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XIII.

August Ferdinand geleitete Janek Proczna nach dem Flügel, mit der Bitte, sein dankbares und hochgespanntes Publikum mit einer klingenden Perle aus seinen reichen Schatzkammern zu erfreuen.

Ohne jegliche Gene, als befände er sich im Kreise langjähriger und bester Freunde, ließ sich der Erbherr von Proczna auf den Klaviersessel nieder und schlug prüfend einen Akkord an.

»Sind denn die Noten zur Stelle?« fragte Onkel Drach, voll fieberischen Eifers das Instrument umkreisend, wie die Trabanten ihren Fixstern, »wo liegen sie? Wer hat sie in Empfang genommen?«

»Danke tausendmal, verehrtester Onkel, ich liebe keine Überfracht auf Reisen und mache es wie der Hofhahn, der die Augen schließt, weil er sein Lied auswendig kann!«

»Ich singe wie der Vogel singt, der in den Zweigen wohnet!« recitierte Gräfin Ettisbach mit falschem Pathos und schmachtendem Blick, August Ferdinand aber fügte liebenswürdig hinzu:

»Wenn Sie ein paar Meisterhändchen zum Accompagnieren brauchen, Verehrtester, so bin ich überzeugt, daß Frau Leutnant Gower Ihren Gesang aufs beste unterstützen würde – ich kenne sie als Künstlerin«, und er nickte der Genannten, welche vollkommen isoliert neben ihrem Gatten stand, aufs huldvollste zu.

Zarte Röte bedeckte das Antlitz der Engländerin, sie verneigte sich dankend und senkte bescheiden die dunklen Wimpern; – das scharfe: »Hoheit ist doch ein unverbesserlicher Spötter!« der Excellenz Gärtner, das dieselbe mit einem mehr wie beleidigenden Blick begleitete, klang zu ihr herüber, und fiel wie Meltau auf diese erste kleine Blüte der Liebenswürdigkeit, welche ihr am heutigen Abend gereicht wurde.

Janeks Blick streifte beide Damen, ein feines Lächeln zuckte um seinen Mund; er erhob sich noch einmal, um der Frau Gower durch eine stumme Verneigung seinen Gruß zu senden.

Dann glitten seine Hände präludierend über die Tasten.

Anna Regina hatte Platz genommen und Xenia, sowie Frau Leonie an ihre Seite gewinkt, die Hände im Schoß um den Fächer gefaltet, lauschte sie wie verklärt auf die köstlichste aller Stimmen, welche laut aufjubelnd ihren »frühlingslichten Gruß« durch den Saal schmetterte.

Proczna schloß mit verhallendem Akkord, erhob sich und wandte sich lächelnd zu seinem Auditorium. Schnell wie der Gedanke traf sein Blick das gesenkte Haupt der Gräfin Dynar, schweifte weiter zu Anna Regina, zur Excellenz Gärtner. Da haftet er. Eine fessellose Flut der Begeisterung umbrandet ihn, alle Hände rühren sich in lebhaftestem Applaus, nur zwei nicht – die Schwester des Gefeierten verschlingt sie im Schoß, regungslos, als sei sie zu Stein erstarrt. Ihr Blick irrt über die weißen Wasserblumen, welche aus dem Goldgrund zu ihren Füßen schwimmen.

»Opponieren Sie, Gräfin?« zischt es in ihr Ohr.

Langsam blickt Xenia auf, in das grinsende Gesicht des Hoffräuleins, welches sich über ihre Schulter neigt.

»Inwiefern?«

»Sie schonen Ihre Handschuhe und klatschen nicht!«

»Das hieße Eulen nach Athen tragen!« –

Ein kühles Lächeln weht über das Antlitz der Komtesse, mit durchdringendem Blick streift sie die Gräfin:

»Pole bleibt Pole – erst will ich meine silbernen Löffel nachzählen, ehe ich mich an Lorbeeren verausgabe!«

»Gott erbarme sich, meine Liebe! Sie haben mir doch hoffentlich den kleinen Scherz von vorhin nicht übelgenommen? – Das kommt davon, wenn man mit den Leuten derartig Versteck spielt, daß selbst die nächsten Anverwandten eine ›verdeckte Schüssel‹ für uns bleiben! – Wie konnte man ahnen, daß Sie in so nahen Beziehungen zu dem Göttlichen stehen?«

