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VII.

Ein schleifender Schritt näherte sich. Den einen Fuß etwas nachziehend, trat Leutnant von Flandern, ein mittelgroßer Ulanenoffizier, über die Schwelle, ward mit einem schmeichelhaften: »Die Sonne geht auf!« von Excellenz begrüßt, und neigte sich in langem Kuß über die huldvollst dargereichte Hand.

Dann klappten die Sporen abermals ostensibel vor Gräfin Kany zusammen, deren Antlitz vor lauter Freundlichkeit zu tausend Fältchen zusammenschrumpfte, und dann ließ sich Herr von Flandern als getreuer Page auf eines der Polsterkissen, welche nach orientalischer Sitte in dem Salon verteilt waren, dicht zu Füßen der Präsidentin Gärtner nieder.

»Ich bin mal wieder zehn Minuten zu früh gekommen, Excellenz« – lachte er in dem vertraulichen Ton eines sehr guten Bekannten. »Aber Sie kennen mich ja als Gourmand, welcher stets den ersten, tiefsten und wonnevollsten Zug aus dem Duftbecher der Rose hinwegstiehlt, ehe sie für alle auf dem Präsentierteller steht.«

Gräfin Kany drohte mit dem Fächer, Leonie aber blickte förmlich betroffen empor.

»Nur zehn Minuten zu früh? Mon Dieu, dann müssen wir uns ja kolossal mit unserer geheimen Konferenz beeilen, wenn wir unser Schutz- und Trutzbündnis beschworen haben wollen, ehe die Staffage hiesiger Gesellschaftstableaus sich an den Wänden aufbaut. Wir sind nämlich soeben bei dem Thema Dynar, lieber Flandern, welches unsere verehrte Freundin hier ebenso unerquicklich findet wie ich!« –

Baronin Gärtner neigte sich etwas vor, und fuhr, mit einem Blick in das frappierte Gesicht der Hofdame, lachend fort:

»Sie finden Flandern bereits vollkommen au fait, beste Gräfin, denn seltsamerweise zählt er zu den wenigen Ausnahmen, welche sich nicht vom Glanze roter Locken blenden lassen.«

»Seltsamerweise?« – Das blasse Gesicht des Ulans hob sich vorwurfsvoll schmachtend zu der Sprecherin: »Wer einmal der Königin Rose Ritterdienst gethan, wird niemals einen Schneeball als Helmzier tragen.«

»Sie sind ein verkörperter Knix, mon ami!« Leonie zog ihr kleines Mündchen noch kleiner, und kokettierte mit dem Blick zu ihm nieder, dann fuhr sie hastig fort: »Also zur Sache! – Gräfin Dynar versucht in Bahnen einzulenken, welche die unsern durchkreuzen und wird infolgedessen überflüssig. Sie aus unserm Kreise hinauszukomplimentieren ist vollkommen unmöglich, ergo – sie muß von selber das Feld räumen und vor irgend einer Vogelscheuche, welche wir in unsern blühenden Weizen stellen, die Flucht ergreifen!«

»Und zu diesem Zwecke nannten Sie soeben den Sänger Proczna, meine Liebe?« –

Die kleinen Augen der Hofdame funkelten vor Interesse.

Der junge Offizier aber lachte kurz auf und nickte:

»Natürlich Janek Proczna!« – Halten Sie Riechsalz bereit, Gräfin, Sie werden Unglaubliches über diesen berühmten Mann hören.«

»O … ein Skandal? … Eine Liaison? – Die Gletschersee mit dem goldenen Haar? …«

Gabriele Kany hatte kaum Atem genug, um so viel Inhaltschweres auf einmal zu fragen.

»O bewahre, keine Idee!« schüttelte Excellenz fast verächtlich den Kopf. »Janek Proczna soll ja allerdings auf seiner Siegesbahn ebenso viele Rosen wie Lorbeeren unter die Füße treten, soll die fabelhaftesten Eroberungen machen, gleich einer Loreley in das Maskulinum übersetzt, aber wenn sein liederreicher Mund selbst Berge rücken und Tiere und Bäume bezaubern kann, daß sie die Wurzeln lösen und ihm folgen, – an einer eckigen Stirn würde auch seine Macht scheitern und jämmerlich zu Fall kommen: an dem stolzen Trotzkopf der Gräfin Xenia.«

»Heller-Hüningen macht seine Fürstenkrone glühend und schmilzt das Eis damit von ihrem Herzen!« – lachte der Protegé Ihrer Excellenz so boshaft wie möglich.

