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II.

Die schwerseidenen Damastgardinen vor den Fenstern des Ahnensaals waren zurückgeschlagen, und ließen das falbe Schneelicht seit langer Zeit zum erstenmale wieder über die gebräunten Parquettafeln schimmern, welche sich, im Muster des Dynarischen Wappens zusammengefügt, als eine der ältesten und kostbarsten Raritäten in dem Schlosse erhalten hatten. An den Wänden hingen dicht gedrängt die lebensgroßen Bildnisse der gräflichen Ahnen, von reichgeschnitzten Leisten umrahmt, deren Ecken meistens das Wappenschild aufwiesen, und deren Knauf die neun Perlen schmückten.

Kleine Silbertafeln, unter den Bildern in das Wandgetäfel eingelassen, nannten die Namen, Geburts- und Todestage der Längstverblichenen.

An der Nordwand, zwischen den beiden ältesten Gemälden, einer hohen Männergestalt im Gewande der Kreuzritter und einem Damenbildnis, war der Stammbaum der Reichsgrafen von Dynar entrollt, in dessen vorletztem Schild mit kräftig stolzen Schriftzügen aufgezeichnet stand:

»Gustav Adolf, geboren 1800, V, III, vermählt mit Anna Euphemia, Fürstin Tautenburg, Erbgräfin zu Heller-Hüningen, geboren 1816, II, VI † … 1838, …«

Mit unsicherer, zitternder Hand war das Kreuz und die Zahl dahinter gezeichnet, und mit derselben noch frischen und schwarzen Tinte war ein Zweig mit zwei Schildern aus dem Wappen dieses Elternpaares gezeichnet.

Inmitten des Saales war ein Altar errichtet, geschmückt mit kostbaren, uralten Silbergeräten, umgeben von frischem Tannengrün, auf welchem noch der geschmolzene Schnee wie blitzende Tauperlchen glimmerte, leise herniedertropfend auf den weichen Teppich, in dessen Mitte das goldene Taufbecken stand, auf einem wurmstichigen Gestell, welches aus einer Ceder des Libanon geschnitzt, und mit dem Holz eines Ölbaums, vom Ahnherrn aus dem gelobten Lande heimgebracht, ausgelegt war.

Seit Menschengedenken, soweit die Familienchronik zurückreichte, hatten die Reichsgrafen von Dynar an dieser Stelle und aus diesem Taufstein den Segen empfangen, welcher sie zu Mitgliedern der christlichen Gemeinde gemacht.

Auch das Töchterchen Gustav Adolfs sollte in der nächsten Stunde in ernster Feier vor diesen Altar des Herrn getragen werden.

Tiefe Stille herrschte in dem weiten, hallenartigen Saal. Das trübe Licht eines schneedurchwirbelten Wintertages vermochte kaum das Halbdunkel des großen Raumes zu brechen; wie düstere Streifen lagen die Schatten der Säulen aus dem Getäfel des Fußbodens, roten Funken gleich brannten die Flammen auf den Kandelabern.

Ruhelos auf und nieder schritt der Erbherr von Proczna, sein Fuß weckte ein Echo an dem hochgewölbten Plafond und knurrte leise auf dem breitfugigen Parquet, er war allein mit seinen Gedanken.

Auf ihn nieder schauten die Augen seiner Voreltern, unheimlich, lebendig in diesem Zwielicht, ernste, stolze Gesichter.

Sie ähnelten sich alle, die Reichsgrafen von Dynar. Das waren dieselben großen, strengblickenden Augen unter hochgewölbten Brauen, dieselbe kluge Stirn, über welche echt deutsche Haare fielen, blond, oft rötlich blond, bei den Frauen ein Heiligenschein von Gold.