»Janek Proczna gehört weder zu meinen näheren noch ferneren Anverwandten, wir tragen keinen Tropfen gemeinsamen Blutes in den Adern.«

»Aha – ganz recht … er ist ja wohl polnischer Abkunft? Ich hielt's für ein Märchen … aber höchst interessant!« und Gräfin Kany trat schnell zwei Schritte vor, in den Kreis, welcher den Adoptivsohn des Grafen Dynar umringte und lachte ihm mit sehr lauter Stimme entgegen:

»Soeben erfahre ich durch Komtesse Xenia, daß Sie beneidenswerter Mensch polnischer Nationalität sind! Hat denn das Schicksal all seine originellsten Gaben über Sie gestreut, um Sie durch alles und jedes interessant zu machen? Die Polen sind mir ein unendlich sympathisches Volk, ich kenne keine reizvollere Poesie als diejenige, welche im zerfetzten Banner von den Ruinen Ostrolenkas weht!«

Frau von Hofstraten sperrte Mund und Nase auf.

»Olles Lügenmaul!« rang es sich leise, aber voll tiefster Überzeugung von ihren Lippen.

»Sie sind Pole?«

Excellenz Gärtner zuckte wie elektrisiert empor und sah ihm glühend in das Auge, dann zog sie langsam ein feines Goldkettchen aus dem Kleiderausschnitt und hielt die Münze, welche sich daran schaukelte, dem jungen Mann lächelnd entgegen:

»Sehen Sie doch, welch unbewußte Sympathie zwischen uns, seit meiner Backfischschwärmerei für August den Starken trage ich das Bild meines Ideals als Glückspfennig auf dem Herzen!«

Frau Leonie errötete fast unter dem Blick, welcher sie traf. Janek neigte sich, faßte die Münze und blickte einen Moment darauf nieder.

»Wie gut ist es doch, Excellenz, daß meine Verehrung für diesen Vertreter höchster Ritterlichkeit so festen Boden gefaßt hat, daß die Eifersucht sie nicht entwurzeln kann! Ich bin nicht neidisch, sondern stolz auf diese Auszeichnung, und küsse im Namen König Augusts die schöne Hand, welche ihm ihr Glück befohlen .hat.«

»Se hat'n schon gekapert«, lachte die Frau Rittmeister und versetzte der Gräfin Ettisbach einen Stoß mit dem Ellbogen, »wischt euch man de Snäuzken, Kinner, de Pollacke futsch!«

»Nun sagen Sie aber, verehrteste Gräfin, wie läßt sich das Garn entwirren, welches seine versteckten Bande zwischen Ihrer Familie und unserm Gottbegnadeten hier gesponnen?« fragte August Ferdinand, seiner Angewohnheit gemäß mit der Hand langsam den Bart streichend und Xenia heiter anschauend. »Sind Sie verwandt mit Ihrem Pflegebruder, trotzdem er polnischen Blutes ist?«

Alles drängte lauschend herzu, Janek lächelte ein Gemisch von Humor und Schadenfreude und stützte sich behaglich lauschend auf einen Sessel.

Sekundenlang biß sich Xenia auf die Lippe, dann hob sie mit sehr schlecht erzwungenem Gleichmut das schöne Haupt, ein fast drohender Blick blitzte zu Proczna hinüber.

»Königliche Hoheit erwarten vielleicht ein interessantes Kapitel Dynar'scher Familiengeschichte«, erwiderte sie mit einem Versuch zu scherzen, »und werden sehr enttäuscht sein, wenn das Rätsel die einfachste Lösung erfährt. Mein und meines Pflegebruders Stammbaum weist kein einzig blutverwandtes Reislein auf, er ist Pole und ich bin eine Deutsche. Unsere Väter jedoch waren, so viel ich weiß, intim befreundet, und Hans Stefan wurde von Papa adoptiert, damit er den aussterbenden Namen unserer alten Familie erhalten solle!«

Leises Auflachen unterbrach sie.

