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Elftes Kapitel.

Stumm wanderten die beiden jungen Leute nebeneinander her. Röder war ganz in Gedanken versunken und vergaß seine Zigarre, die erloschen in seinem Mundwinkel hing. Schließlich nahm er sie aus dem Mund und wandte sich Sterling zu.

»Glaubst du an Ahnungen?« fragte er.

»Nur alte Weiber haben Ahnungen,« erwiderte Sterling und lachte vor sich hin.

»Dennoch kann ich mich nicht ganz eines beklemmenden Gefühls erwehren, das mir sagt, es stände etwas sehr Ernstes bevor,« sagte Röder.

»Ernst wird die Sache wohl werden,« meinte Sterling, »aber meiner Ansicht nach hat eine wirkliche Gefahr immer etwas Verlockendes. Schüttle also alle finsteren Gedanken ab, sieh nach, ob deine Browning auch ordentlich geladen ist, und steck' ein paar Kugeln in die Büchse. Du mußt das Schießen besorgen, während ich mit diesen kleinen Armbändern hantiere,« setzte er hinzu und klapperte mit zwei Paar Handschellen, die er mitgenommen hatte.

Bald wurde die Landstraße verlassen und der Weg querfeldein fortgesetzt. Nach einigem Hinundhersuchen fand man den Fußpfad wieder und erreichte ohne weitere Schwierigkeiten die im Walds gelegene alte Scheune.

Sterling ließ sich auf einem Baumstumpf nieder, zog seine Zigarrentasche heraus und zündete sich gemächlich eine Zigarre an.

»Sollen wir unseren Posten nicht lieber gleich einnehmen?« fragte Röder ein wenig erregt.

Sterling sah nach der Uhr.

»Wann wird die Arbeit auf dem Hof eingestellt?« fragte er.

»Um zehn,« erwiderte Röder.

»Gut,« sagte Sterling, »jetzt ist es halb zehn, und der Gang hierher nimmt wenigstens eine Stunde in Anspruch. Vor elf ist also niemand zu erwarten.«

Schon im Laufe des Nachmittags hatten sich schwere Wolken am Himmel angehäuft. Kurz nach Ankunft der beiden Freunde bei der Scheune begannen die ersten, schweren Regentropfen zu fallen, und um zehn Uhr rauschte der Regen schon in Strömen herab.

Die jungen Leute krochen durch ein Loch in der Wand in die Scheune hinein. Aus begreiflichen Gründen wollten sie es vermeiden, die Tür zu benutzen, weil sie nicht imstande gewesen wären, den Riegel wieder vorzulegen, und ihre Anwesenheit dadurch verraten haben würden.

Glücklicherweise war die Scheune vollkommen wasserdicht und bot somit einen vortrefflichen Schutz gegen den Regen.

Da sich mit Bestimmtheit annehmen ließ, daß die Erwarteten auf demselben Wege kommen würden, der die beiden Freunde hergeführt hatte, beschränkte man sich darauf, nach dieser Seite Ausguck zu halten.

Röder zog ein Heubündel heran, weil er es einstweilen für unnötig hielt, zu stehen und in die Finsternis hinauszustarren.

Aber Sterling sagte: »Nein, danke, ein Posten darf sich niemals hinsetzen. Es wäre ja noch schöner, wenn wir im Schlaf von den Halunken überrascht würden.«

»Wir könnten doch abwechselnd auf Posten stehen,« schlug Röder vor.

»Nein, du Sybarit!« lachte Sterling. »Ich kenne dich. Du würdest dich bald hinlegen und alles verschlafen. Lieber will ich die ganze Nacht durch stehen, als das erleben.«

Dabei zog er eine Taschenlampe hervor und sah bei ihrem Schein nach der Uhr.

»Es ist schon nach elf,« sagte er. »Wir müssen also darauf gefaßt sein, daß die Geschichte jeden Augenblick losgehen kann.«

Wieder drückte er das Auge an einen Spalt und spähte hinaus. Der Regen strömte noch immer, und die Dunkelheit war so undurchdringlich, daß man kaum zehn Schritt weit sehen konnte.

