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VI.

Der schwerbewölkte Herbsthimmel dehnte sich über der nordischen Großstadt X.

Die alten, ehrwürdigen Handelshäuser, welche schon viele Hunderte von Jahren in Reih und Glied in den engen Straßen Parade standen, eines immer so grau und ernst, so sittsam und abgeschlossen wie das andere, rissen erstaunt die schläfrigen Augen auf und schauten herab auf das bunte, flotte Völklein, welches hoch zu Roß, in schmucker Ulanenuniform über das Pflaster stampfte.

Mit wehenden Fähnlein, unter jauchzendem Zuruf des Volkes hatte das neue Kavallerieregiment seinen Einzug gehalten, um künftighin die großstädtische Garnison mit der bereits seit Jahren hier liegenden Infanterie und Artillerie zu teilen, und zu gleicher Zeit das elegante Relief für einen Hof zu bilden, welcher zum Entzücken der Bevölkerung für Jahre hinaus im »nordischen Aachen« residieren wollte.

Seine Königliche Hoheit, Prinz August Ferdinand, nahestehendes Mitglied eines regierenden Herrscherhauses, war mit der Führung einer Division betraut, und siedelte demzufolge mit seiner Gemahlin Anna Regina nach X, dem neuen Feld seiner Thätigkeit, über.

Mit offenen Armen war er empfangen worden. Die doppelfarbigen Banner hatten tagelang von den spitzen Giebeln herabgerauscht, blühende Gewinde schlangen sich über die engen Straßen und schaukelten dem erlauchten Paar unzählige Willkommen entgegen, Tausende von Kerzen hatten abends bei der Illumination hinter den Scheiben gestrahlt, hatten als Brillantfunken in zahllosen Fürstenkronen und dem verschlungenen Namenszug der Freude der wackeren Bürger Ausdruck verliehen. Dazu hatte es aller Enden von Salutschüssen geknattert und gekracht, der Jubel des Volksfestes bis spät, spät in die Nacht hinein gehallt.

Das neu restaurierte Gouvernementsgebäude öffnete eine mächtigen Thorbogen unter dem lorbeergezierten Wappen, das erlauchte Paar in seinem gewaltigen Viereck aufzunehmen.

Wo es sonst seit undenklichen Jahren grau in grau wie ein finsterer Steinkoloß zum Himmel ragte, da glitzerte und schimmerte es plötzlich aus allen Fugen und Ritzen, da ging ein feenhaftes Leuchten durch die langen Fensterreihen, daß es aussah, als sei der dunkle Steinwürfel über Nacht in Goldschaum getaucht und mit den Sternen des Himmels geschmückt worden.

Wie ein hohes majestätisches Freudenfeuer brannte er inmitten des illuminierten Häusermeeres.

Equipagen donnerten durch die sonst so stillen Straßen, Sporen und Säbel klirrten, und wiehernde Pferde tänzelten unter dem Schenkeldruck ihrer ritterlichen Herren unter den Erkerlein hin, wo noch die gute alte Zeit mit Schaube und Gretchentasche voll ehrbarer Sitte wohnte. Rosmarin und Gelbveiglein nickten noch hinter gar manchem Giebelfenster, wo des Kaufherrn Töchterlein still und fromm, wie einst Großmutter und Ahne hauste.

Wie ein wirrer, bunter Traum lachte, glänzte und hastete es plötzlich durch die Gassen; ein neuer Luftzug wehte herein, süß und einschmeichelnd wie Blumenduft, und dennoch blies er scharf in alle Ecken und Winkelchen und scheuchte den Staub des alten Zopfes in dicken Wolken empor. Welt und Leben! Die guten, reichen, selbstzufriedenen Bürger von X hatten es sich gar nicht träumen lassen, wie hoch droben an der Grenze der Kultur sie doch ihren Kohl gebaut hatten. Auf dem Bärenfell hatten sie gelegen und die Schlafmütze über die Ohren gezogen, unbekümmert, ob die Zeiger an der Uhr stehen blieben und es Asche vom Himmel regnete; und nun mit einem Mal erhob sich eine Sonne über ihren Häuptern, teilte mit purpurnem Strahl die Dämmerung und zeigte ihnen die neuen Götteraltäre, aus welche das neunzehnte Jahrhundert seinen Weihrauch streut. »Eleganz«, »Luxus« – »Vorwärts!« steht als Devise darauf.