Gräfin Kany aber sah ganz enttäuscht aus und fragte erstaunt: »Was kann denn Proczna sonst für Einfluß üben, wenn sie sich nicht einmal für ihn interessiert?«

»Mehr als Sie denken! – Hören Sie zu! – Freund Flandern war meine rechte Hand bei der schwierigen Aufgabe, die schöne Gräfin Dynar etwas zu rekognoszieren, in der Hoffnung, irgend einen lockeren Stein in dem stolzen Bollwerk zu finden, hinter welchem sie sich, unnahbar und unzugänglich wie die Bundeslade im Allerheiligsten, verschanzt! Wir streckten unsere Fühlhörner ganz heimlich; und ganz harmlos nach allen Seiten hin aus, legten Minen und Kontreminen, und fischten endlich den Schlüssel zu Xenias Herzen in der Person ihrer Kammerfrau Gustine zu Tage, einer alten, schwatzhaften Person, die gar keine Ahnung hat, warum ihr der dicke Ulanenunteroffizier so gewaltig die Cour gemacht hat!«

»Ulanenunteroffizier?«

» Allright, der frühere Bursche des Herrn Premiers hier, auf welchen er in jeder Hinsicht zählen kann – «

»Treu wie ein Hund, – und pfiffig wie … wie …«

»Wie sein Herr und Gebieter!« lachte Leonie auf und warf dem Sprecher eine Fuchsiaglocke gegen die Wange. »Nicht immer unterbrechen, wenn ich bitten darf, nebenan klirren schon Theetassen! … Also Gustine erzählt von den vielen Jahren, welche sie in tiefster Einsamkeit auf dem Schlosse des Grafen Dynar verlebt hat, von den imponierenden Summen, welche sie währenddessen in den Strumpf gespart habe, und zwischendurch gerät sie in Eifer und spricht auch von einem Bruder der Komtesse« …

»Bruder?! …«

»Na kurz und gut – wir bekommen eine höchst interessante Geschichte heraus, forschen weiter und weiter, und haben nun ein Faktum in Händen! – Der polnische Name des gräflichen Stammschlosses, welchen Komtesse Xenia so krampfhaft verdeutscht, wenn zufällig einmal die Rede darauf kommt, ist thatsächlich Proczna, und Janek Proczna, der Konzertsänger, das Genie, welches seinen Ruhm von Paris aus wie Feuergarben, glühend und fortlodernd, über ganz Europa schon verbreitet, diese phänomenalste aller Erscheinungen am Himmel der Kunst ist ein Adoptivsohn des alten Grafen, der frühere Gardekürassier, welcher, wie man aussprengte, den Abschied nahm, um langjährige Reisen in das Ausland zu unternehmen. – Und denken Sie, in der Residenz soll es bereits ganz bekannt sein. Frühere Kameraden haben ihn gehört, gesehen und erkannt, – am Hofe ist er demzufolge sofort empfangen, und, wenn auch sein Pseudonym geehrt wird, doch vollständig als Graf Dynar aufgenommen. Das waren also die mysteriösen Andeutungen, welche die Zeitungen so oft über die hohe Abstammung des Künstlers machten. Gräfin Xenia hat ihn niemals mit nur einem Wort erwähnt, ein Beweis dafür, daß es der Stachel in ihrem stolzen Fleisch ist, diesen Konzertsänger, diesen Menschen, welcher sich ihrer Ansicht nach so entsetzlich erniedrigte, dieses Findelkind von polnischer Abstammung als Bruder anzuerkennen. Darauf stützt sich mein Plan. Janek Proczna muß auf alle Fälle hierhercitiert werden, damit seine hochmütige Schwester vor der Blamage solcher Verwandtschaft das Feld räumt!«

»Bravo, bravissimo!!« …

Leutnant von Flandern drehte den kleinen schwarzen Schnurrbart zu wahren Nadelspitzen zusammen, sein verlebtes, blasses Gesicht färbte sich auf Stirn und Schläfen mit leisem Rot, welches allmählich höher stieg, bis in die kurzgeschorenen dunklen Haare hinein.

»Janek Proczna, der Bruder der Stolzesten aller Stolzen! Das polnische Findelkind, der Konzertsänger, der Träger ihres heiligen Namens!!« – und Gräfin Kany warf sich gegen die Polsterlehne zurück und krähte hell auf in schadenfrohestem Gelächter.

»Still – – still, es kommen Gäste!«

»Noch ein Wort zuvor, Excellenz – es wird eine Unsumme kosten, den berühmten Künstler zu bestimmen, hier bei uns zu konzertieren!«

Ein erbarmungsloses Erstarren ging durch die Züge Leonies –

»Hoheit kann es ja bezahlen, wenn sie etwas Gutes hören will!« lächelte sie ironisch.

»Ob sie dessen fähig ist?«

»Darüber lassen wir uns doch keine grauen Haare wachsen! – Also bitte, merken Sie nachher auf, – ich gebe das Procznasignal und bitte, mir in der betreffenden Art und Weise alsdann zu sekundieren!« … –

Und die Präsidentin wandte den schönen Kopf und nickte gütig der gebeugten Gestalt ihres Gatten zu, welche mühsam über die Schwelle wankte.

