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Drittes Kapitel.

Von Herrn Abraham Adams, dem Pfarrer, Mistreß Slipslop, dem Kammermädchen, und Andern.


Herr Abraham Adams war ein sehr gelehrter Mann. Außer dem Griechischen und Lateinischen, welche Sprachen er vollkommen verstand, hatte er auch schöne Kenntnisse in den orientalischen Sprachen, und konnte französisch, italienisch und spanisch lesen und übersetzen. Er hatte viele Jahre den ernstesten Studien gewidmet, und einen Schatz von Kenntnissen gesammelt, wie man ihn nur selten bei einem Universitätslehrer finden mag. Ueberdem besaß er einen gesunden Verstand, keine geringen Talente, und ein edelgesinntes Herz; wußte aber dabei so wenig von dem Weltlauf, als ein neugeborenes Kind. Da er nie die geringste Absicht zu irgend einem Betrug oder einer Täuschung hegte, so konnte er diese Laster auch nie bei andern argwöhnen. Im höchsten Grade edelmüthig, menschenfreundlich und bieder, war er ohne Falsch, und gleich dem oben erwähnten Herrn Colley Cibber konnte er sich kaum vorstellen, daß es Leidenschaften, wie Neid und Bosheit in der Menschen Brust gebe; nur dürfte dieses freilich an einem Landpfarrer weniger befremden, als an einem Herrn, welcher sein Leben hinter den Coulissen zubrachte, – ein Ort, den man selten für die Schule der Unschuld gehalten hat, und wo einige Beobachtungsgabe jenen großen Schriftsteller leicht hätte überzeugen können, daß diese Leidenschaften dem menschlichen Gemüth wirklich nicht ganz fremd sind. Die Tugenden und Eigenschaften des würdigen Adams machten ihn nicht allein fähig zu seinem Beruf, sondern auch zu einem angenehmen und schätzbaren Gesellschafter, und hatten ihn in der That einem Bischof so sehr empfohlen, daß er im Alter von 50 Jahren eine hübsche Stelle von 53 Pfund jährlich erhielt, womit er jedoch keine große Rolle spielen konnte, weil er in einer theuren Gegend lebte, und eine Frau mit sechs Kindern zu ernähren hatte.

Dieser Herr war es nun, welcher, nachdem er, wie ich bemerkte, die ungewöhnliche Andacht des jungen Andrews beobachtet, Mittel gefunden hatte, mehrere Fragen an ihn zu richten; zum Beispiel: wie viel Bücher im neuen Testament seien? – wie sie hießen? – wie viel Kapitel jedes enthalte? und dergleichen; worauf Herr Adams, wie er im Vertrauen erklärte, richtigere Antworten erhielt, als Sir Thomas oder zwei andere benachbarte Friedensrichter wahrscheinlich hätten geben können.

Herr Adams war sehr begierig zu erfahren, wann und wie der Jüngling zu diesen Kenntnissen gekommen sei; Joey sagte ihm, er habe schon sehr früh durch die Güte seines Vaters Lesen und Schreiben gelernt, welcher, obgleich er nicht Einfluß genug gehabt, ihm in einer Freischule eine Stelle zu verschaffen, weil einer seiner Vettern, ein Grundbesitzer in einem benachbarten Städtchen, bei der Wahl gegen den nachherigen Kirchenvorsteher gestimmt, doch habe sich sein Vater wöchentlich sechs Pence abgespart, und sie für seinen Unterricht bestimmt. Er erzählte ihm ferner, seitdem er in Sir Thomas Diensten stehe, habe er alle seine Freistunden auf das Lesen guter Bücher verwendet; er habe so die Bibel, die ganze »Pflicht des Menschen,« und »Thomas a Kempis« kennen gelernt; und so oft es unbemerkt geschehen könne, in einem großen Buch studirt, das in einem Fenster der Halle liege, worin er gelesen »wie der Teufel während der Predigt die halbe Kirche geholt, ohne Einem von der Gemeine Schaden zu thun,« ferner: »wie ein Teufel mit allen darauf stehenden Bäumen einen Hügel hinabgelaufen sei, und des Nachbars Wiese bedeckt habe.« Aus dieser Beschreibung entnahm Herr Adams zur Genüge, daß das fragliche Buch kein anderes als »Bakers Chronik« sein könne.

Der Pfarrer, erstaunt, so viel Fleiß und Lust zum Lernen bei einem jungen Menschen zu finden, der nie die geringste Aufmunterung erhalten hatte, fragte ihn, ob er den Mangel einer bessern Erziehung nicht sehr bedaure, und nicht wünsche, von Eltern abzustammen, die seine Anlagen und seine Wißbegierde besser hätten unterstützen können? Worauf jener erwiederte, er hoffe, aus den gelesenen Büchern etwas Besseres gelernt zu haben, als Mißvergnügen mit seiner Geburt und Lage; er seines Theils sei mit dem Stande, wozu er berufen worden, vollkommen zufrieden, und werde sich zwar bemühen, seine Anlagen auszubilden, denn das sei seine Pflicht; aber sich weder über sein eigenes Loos grämen, noch das von begünstigteren Leuten beneiden. – »Wohlgesprochen, mein Sohn,« erwiederte der Pfarrer, »und ich wünschte, Manche, die viel bessere Bücher lesen, ja Manche, die selbst gute Bücher geschrieben haben, möchten eben so viel Vortheil daraus entnehmen.« –