Die Väter der Stadt griffen zum langzipfligen Frack und dem Goldknopfstock, setzten die größte Brille auf und schritten gravitätisch und unendlich würdevoll durch das Schloßportal, um beim Festbankett dem prinzlichen Paar möglichst salbungsvoll ihre Devotion zu vermelden; schier geblendet aber starrten sie auf die Pracht eines Hoffestes, welches lustig, bunt und lebensfroh seine Reflexe bis hinaus auf die mit Goldgitter verzierten Marmortreppen der Vestibule warf.

Und als die Väter der Stadt früh am Morgen wieder heimwärts wandelten, da saß die Brille schief und der Frack lag voll Goldpuder, und sie führten einander am Arm, drohten den wackligen Laternen und lallten mit schweren, glückseligen Zungen ein lustig Lied aus ihrer eigenen Jugendzeit.

Eine neue, frische Zeit war für das nordische Aachen hereingebrochen. Die Soldateska blies ihm ein schneidiges »Hurra« in die schläfrigen Ohren, und das Gouvernementsgebäude hißte die Flagge auf, welche einem stattlichen Heere von Festen, von Lebenslust und elegantem Getreibe voranwehte.

Zwei Jahre war es her. –

Schnell hatte auch X seine Physiognomie in diesen zwei Jahren verändert, hatte die Zipfelmütze von dem Haupt gestreift und dafür den Rosenkranz in die Locken gedrückt. Kleinhandel und Gewerbe blühten mächtig empor, – der Landadel, welcher früher den Winter im Süden oder in der Residenz verlebt hatte, zog sich jetzt mit seinem Anhang hierher zurück, um sein Geld am Hof des Prinzen August Ferdinand zu verzehren.

Am Marktplatz, welcher in seiner Mitte einen alten, steingehauenen Brunnen mit der Statue des heiligen Nepomuk trägt, und welchen rechts das wundervolle dreigieblige Rathaus, links der alte Dom flankiert, bildete die Ecke einer schmalen Nebengasse, die Kurie, welche von dem Oberregierungspräsidenten und gleichzeitigen Domherrn, Seiner Excellenz, dem Baron Gärtner bewohnt wurde.

Grau und eingeräuchert dehnte sich der einstöckige Bau mit der Fassade über die Markthallen hin. Die Zeiten hatten ihren Staub über das kirchliche Wappen gestreut, welches über dem spitzgewölbten Thorbogen auf breit vorspringendem Sockel thronte, hatten die Skulpturen der Fenstersimse teilweise hernieder gebröckelt, und einen Schleier über die Quadermauern gehängt, welche das leicht vornüber gebaute Stockwerk stützten.

Süßer Syringenduft wehte durch die etwas niedrigen, aber kostbar ausgestatteten Salons. Weit geöffnet waren die Flügelthüren, und gewährten den Durchblick in die lange Zimmerflucht, welche sich in farbiger Pracht, wie eine Perlenschnur, bunt aneinander reihte.

Ein kleines, lauschiges Boudoir bildete den Abschluß. Hier schien alles zusammengehäuft, was dem Geschmack einer eleganten Dame unwiderstehlich erscheint. Rokokomöbel mit wässerig verschwimmendem Blumendamast, goldmarketierten Platten und hohen Bronzekonsolen waren auf schwellendem Teppich in reizend genialer Zwanglosigkeit durcheinander geschoben, schwerseidene, purpurgefütterte Portieren rauschten breit neben den Fenstern und Thürflügeln nieder und an den Wänden kokettierten echt Meißner Porzellanstatuetten auf ihren kostbaren Simsen, schauten aus ovalen Rahmen die reizendsten Genrebildchen, im Geschmack eines Watteau, Claude Lorrain und Lairesse. Palmwedel nickten über dem Eckdiwan, und ein buntschillernder Amazonenpapagei schaukelte sich träge im goldenen Reif. Auf den beiden Kranichleuchtern des Schreibtisches brannten die Wachskerzen und beleuchteten die schlanke Gestalt einer Dame, welche, tief über ein aufgezogenes Schubfach geneigt, mit weißen Händen die Papiere durcheinander warf und sortierte.