Equipagen rollten vor das Portal der Kurie, Schleppen rauschten durch die gewölbte Vorhalle, Sporen und Säbel klirrten die Treppe empor, und droben in den Salons stand die schlanke, imponierende Gestalt der Gastgeberin unter dem hellsten Kronleuchter, und machte voll bezaubernder Grazie die Honneurs.

Bald wogte ein kleines, aber farbenprächtiges Gemisch von Atlas, Sammet, Spitzen und Uniformen durch die gastlichen Räume des Präsidenten, sich nur einmal zum dichten Knäuel stauend, als Gräfin Dynar am Arm ihres Onkels Drach, dessen Gemahlin sich für diesen Abend hatte entschuldigen lassen, eintrat.

»Wieder eine neue Toilette!« zischelte Gräfin Kany in das Ohr ihrer Vertrauten, und Excellenz überflog erst die reizende Erscheinung der Rivalin mit einem Dolchspitzenblick, ehe sie ihr mit sonnigstem Lächeln entgegeneilte, um beide Hände darzureichen.

Herr von Flandern war der erste, welcher sich sehr tief und ausdrucksvoll vor dem »Schneeball« verneigte, aber er war leider zu klein, um sofort bemerkt zu werden.

Xenias kühler Blick schweifte gleichgültig über ihn hinweg.

»Natürlich Fürst Heller-Hüningen wird durch ein Patschhändchen ausgezeichnet!« mokierte sich die Hofdame halblaut weiter, und Leonie zuckte spöttisch die Achseln.

»Unter der Devise eines Vetters kann manches als selbstverständlich durchschlüpfen!« – und dabei wandte sie sich zu Gräfin Ettisbach, um der kleinen rosigen Blondine unendlich viel Schmeicherhaftes zu sagen; über das lockige Köpfchen hinweg wanderte ihr Blick jedoch unbemerkt zu Xenia hinüber, welche sich etwas abseits auf einem Eckdiwan niedergelassen hatte.

Vor ihr stand noch ihr Vetter, der junge Fürst Donat von Heller-Hüningen, eine schlanke, elegante Gestalt, in der knappen Ulanka, den Säbel noch an der Seite und die Czapka im Arm.

Er galt entschieden für den Löwen des Tages und das » beauty-batch« des ganzen Regiments, wie ihn Frau Leonie einst scherzend signalisiert hatte.

Blondes, leicht lockiges Haar umrahmte, nach neuesten Mustern frisiert, sein offenes, außerordentlich hübsches Gesicht. Nicht sehr geistreich, aber desto liebenswürdiger war der Ausdruck seiner Züge, und die etwas kurze Oberlippe, welche beim Lachen die weißen Zähne unter dem langen, gewellten Schnurrbart sehen ließ, gab ihm einen ganz besonders originellen Charakter.

»Haben Sie die Bücher gelesen, welche ich Ihnen neulich schickte?« fragte Xenia mit der Stimme einer unzufriedenen Erzieherin.

Er wurde ein klein wenig verlegen.

»Seien Sie nur nicht böse, teuerste Cousine!« bat er mit seiner treuherzigsten Miene, »ich habe wirklich schon angefangen, aber bei ›Nathan dem Weisen‹ – weiß der Kuckuck, wie's kam, da bin ich mit einer Beharrlichkeit alle zwei Seiten lang eingeschlafen, daß ich mir schließlich eine Stecknadel in die Halsbinde, unters Kinn placierte, um wenigstens das Umblättern nicht zu vergessen! Der Nathan mag ja ein ganz guter Mann gewesen sein, – aber dessen schwarz auf weiß durch unzählige Seiten versichert zu werden, das ist, um die lachende und weinende Verzweiflung zu bekommen! Ich begreife nicht, was Sie für Schönheiten da herauslesen, ich bin fast umgekommen vor Langeweile!«

Es lag ein so kläglicher Ausdruck in seinen großen Kinderaugen, daß Xenia unwillkürlich lachen mußte.

»Warum haben Sie auch nicht mit dem ›Soldatenglück‹ begonnen! Minna von Barnhelm hätte Ihnen die Stecknadel erspart – «

»Aber Cousinchen, ich habe ja meinem Schöpfer gedankt, daß ich die Geschichte schon kannte! Die überblätterte ich sofort.«

»O Sie Sünder! Dann fangen Sie mal umgehend die ›Galotti‹ an, von A bis durchlesen – und ganz genau und mit allem Interesse, ich überhöre Sie nachher.«

Donat seufzte schmerzlich auf.

» Muß es wirklich sein? Kann Sie meine Jugend und Unschuld nicht rühren?«

Xenia entfaltete ihren Fächer, ein feines Lächeln spielte um ihre Lippen.

