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Neuntes Kapitel.

Mehrere Tage vergingen, ohne daß sich etwas ereignete. Sterling schloß daraus, daß Karsten sich kühnerer Schachzüge enthielt, solange er zur Stelle war. Er beschloß daher, mit Röder auf ein paar Tage nach Stockholm zu fahren. Den Freund allein in Edeby zu lassen, hielt er für zu gewagt.

Röder drang darauf, daß Sterling den Verwalter angeben solle, um der ganzen Geschichte ein Ende zu machen. Dahingegen war Sterling fest überzeugt, daß seine Vermutungen von der Behörde mit ungläubigem Achselzucken aufgenommen werden würden, und hielt deshalb an der Befolgung seines ursprünglichen Planes fest.

Mit bewundernswerter Geduld pilgerte er täglich nach dem Fuchsbau im Walde und streute die von dort geholte Erde regelmäßig jeden Abend um die Parktore herum. Es war aber alles vergebens. Die geheimnisvollen Einbrüche hatten ein Ende genommen.

Sterlings Stimmung war infolgedessen nichts weniger als fröhlich. Röder neckte ihn mit seiner mißglückten Fuchsjagd, und schließlich begann er selbst darüber nachzudenken, ob er vielleicht wirklich einen groben Fehler begangen habe.

Da ereignete sich eines Tages etwas, was fast zu verhängnisvollen Folgen geführt hätte.

Zu dem Gut Edeby gehörte auch ein seichter, aber ziemlich großer See. In seiner Mitte lag ein Inselchen, das von einer alten Kätnerswitwe bewohnt wurde, der man hier lebenslänglich ein kleines Häuschen überlassen hatte.

Die Alte hatte schon den ganzen Sommer über gekränkelt und wurde kurz nach der Beerdigung des Gutsbesitzers bettlägerig.

Deshalb sorgte Marianne dafür, daß eine Frau aus Edeby nach der Insel übersiedelte, um die alte Frau während ihrer Krankheit zu pflegen. Auch ruderte sie öfters selbst hinüber, um nach ihrem Schützling zu sehen.

Als der Zustand der Kranken sich verschlimmerte, wurden Mariannes Besuche häufiger. Eines Tages sagte sie nach ihrer Rückkehr von einem solchen Ausflug ganz bekümmert zu ihrem Verlobten:

»Morgen früh mußt du mich recht zeitig hinüberrudern, Stellan. Es geht Stafva von Tag zu Tag schlechter. Kerstin hat schon zwei Nächte bei ihr gewacht, und die nächste Nachtwache will ich selbst übernehmen.«

»Ist denn keine andere Frau da, die Kerstin ablösen könnte?« wandte Röder ein.

»Nein,« erwiderte Marianne, »ich habe der Alten fest versprochen, selbst bei ihr zu bleiben, und will mein Versprechen nicht brechen.«

»Hinrudern will ich dich natürlich gern,« sagte Röder. »Sterling und ich hatten uns ohnehin vorgenommen, uns die alte Kirche in Skaa einmal anzusehen. Das können wir dann tun, nachdem ich dich nach Ängsholm gebracht habe.«

»Schön!« erwiderte Marianne. »Dann seid ihr zu Mittag wieder da und könnt nachher hinüberrudern und sehen, ob ich dableibe oder nicht. Es könnte ja sein, daß ihr Befinden sich gebessert hätte.«

Nachdem die beiden Freunde Marianne am nächsten Morgen zu der Kranken hinübergebracht hatten, traten sie ihre Wanderung nach der alten Kirche an.

Auf dem Heimwege wurden sie von einem Unwetter überrascht, das so rasch heraufzog. daß sie schließlich ganz erschöpft und völlig durchnäßt in Edeby eintrafen.

Röder wollte dennoch gleich nach Ängsholm fahren und seine Braut abholen.

»Das wäre ja ein Wahnsinn, Stellan!« wandte Sterling ein. »Bei diesem Wetter!«

Ein Blitz jagte den anderen, und obwohl es erst sechs Uhr abends war, herrschte doch schon völlige Dunkelheit.

So verzehrten die beiden ihr Mittagessen denn in gedrückter Stimmung, und als sie gegen sieben von Tisch aufstanden, hatte sich das Unwetter ein wenig gelegt.

