mit armen Teufeln zu thun? – Die Armen-Vorsteher nehmen uns ohnedem schon genug für das Bettelvolk ab; auch werden wir bald ein dreißig oder vierzig arme Teufel in rothen Uniformen hier haben.« – »Mein Schatz,« sagte Towwouse, »die Räuber haben dem Menschen alles, was er hatte, abgenommen.« – »Nun eben,« erwiederte sie, »wo hat er denn Geld, seine Rechnung zu bezahlen? Weshalb geht solch' ein Bursche nicht nach einem wohlfeilen Bierhause? – Aber wart', ich will ihm schon den Weg zeigen, sobald ich aufgestanden bin.« – »Liebes Kind,« sagte der Mann, »das läßt schon die gemeinste Christenliebe nicht zu.« – »Christenliebe! Ei sieh doch!« erwiederte sie, »die Christenliebe weiset uns an, für uns selbst und unsere Familien zu sorgen, und ich und die Meinigen könnten noch durch Deine Christenliebe an den Bettelstab gebracht werden.« – »Nun, mein Schatz,« sagte er, »handle wie Du willst, wenn Du auf bist; Du weißt, ich widerspreche Dir nie.« – »Nein,« schrie sie, »und wenn der Teufel selbst mir widerspräche, so wollte ich's ihm bald in meinem Hause zu heiß machen.«

Unter solchen Gesprächen brachten sie fast eine halbe Stunde zu, während Betty von dem Stallknecht, einem ihrer Liebsten, ein Hemde geliehen und es dem armen Joseph gebracht hatte. Auch der Chirurgus war endlich erschienen, hatte die Wunden ausgewaschen und verbunden, und berichtete dem Herrn Towwouse, sein Gast sei in so dringender Lebensgefahr, daß er kaum Hoffnung zu seiner Wiederherstellung geben könne. – »Das ist mir eine schöne Geschichte, die Du uns da eingebrockt hast,« rief Mistreß Towwouse. »Nun können wir ihn noch auf unsere Kosten begraben lassen.« – Der Wirth (der trotz seiner Christenliebe so gern, als je Einer bei einer Parlementswahl seine Stimme dahin gegeben hätte, daß irgend ein anderes Haus im Königreich seinen Gast im Frieden beherbergen möge) antwortete: »Mein Schatz, es ist nicht meine Schuld; er kam mit der Landkutsche hier an; und Betty hatte ihn schon zu Bett gebracht, ehe ich aufgestanden war.« – »Ich will Sie bebetten,« rief die Wirthin, und die eine Hälfte ihrer Kleider am Leibe, die andere unter dem Arm, sprang sie auf, um das arme Mädchen zu suchen, während Towwouse und der Chirurgus sich zu Joseph begaben, und sich nach den nähern Umständen seines Unfalls erkundigten.


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