»Ja, es muß sein, bester Vetter, denn ich möchte es nicht noch einmal erleben, daß Sie mich in großer Gesellschaft ganz naiv fragen: Wo die Emilia Galotti eigentlich stehe? Sie hätten schon vergeblich im ganzen Schiller nachgeschlagen‹!«

Fürst Heller-Hüningen senkte den blonden Kopf tief auf die Brust und prustete unwillkürlich laut lachend auf.

»Das war ja das einzigste Mal, daß an dem fürchterlich ledernen Abend gelacht wurde, Cousinchen, und wirklich, ich habe mir den Deuwel draus gemacht, ob mein Witz etwas unfreiwilliger Natur war, was braucht denn ein Leutnant die klassische Professur in der Tasche zu haben! Aber Sie nahmen die Geschichte leider Gottes grimmig ernst, und warfen mir am andern Tage den Lessing moralisch an den Kopf! Nun habe ich mich überzeugt, daß die Galotti und die Barnhelm und der brave Nathan vorn auf dem Inhaltsverzeichnis des Lessing stehen, warum soll ich nun noch den Selbstmordversuch machen und mich an der Lektüre zu Tode ennuyieren?!«

»Damit Sie das nächste Mal nicht fragen: in welchem Akt des Faust das Gleichnis mit den drei Ringen vorkäme!« – hob Xenia vorwurfsvoll das goldschimmernde Haupt. »Ich möchte Sie gern noch in Ihren alten Tagen zum wandelnden Lexikon erziehen, Donat!«

Heller-Hüningen schüttelte mit zerknirschter Miene den Kopf.

»Ich war von je ein Bösewicht! – Bücher sind meine Erbfeinde und die Litteratur meine schwache Seite! – Warum verlangen Sie nicht von mir, daß ich binnen drei Tagen den störrischen Gaul auf die Knie zwingen, daß ich in fünfzehn Minuten von hier bis Schloß Landseck reiten, oder dem Sultan sechs Haare aus dem Bart stehlen soll? – Da würde ich mit Leib und Seele dabei sein und Ihnen große Freude machen – – «

Das dreimalige Aufstoßen eines improvisierten Marschallstabes ließ den jungen Offizier verstummen. Xenia erhob sich und trat einen Schritt vor in die Schar der Damen, welche der Thür gegenüber einen halben Cercle bildeten.

Gräfin Kany eilte ihrer Gebieterin entgegen, um ihr beim Eintritt in die Salons zu folgen.

Die Stimmen sanken momentan zum leisen Flüstern herab, dann rissen die Diener geräuschlos die Flügelthüren auf und am Arm Seiner Excellenz des Präsidenten rauschte Prinzessin Anna Regina über die Schwelle.

Die Begrüßung mit Frau Leonie war eine fast kordial herzliche, dann nickte und grüßte Ihre Hoheit dankend nach allen Seiten und reichte Gräfin Dynar mit einem warmen Aufleuchten des Blickes die kleine Hand entgegen.

Xenia mußte sich tief hernieder neigen, um diese kleine Hand an die Lippen zu ziehen, denn die Prinzessin war eine auffallend zierliche und ätherische Erscheinung, so zart und graziös, daß der langschleppende Brokatstoff ihrer Robe eine erdrückende Last für sie schien.

Aus einem blassen, kindlich weichen Gesichtchen schauten die rehbraunen Augen groß und erstaunt in die Welt, hilfesuchend wie bei einem kleinen Vogel, welcher sich allzuselbständig aus dem Nest gewagt, und erschreckt einen schwanken Zweig unter den Füßen fühlt. Dunkelblondes Haar war schlicht an den Schläfen zurückgestrichen und fiel in langen Locken über den Nacken, ein paar Brillantnadeln durchstachen den griechischen Knoten, welcher die Haarwellen am Hinterkopf stützte.

Es gab verschiedene Zungen, welche behaupten wollten, Hoheit sei ein herzlich unbedeutendes Wesen, das reine Baby in den Händen ihrer Hofmeisterin Kany; andere hingegen wollten mehr Menschenkenntnis besitzen, und Beobachtungen über aufsprühende Augen und zusammengepreßte Lippen gemacht haben, die schüttelten den Kopf und sagten: »Anna Regina ist eine Taube im Krähenschwarm, sie wagt nicht aufzufliegen, weil sie die gefährliche Überlegenheit ihrer Gegner ermißt!«

Der Thee wurde stehend getrunken, während ein paar Mitglieder der Oper und protegierte junge Zukunftsvirtuosen für die musikalische Unterhaltung Sorge trugen.