»Wie grausam Sie sind, Xenia!«

Janek richtete sich empor und sah ihr fest in das Auge, ein erbarmungsloser Ausdruck lag auf dem trotzig kühnen Männerantlitz:

»Sie wollen den interessantesten Abschnitt meiner Biographie mit ein paar oberflächlichen Notizen abfinden, nach welchen man sich eine ganz irrige Meinung über meine Persönlichkeit bilden könnte. Ich weiß, daß Sie wenig orientiert sind, und werde die Details zu Ihren Angaben liefern. Halten zu Gnaden, Königliche Hoheit, meine Jugendgeschichte ist das einzige, was mich stolz macht, denn sie bietet sämtliche Requisiten, welche zu einem romanhaften Konzertsängerdasein nötig sind!«

»Ist ja scharmant, bester Proczna – bitte, erzählen Sie!« nickte der Prinz eifrig, Gräfin Kany schoß einen funkelnden Blick nach Xenias Antlitz und schloß sich den stürmischen Bitten der Damen sehr nachdrücklich an.

»Excellenz werden als Polenfreundin und Liebhaberin echter Romantik ganz spezielles Interesse für mein Schicksal haben!« lächelte Janek, sich voll ostensibler Galanterie an Leonie wendend, welche als Antwort die Medaille Augusts des Starken wie einen Orden auf der Brust befestigte, und wandte sich alsbald voll gewinnendsten Humors zu August Ferdinand zurück:

»Wollen Königliche Hoheit sich folgende, höchst sensationelle Staffage denken: In der Einsamkeit ostpreußischer Steppen ein uraltes, turmgekröntes Schloß. Der Schneesturm heult um die Söller und zersplittert die Tannen im Walde, kein Stern, kein Mondstrahl erhellt die Winternacht, tiefe, grauenvolle Ode und Verlassenheit. Durch Schnee und Kälte kämpfen sich zwei Wanderer dem rettenden Lichtschein des Schlosses entgegen. Ein Mann hüllt seinen frosterstarrten Knaben in den zerfetzten Mantel, ein Weib folgt mit brechenden Knien – elend zum Sterben zerlumpt und verzweifelnd … polnische Flüchtlinge – Das Schloß öffnet seine Pforten und nimmt sie gastlich auf, voll edler Barmherzigkeit hebt der Graf den Sohn des Insurgenten an seine Brust und verspricht ihm, sein Vater zu sein, bis der Flüchtling einst zurückkehren darf, bis für Polen der Tag der goldenen Freiheit anbricht, bis aus den Trümmern Ostrolenkas eine neue Königskrone aufersteht! Der Sohn des Bettlers und Rebellen, dem das Schicksal ein neues Vaterland, eine Grafenkrone und ein Lorbeerreis zum Ersatz für den entrissenen Vater gab – der sein unruhiges Polenblut nicht verleugnen kann und singend die Welt durchzieht, der beneidenswerte Unglückliche ist Janek Proczna, der Pflegebruder der Gräfin Dynar!«

Flammend traf sein Blick das rotgoldne Haupt, durchdringend, wie in atemlosen Lauschen; er hatte erwartet, daß Xenia erbleichen werde, wie damals, als er ihr Geld und Titel vor die Füße geworfen, als er mit energischer Hand die Bande entzweiriß, aus welchen sie eine Kette schmieden wollte! Er hatte sich getäuscht. Wohl stand Gräfin Dynar regungslos, wie vor Scham und Entsetzen versteinert, aber der Ausdruck ihres Gesichts harmonierte nicht damit, ein maßloses Staunen malte sich darauf, und der Blick, welcher dem seinen sekundenlang begegnete, blitzte auf wie in Bewunderung.

Sie trat neben ihn und schaute lächelnd zu August Ferdinand empor:

»Ich hoffe, Ew. Königliche Hoheit nehmen den Adoptivsohn meines Vaters mit derselben Huld und Gnade in unserem Kreise auf, wie einen geborenen Grafen Dynar, und den Polen mit dem nämlichen Vertrauen wie einen germanischen Vertreter meines Namens, ich bürge dafür, daß sein ›unruhiges Polenblut‹ in echt deutschgesinntem Herzen pulsiert.«

Der Prinz sah in hohem Grade animiert aus.

»Das bedarf wohl durchaus keiner Versicherung, Komtesse. Janek Proczna ist mir durch sein ebenso interessantes wie wehmütiges Schicksal vielleicht noch lieber geworden wie ein Grafensohn, welcher sich mit einer Krone ohne Lorbeerschmuck begnügt hätte! Und sein deutsches Herz?«

August Ferdinand sah dem jungen Mann fest und freundlich ins Auge und reichte ihm schnell die Hand entgegen.