Adams hatte zu Sir Thomas oder dessen Gemahlin keinen andern Zutritt, als durch Vermittelung des Kammermädchens; denn Sir Thomas pflegte die Menschen nur nach ihrem Anzug oder Vermögen zu schätzen, und Milady war eine Weltdame, die des Glücks einer städtischen Erziehung sich erfreut hatte, und ihre Nachbarn auf dem Lande nur insgemein »das einfältige Volk« nannte. Beide betrachteten Herrn Adams nur als eine Art Bedienten des Pfarrers, dessen Pfründe er versah, welcher zu jener Zeit mit der Gutsherrschaft in Zwist lebte; denn er stand seit vielen Jahren fortwährend auf dem Fuß des bürgerlichen Krieges, oder was vielleicht eben so schlimm ist, des bürgerlichen Rechtes, mit Sir Thomas und dessen Pächtern. Der Grund dieses Prozesses war ein Anspruch, durch dessen Verweigerung der Pfarrer allerdings jährlich einige Schillinge verlieren mochte; es war ihm aber noch nicht gelungen, seinen Zweck zu erreichen, und er hatte bisher nichts gewonnen, als das Vergnügen (welches er selbst häufig hoch anzuschlagen pflegte) mehrere von den armen Pächtern gänzlich zu Grunde gerichtet zu haben, obgleich er selbst dabei nicht wenig Opfer hatte bringen müssen.

Mistreß Slipslop, das Kammermädchen, bezeigte dem guten Adams noch einige Achtung, indem sie die Tochter eines Vikars war; sie gab sich für eine Verehrerin seiner Gelehrsamkeit aus, und ließ sich häufig über theologische Fragen mit ihm in Streit ein, wobei sie jedoch immer auf der Anerkennung ihrer Verstandesvorzüge bestand, da sie häufig in London gewesen sei, und folglich mehr Weltkenntniß haben müsse, als ein Dorfgeistlicher füglich darauf Anspruch machen könne.

In diesen Disputationen hatte sie den besondern Vortheil über Adams, daß sie nach Kunstwörtern haschte, deren sie sich auf solche Weise bediente, daß Jener, der sie durch Zurechtweisungen zu beleidigen fürchtete, sie oft durchaus nicht verstand, und durch ein arabisches Manuscript viel weniger in Verlegenheit gesetzt worden sein dürfte.

Adams nahm daher eines Tages Gelegenheit, nach einem langen Gespräch mit ihr über die Essenz (oder wie sie es zu nennen beliebte, die Decenz) der Materie, die Rede auf den jungen Andrews zu lenken, und bat sie, ihn ihrer Gebieterin als einen wißbegierigen jungen Menschen, dessen Unterricht im Latein er selbst übernehmen wolle, zu empfehlen; wodurch derselbe zu einer höhern Stellung, als den eines Lakeien, befähigt werden könne. Er fügte hinzu, sie wisse, daß es in ihres Herrn Macht stehe, ihn leicht besser zu versorgen; er wünsche daher, den Jüngling, während die Herrschaft in der Stadt sei, unter seiner Aufsicht zu behalten. »Wie, Herr Adams,« sagte Mistreß Slipslop, »glauben Sie, daß meine gnädige Frau sich über eine solche Angelegenheit viel wird dissoniren lassen? Sie geht nun einmal resolut nach London, und wird bestimmt nicht sich dissolviren können, den Joey zurückzulassen; denn er ist einer der artigsten jungen Bursche, die man nur an einem Sommertage sehen kann; und ich weiß gewiß, sie trennte sich eben so gern von ihren Grauschimmeln, denn sie hat die einen so lieb, wie den andern.« Adams wollte sie unterbrechen, aber sie fuhr fort: »Und weßhalb sollte das Lateinische einem Bedienten konvenabler sein als einem vornehmen Herrn? Für Euch Geistliche ist es allerdings unentbehrlich, weil Ihr sonst nicht predigen könnt; aber ich hörte in London feine Leute sagen, daß es sonst kein Mensch brauchen kann. Meine gnädige Frau würde bitter böse werden, wenn ich ihr damit käme, und ich werde mich nicht in ein solches Delema setzen.« – Da jetzt die Schelle der Lady gezogen wurde, so mußte Herr Adams sich zurückziehen; auch konnte er in den wenigen Tagen, die bis zur Londoner Reise verstrichen, keine zweite Gelegenheit dieser Art finden. Andrews bewies sich indeß für die beabsichtigte Wohlthat, die er, wie er sagte, nie vergessen würde, äußerst dankbar, und nahm zugleich von dem braven Mann noch viele Ermahnungen, seine künftige Aufführung, und das Beharren in Unschuld und Fleiß betreffend, mit auf den Weg.


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