Die Prinzessin trat während der beiden ersten Piecen voll gewohnheitsmäßiger Liebenswürdigkeit in den Musiksalon und zog dadurch alle Anwesenden nach sich, dann aber machte sie, auf Frau Leonies Arm gestützt, eine kleine Tournee durch die lange Flucht der Zimmer und nahm schließlich in dem Rokokoboudoir Platz, einen kleinen Kreis Auserwählter um sich vereinend.

Schon der erste Umblick bei ihrem Eintritt in die Salons hatte ihr gezeigt, daß man bei den Einladungen mit bekannter Exklusivität verfahren war.

Nur Ulanen; außer dem Gastgeber selber und dem Kammerherrn von Drach war niemand in Civil geladen.

Die sensationellen Gerüchte, welche bereits die ganze Provinz erfüllten, waren weder unwahr noch übertrieben.

Man hatte in dem Ulanenregiment seit Jahresfrist einen Ton eingeführt, welcher die öffentliche Meinung in die Schranken forderte.

Mit einem wahren Bollwerk verletzendster Arroganz schloß sich das Kavallerieregiment sowohl vom Civil wie von den Kameraden der Infanterie und Artillerie ab. »Ganz unter uns!« war die Parole des Tages.

Allerdings rekrutierte sich das Offizierkorps der »feudalen Waffe« aus der Crême der Gesellschaft.

Seitdem Prinz Reusseck, dessen Gemahlin einem regierenden Grafenhaus entstammte, das Kommando des Regiments erhalten hatte, wimmelte es plötzlich auf den diesbezüglichen Spalten der Rangliste von kleinstaatlichen Prinzen, Fürsten und Grafen. Und es mußten Namen von sehr altem und gutem Klang sein, wollten sie sich unter der einfach siebenpunktigen Krone in diese Auslese der Aristokratie einschmeicheln.

Opulenz und »Schneid« wucherten in den extravagantesten Blüten empor, und da die weniger bemittelten Kameraden der Infanterie und Artillerie in derartigen Farben nicht bekennen konnten, so zogen sie sich anfänglich von selber zurück, und überließen es der Ulanka allein, die Kosten der stürmischen Saison zu tragen.

Man erachtete das nicht nur als ein »Ausweichen«, sondern als direkte Niederlage und fühlte sich berechtigt, allem, was drunten im Staube herumkroch, in übermütigster Weise auf der Nase herumzutanzen. Aber bei dem Tanzen blieb es nicht; die schweren Reiterstiefel traten oft recht massiv und wuchtig aus, nicht mehr über die bespöttelte Partei hinweg schreitend, sondern oft in verletzendster Weise zutretend.

Was half es August Ferdinand, unwillig den Kopf darüber zu schütteln? Er erfuhr meistens nur Bruchstücke aus der Chronique scandaleuse. Um auf gütigem Wege das Einvernehmen wieder herzustellen, erwählte Seine Königliche Hoheit voll ostensibler Bevorzugung den Infanteristen und Träger eines schlichten Namens zu seinem persönlichen Adjutanten, ahnungslos, daß er dadurch, anstatt zu applanieren, erst recht einen Funken ins Pulverfaß schleuderte.

Anna Regina hatte auf dem Ecksopha des Boudoirs Platz genommen, neben ihr, zur Linken Fürstin Reusseck und Xenia, rechts Frau Leonie und die drei bevorzugtesten Damen des Regiments, Gräfin Tarenberg, eine allerliebste, kleine Blondine mit durchdringendem Organ, viel Raffinement und Geschick für Toiletten, voll beständiger Eifersucht auf ihren bildschönen Mann. Dann die Frau des Rittmeisters von Hofstraten, eine geborene Holländerin, behaglich und dick, trotz aller Eleganz sehr geradeaus, oft sogar derb, zu welcher sich Gräfin Ettisbach gesellte, eine harmlos übermütige, kokette Nippesfigur, über deren Leben die Devise Jeromes: »Morgen wieder lustig!« in farbenhellen Ziffern strahlte.

Die beiden andern Damen, welche noch zu dem Regiment gehörten, waren fast nie anwesend und zählten darum nicht mit; die eine war im hohen Grade leidend und die andere war ein kleines, liebes Schäfchen, die noch allzuviel mit der Kinderstube zu thun hatte.

Excellenz Gärtner und Gräfin Dynar waren als einzige Ausnahmen auf Wunsch Anna Reginas in diesen kleinen Kranz aufgenommen, zwischen dessen verschiedenartigen Rosen sich die flotten Träger der Czapka als »fliegende Herzen« einflochten. Auch jetzt hatten sich die kleinen Taburetts auf geschickteste Weise zwischen die Sessel geschmuggelt.

»Jedem das Seine!« lachte man und fand es ganz selbstverständlich, daß die getreuen Pagen den Platz zu Füßen ihrer Herrinnen behaupteten, deren Schleppe sie in offiziellem, Minnedienst durch den Brillantstaub der Saison trugen.