»Nun, ich denke, wer Stolz und Ehrenhaftigkeit genug besitzt, als hochgewachsener Baum noch seine niedrige Wurzel zu vertreten, der steht auch jederzeit im Sinne seines zweiten Vaterlandes für einen Namen ein, mit dem ihn alle Bande der Dankbarkeit verknüpfen!«

Das Gespräch hatte sich nach kurzer Zeit wieder auf die Musik hinübergespielt. Anna Regina gedachte mit warmer Begeisterung eines Liedes welches stets zu ihren Lieblingskompositionen gehört hatte: »Das ist im Leben häßlich eingerichtet, daß bei den Rosen gleich die Dornen stehn!«

Janek trat an den Flügel zurück und gab in einzelnen Accorden die Melodie an, er hatte das Lied nie von Noten gesungen, dennoch wollte er den Versuch wagen und es sich auf den Tasten »zusammensuchen.« Voller und mächtiger brausten die Accorde unter seinen Händen hervor, der Rubin, welcher in auffallend schöner Fassung wie ein Purpurfunken an dem kleinen Finger brannte, schoß feurige Blitze; leise, wie eine unaussprechlich tiefe Klage intonierte Proczna das Lieblingslied der Prinzessin.

Auf den Arm Leonies gestützt, stand die hohe Frau zur Seite des Sängers und lauschte wie im Traum.

Als er geendet, blickte sie ihn mit feuchtem Auge an, ihr Antlitz war verändert, kein Zug darin erinnerte an das scheue, gedrückte Wesen von früher, aus dem Kinde schien ein Weib geworden.

»Werden Sie jetzt längere Zeit hier bei uns bleiben?« fragte Excellenz Gärtner mit gedämpfter Stimme.

Proczna wiegte zweifelnd das Haupt.

»Mein Herz bleibt hier, wenn ich selber auch scheiden muß!« scherzte er.

»Es ist der specielle Wunsch meiner erlauchten Gönnerin, Sie noch auf Wochen hinaus in unserer Mitte zu sehen und … nicht wahr, Hoheit, Sie sind es gewohnt, daß man ihren Bitten ebenso prompt gehorcht wie einem Befehl?«

Ein eigentümlich harter Klang lag plötzlich in der Stimme der Präsidentin, es deuchte Janek, als presse sie die Hand Anna Reginas dominierend gegen sich.

Wie weggeblasen war der reizende Ausdruck im Gesicht der Prinzessin Betroffen, fast entsetzt blickte sie zu ihrer schönen Freundin empor:

»Aber liebste Excellenz … ich bitte Sie um Gottes willen … Herr Proczna weiß, daß ich mich herzlich seines Bleibens freuen würde, aber die Ursache davon sein … nein! solcher Unbescheidenheit möchte ich mich nicht schuldig machen!« und ihr Blick huschte hastig zu August Ferdinand hinüber, ob er vielleicht ihrem Gespräch lausche.

»Das ist keine Unbescheidenheit, Hoheit, sondern nur eine Auszeichnung für den Sänger Ihres Lieblingsliedes!« fiel Excellenz Gärtner sehr gelassen, aber auch sehr bestimmt ein. »Warum wollen Sie Versteck mit Ihren Sympathien spielen? Ich kenne dieselben sehr genau und wiederhole daraufhin meine Einladung in Ihrem Namen!«

Hilflos, voll flehender Angst richteten sich Anna Reginas Augen auf das erbarmungslose Antlitz der Sprecherin, mit bebenden Lippen versuchte sie zu scherzen:

»Aha – weil Sie August des Starken Bildnis zu Ihrem Glückspfennig erkoren haben, soll ich Ihnen den polnischen Hofstaat dazu besorgen! Sehr schlau, meine kleine Excellenz, Anna Regina wird vorgeschoben und Ihnen der Gefallen damit gethan!«

»Und wenn dem so wäre, Hoheit? Habe ich mich geweigert, Ihnen einen Dienst zu leisten?« Leonies Stimme wurde scharf wie ein Messer, dann lachte sie graziös auf: »Janek Procznas Lieder haben mich bezaubert! Und da der Gefeiertste der Gefeierten unmöglich etwas auf die Bitte einer schlichten Präsidentin Gärtner geben wird, so leihe ich mir zum Revanchedienst Ihren Purpur, Hoheit, um dem eiteln jungen Herrn hier die Augen zu blenden! Nun, wie steht es, Hoheit, wende ich mich vergeblich an Ihre Großmut?«

Tiefe Blässe lag auf dem Antlitz der Prinzessin, ein krampfhaftes Lächeln zuckte um ihre Lippen; ehe sie jedoch entgegnen konnte, wandte sich Proczna, welcher ein stummer Zeuge der Unterredung gewesen war, auffallend heiter an Frau Leonie.