Hohe, majestätische Gestalten, gleichviel ob in Rüstung, Ordensmantel, farbigem Tressenkleid oder gesticktem Uniformkragen, sie trugen sämtlich das Haupt hoch erhoben auf den breiten Schultern, sie neigten die Mundwinkel ebenso hochmütig unter der Allongeperrücke, wie unter dem form- und zwanglosen Jägerhut, eine kalte, fast starre Ruhe lag über den sämtlichen Gesichtern, kühl wie die Perlen und Diamanten auf dem Hals, kühl bis in die Adern hinein, welche sich wie kleine, gar leicht anschwellende Schlangen über die weißen Stirnen ringelten.

Stumm, mitleidslos starrten die Augen hernieder auf das bleiche Gesicht des Letzten ihres Stammes, aus dessen Haupt der Kummer schon früh seine weißen Flocken gestreut.

Der Blick Gustav Adolfs schweifte forschend von Angesicht zu Angesicht.

Er war in den Kreis dieser regungslos feierlichen Gestalten getreten, um eine der schönen Ahnfrauen zu bitten, Patin bei seinem einsamen, verlassenen Kind zu werden.

Welche soll er wählen? …

Er hat keine andere Gesellschaft auf Proczna als diese steifgeputzten, längst in Staub und Asche zerfallenen Leute. Wer möchte wohl aus der großen, bunten Welt in die verschneite Einsamkeit herauskommen, um eines menschenscheuen Witwers Kind über die Taufe zu halten? Er besaß keine Verwandten. Und die Familie seines süßen, verklärten Weibes wohnte weit entfernt, zur Zeit sogar im Süden; da war kein einziger, der hätte kommen können und mögen – war es doch selbst für den alten Pastor der nächsten Stadt ein opfermutiges Werk der Liebe, einen halben Tag lang durch Schnee und Eis zu fahren, um über das Köpfchen eines Säuglings den Segen zu sprechen.

So blieb ihm keine Wahl, er mußte sich eine Gesellschaft aus alten, alten Zeiten laden, mit Reifrock und Schönpflästerchen, in klirrender Rüstung und schmuckem Höflingskleid. Die stiegen mit steifer Würde aus ihren dunklen Rahmen, schlossen den Kreis um das Taufbecken, an dessen Rande sie einst selber in Fleisch und Blut gestanden, und neigten sich mit flüsterndem Weihegruß über das letzte zarte Reis, welches dem alten Stamm entsprossen.

Welche aber von all diesen ernsten, lächelnden, trauernden und triumphierenden Frauen soll seinem Töchterchen den Namen geben?

Gustav Adolf schaut sinnend zu dem Bilde empor, vor welchem er just steht.

»Victoria Charlotte, vermählt mit dem regierenden Grafen zu Düsterburg und Ellersheyde – 1607 – † 1660 – « besagte die Silberplatte.

Hochtoupiertes Haar mit breitem Diadem … große, wundervolle Augen, … aber um die Mundwinkel senken sich scharfe, erbarmungslose Linien …

Gustav Adolf entsinnt sich, daß die Chronika sie eine »stolze, gewaltthätige Fraw« nennt, »so mancherley Feht und Rechtsstreyt über selpe graffschaft Düsterburg Gebracht.« – –

Er neigt das Haupt und schreitet weiter.

»Christine, Marie Anne, Stiftsoberin zu Obernbrunn, 1611-1670.« Blasse verschwommene Züge, … und Augen, so kalt und farblos, daß den Beschauer fröstelt – –

Hier ein reizendes, lachendes Rokokodämchen, eine Taube auf der Schulter, Rosen im Schoß. »Cyprienne, Gräfin Dynar, geborne Marquise Le Mans de Soiçonpierre« …

»Perlweiße Zähnchen … tief, tief entblößt … › pour paraître jolie – pour plaire aux garçons …‹« summt es wie ein längst vergessenes Couplet vor den Ohren des Grafen.

Und weiter – immer weiter schreitet er von Bild zu Bild. Keines ist ihm so recht nach dem Herzen.

Plötzlich bleibt er stehen und blickt regungslos in zwei dunkel leuchtende, geheimnisvolle Frauenaugen.