Gräfin Kany war aus dem Nebenzimmer dem Bann des Whisttisches entflohen, und berichtete, auf den Sessel der Gräfin Tarenberg gestützt, daß sie es für ihre Pflicht halte, der kleinen Frau zu berichten, wie höchst verdächtig ihr Gatte schon dreimal auf Coeur-Dame gewonnen habet

Allgemeines Gelächter antwortete ihr, Leonie aber wechselte einen schnellen Blick mit der Hofdame, und zog sie auf die Ecke der Causeuse neben sich nieder.

»Sie sind eine ganz boshafte kleine Person, beste Kany!« – drohte sie scherzend mit dem Fächer, »und wollen dem armen Tarenberg die Hölle heizen, weil er Ihnen nicht genug die Cour macht! Schnell das Thema gewechselt! – Wer singt denn drüben so herzzerreißend sehnsuchtsvoll von der Lotosblume, welche sich ängstigt?«

»Ihr Protegé von der Oper, Excellenz! Lassen Sie seinen Schmerz austoben, er bekommt ihn ja bezahlt!«

»Sie waren nicht gefragt, ami Hechelberg!« – Leonie führte einen leichten Fächerschlag gegen den Arm des Rittmeisters und richtete sich höher empor. »Meine Herrschaften, ich habe eine Neuigkeit in petto

»Bravo! – Schluß Clavigo! – Excellenz, Sie haben das Wort!« – lärmte es im Kreise, und Baronin Hofstraten kreuzte die Arme und sagte mit rauher Stimme in ihrem gebrochenen Deutsch: »Aber een pikant', wenn ik bitten darf, sost finden's keen Gegenlieb'!«

Leonie lächelte harmlos wie ein Engel.

»Ein Ereignis für unser schwarzweißes Sibirien, mes dames! Denken Sie doch, er, der herrlichste von allen, der auferstandene Apoll mit dem süßen, liederreichen Mund, der geniale Proczna konzertiert in der Residenz!«

Ein schneller Blick flog zu Xenia hinüber, welche sich mit Heller-Hüningen in der ihr eigenen, frostigen und überlegenen Weise unterhalten hatte, sie schien kein Interesse für das Ereignis zu haben, wandte den schönen Kopf und sprach ruhig den begonnenen Satz zu Ende.

»Wie, Proczna in Deutschland?« riefen Fürstin Reusseck und die Ettisbach, eifrig näher rückend, während Gräfin Kany laut auflachte. »In der That? – Will der unsterbliche Pole den deutschen Geldsack anzapfen? Wie viel kostet denn das Billet an der Kasse? In Wien sollen ja zwei Menschen erdrückt worden sein, weil der Sänger von Gottesgnaden die Hundertguldenscheine nicht schnell genug wechseln konnte!«

Leonie applaudierte, und Flandern bog sich vor Amüsement.

Anna Regina aber sagte mit erstauntem Aufblick:

»Aber, liebe Kany, Janek Proczna ist einer unserer ersten Künstler, der doch nicht eigenhändig Billets verkaufen wird!«

» Mon Dieu, Königliche Hoheit, – Hase bleibt Hase – zwischen solchen Leuten, welche für ein Publikum auf dem Podium stehen, gibt es meiner Ansicht nach keinen Unterschied, – mögen sie im schwarzen Frack göttliche Lieder singen, oder im Magiergewand Feuer fressen und Messer verschlucken; Hase bleibt Hase!«

Es lag ein unendlich boshafter Ausdruck auf dem farblosen Gesicht der Hofdame, ihr Blick zwinkerte zu Gräfin Dynar herüber, welche regungslos, wie eine Marmorstatue, ihr gegenüber saß.

»In den Zeitungen steht aber, daß ›Janek Proczna nur ein Pseudonym sei!‹« warf Gräfin Ettisbach eifrig ein, als Anna Regina ratlos schwieg, »und daß er eigentlich ein sehr vornehmer Mann sei – !«

Flandern wedelte sich mit Leonies Fächer.

»Aber meine Gnädigste!« spottete er, »ich komme Ihrer Naivetät einen Hochachtungsschluck und werde mir nächstens erlauben, Sie zum Frühstück zu besuchen, um einen Vortrag über ›Kunstkniffe und Reklame‹ zu halten!«

»Köstlich!« kicherte Excellenz Gärtner, Gräfin Tarenberg aber legte die Finger an das rosige Mündchen und sagte mit schmachtendem Augenaufschlag:

»Eine meiner Freundinnen hat Proczna in Paris gehört, und schrieb mir wahrhaft begeisterte Briefe über ihn! Er soll himmlisch interessant sein, so originell und eigenartig, daß die Damen rein toll nach ihm wären! Selbst die Kaiserin hat ihn auf eklatante Weise ausgezeichnet und ihn an den Hof geladen. Und die Gerüchte, daß er mit Liebesbriefen sein Kaminfeuer unterhält, seien effektiv Thatsache! Ja, soweit haben es die Pariserinnen getrieben, daß sie die Kellner seines Hotels mit Goldrollen bestochen haben, ein Flacon mit seinem gebrauchten Waschwasser zu füllen!«

»Pfui Deiwel, wat'n Smirakel!«

Frau von Hofstraten wischte sich ohne alle Grazie mit der Faust über den Mund, Fürstin Reusseck aber gab das Signal zu allgemeiner Heiterkeit.