Eine Stunde verging, ohne daß sich irgend etwas ereignete. Röder begann allmählich die Geduld zu verlieren und gähnte mehrmals, wenn auch unterdrückt, so doch hörbar. Dann zog er ein Bündel Heu heran und legte sich zu Sterlings Füßen nieder. Nach kurzer Zeit verrieten seine tiefen Atemzüge, daß er eingeschlummert war.

Sterling starrte unterdessen unverwandt in die Nacht hinaus. Von Zeit zu Zeit sah er beim Schein seiner Taschenlampe nach der Uhr. Es wurde zwölf, ein, und schließlich zwei Uhr, ohne daß irgend etwas geschah.

Gerade als ein schwaches, fahles Dämmerlicht graute, erklangen jedoch im Walde Geräusche, wie von nahenden Schritten.

Sterling stieß den schlafenden Freund sachte mit dem Fuß an.

»Was gibt's?« fragte dieser verschlafen. »Kommen sie?«

»Schweig still, zum Kuckuck!« flüsterte Sterling. »Ja, ich glaube, sie kommen. Steh auf und halt deine Schußwaffen bereit!«

Röder stand im Nu auf den Füßen und stellte sich neben ihn.

Es war jetzt so hell, daß man die Umrisse der nächsten Bäume und Büsche unterscheiden konnte. Plötzlich regten sich zwei Schatten in der Finsternis. Bei der schwachen Beleuchtung nahmen sie spukhafte Dimensionen an, aber als sie näherkamen, sah man, daß es zwei Männer waren, die vorsichtig aus dem Walde herausschlichen.

Sterling und Röder zogen sich in die entfernteste Ecke der Scheune zurück und warteten in atemloser Spannung.

Nach einigen Augenblicken vernahmen sie leise Schritte, die vor der Scheunentür halt machten. Jemand machte sich mit dem Baum zu schaffen, und dann wurde es wieder ganz still.

»Worauf wartest du denn, zum Teufel?« raunte eine ungeduldige Stimme.

»Karsten,« flüsterte Röder seinem Freund ins Ohr.

Sterling antwortete nur, indem er das Handgelenk des Ingenieurs umfaßte und sanft drückte.

»Warum machst du den Sperrbaum nicht auf, Holm?« fragte der Verwalter mit steigender Ungeduld.

»Es muß jemand hier gewesen sein,« erwiderte jemand, der offenbar kein anderer als der Kätner Holm war.

»Schnack! Wer sollte das gewesen sein? Warum glaubst du es überhaupt?«

»Der Baum liegt nicht so, wie ich ihn gestern nacht vorgelegt habe.«

»Da kümmer' ich mich den Teufel drum. Jetzt ist jedenfalls kein Unberufener hier. Mach' endlich auf, damit wir die Sachen wegschaffen können, eh' es Tag wird!«

»Ich hab' die ganze Geschichte satt!« knurrte Holm, »'mal geht die Sache doch noch schief.«

»Tu, was ich dir sage, Mensch!« brüllte der Verwalter. »Noch ein Wort, und ich jage dir 'ne Kugel durch deinen sündigen Leib!«

»Na, Ihrer ist wohl wenigstens ebenso sündig,« höhnte der andere. »Wer hat dafür gesorgt, daß Herr Faxe ins Gras biß? Sie. Wer hat mich dazu gebracht, daß ich so dumm war, die Nietnägel im Boot abzukneifen? Sie. Wer hat fast jedes Gut hier in der Gegend geplündert? Sie. Wenn einer 'ne Kugel durch den Kopf verdient, so sind Sie's, Sie Halunke!«

Der Verwalter antwortete nicht. Statt dessen ertönte ein Laut, der wie das Spannen eines Flintenhahnes klang.

»Er bringt ihn um, Max! Er bringt ihn um!« keuchte Röder.