»Jetzt bin ich meinetwegen bereit, den Versuch zu machen,« erklärte Sterling, nachdem er eine Weile am Fenster gestanden hatte.

Der Regen hatte fast ganz aufgehört, und der Donner grollte nur noch aus der Ferne herüber.

Mit Regenmänteln ausgerüstet traten die beiden jungen Männer den Weg an.

Es war acht Uhr, als sie den See erreichten. Das Gewitter war wieder heraufgezogen, und es herrschte tiefe Dunkelheit.

»Na, nun bin ich trotz alledem dafür, daß wir die Fahrt wagen,« sagte Röder, indem er auf den Steg hinausging und das Boot loszumachen begann.

Sterling murmelte eine Einwendung, kletterte dann aber doch zu seinem Freund ins Boot.

Der Regen floß in Strömen, und immerfort zuckten grelle Blitze auf und zerschnitten die Finsternis. Schon als sie vom Ufer abstießen, war das Boot voller Wasser, und man einigte sich dahin, daß Sterling rudern und Röder schöpfen sollte.

Röder arbeitete wie besessen mit seiner Schöpfkelle, aber ohne jeden Erfolg.

»Merkwürdig, daß das Wasser nicht weniger wird,« bemerkte er, indem er eine kurze Erholungspause machte.

»Ob das Boot vielleicht leck ist?« fragte Sterling.

»Das ist unmöglich!« versicherte der Ingenieur. »Es ist ja ganz neu.«

»Na, arbeite auf jeden Fall aus Leibeskräften!« ermahnte ihn Sterling. »Ich sitze bis über die Knöchel im Wasser.«

»Ich bekomme es ganz einfach nicht leer,« sagte Röder und unterbrach wieder seine Arbeit.

»Das wäre aber doch verteufelt!« rief Sterling aus und stand auf, um den Freund abzulösen.

Im selben Augenblick ereilte ihn ein Mißgeschick.

Sobald er sich im Boot erhob, krachte es laut, und Sterling schien mitten durch den Boden zu versinken. In zwei Sekunden war das Boot bis an den Rand mit Wasser gefüllt und in sinkendem Zustand.

Das Gewitter wurde immer heftiger, das Wasser wurde zu Schaumwellen aufgepeitscht, und die Lage wurde sehr ernst.

Um das Boot zu erleichtern, sprang Röder über Bord und schwamm drum herum.

»Komm heraus!« rief er Sterling zu. »Du wirst doch wohl schwimmen können?«

»Das wohl,« erwiderte Sterling mit gepreßter Stimme, »aber ich kann nicht heraus.«

»Warum denn nicht?« keuchte Röder.

»Ich sitze fest.«

»Wo denn?«

»Im Boot ... Ich bin durchgetreten, und mein eines Bein sitzt in der Spalte fest.«

Nun war guter Rat teuer.

Das Boot hatte seine Tragkraft verloren, und bei jedem Versuch des Ingenieurs, seinem Freunde beizuspringen, versank es tiefer im Wasser. Auf die Weise ließ sich nichts ausrichten.

»Schwimm du ans Land!« rief Sterling. »Ich werde wohl allmählich ans Ufer treiben.«

»Nein,« erklärte Röder energisch, »ich lasse dich nicht im Stich.«

Schließlich gelang es Sterling mit Aufbietung aller Kräfte, sein Bein zu befreien. Die Anstrengung war aber so gewaltig gewesen, daß er ganz erschöpft in dem mit Wasser angefüllten Boot niedersank.

Der Wind hatte sich inzwischen gedreht und trieb das Boot auf den See hinaus. Bei der tiefen Dunkelheit war nirgends Land zu sehen, und auch Röders Kräfte begannen jetzt abzunehmen. Immer wieder mußte er sich am Bootrande festklammern, um sich über Wasser zu halten. Dabei drohte das Boot jedesmal unterzugehen, und es war nur eine Frage der Zeit, wann die Katastrophe eintreten würde.

Mit einemmal leuchtete jedoch in der Ferne ein Lichtschein auf. Er bewegte sich langsam und tanzte dabei auf und nieder, was darauf schließen ließ, das jemand eine Laterne am Ufer entlang trüge.

Mit Aufbietung all ihrer Lungenkraft stießen die beiden einen langgedehnten Hilferuf aus. Dieser hatte jedoch einen ihrer Erwartung entgegengesetzten Erfolg.