»Wenn mein Mann drüben am Whisttisch der guten Excellenz Gärtner das Portemonnaie ausräumt, reisen wir von den Zinsen des Kapitals morgen nach der Residenz, und dann bekommen Sie alle zu Weihnachten ein solch historisches Flacon von mir!«

»Ich schlage vor, Wasser und Seife apart, Durchlaucht!« seufzte der kleine Leutnant Weyer von Sensfeld an ihrer Seite, »sonst kostet's dem Rivalen das Leben!«

»Ich will mit in die Residenz, ich will Procznas Namen aus dem Programm schneiden und auf Butterbrot essen!« jubelte Gräfin Ettisbach und klatschte wie ein Backfischchen in die Hände, »so haben wir's in der Pension auch gemacht!«

Und ihre Freundin Tarenberg warf eifrig den Fächer auf den Tisch.

»Himmlische Idee! wir reisen alle zusammen! Auf nach Valencia!«

Die kleinen Augen der Hofdame funkelten.

»Und Sie sind die einzige, welche hassen will, wo alles liebt, teuerste Gräfin!« nickte sie Xenia zu. »Wollen Sie allein zurückbleiben?«

Die Komtesse schien zu wachsen. –

»Ja!« – entgegnete sie kurz und gelangweilt.

Leonie sah auf ihre rosigen Fingernägel nieder und ließ die Lichtstrahlen darauf glänzen.

»Ich habe eine Idee, eine großartige Idee!« sagte sie nachdrücklich, das schlanke Hälschen geschmeidig wendend und die dunklen Wimpern wie lange Schatten auf die Wangen senkend.

»Eine Idee, eine Idee!! Ein Königreich für eine Idee!! – «

Excellenz hob brüsk das Haupt, ihr Blick flog wie ein Funken über den kleinen Kreis und haftete in Anna Reginas großen verwunderten Augen.

»Wie wäre es, wenn das ›H-Hsche Ulanenregiment Kaiser Franz Josef‹ das höchst schneidige Bravourstücklein in Scene setzte und Janek Proczna auf eigene Faust und eigene Kosten veranlaßte, hier in unserm nordischen Babel, einzig vor unsern Ohren zu konzertieren?«

Ein wahrer Beifallssturm erhob sich.

Heller-Hüningen sprang empor wie elektrisiert.

»Die Musik ist zwar eine schwache Seite, aber bei dem Streich bin ich auch dabei!«

Und Gräfin Tarenberg bekam einen dunkelroten Kopf vor Entzücken und umarmte ihre Nachbarin Ettisbach als ersten besten Gegenstand, welcher sich zum Blitzableiter ihrer Aufregung darbot.

»Famos!« jubelte Durchlaucht Reusseck, die Unterlippe über ihr fettes Doppelkinn vorschiebend, was ein Zeichen höchsten Wohlbehagens war. »Das dürfte unsere Freunde von der Infanterie ärgern! Mon Dieu, Kinder, das gibt einen Mordsspektakel!«

Anna Regina saß wie das fünfte Rad am Wagen dabei, es fiel keinem Menschen ein, sich um sie zu genieren, umsoweniger, da man so ganz »unter sich« war.

Nur Gräfin Dynars stolzer Blick brannte fast vorwurfsvoll auf dem Antlitz ihrer Nachbarin. – Sie war plötzlich sehr bleich, und die Hofdame verwandte keinen Blick von ihr.

»Wir beanspruchen Proczna natürlich ganz allein für uns!« fuhr Leonie sehr animiert fort, »er darf nur in unserer eingeladenen Gesellschaft singen, und die lieben Nächsten dürfen derweil, wie das arme Mädchen mit den Schwefelhölzchen, auf der Straße drunten promenieren und sich am Echo delektieren, was wir ihnen allenfalls gönnen wollen!«

»Datt Ecko ond sin Waschwater!« – nickte Frau von Hofstraten mit kräftigem Fächerschlag auf den Tisch.

»Dann laden wir ihn also ein? – schreiben an ihn? – egal was es kostet!« jubelte Gräfin Ettisbach mit der Miene eines ungeduldigen Babys, welches sich auf die Weihnachtspuppe freut, und Leonie erhob ihre Stimme von neuem und wandte sich direkt an Anna Regina.

