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Nach einer kurzen Wanderung stießen die beiden auf eine Gruppe von Leuten, die an der Wasserleitung arbeiteten.
Marianne ging mit ihrem Gast auf sie zu, und dieser gewahrte einen Mann, dessen ganze Erscheinung ihn vermuten ließ, daß er der Verwalter sei. Der Mann trat an Marianne heran und grüßte ehrerbietig, und sie stellte ihn Sterling vor, indem sie hinzusetzte:
»Der Herr Rechtsanwalt konnte den letzten Zug nicht mehr erreichen und muß hier übernachten. Sorgen Sie doch, bitte, dafür, daß er morgen rechtzeitig zum Frühzug an die Bahn gefahren wird.«
»Das paßt sehr gut,« sagte der Verwalter. »Ich fahre selbst mit dem Zug nach Stockholm und werde Befehl geben, daß der Wagen zur rechten Zeit vorfährt.«
Sterling dankte verbindlich und kehrte mit Marianne nach dem Hause zurück. Dabei sann er darüber nach, daß Karstens Stimme ihm so merkwürdig bekannt vorkam, und konnte sich doch nicht darauf besinnen, wo und wann er sie gehört haben mochte.
Doch als er im Eßsaal mit Marianne bei Tisch saß, fiel es ihm mit einemmal ein. In jener verfallenen Schmiede war es gewesen, deren malerischer Anblick ihn angelockt hatte, als er auf der Landstraße vorüberkam. Es war dieselbe Stimme, die so überredend gesprochen hatte. Worüber hatte er doch geredet? Richtig, von Tiegeln, die um ein Uhr bereitgehalten werden sollten. Was konnte das zu bedeuten haben? Was für geheimnisvolle Dinge gingen in Edeby vor? Jedenfalls irgend etwas, dem er seine Aufmerksamkeit zuwenden mußte.
Er beschloß jedoch, diese Gedanken für sich zu behalten, und wandte sich an Marianne, indem er sagte:
»Wenn ich vorhin von einigen Fragen sprach, die ich gern beantwortet hätte, so bitte ich im voraus um Entschuldigung, wenn sie ein wenig indiskreter Natur sind.«
»O, bitte!« erwiderte das junge Mädchen mit sanfter Würde. »Tun Sie sich keinen Zwang an. Ich habe nichts zu verbergen.«
»Nun denn,« begann Sterling geradezu, »darf ich mir dann die Frage erlauben, ob der Verwalter Karsten sich jemals – um Ihre Gunst bemüht hat, mein gnädiges Fräulein? Ich meine, ob er wärmere Gefühle für Sie an den Tag gelegt hat?«
Eine zarte Röte färbte das blasse, bekümmerte Gesicht des jungen Mädchens.
»Ja,« erwiderte sie zögernd und mit niedergeschlagenen Augen, »er hat mir früher – Aufmerksamkeit bewiesen.«
»And jetzt? ... Ich meine, seit er von Ihrer Verlobung mit Röder weiß?«
Sie blickte auf.
»Hat Stellan von – so etwas gesprochen?« fragte sie.
»Das nicht gerade,« antwortete Sterling ausweichend.
»O doch, er hat es getan!« entgegnete Marianne mit echt weiblicher Intuition. »Hätte ich es ihm doch erzählt!«
»Etwas ist also zwischen Ihnen und Karsten vorgegangen?« forschte Sterling nach.
Marianne schien zu schwanken.
»Ich will ganz offen sein,« sagte sie dann, plötzlich entschlossen. »Sie haben recht, es ist etwas zwischen mir und dem Verwalter vorgefallen.«
»Ich verlange Ihr Vertrauen nicht, wenn die Sache Ihnen zu peinlich ist,« entgegnete Sterling taktvoll.
»O nein, durchaus nicht,« sagte das junge Mädchen mit fester Stimme. »Ich sehe jetzt ein, daß ich es Stellan hätte sagen müssen ... um allen Mißverständnissen vorzubeugen ... Es war an einem Abend kurz vor Johanni,« fuhr sie rasch fort. »Ich begegnete dem Verwalter unten im Park. Bis dahin hatte er es mir gegenüber nie an Ehrerbietung fehlen lassen und den Takt nie verletzt. Diesmal merkte ich aber gleich, daß er getrunken hatte. Seine bisherige rücksichtsvolle Zurückhaltung war wie fortgeblasen, und er machte mir ohne weiteres eine Liebeserklärung.