Das Licht erlosch sofort, und die um ihr Leben ringenden Männer waren wieder von ununterbrochener Finsternis umgeben.

»Nun wissen wir wenigstens, in welcher Richtung das Land liegt,« rief Sterling aus. »Ich versuche hinzuschwimmen.«

»Aber dein Bein,« wandte Röder ein.

»Wir müssen den Versuch machen,« versetzte Sterling in entschlossenem Ton, indem er seine schwersten Kleidungsstücke abzuwerfen begann.

Sobald er damit fertig war, glitt er an der Röder abgewandten Seite des Boots ins Wasser.

»Kriech ins Boot und zieh dich aus!« rief er dem Freund zu.

Röder befolgte seinen Rat und kletterte mühsam in das mit Wasser gefüllte Boot.

Nachdem er auch Rock, Weste und Stiefel ausgezogen hatte, sprang er wieder in die See hinaus.

Seite an Seite begannen die beiden nun schwimmend aufs Land zuzuhalten. Sterling war ein vortrefflicher Schwimmer, und das Ganze wäre ein Kinderspiel für ihn gewesen, wenn nicht sein Bein gewesen wäre. Auch Röder schwamm jetzt leicht und gut, seit er die schweren Stiefel los war, und ermutigte den Freund dann und wann durch einen munteren Zuruf.

Somit wäre alles gut abgelaufen, wenn nicht ein Umstand hinzugekommen wäre. Sie näherten sich bereits dem Lande. Röder erklärte, daß er Boden unter den Füßen fühlte. Da dieser jedoch aus lockerem Schlamm bestand, erschien es nicht ratsam, sich schon auf ihn zu verlassen.

Plötzlich stieß Sterling einen lauten Fluch aus.

»Ich bin in Seegras hineingeraten,« rief er Röder zu. »Sollen wir denn zum Schluß doch noch wie Ratten in der Falle ersaufen?«

»Mir geht's ebenso,« keuchte Röder, »und auf dem schlammigen Boden finde ich keinen Halt.«

Je angestrengter sie arbeiteten, um sich aus dem Seegras zu befreien, um so fester umstrickte es ihre Arme und Beine.

Die Lage fing bereits an, verzweifelt zu werden.

Da glückte es Sterling, einen weit in den See hineinragenden alten Steg zu fassen, und er war gerettet. Mit einer letzten Kraftanstrengung brach er eine lange Stange los und erreichte den Freund im letzten Moment, als er schon kaum mehr imstande war, den Kopf über Wasser zu halten. Nun tasteten sie sich an den Stegpfosten entlang an Land und sanken ermattet auf dem Ufer nieder.

Der Regen hatte aufgehört, und der Mond lugte hier und da zwischen den zerrissenen Wolken hervor, die wie Furien über den Nachthimmel entlang jagten.

»Das wäre ums Haar unsere letzte Ruderfahrt geworden,« bemerkte Sterling, indem er Arme und Beine streckte, um den Blutumlauf zu fördern.

»Ich begreife nicht, was mit dem Boot los war,« sagte Röder nachdenklich. »Es war doch ganz neu.«

»Meiner Ansicht nach liegt das auf der Hand,« erwiderte Sterling mit finsterem Lächeln. »Irgend jemand hat ein Attentat auf das Boot verübt.«

»Aha! Und wer mag das gewesen sein?«

»Wie kannst du fragen!«

»Ach ja, du hast natürlich recht ... Karsten ...«

»Sicherlich. Er wußte, daß wir das Boot heute abend benutzen würden, und sorgte dafür, daß es schadhaft werden mußte, sobald wir ein Ende auf den See hinausgefahren waren. So gut wir auch schwimmen, konnte er doch darauf rechnen, daß unsere Kräfte nicht ausreichen würden, und außerdem wird er gehofft haben, daß der Schlammboden und das Seegras uns den Rest geben würden.«

»Und beinah hätte er recht behalten!«

»Vollkommen recht,« stimmte Sterling bei. »Wäre ich nicht zufällig auf den alten Steg gestoßen, so würden wir jetzt wahrscheinlich mit den Hechten Brüderschaft trinken.«

»Nun müssen wir aber machen, daß wir nach Hause kommen und trockene Sachen auf den Leib kriegen,« sagte Röder, indem er aufstand.