»Und solch ein Armutszeugnis soll ich mir ausstellen lassen, Excellenz, und es sogar noch durch den Erfolg unterschreiben? Wie huldvoll und gnädig war es von Hoheit, mir die moralischen Handschellen zu ersparen. Polnisch Blut schäumt viel zu heiß und trotzig, um sich irgend welchem Zwang, selbst dem der Galanterie, zu fügen; ich komme und gehe planlos wie der Planet am Himmel, dieses Ebenbild eines echten Künstlers. Emportauchen, für kurze Zeit magischen Glanz versprühen und urplötzlich wieder versinken in das Dunkel des Weltalls … durch nichts gefesselt, als ›vielleicht‹ durch das ewige Gesetz der Attraktion. Nicht der Purpur einer ganzen Welt bannt solchen planetgearteten Künstler, sondern einzig der Sonnenglanz eines schönen Auges, das Sternenbanner lächelnder Frauengunst! Wenn mich das nordische Babel in seinen Mauern gefangen hält, so feiert nicht die Eitelkeit, sondern der Zauber der Schönheit einen Sieg! Und darum flehe ich Excellenz an, ja nicht das irrige Gerücht von einer speciellen Einladung Ihrer Königlichen Hoheit auftauchen zu lassen, es wäre das sicherste Mittel, mich für ewige Zeiten zu verscheuchen!«

Janek verneigte sich sehr tief und lächelnd vor der Prinzessin, sein Auge ruhte forschend auf ihrem Antlitz.

Er hatte sich nicht geirrt, wie eine aus Todesangst Erlöste blickte Anna Regina zu ihm auf, ihre kleine Hand zuckte, sich ihm darzubieten, Dankbarkeit strahlte aus ihrem Auge.

Da hatte Janek Proczna die erste Seite der Lebensgeschichte in Anna Reginas Antlitz entziffert, und es deuchte ihm, als halte er mit der Lösung des alphabetischen Rätsels die sämtlichen Fäden der Entwickelung in der Hand.


In einer Fensternische stand Bicky und schaute regungslos zu Vetter Donat hinüber, welcher, wie ein Schmetterling den Rosenkelch, die Gräfin Xenia umgaukelte.

Ein Schatten lag auf dem reizenden kleinen Gesicht, sie hatte es sich so ganz anders gedacht, als große Dame in der Gesellschaft eingeführt zu sein.

Daß die hohen Herrschaften sehr freundlich mit ihr gesprochen hatten, die Damen ihr hier und da mal zunickten, und die Leutnants ihr höchst spaßhafte Anekdoten erzählten, das war ihr durchaus gleichgültig und schien doch nicht der Zweck einer Gesellschaft; sie wollte sich mit Donat sehr ernsthaft und feierlich unterhalten, wollte ganz von ihm so behandelt sein, wie Cousine Xenia, und er sah sie kaum! Geschweige, daß er ihr den Hof machte! Im Vorübergehen kniff er sie in den Arm, blinzelte ihr zu oder that, als wollte er über ihre Schleppe springen, und prustete dann laut los vor Lachen, wenn sie gar keine hatte … o, sein empörendes Betragen hatte sich gar nicht gebessert! – – Das eine Mal, als er sie wieder am Zopfe gezogen hatte, war sie sehr böse geworden und hatte »Frecher Kerl!!« zu ihm gesagt, daraufhin bekümmerte er sich gar nicht mehr um sie. Das wurde mit der Zeit unerträglich.

So böse hatte sie das doch nicht gemeint, würde es auch von Herzen gern widerrufen, wenn er nur käme! Aber er kam nicht. Und dazu hatte Janek noch ein so furchtbar trauriges Lied von »Rosendornen und Auseinandergehen« gesungen, und von »einer schlanken Maid, für welche es sich zum Guten oder Bösen wenden wird …« Bicky war zwar keine schlanke Maid, sondern ein »ausgesprochener Doppelpony« wie Donat sagte, aber zum Bösen wandte es sich ganz entschieden bei ihr, und das trieb ihr die hellen Thränen in die Augen.