Fein und reizend wie die Züge einer römischen Gemme war ihr Profil gezeichnet, wie Sammet, zart und frisch ihr Teint, und tiefdunkel das lockige Haar, in welchem die Rubinrosetten über der Stirn ihre glühenden Blitze sprühten. Eine Robe von leuchtend rotem Atlas floß, von schwarzen Spitzen überwogt, in langer Schleppe auf den Teppich nieder und sehr tief à coeur dekolletiert tauchte der weiße Hals aus einem Blütengewinde schaukelnder Fuchsien.

Eifrig neigte sich das Köpfchen über ein Billet, um den Inhalt noch einmal zu überfliegen.

» Ma bien chère!« – stand mit ziemlich charakterlosen Schriftzügen unter einer farbigen Fürstenkrone.

»Ich hoffe sicher, Carlo heute abend bei Ihnen zu treffen. Entferne mich von hier unter dem Vorwand, mit Ihnen zu musizieren! Ich bin ganz krank vor Angst und Aufregung, verlasse mich aber völlig auf die Diskretion und die Klugheit meiner lieben Freundin! Au revoir, ich umarme Sie in Gedanken!

Anna Regina.«

Die feinen Lippen der Leserin zuckten scharf auf, sie faltete das Billet wieder zusammen und legte es zu einem Päckchen bereits ausgewählter Briefe, – dann entfaltete sie ein zweites rosiges Blatt.

»Ich komme zur bestimmten Zeit, – sorgen Sie dafür, daß wir mit B. ungestört bleiben.

Toujours la même.

A. – R. – – «

Hastig ward auch dieses Schreiben zu den anderen gelegt.

Leise Schritte klangen im Nebensalon.

»Excellenz – ich bitte um Verzeihung …«

Wie von einem Schlage getroffen, schrak das schöne Haupt der Angeredeten zurück, – eine tiefe, zornige Falte grub sich in die weiße Stirn.

»Was fällt Ihnen ein, Jean?!« zischte sie empor. »Habe ich nicht jede Störung strengstens verboten?«

»Ganz recht, Excellenz, ich bitte um Vergebung, ich habe jedoch Befehl vom gnädigen Herrn, welcher mich schickt, Excellenz für einen Augenblick herüber zu bitten! Ein sehr heftiger Hustenanfall hat sich wieder eingestellt …«

»Welcher Unsinn, mich darum zu belästigen! Mein Mann hustet, so lange ich ihn kenne!« unterbrach Frau Leonie von Gärtner den Diener, »geben Sie ihm seine Arzenei und dann ist es gut; – es wird ja schließlich zur reinen Manie, mich alle Augenblicke wegen solcher Lappalie herüber citieren zu lassen!«

»Es scheint diesmal doch bedenklicher zu sein«, – wagte Jean schüchtern einzuwerfen. »Excellenz fühlen sich sehr matt und angegriffen – – «

»Ganz egal – ich kann jetzt nicht kommen, sagen Sie ihm, daß ich jeden Moment die Hofdame der Prinzessin erwarte. – Außerdem wünschte ich es dringend, daß mein Mann nachher in den Salons erscheine, die Prinzessin und eine eingeladene Gesellschaft muß von dem Hausherrn empfangen werden! Ich wünschte es dringend.«

Jean verneigte sich tief und respektvoll. Der Wunsch seiner Gebieterin trug sehr das Gepräge eines Befehls, er kannte ihren Ton bereits.