»Deine Absicht, heute noch nach Ängsholm zu fahren, gibst du also auf?«

»Ja, natürlich. Marianne wird uns nicht erwarten und bei der alten Frau bleiben, und morgen früh müssen wir dann sehen, daß wir zeitig 'rüberfahren.«

»Es wird mich aufs höchste interessieren, unser Boot morgen genau in Augenschein zu nehmen,« sagte Sterling.

»Ich denke, es wird wohl irgendwo angeschwemmt werden,« meinte Röder. »Mein Hauptinteresse ist augenblicklich auf trockene Kleider und heißen Grog gerichtet.«

Am nächsten Morgen begaben sich die Freunde gleich nach einem zeitig eingenommenen Frühstück an den See hinab.

Es war ein strahlender Tag. Die Sonne spielte und glitzerte auf den kleinen Wellen, die den See kräuselten, ein weicher Wind summte in den Bäumen, und tausend Singvögel trillerten in den Gebüschen. Von dem Unwetter des vergangenen Abends war nichts mehr zu merken.

Trotz eifrigen Suchens konnten sie das Boot, in dem sie jene abenteuerliche Fahrt unternommen hatten, nirgends entdecken. Es war spurlos verschwunden.

»Kein Wunder,« bemerkte Sterling, »der Wind stand auf den See zu. Es muß also weit hinausgetrieben sein, und es sollte mich nicht wundern, wenn wir es draußen auf Ängsholm wiederfänden.«

Das einzige Fahrzeug, das noch vorhanden war, bestand aus einem alten, flachen Paddelboot, das hoch aufs Ufer heraufgezogen war.

»Wenn wir nur hinüberkommen, so können wir für die Rückfahrt Kerstins Boot benutzen,« sagte Röder.

Mit vereinten Kräften gelang es bald, den Kahn aufs Wasser zu bringen. Er war glücklicherweise vollkommen wasserdicht, ermangelte jedoch der Ruder. Schließlich fand Röder aber eine sogenannte »Forke«, nämlich einen langen Staken mit einem Holzklumpen an einem Ende.

Da der See so flach war, konnte man sich mit dieser Forke leicht vorwärts staken, wenn es natürlich auch nicht gerade rasch ging.

Als die Insel sich näherte, sahen sie eine Frauengestalt am Ufer hin und her irren, und es kam ihnen vor, als ob sie die Hände ränge.

»Das ist Marianne,« sagte Röder. »Was mag denn nur geschehen sein?«

»Vermutlich hat sie unser Boot gefunden und fürchtet, daß wir ertrunken sind,« meinte Sterling.

Bald darauf stiegen sie an Land und erfuhren, daß Sterling richtig geraten hatte. Mit einem Freudenschrei flog Marianne ihrem Verlobten in die Arme und schluchzte lange und fassungslos an seinem Halse.

»Kerstin fand das Boot ... ganz entzwei ... und voll Wasser,« erklärte sie zitternd ... »und ich glaubte fest, ihr hättet versucht, mich gestern abend abzuholen, und wäret dabei umgekommen.«

»Ja, wir waren nah daran,« sagte Röder ernst, »und wenn Sterling nicht gewesen wäre, so weiß ich nicht, ob wir noch am Leben wären.«

Er begann nun von ihrem Kampf mit den Wellen zu erzählen, bis Sterling ihm ins Wort fiel, indem er sich erkundigte, wo das Boot denn zu finden sei.

»Es liegt dort jenseits der Landzunge,« erwiderte Marianne und deutete nach rechts.

Während Röder sich mit seiner Braut nach dem Hause begab, um der Kranken einen Besuch zu machen, ging Sterling hin und suchte das Boot. Er fand es schließlich weit aufs Ufer hinaufgeschleudert und mit einem klaffenden Loch im Boden.

Eifrig begann er das verunglückte Fahrzeug zu untersuchen.

Mitten im Boden des Boots war ein Brett vollkommen losgegangen, und als Sterling es genauer betrachtete, machte er eine interessante Entdeckung.

Die Nieten zu beiden Seiten der Planke waren mit einem Messer oder einer scharfen Zange glatt abgeschnitten.

Sterling schüttelte ernst den Kopf, als er das sah, und kehrte dann langsam am Strande entlang zurück.