»Warum denn so sehr nachdenklich, Bickychen?« klang es plötzlich dicht neben ihr.

Mit jammervollem Gesichtchen wandte sich Beatrice hastig dem Frager zu.

»Ach, lieber, guter Janek, er bekümmert sich gar nicht um mich!«

Proczna wußte sofort, wer gemeint war.

»Das ist ja empörend. Ich werde mal ein paar Worte in Civil mit dem Monsieur reden! Morgen früh um neun Uhr, nach dem Kaffee, wird er gehängt!«

Die Kleine sah etwas mißtrauisch empor.

»Ich habe ihn furchtbar beleidigt, aber nicht mit Willen, es fuhr mir nur so heraus!« …

»Alle Wetter! Was haben Sie denn gesagt?«

Bicky schaute unter sich.

»Ich sag's dir morgen; der eklige Flandern sieht nach uns her und horcht, weißt du, wie der aussieht?!«

»Nun?«

»Wie der Pique-Bube; und dazu hinkt er noch!«

Der Erbherr von Proczna lachte amüsiert auf.

»Also einer, mit dem sich Vetter Donat mal nicht zu schießen braucht! Apropos … ich sehe soeben, daß er seinen eigenen Gedanken Audienz gibt, wie wär's, wenn ich ihm einmal in Ihrem Namen fürchterlich die Meinung sagte?«

Bicky wurde ganz blaß vor Schreck.

»Du wirst ihm doch nichts thun, Janek?«

»Gott bewahre, ich drehe ihm nur den Hals um!«

Wie gut, daß er so schelmisch dazu lachte, Beatrice hätte beinahe laut aufgeschrien. Nun sah sie, daß es Scherz war, und lachte mit.

»Der Mensch ist mir ja im hohen Grade gleichgültig, ich hasse ihn sogar … aber es thut mir sehr leid, daß ich ihn vorhin so tödlich gekränkt habe … Hörst du, Janek? Horch nur mal bei ihm an, ob er mir ewig böse sein wird!« … –

 

Heller-Hüningen stand und zwirbelte den Schnurrbart. Xenia hatte ihm gerade sichtlich pikiert einen längeren Vortrag über das Mädchen von Dom Remi gehalten. Darüber meditierte er. Und Proczna sang währenddessen ein so larmoyantes Lied von Rosendornen und etwas, das zu schön gewesen wäre, wenn es die schlanke Maid nicht immer zum Bösen gewandt hätte. Ein merkwürdiges Lied. Au fond verstand er wenig davon, denn die Musik war leider von jeher seine sehr schwache Seite gewesen. Bicky stand auch ganz verängstigt in dem Erker und machte runde Augen, der schien es ebenso zu gehen wie ihm, mit einer gewissen Genugthuung bemerkte es der junge Fürst. Dann hatte Graf Dynar sein Lied geendet und empfing endlose Huldigungen, er bevorzugte die schöne Excellenz auf ostensible Weise und sie kokettierte gewaltig mit ihm.

Xenia wurde immer einsilbiger und unnahbarer, oft schien es, als seien ihre Gedanken weit entfernt von der Unterhaltung, welche sie führte.

Donat kam sich vor wie Butter an der Sonne, er schien das einzige musikalische Ungeheuer im ganzen Saal zu sein. Um wenigstens irgendwie beschäftigt zu sein, kostete er die sämtlichen pikanten und süßen Schnitten durch, welche ununterbrochen auf silbernen Platten präsentiert wurden. Eine Hand legte sich aus seine Schulter, Proczna stand hinter ihm und grüßte ihm mit schäumendem Sektglase entgegen.

»Sekundieren Sie mir, lieber Fürst, ich trinke das Wohl der Königin Rose!«

Hüningen lachte vergnüglich auf.

»Die, welche Sie im Wappen führen, ist nicht meine Sorte!«

»Wohl möglich, die meine weist Dornen auf!«

»Na zum Kuckuck, darüber können Sie doch nicht klagen!«

Janek zuckte die Achseln.