So ging er, – einen Schatten auf der Stirn und einen Seufzer auf den Lippen.

Drüben in dem stillen Arbeitszimmer lag der arme alte Präsident in seinem Lehnstuhl, bleich und unglücklich, ganz verlassen. Er wird bei dem Wunsch seiner Gemahlin mit jenem herzzerreißend geduldigen Kopfnicken die Hände gegen die kranke Brust pressen und leise flüstern:

»Den Frack und die Orden, Jean, ich denke, es wird mir besser!«

Jean zog die Stirn in Falten. Er hatte einstmals ein Gedicht gelesen, das wollte ihm nicht mehr aus dem Sinn, seit er im Hause des Präsidenten diente.

»Der arme, alte König, er nahm eine junge Frau …! …«

Frau Leonie packte währenddessen, noch immer den ärgerlichen Zug um den Mund, die Billets sorgsam zusammen, umschnürte sie mit einem seidenen Band und drückte auf den Kopf einer schwebenden kleinen Amorette, welche auf das Ebenholz der Schreibtisch-Seitenwand gemalt war.

Eine kleine Klappe sprang hervor, wich unter den schlanken Fingern lautlos zur Seite, und gewährte freien Einblick in ein schmales Geheimfach, welches bereits mehrere kleine Päckchen zusammengebundener Briefschaften in sich beherbergte.

Die junge Excellenz schob die Billets mit der Fürstenkrone so sorgfältig hinein, als hinge mindestens das Wohl und Weh von Land und Völkern davon ab.

Mit scharfem Blick prüfte sie noch einmal die Sicherheit, dann klappte die dünne Holzplatte wieder zurück, der rosige Finger preßte sich auf die Amorette, und mit leisem Knacks sprang die Feder in das Schloß. Kein Blick entdeckte die leiseste Spur eines Verschlusses.

Die Präsidentin von Gärtner lehnte sich für einen Augenblick in den Sessel zurück; sie atmete tief auf, die Fuchsienglocken zitterten wie unter einem Luftzug um den weißen Hals.

Voll und hell fiel der Lichtschein auf das feine Gesichtchen. Jede Fiber und jeder Nerv darin atmete Triumph.

Wie eine Rosenknospe formte sich der Mund über spitzen, blendend weißen Zähnen, aber die feinen Linien, welche soeben seine Winkel umzuckten, erzählten ein ganzes Drama von giftigen Worten und gequälten Menschenherzen.

Groß und wundervoll strahlend waren die Augen, aber von einem unstäten Farbengemisch von grün und grau, welches an die treulos schillernde Welle erinnert; oft fror der feuchte Glanz zu Eis, erstarrte der leuchtende Blick

Aber schön war Ihre Excellenz, unsagbar schön.

Wieder klang der gedämpfte Schritt in dem Nebensalon, – diesmal erwartet.

»Gräfin Kany, Hofdame Ihrer Königlichen Hoheit der Prinzessin!« meldete der Diener.

»Ich lasse bitten!«

Excellenz Gärtner erhob sich und schritt langsam durch die Flucht der Zimmer der Hofdame entgegen. Wie ein Feuerstrom floß der Atlas an ihrer hohen, schlanken und geschmeidigen Gestalt hernieder, um leise knisternd über die Teppiche zu schleppen.

»Ah, ma chère! Meine teuerste Kany!« und Frau Leonie öffnete voll bezaubernder Herzlichkeit die Arme, und neigte sich, um die kleine Begrüßte auf jede Wange zu küssen. »Ich erwartete Sie bereits voll Sehnsucht, hatte mich so darauf gefreut, Sie noch ein Weilchen allein genießen zu können, und nun haben Sie Böse mir doch wieder ein Viertelstündchen abgeknapst!«

»War unmöglich, meine Liebe! – ganz unmöglich! Sie wissen ja, Hoheit ist unberechenbar, hat mich wieder mit tausenderlei Bagatellen aufgehalten, aus welchen sie stets eine ungeheuere Wichtigkeit macht, ob weiß oder crême – ob hott oder hüh – süß oder sauer – Sie wissen ja, meine Liebe, wie unselbständig die Durchlauchtige ist!«

Die Sprecherin ließ sich ermüdet in die schwellenden Polster einer Causeuse fallen und öffnete den Fächer von Straußfedern. Ihre kreischende Stimme hatte den kleinen Bologneser Leonies von seinem Kissen aufgescheucht, er stellte sich zornig in Positur und bellte den hohen Besuch feindselig an. Molly hatte recht, Gräfin Kany war nicht Jedermanns Geschmack.