Eine schlanke, königliche Figur tritt im weißen Brokatkleid, mit strahlenartig hochstehendem Spitzenkragen, wundersam lebendig aus dem dunklen Rahmengrund. Zauberhaft anmutig ist das Köpfchen mit den goldrot leuchtenden Haaren, welche in duftigem Gelock aufgenestelt sind, wundervoll der Kontrast, welchen die schwarzen Augen dazu bilden.

Keck, übermütig, und dennoch unnahbar stolz ist der Ausdruck des Gesichts, wie Spott und Eigensinn zuckt es um die vollen Lippen. Meisterhand muß dieses Bild gemalt haben, – muß plötzlich in der Arbeit unterbrochen sein, – hier, die Schleppe des Kleides, der Fuß und der Teppich darunter sind nur angelegt, nur flüchtig skizziert.

»Xenia, Gräfin Dynar, geboren 1560«, ist die lakonische Inschrift der Silberplatte. Kein Todesjahr? … Keine Angabe, ob sie Frau oder Mädchen war? … Nichts.

Gustav Adolf hat das Gefühl, als müsse das reizende Weib die Lippen öffnen und laut auflachen, als müsse sich die glänzende Perlenschnur auf ihrer Brust unter schnellen Atemzügen heben, … zuckt sie nicht das Köpfchen spöttisch in den Nacken, sinken nicht plötzlich die dunklen Wimpern verschleiernd über die Augen?

Thörichter Wahn, – ein Vogel flatterte an dem Fenster vorüber und warf schnellen Schatten.

Dennoch leben die wundersamen Augen und folgen ihm mit dem Blick, als Gustav Adolf zu dem Stammbaum schreitet, das Lebensschicksal der Gräfin Xenia zu erforschen.

Es ist dämmerig, er muß lange suchen, ehe er sich in der verblichenen altmodischen Schrift zurechtfindet. Endlich entdeckt er ihr Schild. »Xenia, geboren 1560.« – Auch nicht mehr. Sie ist die Tochter Jose Maximilians und dessen Gemahlin geborene Freiin von Todtenwart.

Vielleicht starb sie eines jähen Todes; es waren unruhige Zeiten damals. Auch die Familienakten jener Tage sind abgerissen und unvollständig.

Der Erbherr von Proczna tritt zu dem Gemälde zurück.

»Willst du die Patin meines Töchterchens sein, schöne Xenia?«

Lange, lange schaut er sie an.

Genau noch erinnert er sich, da er einst sein geliebtes Weib durch diesen Saal geführt, daß sie vor diesem Bilde stehen geblieben.

»Welch köstliches Porträt«, hatte sie staunend ausgerufen, »jenes süße Antlitz nickt mir wahrhaft zu, so sprechend ist es ausgeführt … o und sieh diese Hand, Gustav, – hast du jemals solch eine vollendet schöne Form gesehen?«

Lächelnd hatte er damals ihre schlankem warmen Finger an die Lippen gezogen.

»Gewiß, ich bewundere sie täglich!«

Später aber, wenn das schlechte Wetter die leidende Gräfin in das Zimmer fesselte, und sie ihre kurze Promenade mit Vorliebe durch diesen Saal machte, dann hatte er sie oft vor dem Bilde überrascht, gedankenvoll, wie in tiefem Traum verloren.

»Sie interessiert mich so sehr!«

Damals schaute er nicht auf die gemalten Züge, da hing sein Blick noch in leidenschaftlicher Glückseligkeit an dem zarten Gesichtchen der lebenden Gräfin Dynar, welche zum Inbegriff seines ganzen Daseins geworden war.

Es schimmerte feucht über die Wangen Gustav Adolfs.

»Ja, sie soll Xenia heißen,« murmelte er, wandte sich jäh ab und schritt mit tief gesenktem Haupte in dem grabesstillen Saal auf und nieder.

Dann wieder blieb er vor dem Stammbaum stehen und blickte nachdenklich auf das unvollkommene Feld der Ahnfrau nieder. Fast in einer Linie mit ihr, nur um etliche Generationen höher, hatte er bereits das Schild gezeichnet, auf welchem abermals der Name Xenia stehen sollte, daneben noch ein zweites.