»Nun?« fragte Röder, der ihm Arm in Arm mit seiner Braut entgegenkam. »Hast du etwas Interessantes entdeckt?«

»Ja,« lautete Sterlings gelassene Antwort, »ich habe entdeckt, daß wir gestern mit knapper Not einem Mordanschlag entgangen sind.«

»Einem Mord ...?«

»Anschlag. Ganz recht.«

»Woraus schließt du das?«

»Ich schließe nicht – ich weiß es.«

»Aber so erkläre mir doch ...!«

»Die Sache ist sehr einfach,« sagte Sterling achselzuckend. »Irgend jemand hat gestern – vermutlich mittels einer Hufzange – sämtliche Nieten an einer Planke im Boden des Boots abgeknipst. Infolgedessen war das Boot natürlich von Anfang an leck und mußte nachgeben, sobald man fest darauf trat. Alles ging so gut nach Berechnung, daß wir beinah im Tang umgekommen wären ... Und noch eins! Entsinnst du dich des Lichtscheins, der sofort erlosch, als wir nach Hilfe riefen?«

»Ja.«

»Und du errätst nicht, wer die Laterne trug?«

»Sollte es wirklich ...«

»Herr Karsten, und kein anderer, ja,« erwiderte Sterling. »Jedenfalls jemand, der ein schlechtes Gewissen hatte und im Begriff stand, sein Gewissen noch weit schwerer zu belasten.«

»Was meinst du damit?«

»Ich meine, daß es vielleicht unser Glück war, daß der Mann mit der Laterne sich nicht mehr am Ufer befand, als wir es in erschöpftem Zustande erreichten. Er glaubte wahrscheinlich, die rasenden Elemente hätten seine Arbeit verrichtet, und ging beruhigt nach Hause.«

»Kann es möglich sein, daß wir es mit einem solchen Erzhalunken zu tun haben!« rief Röder ganz entsetzt aus.

»Nicht nur möglich, sondern mehr als wahrscheinlich,« erwiderte Sterling finster. »Die Glücksgöttin hat uns indessen beigestanden, und nun wollen wir sehen, ob unser kleines Experiment uns ebenfalls glückt.«

»Du meinst, daß wir es mit Sporre versuchen sollen?« fragte Röder.

»Jawohl. Ich fürchte allerdings, daß der Regen uns einen Strich durch die Rechnung gemacht haben wird. Einen Versuch müssen wir aber machen.«

Die drei jungen Leute kehrten nun zusammen nach Edeby zurück.

Dort angekommen, begaben sie sich erst nach dem Hundezwinger und ließen Sporre heraus. Dann holten Sterling und Röder sich jeder eine Flinte, um sich wenigstens den Anschein zu geben, als ob sie auf Jagd gingen.

Trotz mehrstündiger, hartnäckiger Versuche gelang es indessen nicht, den Hund zum Aufnehmen einer Spur zu bringen.

»Es kann ja natürlich sein, daß der Verwalter sich nicht persönlich mit der Sache befaßt hat,« sagte Sterling schließlich. »In dem Fall gibt es aber noch eine andere Möglichkeit. Wo wohnt jener Holm, der bei der Untersuchung als Zeuge auftrat?«

»Da drüben in der Kate,« erwiderte Röder und zeigte auf ein kleines, rotbemaltes Häuschen, das in geringer Entfernung unter einer Baumgruppe lag.

»Vortrefflich!« rief Sterling erfreut. »Da wollen wir ihm gleich einmal einen kleinen Besuch abstatten.«

Sie gingen auf die Kathe zu und erblickten einen kleinen, schieläugigen Mann, der sich neben der Haustür mit Holzhacken beschäftigte.

Als die Herren herankamen, unterbrach er sich bei seiner Arbeit, stützte sich auf den Schaft seiner Axt und erwartete seine Besucher.

Im selben Augenblick begann Sterling zu Röders Verwunderung mit einemmal, auf einem Fuß zu hinken.

»Was hast du denn?« fragte Röder. »Warum hinkst du?«

»Still!« flüsterte Sterling. »Laß mich nur machen.«

Mit wehleidiger Miene hinkte er weiter, und als sie das Haus erreichten, wandte er sich an den Mann mit der Axt, in dem er sofort den Zeugen Holm wiedererkannte.

»Hören Sie, guter Freund!« sagte er. »Ich habe eine Holzpinne im Stiefel, die ich notwendig loswerden muß, eh' ich weitergehen kann. Haben Sie vielleicht eine Hufzange oder so etwas Ähnliches, die Sie mir borgen können?«

»Ich werd' mal nachsehen,« erwiderte Holm und verschwand in der Kate.