Jung war sie nicht mehr, weder hübsch noch angenehm. – Auf einer etwas schiefen Schulter saß ein sehr magerer, unvorteilhaft frisierter Kopf mit scharf geschnittenen Zügen und farblosen, schlaffen Wangen. Die Arme waren lang und die Hände auffallend knöchern, – ein mächtiger Strauß Geranium, buntgefleckt, schaukelte sich zwischen sehr viel Schmuck und noch mehr Spitzen über der eingesunkenen Brust, als solle durch krampfhafte Zuthaten wieder nachgeholt werden, was die stiefmütterliche Natur an der unglücklichen Gestalt der Gräfin versäumt hatte.

Ein Gemisch von Verschlagenheit und Erbitterung lagerte auf dem Gesicht und der ganzen Erscheinung, und hätte man nicht gewußt, daß Anna Regina die Hofdame als Erbstück von ihrer Mutter vermacht bekommen hatte, man hätte nicht recht diese Wahl einer fürstlichen Begleiterin begriffen.

So aß das alte Fräulein gewissermaßen das Gnadenbrot bei ihrer jungen Herrin, war ein im ganzen recht brauchbares Wesen, welches alle diejenige Energie besaß, welche der Prinzessin vorläufig noch abging; war stets auf dem Posten und trug eine fast närrische Leidenschaft für den kleinen Erbprinzen zur Schau.

Molly bellte in höchstem Sopran weiter und Gräfin Kany ignorierte ihn vollständig. Ihre Excellenz aber setzte sich mit vertraulichstem Lächeln der Hofdame gegenüber und seufzte mit leichtem Kopfnicken:

»Ja, Sie haben recht, teuerste Gräfin, es ist keine leichte Aufgabe, die kleine Hoheit richtig zu behandeln, und dennoch verstehen Sie es meisterlich, Stellung und Autorität ihr gegenüber zu wahren. Und dafür muß Ihnen die Prinzessin unendlich dankbar sein, denn – entre nous soit dit – auf eigenen Füßen kann Anna Regina doch wahrlich bei ihrem so unglaublich unselbständigen Charakter nicht stehen! Mon Dieu, ich möchte nicht die Zustände am Hofe erleben, wenn wir nicht unsere Augen offen hielten und hier und da einen günstigen Einfluß ausübten! Namentlich Sie, meine beste Gräfin, sind in dieser Beziehung unersetzlich und bewundernswert, meine rechte Hand und meine Stütze in der schwierigen Stellung einer Freundin Anna Reginas!«

Und die Präsidentin legte mit unnachahmlicher Grazie, welche das Gepräge großer Herzlichkeit trug, die Rechte auf die unschöne Hand der Hofdame.

Ein süßes Lächeln verzog das Antlitz der Kany, wenngleich ihr lauernder Blick, welcher unter den Wimpern hervor ihr vis-à-vis tranchierte, am deutlichsten verriet, wie vollkommen sie au qui vive war.