»Still!« sagte Sterling leise und druckte ihm die Hand auf den Mund.

Röder hatte jedoch in seiner Erregung eine heftige Bewegung gemacht und stieß dabei unglücklicherweise an die Stangen, die neben ihm in der Ecke lehnten. Dabei fielen mehrere von ihnen geräuschvoll zu Boden.

Der Streit draußen vor der Tür verstummte wie durch Zauberschlag. Eine lange Pause atemloser Spannung entstand. Schließlich sagte der Verwalter:

»Ich glaube, in der Scheune sind Ratten. Nimm die Laterne, Holm!«

Während dieser sich mit dem Schlagbaum befaßte, hatte Karsten eine mitgebrachte Laterne angezündet, die er jetzt an den Genossen weitergab.

Der Baum hob sich jetzt behutsam, und im nächsten Augenblick begann die Tür sich langsam in ihren Angeln zu drehen.

Sterling ließ Röders Arm los, und gleich darauf verriet ein deutliches Knacken, daß er seine Browning hervorgeholt und entsichert hatte. Da die Lage sich immer mehr zuspitzte, hielt Röder es für geraten, auch seinerseits die Pistole zu zücken.

So leise es auch klang, war das Knacken des Sicherungshahnes dennoch an das Ohr des Mannes gedrungen, der sich jetzt in der Tür zeigte. Es war der Verwalter, und hinter ihm erschien Holm mit einer Laterne in der einen und einer altmodischen einläufigen Flinte in der anderen Hand.

Sterling hob die Pistole und trat ein paar Schritte vor, so daß der Laternenschein auf sein Gesicht fiel.

Was dann geschah, ereignete sich so rasch, daß später weder Sterling noch Röder imstande waren, genau zu erklären, wie alles zugegangen war.

Sobald der Verwalter Sterling erkannte, stieß er einen grimmigen Fluch aus, und zugleich blitzte es in seiner Hand auf und die ganze Scheune erbebte von einem gewaltigen Knall. Sterling hatte sich jedoch blitzschnell geduckt, so daß die Kugel mit einem krachenden Laut in die Bretterwand der Scheune einschlug.

Im nächsten Augenblick feuerte Sterling aus seiner geduckten Stellung einen Schuß ab. Aber auch seine Kugel verfehlte ihr Ziel. Sie fuhr zwischen den Beinen des Verwalters hindurch und traf die Laterne, die klirrend aus Holms Hand zu Boden fiel und erlosch.

Jetzt hörte man den Verwalter einige hastige Schritte auf die Tür zu tun, worauf er von da aus mit heiserer Stimme schrie:

»Schieß, Holm! Schieß den Schnüffler über'n Haufen! Ich werde an der Tür aufpassen, daß er nicht rauskommt!«

Der Verwalter ahnte offenbar nicht, daß er es mit zwei Gegnern zu tun hatte. Röder hatte sich außerhalb des Lichtkreises gehalten und war bis jetzt unentdeckt geblieben. Er schwankte, was er tun sollte. Im schwachen Morgengrauen konnte er den in der Tür stehenden Mann nur eben unterscheiden. Sollte er schießen? Doch indem er noch zauderte, wurde die Scheune schon wieder von einem furchtbaren Knall erschüttert. Es war Holm, der seine Flinte abgefeuert hatte.

Blitzartig erleuchtete der Feuerstrahl den Schauplatz in der Scheune. Es zeigte sich, daß Sterling sich in geduckter Haltung und dicht an der Wand entlang dem in der Tür stehenden Verwalter zu nähern suchte. Der Verwalter aber erblickte Röder, der mit erhobener Pistole in einer Ecke stand.

»Ach so, du bist auch dabei, du Hund!« schrie er mit Stentorstimme. »Na, dann fahrt beide miteinander zur Hölle!«

Im selben Augenblick drückte Röder los, da er sein Leben bedroht sah. Die Kugel fuhr zwei Zoll von Karstens Kopf entfernt in den Türpfosten hinein. Der Verwalter schlug ein teuflisches Gelächter auf und feuerte seinen Revolver in der Richtung ab, wo er Röder gesehen hatte.