Nach einer Weile kehrte er mit einer Zange zurück. Sterling hatte sich auf eine Bank gesetzt und den einen Stiefel ausgezogen. Er nahm die Zange und begann im Innern des Stiefels nach der lästigen Pinne zu suchen. Nachdem er scheinbar mehrere mißglückte Versuche gemacht hatte, das Ding zu entfernen, sagte er in ärgerlichem Ton:

»Damit geht es nicht. Haben Sie nicht eine andere Zange? Diese ist nicht scharf genug.«

»Es kann sein,« murmelte der Mann mürrisch und ging wieder ins Haus hinein.

Als er wieder zum Vorschein kam, trug er eine große, fast neue Hufzange in der Hand. Sterling musterte sie mit befriedigter Miene. Während Holm im Hause war, hatte er Sporre ganz unbemerkt von der Leine losgemacht. Der Hund hatte sein Auge jedoch von Anfang an auf ein paar Hühner geworfen und jagte jetzt im vollen Galopp auf den Hühnerstall zu.

Holm und Röder eilten ihm nach, um ihn einzufangen. Sobald Sterling allein war, ließ er die Hufzange mit vergnügtem Grinsen in seiner Tasche verschwinden. Dann zog er seinen Stiefel wieder an und hinkte hinter den anderen her.

Der Hund war bald gefangen, und indem Sterling ihn wieder an die Leine nahm, sagte er:

»Vielen Dank für die Hufzange, Holm. Ich habe sie da ins Gras gelegt.«

Darauf warf er die Flinte über die Schulter und humpelte mit seinem Freunde von dannen.

Röder war ganz verwundert über sein Benehmen. Als sie allein waren, fragte er sofort:

»Was in aller Welt bezwecktest du eigentlich mit der Komödie, die du eben aufführtest? Und warum ließt du Sporre los?«

Statt aller Antwort zog Sterling die Zange hervor und hielt sie Röder unter die Nase.

»Sieh dir die an!« war alles, was er sagte.

»Die Zange ...« stammelte der Ingenieur. »Die hast du mitgenommen?«

»Sieh sie dir genau an!« wiederholte Sterling.

Röder nahm ihm die Zange aus der Hand und betrachtete sie aufmerksam.

»Ich kann nichts Besonderes an ihr finden,« sagte er nach einer Weile und blickte fragend zu Sterling auf.

»Nicht?« entgegnete Sterling. »Hast du dir denn die Ränder der Zange angesehen?«

»Es sieht aus, als ob man sie benutzt hätte, um starken Kupferdraht abzukneifen,« meinte Röder.

»Oder Nieten von Bootsnägeln,« verbesserte Sterling.

»Aha, du meinst also ...«

»Ich meine, daß man die Zange gestern angewendet hat, um die Köpfe der Nietnägel in deinem Boot abzukneifen. Des Effekts wirst du dich ja noch erinnern, was?«

»Dann hätte Holm also die Tat vollführt?«

»Zweifellos. Er ist aber nur ein Werkzeug in den Händen des wirklichen Verbrechers, des Verwalters Karsten. Du siehst hieraus, mit welcher teuflischen Schlauheit er sich selbst im Hintergrunde zu halten versteht. Auch diesmal rutscht er uns wieder durch die Finger. Aber mit der Zeit werden wir ihn doch ertappen. Der Krug geht so lange zu Wasser, bis er bricht. Dies war Attentat Nummer eins. Wir müssen dem Schurken nun Gelegenheit geben, hier ein paar Tage frei über das Schlachtfeld zu disponieren. Wir reisen nach Stockholm und warten dort bis weitere Entwicklung der Dinge ab. Augenscheinlich wagt er nichts zu unternehmen, solange wir uns hier aufhalten.«

»Aber deine Idee mit dem Erdreich vom Fuchsbau ... Willst du die ganz aufgeben?

»Keineswegs,« erwiderte Sterling lebhaft. »Ich habe einen gescheiten kleinen Kätnerbengel ausfindig gemacht und ihm erklärt, wie er sich benehmen soll.«

So wurde denn beschlossen, daß die beiden Herren auf einige Tage nach Stockholm fahren sollten, und diese Absicht führten sie schon am Abend desselben Tages aus.


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