»Alle Höflichkeiten beiseite, meine Liebe – ich bin nur ein kleines Rad an der Maschine, welche Sie so meisterlich in Betrieb setzen! Lassen wir alle Bescheidenheit und Selbstnegation in solchem tête-à-tête, wie das jetzige eines ist, beiseite! Die ganze Hofgesellschaft, die ganze Stadt kennt den beinahe mysteriösen Einfluß, welchen Sie auf die Prinzessin ausüben, ein Wort, ein Blick von Ihnen genügt, um ihren halsstarrigsten Eigensinn zu beugen, um sie jeder Ihrer Ansichten geneigt zu machen. Man munkelt, daß Sie jene geheimnisvolle Zauberwurzel haben, welche dem glücklichen Besitzer volle Macht über die Menschenherzen gibt. Mag dem sein, wie es will, ich freue mich von Herzen der Stellung, welche Sie Anna Regina gegenüber einnehmen, denn Ihre Grundsätze und Bestimmungen sind mir in hohem Grade sympathisch, und Sie werden sich wohl schon mehr wie einmal überzeugt haben, meine Liebe, wie ich bemüht bin, Ihnen in jeder Weise in die Hände zu arbeiten!«

Leonie hatte das schöne Haupt recht selbstbewußt erhoben.

» Eh bien, – Sie haben recht, teuerste Gräfin, das Visier mir gegenüber offen und ehrlich zu lüften. Wir spielen bei dem großen ›Schach der Königin‹ auf einer Seite und verfechten gleiche Interessen, es würde thöricht sein, uns gegenseitig durch Winkelzüge zu täuschen und unsere Kraft durch solchen Krieg im kleinen zu zersplittern, wir haben noch genug Bauern, Springer und Damen zu Gegnern, welche wir aus dem Felde schlagen müssen! Also zwischen uns gemeinschaftliche Sache! Stimmen Sie zu?«

Fast hastig umschlossen die knöchernen Finger des Hoffräuleins die schneeweiße Hand, welche sich weich und samtig wie ein Katzenpfötchen ohne Krallen entgegen bot.

»Vollkommen die Ihre, Excellenz!« versicherte die harte Stimme wie Trompetenklang, der zum Angriff ruft. »Ich vertraue mich Ihrer Umsicht und Führung in jeder Hinsicht an, und ich bin überzeugt, daß unsere vereinten Kräfte jederzeit das Heft in der Hand behalten werden.«

»Dieser Überzeugung lebe auch ich.« Baronin Gärtner zog die Lippe über die Zähne empor und stützte sich behaglich auf die Armlehne des Sessels, »und halte es geradezu für unsere Pflicht, in jeder Weise die Vorsehung der Hoheit zu spielen. – Ich allein vermag wohl recht viel, aber noch nicht genug, – ein einzelner Faden kann wohl für eine solch willenlose Person wie Anna Regina zum Gängelbande werden, aber mehrere Fäden, zu einem Netz versponnen, beherrschen eine weitere Fläche, und wollen wir unsere Stellung bei Hofe zu einer wirklich einflußreichen gestalten, so haben wir mit allen Konsequenzen zu rechnen, welche ein solches Unternehmen nach sich zieht. Mit solch einer Unsicherheit der Situation müssen wir vor allen Dingen rechnen, um Boden unter den Füßen zu behalten.«

»Sehr recht, meine Liebe!« – der Geraniumstrauch vibrierte auf der Brust der Gräfin. »Ganz meine Ansicht, – wir müssen uns unsere Clique bilden, welche derartige Bemühungen soulagiert, es wird genug Haare geben, welche dagegen sträuben!«

»Derartig revolutionärer Pelz muß mit eiserner Bürste glatt gestrichen werden!«

Um die Mundwinkel der schönen Frau senkten sich starre Falten, ein scharfes Aufblitzen ging durch ihr kühles Auge.

»Und mit diesem Thema kommen wir sofort auf des Pudels Kern. – Was sagen Sie zu der unerhörten Idee des Prinzen, sich einen Infanteristen, einen Mann mit dem schlichten und noch dazu englischen Namen ›Gower‹ zum Adjutanten auszusuchen?!«

Die Kany rückte eifrig näher, klappte mit einem Ausdruck händeringender Verzweiflung den Fächer zusammen und seufzte.