Ein Schrei verriet, daß die Kugel ihr Ziel diesmal nicht verfehlt hatte.

Gleichzeitig mit dem Schuß des Verwalters knallte Sterlings Browning. Sterling war demnach nicht von dem Büchsenschuß getroffen worden. Jedenfalls war er noch nicht kampfunfähig.

Unmittelbar nach seinem letzten Schuß vernahm man einen dumpfen Fall, auf den ein unheimliches Röcheln folgte.

»Bist du verwundet, Stellan?« keuchte Sterling im Dunkeln.

»Ja, aber nur an der Schulter,« erwiderte Röder mit schwacher Stimme.

»Na, dann nimm das, und das, und das!« brüllte es hohnvoll von der Tür her, und zugleich entluden sich vier Schüsse nach allen Richtungen der Scheune.

Zum Glück traf kein einziger von diesen Schüssen.

Der Verwalter hatte das Kugellager seines Revolvers entleert und war offenbar eifrig damit beschäftigt, ihn wieder zu laden. In diesem Augenblick tauchte Sterling dicht vor ihm auf und setzte ihm die Mündung seiner Browning an die Stirn.

»Jetzt ist die Reihe zu schießen an mir,« sagte er kalt. »Der Staat ist meistens ein wenig umständlich, wenn er mit Schurken von Ihrer Art zu tun hat. Ich ziehe es deshalb vor, selbst Gerechtigkeit zu üben.«

Seine Pistole knallte, und Karsten sank wie ein Sack zu Boden.

Nun beeilte sich Sterling, vor allem nach seinem Freunde zu sehen. Röder war ohnmächtig geworden und lag leichenblaß und regungslos ausgestreckt am Boden. Sterling hob ihn auf, als ob er ein Kind wäre, und trug ihn aus der Scheune hinaus. Die Berührung mit dem naßkalten Gras brachte ihn sofort wieder zur Besinnung. Er schlug die Augen auf und blickte verwirrt um sich.

»Wo ist der Verwalter?« fragte er matt.

»Tot.« erwiderte Sterling lakonisch.

Röder versuchte sich aufzurichten, sank aber sofort laut stöhnend zurück.

»O ... ich vergaß meine Schulter,« flüsterte er.

Rasch riß Sterling seine Kleider auf, um die Wunde zu untersuchen. Es war nichts weiter, als eine Fleischwunde, die vollkommen ungefährlich war, obwohl sie stark blutete. Sterling brachte es aber bald fertig, die Blutung zu hemmen und den Freund wieder auf die Füße zu bringen.

»Glaubst du, daß du mit meiner Hilfe nach Hause gehen kannst?« fragte er besorgt.

»O ja, wenn ich mich auf deine Schulter stütze,« erwiderte Röder.

Halb getragen von Sterling, erreichte er glücklich die Landstraße, und das Glück wollte, daß gerade ein Bauernwagen des Weges kam, der es ermöglichte, daß Röder schon gegen sechs Uhr schön verbunden und mit strahlendem Gesicht in seinem Bett lag. Seine Braut saß daneben und streichelte sachte sein blondes Haar.

Sterling hatte sich mit dem herbeigerufenen Ortspolizisten nach der Waldscheune zurückbegeben.

Die beiden Verbrecher waren tot, aber die zahlreichen Kugelspuren in der Scheune redeten eine deutliche Sprache. Kopfschüttelnd sah der Beamte sich um und sagte:

»Wenn einer das Recht gehabt hat, aus Notwehr zu töten, so sind Sie es gewesen.«

Sterling antwortete nicht.

Eine nähere Untersuchung ergab, daß die Scheune eine wahre Schatzkammer war. Ein großer Teil des gestohlenen Gutes wurde hier wiedergefunden. Manches war schon eingeschmolzen worden und fand sich, in einer Ecke vergraben, in der alten Schmiede an.

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