Ich verwies ihm sein Benehmen auf das ernsteste und hielt ihm vor, wie wenig Selbstachtung es beweise, daß er sich in berauschtem Zustande sehen ließe. Da ging er so weit, den Arm um mich zu legen, und mich trotz meines energischen Widerstandes festzuhalten. Noch heute denke ich mit Schrecken daran, wie die Sache abgelaufen wäre, wenn nicht im selben Augenblick einige von unseren Leuten sich genähert hätten. Sobald Karsten ihre Stimme hörte, ließ er mich mit einem häßlichen Fluch los, und raunte mir wütend zu: ›Mein werden Sie doch, um jeden Preis. Wer sich um Sie bewirbt, der kriegt's mit mir zu tun. Merken Sie sich das!‹«
»Damit meinte er wohl Stellan?«
»Wahrscheinlich.«
»Und weiter?«
»Ach, ich beging die Dummheit, die ganze Sache zu verschweigen. Am nächsten Tage bat Karsten mich um Verzeihung, und ich versprach ihm, mit niemand über den Vorfall zu sprechen und die ganze Geschichte zu vergessen.«
»Das war nicht klug von Ihnen,« meinte Sterling sinnend.
Marianne blickte ihn forschend an.
»Sie hegen einen Verdacht gegen Karsten,« sagte sie ihm auf den Kopf zu.
»Bis jetzt habe ich niemand im Verdacht,« erwiderte Sterling ausweichend. »Aber um Sie ein wenig zu trösten, werde ich Ihnen sagen, daß Stellan übermorgen vielleicht schon freigelassen werden wird. Wann und wie wir dann den wirklichen Schuldigen fassen werden, vermag ich nicht abzusehen ... Ich glaube übrigens, daß es jetzt Zeit ist, zur Ruhe zu gehen.« setzte er hinzu, »und wenn Sie gestatten, werde ich mich zurückziehen.«
Nachdem er sich von seiner reizenden Wirtin verabschiedet hatte, begab er sich auf sein Zimmer, das im Erdgeschoß des einen Flügels lag.
Statt indessen zu Bett zu gehen, zündete er eine Zigarre an, öffnete ein Fenster und ließ sich davor nieder. Es war eine stille Nacht, und er sog mit Wohlbehagen den süßen Blumenduft ein, der aus dem Garten hereinströmte.
Sterling sah nach der Uhr. Es war wenige Minuten nach Mitternacht.
»Ich hätte fast Lust, zu erkunden, was jene beiden Leute diese Nacht in der Schmiede vorhaben,« murmelte er vor sich hin. »Ich möchte darauf wetten, daß es sich um irgendein Satanszeug handelt.«
Plötzlich wurde er aufmerksam. Zwischen den Parkbäumen bewegte sich etwas. Es war ein Mann, der einen Sack auf dem Rücken trug.
Der nächtliche Wanderer bog in die große, zum Parktor hinabführende Allee ein und blieb dann und wann stehen, um sich umzusehen.
»Aha!« murmelte Sterling. »Dem Kerl möchte ich mich wohl an die Fersen heften.«
Einem starken Impuls folgend kletterte er vorsichtig über das Fensterbrett und sprang auf den unterm Fenster gelegenen Kiesplatz hinunter. Dabei konnte er nicht vermeiden, daß der Kies hörbar unter seinen Füßen knirschte. Der Mann mit dem Sack befand sich zwar schon am anderen Ende der Allee, aber in der stillen Nacht pflanzte sich jeder Laut weit fort, und er sagte sich voller Verdruß, daß der Mann ihn gehört haben müsse, denn dieser stand still, setzte seinen Sack nieder und spähte angestrengt nach allen Seiten. Sterling stand indessen ganz im Schatten und rührte sich nicht vom Fleck.
Nach einigen Minuten lud der Mann den Sack wieder auf und setzte seine unterbrochene Wanderung fort, und nun folgte Sterling ihm vorsichtig, indem er sich im Schatten der einen Reihe von Alleebäumen hielt.
Als der Mann die Landstraße erreicht hatte, schlug er den Weg nach der Station ein.