»Ich bin außer mir, meine Liebe!«

»Was soll dieses fremde Element in unserem so ängstlich exklusiv erhaltenen Kreise? Was für eine menschenbeglückende Idee verfolgt Seine Hoheit durch diese absurde Begünstigung, welche jenen armen jungen Mann auf heißes Blech setzt? Denn heimisch kann und wird er niemals in unserer Mitte werden! Und wäre er es nur allein, so ließe sich schon eher ein Auge zudrücken, aber bedenken Sie, teuerste Freundin, der Unglückselige hat eine Frau im Schlepptau, eine ganz unmögliche Person ohne Namen, Geld und Chic! Wie können wir solch eine Ratstochter in der Gesellschaft aufnehmen, ohne uns selber ins Gesicht zu schlagen? Eine derartige Zumutung finde ich unerhört von dem Prinzen!«

Die verwachsene kleine Figur richtete sich resolut in die Höhe. –

»Wir werden demonstrieren, – wir werden es uns nicht bieten lassen!«

» C'est ça!« – nickte Frau Leonie mit glimmendem Blick. »Ich bin entschlossen, all meinen Einfluß aufzubieten, um dieser Angelegenheit eine andere Wendung zu geben. August Ferdinand hat ja eine unglaubliche Schwäche für seine Frau, vielleicht gibt uns seine Eifersucht eine Handhabe, um die Sache in das rechte Geleise zu bringen. Ich hatte den Wunsch, meinen kleinen Freund Flandern in der unmittelbaren Umgebung des Prinzen zu wissen, er ist ein vortrefflicher Gesellschafter, Kavalier vom reinsten Wasser, und mir in aufrichtigster Freundschaft ergeben! Meiner Ansicht nach ist er wie geschaffen zu der Stellung eines Adjutanten, denn seit der arme kleine Mensch das Unglück hatte, bei einem Rennen zu stürzen und sich den Fuß zu verrenken, ist er doch als Kavallerist im Frontdienst nicht mehr recht brauchbar!«

»Ja, ja – ganz recht, poor boy!« – die roten Augenränder der Gräfin kniffen sich noch schmäler zusammen, »er ist ein netter, allerliebster junger Mann. Ihr Schatten, teuerste Excellenz, welcher ja von der ganzen jeunesse dorée um die Auszeichnung beneidet wird, Ihre Schleppe tragen zu dürfen! – Man erzählt sich, daß Sie ihn unter die Haube bringen wollen, seine Courmacherei bei Gerty Wreda aufs eifrigste unterstützen.«

»Courmacherei bei Gerty Wreda?« –

Frau Leonie zuckte empor, als sei die Zunge ihrer Freundin eine Nadel, welche sie jählings in das Herz gestochen. Dann lachte sie leise auf.

»Wie indiskret von den Leuten, mir so tief in die Karten zu sehen! – Passons là-dessus, das ist nicht mein Geheimnis allein. Um auf den Adjutanten zurückzukommen, so müssen wir das Prävenire spielen, und dem Mister Gower von vornherein den Boden unter den Füßen untergraben. Wir opponieren und empfangen seine schöne Frau Gemahlin nicht bei uns; ich werde heute abend dafür sorgen, daß man in der Gesellschaft unserem Beispiel folgt. Was aber die Hauptsache ist, auch Anna Regina muß fern von ihr gehalten werden.«

»Unmöglich, meine Liebe. Die Madame muß doch der Hoheit präsentiert werden.«

Excellenz Gärtner lächelte wie eine Satanella.

»Unbesorgt, in dem Augenblick stehe ich an ihrer Seite und werde dafür sorgen, daß die Prinzessin zum ersten und letztenmal mit ihr gesprochen haben wird!«

»Ah … ich bin überrascht« …

»Und wenn wir die Angelegenheit nur einigermaßen geschickt anfassen, so haben wir dem Herrn Adjutanten in kurzer Zeit so nachdrücklich den Hals gebrochen, daß er es vorziehen wird, von selber das Feld zu räumen. Das eben ist die Kunst, welche die Umgebung der Herrschaften verstehen muß, zeitweise eine chinesische Mauer zu sein, welche alles von Höchstdenselben fern hält, was ihr unbequem ist!«

»Süperbe!« …

»Nur ein Punkt macht mir vorläufig noch Kopfzerbrechen« … –

Excellenz drehte mechanisch den Rubinreif an dem vollen Arm und senkte momentan den schönen Kopf nachdenklich nieder.