»Janek«, oder besser »Hans Stefan, Reichsgraf zu Dynar«, wollte er auf dieses schreiben.

Ein neues Reis aus uraltem Stamme. Er wußte von welch stolzem Geschlecht er dieses Pflänzlein in sein eigenes herüber senkte, welch ein edler Zweig es war, den er der urdeutschen Eiche der Dynars aufpfropfte, und doch wußte er auch, welch fremder Art er war, welch grundverschiedene Keime er so gewaltthätig verschmelzen wollte.

»Polnisch Blut! Bah, es ist ein Märlein, welches von dem Gift desselben erzählt, welches da behaupten will, Art lasse nicht von Art! – Polnisch Blut, welches durch deutsche Adern kreist, kühlt sich ab und vergißt seine Heimat, – nicht das Blut, sondern die Erziehung schaffen eine Nationalität, nicht das Einst, sondern das Jetzt bestimmt den Charakter. Laßt sehen, ob das polnische Reis auf dem deutschen Stamme andersfarbene Blätter und Früchte treibt, als die blutsverwandten Äste, ob die eine Wurzel, welche beide nährt, sich spalten lassen wird durch ein Tröpflein fremden Saftes!

Polnisch Blut! … wer glaubt an solche Narrheit!«


Die Kerzen flackerten auf dem Altar, und das frische Tannengrün wehte seine Duftwogen wie eine holde Christahnung um das Taufbecken im Ahnensaale zu Proczna.

In der schwerseidenen, mit verblichenen Passionsblumen bestickten Taufschleppe wurde die letzte Gräfin Dynar vor den Tisch des Herrn getragen.

Die Worte des Priesters hallen wie Orgelton durch den weiten Raum, in hellen Perlentropfen senkte sich der Segen des Himmels auf das goldblonde Köpfchen des Täuflings, – und über die Gemälde an den Wänden ging ein heimliches Säuseln, als ob sich die steiffrisierten Häupter mit den stolzen Gesichtern andächtig neigten, um ihr»Amen! Amen!« über die Letzte ihres Geschlechtes zu rufen.

Aus dem Schloßwall donnerten die Kanonen, und Graf Gustav Adolf kniete vor dem Altar und barg das Antlitz in den Händen.

Dann nahm er sein Töchterchen in den Arm, zog Janek an die Brust und betete vor dem Bild der verstorbenen Gräfin, welches neben dem Taufbecken aufgestellt war.

Mit großen, erstaunten Augen blickte sich Janek um, strich leise mit der Hand über das Köpfchen der Schwester, auf welches der fremde, schwarze Mann die Wassertropfen gestreut, und neigte sich in aufquellender Zärtlichkeit, um das schlafende, kleine Angesicht zu küssen.

Gustav Adolf aber zog es durch die Seele wie ein Wunsch für ferne glückliche Zeiten – Und die Kerzen verlöschten, auch die, welche man neben dem Bilde der schönen Gräfin Xenia entzündet hatte.

In dem Augenblick deuchte es dem Erbherrn von Proczna, als habe ihm die stumme Patin mit wundersam blitzendem Auge die weiße Hand entgegengereicht, – er trat einen Schritt näher – der Schein des verlöschenden Lichtes hatte die Täuschung hervorgerufen, – das Porträt hing unverändert, kalt und tot und blickte ganz wie zuvor mit starren Augen auf ihn nieder.

Gustav Adolf steckte ein Tannenreis an den Rahmen, faßte die Feder und trat zu dem Stammbaume.

»Xenia« – schrieb er auf das Schild seiner Tochter, »Xenia Anna Euphemia, geboren 28. 9. 1838.« – denn also hatte sie soeben der Priester im Namen Gottes getauft. Dann wollte er auch den Namen seines Adoptivsohnes in das leere Feld einzeichnen Er setzte die Feder an, unterbrach sich, – ging nachdenklich einige Schritte auf und nieder.