»Im Gegenteil, ich preise mich glücklich. Wer die Welt durchwandert, und die Blumen in aller Herren Länder gepflückt hat, wie ich, der weiß den entzückendsten aller Reize, den Rosendorn, am besten zu schätzen. Ich liebe die Waffen in der Männerhand ebenso sehr, wie den blitzenden Kampfruf in schönem Frauenauge, denn beide spornen mich an, den Sieg zu erringen.«

»Aber mon Dieu … ich verstehe Sie gar nicht, Proczna; hat Ihnen etwa eine einzige Dame hier ein böses Gesicht gemacht?«

»Und was für eins! Wenn Blicke erdolchen könnten, stünde morgen mein Nekrolog in der Zeitung!«

»Blitz und Knall … erzählen Sie mal … Frau Leonie?« und Donat rückte, aufs lebhafteste interessiert, noch einen Schritt näher.

Gras Dynar lachte leise auf.

»Frau Leonie!! Nein, Frau Leonie habe ich nicht am Zopf gezogen.«

»Bicky?« Hüningen sah sehr enttäuscht aus, »die zählt ja noch gar nicht mit!«

Janek legte mit undefinierbarem Blick die Hand auf die Schulter des jungen Offizier.

»Betend, daß Gott euch allesamt erhalte, so geschmacklos … so blind und so altmodisch!« scherzte er mit humorvollem Pathos. »Liebster Hüningen, ist es thatsächlich Ihr Ernst, daß Sie die reizende kleine Beatrice so übersehen, oder fischen Sie Schalk im trüben, und machen uns nur auf die buntglitzernde Coquille hitzig, dieweil Sie selber die Perle heben?«

Rätsel lösen war leider auch eine der schwachen Seiten Donats, er blickte den Sprecher so betroffen an, als habe ihm derselbe in türkischer Sprache ein Staatsgeheimnis verraten.

»Na – ich hoffe nicht, daß wir Rivalen werden, Durchlaucht«, fuhr Proczna leiser fort, »Sie machen ein gar zu ungläubiges Gesicht zu meinem Geschmack, welcher einem Backfischchen die Palme des Sieges reichen will. Aber machen Sie einmal die Augen auf und suchen Sie im Saal eine zweite Dame, welche mit solch köstlich ungnädigen Dornen zu Felde zieht wie Bicky!«

»Aber sagen Sie doch um alles in der Welt …« wollte Donat ganz alteriert das Thema weiter ausspinnen, aber schon hatte sich Proczna zu den Regimentsdamen gewandt, welche ihn durch tausend wissensdurstige Fragen mit Beschlag belegten.

»Sagen Sie mal, ist es denn wirklich wahr, daß Sie in Paris so riesig von der Kaiserin verzogen worden sind?« inquirierte Gräfin Ettisbach mit dem naivsten Gesichtchen, welches ihr zu Gebote stand.

»Das will ich meinen! Sie band mir jedesmal ein Knüpftüchelchen um, wenn es windig draußen war!«

» Méchant! … Aber ein paar Orden haben Sie doch von ihr bekommen?«

»Natürlich, jeden Morgen einen zum Kaffee!«

»Spotten Sie nur! Ich frage noch viel indiskretere Dinge!« jubelte Gräfin Tarenberg, das Stumpfnäschen voll reizender Keckheit zu ihm hebend, »ich weiß es wohl, Sie haben mit all den rosa Briefchen, welche man Ihnen geschrieben, Ihr Kaminfeuer unterhalten!«

»Nein! Dagegen verwahre ich mich, gnädigste Gräfin!« Janek hob mit wahrhaft entrüsteter Miene die Hand, »deren Schicksal habe ich bedeutungsschwerer gestaltet.«

»So? Und inwiefern denn?!« … Atemloses Lauschen.

»Ich habe mit dem König von Italien ein Abkommen getroffen, den Vesuv damit zu heizen.«

»Na – dann kann ick mir's vorstelle, warum dem arme Deiwel mancherzeit so zum Ausspeien blümerant wird!« bemerkte Frau von Hofstraten in bekannter Trockenheit, dieweil sich ein schallendes Gelächter im Kreise erhob.

Die Diener rissen die Flügelthüren zu einem der Nebensalons auf, und der Haushofmeister meldete der Gräfin Dynar das Souper an.

Excellenz Gärtner stand neben der Prinzessin und flüsterte ihr ein paar Worte hinter dem Fächer zu.

Anna Regina befahl mit unsicherer Stimme den Grafen Dynar an ihre Seite.


Druck von A. Rietz & Sohn in Naumburg a. S



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