»Sollte die Schmiede vielleicht das Ziel dieses nächtlichen Ausflugs sein?« sagte Sterling vor sich hin. »Es scheint beinah so.«
Seine Vermutung bestätigte sich bald.
Nach einer Weile bog der Mann von der Landstraße ab, und als Sterling die Stelle erreichte, wurde es ihm klar, daß er sich in der Nähe jenes verfallenen Gebäudes befand.
Einen Augenblick schwankte er.
Sollte er die Verfolgung fortsetzen, oder die Sache aufgeben und nach Hause gehen, um sich schlafen zu legen?
Er faßte aber schnell einen Entschluß, sprang über den Graben und begann sich in der Richtung nach der Schmiede einen Weg durch das üppig wuchernde Hagedorndickicht zu bahnen.
Als er die Schmiede erreichte, schlich er leise um die Mauern herum, um womöglich ein Fenster oder einen Spalt zu entdecken, wodurch er einen Einblick in das Innere des Hauses gewinnen konnte. Eine kleine Luke fand er denn auch, aber leider war sie mit Brettern vernagelt und wehrte alle zudringlichen Blicke ab. Beim Weiterschleichen gewahrte er jedoch einen Lichtstrahl, der durch die Türspalte drang, und zugleich tönte ein leises Klingen wie von Metall in die lautlose Nacht heraus. Es klang, als ob ein ganzer Sack voller Blechgeräte geleert würde.
Neugierig trat Sterling näher, um womöglich einen Blick durch die Türritze zu werfen.
Dabei stolperte er aber über eine Baumwurzel und fiel kopfüber in ein Nesseldickicht hinein. Das tat so weh. daß er den Kopf verlor und einen wütenden Fluch ausstieß.
Die Wirkung dieser Unvorsichtigkeit war überraschend.
Die Tür der Schmiede wurde heftig aufgestoßen, und bevor er ganz auf die Füße gekommen war, schleuderte ihn ein kräftiger Schlag wieder in die Nesseln zurück. Zugleich hörte er die Stimme des Verwalters zornig fragen:
»Wer zum Teufel sind Sie? Und was haben Sie hier mitten in der Nacht herumzustreichen?«
Sterling erhob sich nochmals mühsam und trat auf den erbosten Verwalter zu. Dieser hatte eine elektrische Taschenlampe hervorgezogen und leuchtete ihm nun ins Gesicht.
Ein Laut der Überraschung entfuhr ihm.
»Herr Rechtsanwalt?!« rief er aus. »Wie kommen Sie hier so spät her?«
»Die herrliche Nacht verlockte mich zu einem Spaziergang,« erwiderte Sterling, »und dabei habe ich mich verirrt. Als ich hier nun Licht sah, wollte ich fragen, wie ich auf dem nächsten Weg nach Hause finden könnte.«
Karstens Gesicht war nicht deutlich zu sehen, aber das peinliche Schweigen, das einige Sekunden währte, ließ darauf schließen, daß ihm Sterlings Erklärung etwas gesucht vorkam.
Trotzdem ließ der Verwalter sich nicht merken, daß er Sterlings Anwesenheit an diesem abgelegenen Ort nicht für reinen Zufall hielt. Er bat sogar höflich um Entschuldigung für sein erstes Auftreten und erbot sich dann, ihn nach der Landstraße zu führen. Unterwegs erklärte er, daß er ihn für einen der Landstreicher gehalten habe, die diese ganze Gegend seit einiger Zeit unsicher machten. Seine eigene Gegenwart in der Schmiede schob er auf die Überwachung einiger Arbeiten, die mit der Reparatur der Wasserleitung im Park zusammenhingen.
Sterling nahm diese Erklärungen höflich hin und trennte sich von dem Verwalter, sobald sie die Landstraße erreicht hatten. Innerlich beschloß er jedoch, die Sache im Gedächtnis zu behalten und womöglich zu ergründen, was für geheimnisvolle Sachen eigentlich in der alten Schmiede vorgingen.
Am nächsten Morgen verriet der Verwalter mit keiner Miene, daß er sich jener nächtlichen Begegnung erinnerte. Auf der Fahrt nach der Station redete er über alles Mögliche zwischen Himmel und Erde, und als Sterling in den Zug stieg, war der Vorfall mit keinem einzigen Wort berührt worden.