Wer hindert ihn, dem Hause Dynar einen Stammhalter zu geben, wenn auch aus fremden, aus polnischem Blut?

Er hat dem flüchtigen Vater den Eid geleistet, Janek zu adoptieren; er hält sein Wort, er liebt den Knaben, er hat ihm das Recht gegeben, sich als Sohn an sein Herz zu schmiegen.

Aber Xenia? – Er schmälert ihr Erbe um eines Fremden willen; gleichviel, sie wird dennoch über fürstlichen Reichtum gebieten, und Janek soll ihr kein Fremder sein.

Sie soll aufwachsen in dem Gedanken, einen leiblichen Bruder zu besitzen, erst bei ihrer Mündigkeitserklärung soll sie die Wahrheit aus des Vaters Mund erfahren, wenn er bis dahin noch lebt.

Bis dahin wird es sich auch zeigen, ob sich »polnisch Blut« verleugnen kann.

Xenia selber soll mit festem Willen und fester Überzeugung zustimmen, daß der Name: »Hans Stefan« neben den ihren geschrieben wird, – vielleicht …

Gustav Adolf wirft die Feder hin.

»Mag ihn meine Tochter selber dahin schreiben, wohin sie ihn haben will!« lächelt er, »in das nachbarliche Schild, – oder … in ihr eigenes, Gott möge es geben.«

Und er schreitet langsam, gebeugt, an Leib und Seele gebrochen, durch den dämmrigen Saal in sein Studierzimmer zurück.

Die Vorhänge rauschten wieder vor die Spitzbogenfenster, dunkle Schatten senkten sich über das goldblonde Köpfchen auf dem Bilde der Gräfin Xenia. – –

 

Jahre vergingen.

In der tiefen Einsamkeit Procznas wuchsen die beiden Kinder des Grafen Dynar empor, so unendlich verschieden beanlagt, und dennoch voll zärtlichster Harmonie eines an das andere geschmiegt.

Ein strenger Befehl des Grafen hatte es dem Gesinde untersagt, jemals ein Wort über Janeks eigentliche Herkunft zu verraten, denn der Knabe sei an Sohnes Stelle von ihm angenommen, und keine Menschenseele habe ein Recht, diesen seinen Entschluß zu begutachten.

Da hatte sich ein dichter Schleier über jene Sturmnacht und ihre armseligen Gäste gesenkt.

Jadwiga, die Polin, war bei der kleinen Komtesse geblieben.

Wundersame Weisen, Klänge wilder Liebe und wilden Hasses sangen des deutschen Reichsgrafen blondes Mägdelein in die ersten Träume. Glühendes Polenblut war es, welches den kleinen Körper nährte.

Dann war der Tag gekommen, da sich die Thür im Studierzimmer Gustav Adolfs öffnete, da zaghaft schwankende Schrittchen dem stillen Mann entgegen hallten und zwei rosige Ärmchen ängstlich zu ihm hinstrebten. Jadwiga aber stand mit stolzem, selbstzufriedenem Lächeln auf der Schwelle, und sah mit an, wie die kleine Xenia zum erstenmale die Füße selbständig in das Leben setzte.

Gleichzeitig bat sie um ihre Entlassung. – –

Nicht Geld und nicht gute Worte vermochten es, sie länger in Proczna zu halten; sie küßte demütig die Hand Dynars und hatte nur eine Antwort:

»Laß mich gehen, Herr!«

Still und emsig schnürte sie ihr Bündel, hob die Kleine noch einmal in stürmischer Zärtlichkeit empor an die Brust, küßte und küßte das lachende Gesichtchen, und murmelte:

»Ich habe dich lieb, Kind, trotz allem und allem, dein Sinn und dein golden Haar sind deutsch, aber deine Adern habe ich mit Polenblut gefüllt! Wirst's nicht verleugnen, einmal schäumt's empor im Leben, dann, wenn Polens alte Herrlichkeit aus Schutt und Trümmern steigt! Niech'zyje Polska

Janek blickte staunend zu ihr empor, er hatte die Worte gehört, waren sie auch noch so leise geflüstert, aber ihren Sinn vermochte er nicht zu fassen.

