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B. Das alte Christentum.

Zur Geschichte der christlichen Lebensanschauungen können wir uns nicht wenden ohne der Schwierigkeiten zu gedenken, die der Begriff der Geschichte auf diesem Gebiete hat. Ihrem Grundgedanken nach ist die Religion aller Geschichte feindlich. Denn so gewiß sie ihre Wahrheit als göttlich gibt, so gewiß muß sie sie als unwandelbar geben, so wenig darf sie sich als ein Erzeugnis der Zeit verstehen. Das Christentum hat diesen Gegensatz besonders schroff gestaltet; weder Jesus selbst noch seine Jünger noch das alte Christentum meinten einen langen Weg zu beginnen, vielmehr erwarteten sie für die nächste Zeit das Ende der Welt, das Erscheinen der ewigen Herrlichkeit. Erst nach Jahrhunderten verblaßte die Hoffnung auf eine baldige Wiederkehr des Messias; es hat wohl erst die Ausbildung der Kirche zu voller Selbständigkeit und weltbeherrschender Macht jenen Gedanken durch das von ihr behauptete Gegenwärtighalten des Reiches Gottes zurückgedrängt. Die Kirche selbst aber hat, als Trägerin einer unwandelbaren Wahrheit, in wesentlichen Stücken nie eine innere Bewegung und Geschichte anerkannt. Auch das ist bemerkenswert, daß Luther mit der Erschütterung des überkommenen Kirchenbegriffes sofort wieder unter die Macht des Gedankens von einem baldigen Ende der Welt gerät; nur diese Überzeugung macht namentlich sein späteres Wirken verständlich.

Trotzdem hat das Christentum eine Geschichte. Es hat sie zunächst deswegen, weil es durch recht verschiedene Zeiten ging, deren Eigentümlichkeit die Gestalt der Religion nicht unberührt lassen konnte. Denn so wenig die Religion ein bloßes Stück der Kultur bedeutet, dem Einfluß des sie umfangenden Lebens kann auch sie sich unmöglich entziehen. Die Zeit, in der das Christentum seine einstweilige Festlegung fand, jene Zeit des Versinkens des Altertums, ist viel zu eigentümlich, als daß sie alle Zeiten binden und alle Zukunft der Menschheit beherrschen könnte; es mußte über sie hinausdrängen, und es hat über sie hinausgedrängt; damit aber gerät notwendig auch die Religion in Bewegung.

Bis so weit aber könnte die Bewegung ihr nur als zufällig und aufgedrängt erscheinen. Aber es hat das Christentum, bei aller anfänglichen Gleichgültigkeit gegen die Welt, als dauernde Lebensmacht auch ein inneres Bedürfnis, sie sich anzueignen und zugleich sich selber weiterzubilden. Es darf nicht eine Sache der bloßen Individuen bleiben, es muß ein zusammenhängendes Lebensganzes, eine eigentümliche Welt christlicher Art erbauen. Dabei aber muß es zur Kulturarbeit irgendwelches Verhältnis gewinnen und Verwandtes aus ihr an sich ziehen, auch muß es Wirkungen auf die Kultur ausüben, wenn auch weniger direkt als indirekt, durch die Wandlung des ganzen Menschen hindurch. Solche Wechselwirkung mit der Kultur, solches Geben und Empfangen läßt das Christentum notwendig die Bewegung des Gesamtlebens teilen und damit auch eine Geschichte erlangen, ohne freilich damit ein Erzeugnis bloßer Geschichte zu werden.

Diese Geschichte zerfällt aber in zwei Hauptabschnitte: ein älteres und ein neueres Christentum, jenes durch das Verhältnis zum Altertum, dieses durch das zur Neuzeit bestimmt. Die Verbindung mit dem Altertum wirkt auch in den heutigen Formen des Christentums fort, entzweit die Geister und bereitet vielfachste Verwicklung. Aber die Erfahrung dessen mache uns gegen die ältere Art nicht ungerecht. Für jene Zeit war sie eine Notwendigkeit, wenn anders das Christentum aus einer bloßen Sekte zur geistigen Weltmacht werden und den Gesamtstand umbilden sollte. Denn an keine andere Kultur konnte es sich halten als an die, welche damals die Welt beherrschte und der allgemeinen Überzeugung als der Höhepunkt menschlichen Strebens galt. Auch hat die Verbindung beider Welten reichste Frucht getragen. Wohl hat das Altertum oft die eigentümliche Art des Christentums weit zurückgedrängt und arg verdunkelt; namentlich bei den Begriffen und Lehren scheint oft mehr das Christentum in das Altertum, namentlich den Platonismus, als das Altertum in das Christentum eingetragen. Aber einmal hat das Christentum in dem Altertum außerordentlich viel vorgefunden, das seinem eigenen Streben entgegenkam, und das nur weiterzuführen war; das namentlich hat nicht wenig zu seinem Siege beigetragen, daß es alle Bewegung des späteren Altertums zur Verinnerlichung an sich zog und verstärkend zusammenfaßte; sodann aber hat es bei allem Anschluß an griechische Gedankenmassen für die Erhaltung und Entfaltung seiner eigentümlichen Art zu kämpfen nie aufgehört. Wenn ferner das Zusammenstreben meist nicht über eine mehr oder minder geschickte Zusammenfügung hinauskommt, so enthält es immer bedeutende Probleme, und an Einer Stelle – bei Augustin – erreicht es eine Höhe, die sich den größten Leistungen aller Zeiten einreiht und auch für uns keine bloße Vergangenheit ist. Wie aber Augustin die Spitze der Lebensanschauungen des alten Christentums und damit den Hauptvorwurf unserer Betrachtung bildet, so ergibt sich von ihm aus auch die Einteilung dieser Periode: alle Leistung vor Augustin läßt sich als eine Vorbereitung, alle spätere als eine Weiterführung seiner Gedanken verstehen.


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