»Und das wäre?«

»Gräfin Xenia Dynar!« – –

Wie das Zischen einer Schlange klang der Name von den Lippen der Präsidentin, und des Hoffräuleins Haupt schoß herum, als wollte sie ihr mit gierigen Blicken diesen Namen vom Munde lesen.

»Aha … ich kombiniere – ich verstehe« … nickte sie gedehnt.

»Die viel bewunderte Schönheit der beiden letzten Saisons beginnt mir ernstlich im Wege zu stehen – « fuhr Leonie mit beißender Schärfe in der Stimme fort, – »die hochmütige Person trotzt auf Namen und Geld und versucht es in verletzendster Weise, allem die Stirn zu bieten, was sich ihr nur im geringsten entgegenstellt! Glauben Sie, daß es mir gelungen wäre, sie auch nur im mindesten an mich zu attachieren? Gott bewahre, wie an einem Eisberg gleitet jedes Entgegenkommen an ihr ab. Sie hebt den roten Kopf so selbstbewußt über uns alle, als sei es überhaupt nur Gnade und Barmherzigkeit, daß sie unsere Feste mit ihrer Anwesenheit beehrt!«

»Sehr wahr gesprochen, meine Liebe! – ein lächerlicher Dünkel – ein unerträglicher Hochmut! … Sie bildet sich ein, die Fürstenkrone bereits in der Tasche zu haben – «

»Bah … ich glaube, der gute Fürst Heller-Hüningen erfriert sich noch rechtzeitig die Nase in ihrer frostigen Nähe! – Aber gleichviel – ›Der Knabe Karl fängt an, mit fürchterlich zu werden!‹ und ich hatte es für die höchste Zeit, daß wir dem kecken Vögelchen ein wenig die Schwingen stutzen, sonst fliegt es uns am Ende zu hoch!«

Ein knirschender Haß klang durch die Worte der schönen Frau, sie neigte sich näher und fuhr mit gedämpfter Stimme fort:

»Haben Sie nicht bemerkt, wie Anna Regina alle Anstalten macht, den Rotkopf zur Intima zu erheben?«

Der Fächer der Kany wogte auf. –

»Dazu haben wir wohl auch noch ein Wort mitzureden!«

»Ich fürchte, daß wir in diesem Punkte ziemlich machtlos sein werden« – fuhr Leonie mit gefalteter Stirn fort. »Die ganze Herrenwelt würde für Gräfin Dynar in die Schranken treten, falls wir uns unterstehen wollten, ihre Position auch nur mit einem Gedanken zu unterminieren! Nein, ich weiß, daß wir im Kampf gegen ihre Persönlichkeit gar nichts ausrichten würden, und habe darum einen andern Plan ersonnen, welcher sie mit eigenen Waffen schlägt, und ihr in Gestalt ihres eigenen Hochmuts das Messer an die Kehle setzt! – «

»Sie sind eine Zauberin, meine Liebe! Mir steht der Verstand still … wer um alles in der Welt soll denn der Popanz sein, mit welchem wir die siegreiche Schönheit aus dem Felde schlagen?«

Excellenz Gärtner richtete sich hoch auf, wie grelle Funken brannten die Rubinen in ihrem Haar; wie das triumphierende » va banque« eines Spielers, welcher sein Alles auf eine einzige Nummer setzt, klang es scharf und frohlockend zu der Hofdame hernieder:

» Janek Proczna!«

»Janek Proczna, der Sänger von Gottes Gnaden?«

»Herr Leutnant, Freiherr von Flandern« – meldete der Diener zwischen den Portieren.

»Ah, scharmant! – scharmant! Du kehrst zur rechten Stunde, o Wandrer, bei uns ein!«



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