Er wunderte sich, daß Jadwiga so anders war wie sonst. Er schlang die Arme um ihren Nacken und erwiderte ihre Liebkosungen, dann schritt er an ihrer Hand zu dem Schloßhof hernieder und sah sie in den Wagen steigen, ernst, stumm wie immer.

Das Sonnenlicht lag voll auf ihrem Antlitz, sie schaute noch einmal zu dem Grafen empor, welcher ihr vom Fenster aus ein Lebewohl winkte, und legte ehrfurchtsvoll die Hand auf die Brust; dann zogen die Pferde an, dahin sauste der Wagen, und Janek stand und schaute ihm nach, bis das helle Licht seine Augen blendete, und er ungeduldig davon lief, um mit seinen beiden großen Hunden auf der Steppe herum zu tollen.

Fast überraschend kräftig und schnell entwickelte sich sein anfangs so zarter, fast schwächlicher Körper. Das freie, ungebundene Leben, welches die Kinder im Schloßpark und der angrenzenden Heide führten, wehte wie frischer Hauch durch die jungen Glieder.

Da zeigte sich zuerst so recht deutlich der Unterschied zwischen den Geschwistern.

Janek war ein wildes, fast ungestümes Kind. Klettern, tollen und mit ausgebreiteten Armen den Sturm auf der Steppe fangen, war sein Element; er überlegte nie, er handelte, und handelte er übereilt, so büßte er lachend für seinen hitzigen Sinn. Ging ihm etwas zu langsam, so schlug er mit Fäusten drein; fand er bei andern kein Gehör, so verschaffte er sich selber sein Recht, und dazu schüttelte er die dunkeln Locken herausfordernd in den Nacken und kannte weder Angst noch Sorge, er lebte nur für den Augenblick. Dabei aber war er ein außerordentlich milder, fast weicher, kleiner Gesell. Mit bitteren Thränen netzte er die Wunden, die er schlug und heilte sie nach besten Kräften, stets voll Reue und Einsicht; ein freundliches Wort war allmächtig über ihn, gleichviel, wer es zu ihm sprach.

Xenia trug das rotblonde Köpfchen bei weitem steifer und selbstbewußter auf den kleinen Schultern. Ihr Ungestüm war mehr Trotz, und ihre Wildheit mehr Herrschsucht, sie schwang sich nicht, wie Janek, auf ein Pferd, um nun in jauchzender Lust in der Koppel herum zu jagen, sondern einzig mit der Absicht, sich dieses widerspenstige Roß zum Gehorsam zu zwingen. Sie ließ die Peitsche nicht durch die Luft sausen, um zu strafen, sondern um sich als Herrin zu zeigen, sie lief und kletterte nicht mit Janek um die Wette, weil es ihr Freude machte, sondern weil sie es nicht dulden wollte, daß er ihr überlegen sei.

Xenia war ein unendlich spröder und stolzer kleiner Eigensinn, wußte genau, wer sie war, und machte zwischen sich und ihrer dienenden Umgebung einen gewaltigen Unterschied; sie kommandierte Janek in eigenwilligster Weise und nahm es für ganz selbstverständlich, daß der um Jahre ältere Knabe beständig nachgab; sie war ihm auch leidlich gut, während er sie fast abgöttisch liebte und verhätschelte.

Einst kamen Zigeuner auf den Schloßhof. Ein paar braune, zerlumpte Kinder spielten vortrefflich Geige und verstanden sich auf kleine Kunststücke.

Janek war begeistert, schloß sofort Freundschaft und nahm durchaus keinen Anstand, die kleinen Bettler mit sich zum spielen zu nehmen.

Xenia rümpfte das Näschen, musterte die Fremdlinge über die Schulter und fragte:

»Ist euer Vater ein Reichsgraf und habt ihr ein Schloß wie wir?«

Und da dies nicht der Fall war, verzichtete sie lieber auf die seltene Freude, ein paar Spielkameraden zu haben, und drehte sich auf den Hacken um.

Das begriff Janek nicht; er balgte sich in höchster Lust mit der unaristokratischen Gesellschaft herum, kehrte endlich mit glühenden Wangen und zerzaustem Schopf zu der Schwester zurück, und erzählte ihr, daß die braunen Bengels ihm eine Menge neue Dinge gelehrt hätten, den Kunstkniff, ein Pferd auf die Knie zu zwingen, und ohne Sattel ganz fest auf seinem Rücken zu stehen, man müsse nur die Füße genau zu setzen verstehen, und beide Hände fest gegen die eigene Taille drücken, das halte im Gleichgewicht! Andern Tages probte er die Kunststücke mit wahrem Feuereifer, und fiel unverdrossen so lange auf die Nase, bis er's konnte.

Als Janek sieben Jahre geworden, hatte ihm Graf Dynar bereits einen Hauslehrer engagiert; der beklagte sich öfters, daß der Knabe zu leichtfertig im Lernen sei, bei seiner so außerordentlichen Begabung und dem scharfen Begriffsvermögen könne er ein Dreifaches leisten, nur für Musik habe er eine geradezu närrische Passion, und es würde ihm Freude machen, mit Erlaubnis des Herrn Grafen, dieses Talent und diese Vorliebe zu unterstützen.

Gustav Adolf war sehr einverstanden damit und staunte selber über die Fortschritte, welche sein künftiger Namenshalter auf diesem künstlerischen Gebiet machte. Auch Xenia liebte die Musik, war aber nicht besonders dafür talentiert. Sie schüttelte heftig die goldenen Locken zurück, ballte die kleinen Hände und weinte vor Zorn.

Oft hatte Gustav Adolf bei solch leidenschaftlichem Ausbruch seines »Rotköpfchens« gedankenvoll in das rosige Gesichtchen geschaut und nach einer Ähnlichkeit geforscht, endlich, als ihm die Kleine eines Tages mit namenloser Mühe eine kleine Piece fehlerfrei gespielt hatte, und dann mit erhobenem Kopfe stand, und Janek halb spöttisch, halb triumphierend und halb herausfordernd ansah, da wußte er, wo ihm diese Augen schon einmal begegnet waren. Drüben im Ahnensaal, auf dem Bilde der Gräfin Xenia.

Er lächelte. Jetzt erst fiel es ihm so recht auf, welch eine Schönheit das stolze Kind einst zu werden versprach.

Zu seinem zwölften Geburtstag bekam Janek einen Gouverneur und einen Kandidaten, während der deutschen Erzieherin der Komtesse noch eine Gouvernante hinzugefügt wurde.

Da gab es etwas mehr Leben auf Proczna, wenngleich sich Graf Gustav Adolf einsilbiger denn je in sein Studierzimmer zurückzog, und außer beim Mittagsmahl sich vor den Fremden nicht sehen ließ. Man nannte ihn menschenscheu, und bedauerte die armen Kinder, welche allabendlich ihre freien Stunden in dem düsteren Turmzimmer verleben mußten. Dynar saß meist an seinem Schreibtisch und schien völlig in seine Schriften versunken, aber sein Blick huschte unbemerkt zu den Kindern herüber, und beobachtete ihr Spiel. Wenn sie Arm in Arm und Wange an Wange geschmiegt, süß und vertraulich plauderten, dann zog es wie Sonnenlicht über die bleichen, vergrämten Züge des Vaters, dann sanken unwillkürlich die Wimpern über seine Augen, und die Gedanken träumten einen lieben, heimlichen Zukunftstraum.

Und leise hob die Zeit ihre Schwingen, und schwebte über die Träume von Proczna.

Die Heide brannte auf in roten Blütenflammen, und sank trauernd zusammen in braune Asche; der Wind fegte darüber hin und streute silberne Flocken, unter welchen heimlich der Keim sproßte, daraus übers Jahr abermals der rote duftende Funken der Erika ausglühen wird.



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