» Allright, wir schreiben sofort – oder bedarf es erst einer Erlaubnis der Gatten wegen des Kostenpunktes?«

»Unsinn! Gott bewahre! – Die paar Kröten werden wir schon von unserm Taschengeld erübrigen!« schallte es bunt durcheinander, und Hüningen machte sein »liebes, dummes, kleines Gesicht« und sagte ganz verwundert:

»Excellenz – Sie werden, doch gestatten, daß es die Sorge der Kavallerie ist, Janek Proczna den Damen unter den Christbaum zu setzen!«

»Das Ulanenregiment Kaiser Franz Josef leistet sich seinen Sänger à tout prix!« sagte Flandern sein Haupt in den Nacken werfend. »Was bedarf es der Erlaubnis Abwesender, wenn vier Repräsentanten der Uniform einen kleinen Scherz projektieren!«

»Sehr recht, Flandern! Ob wir einmal nach Berlin fahren, um unter den Linden zu frühstücken, oder ob wir den Damen zu Ehren etwas Musik verschreiben, bleibt sich ganz einerlei!«

»Nun dann en avant

Leonie blickte zu Xenia hinüber, welche schwer atmend dem Gespräch folgte und sich vergeblich bemühte, ihre zitternden Lippen fest und gleichgültig zusammen zu pressen. Man sah es dem Ausdruck ihres Gesichtes an, welch eine hohe Flut unter dem Eise wogte.

»Das Kind muß einen Namen haben, und darum schlage ich vor, wir Regimentsdamen schicken die Einladung an Proczna, damit er als Kavalier quasi gezwungen ist, zu acceptieren, und Hoheit ist so gnädig, den erlauchten Namen an die tête unserer Namensliste zu setzen!«

Der Ton Ihrer Excellenz klang sehr höflich, aber nicht wie eine Bitte, sondern wie ein zuckerkandierter Imperativ.

Anna Regina blickte sie förmlich entsetzt an.

»Aber, teuerste Excellenz ich kann unmöglich … bedenken Sie doch … was würde mein Mann dazu sagen, wenn ich einen Sänger …«

»Unbesorgt, Hoheit, ich werde alle Schuld auf mich nehmen und Hochdenselben vollkommen beruhigen«, lächelte Frau von Gärtner etwas ironisch. »Was die Frau will, das will Gott, sagt der Franzose! und darum gestatten Hoheit, daß ich Feder und Papier hole.«

»Nein! August Ferdinand wird auf keinen Fall damit einverstanden sein!« fuhr die Prinzessin fast energisch empor; »es gibt nur wieder Anlaß zu Redereien und neuen Verdruß mit der anderen Gesellschaft.«

Ein scharfer Zug senkte sich um Leonies Lippen, sie wechselte einen schnellen Blick mit Gräfin Kany und neigte sich dann hinter ihrem Fächer dicht zu Anna Reginas Ohr.

»Danken Sie Gott, Hoheit, wenn die Leute und vor allem Prinz August Ferdinand ein neues und harmloses Thema für ihr Interesse finden. Bemerken Sie nicht, daß die ganze Angelegenheit aus triftigsten Gründen von mir in Scene gesetzt wird? Ich habe Ihnen unter vier Augen einige Befürchtungen mitzuteilen!«

Wie das Zischen einer Natter hatten die leisen Worte hinter dem bemalten Atlas geklungen. Dann ließ Leonie den Fächer sinken, lachte leise und neckisch auf und fragte mit etwas schief geneigtem Köpfchen sehr laut:

»Nun, Hoheit, wie steht's, darf ich schreiben?«

Wie ein Erstarren war es durch die zierliche Gestalt der Prinzessin gegangen, sie stimmte krampfhaft in das Lachen ein und rief mit nervöser Kopfbewegung:

»In Gottes Namen denn, Sie böse kleine Versucherin! Thun Sie, was Sie wollen und nehmen Sie meinetwegen den Namen ›Anna Regina‹ als Aushängeschild! Aber verantworten Sie es auch, – ich wasche meine Hände in Unschuld!«

Die Anwesenden wechselten schnelle, vielsagende Blicke, Flandern murmelte halblaut: »Springwurz!« und Leonie erhob sich mit feinem Lächeln, um hastig an ihren Schreibtisch zu treten und Papier zurecht zu legen.

»Wer will schreiben?«

»Immer der, der fragt!« klang die lachend gegebene Antwort, und Excellenz Gärtner winkte Gräfin Kany an ihre Seite und entwarf mit dünnen, sehr verschnörkelten Buchstaben eine Einladung voll schmeichelhaftester Phrasen an den Liebling der Musen, den unsterblichen Janek Proczna. Dann las sie den Inhalt vor und erntete stürmisches Lob.

»Nun bitte, unterzeichnen! Hoheit geruhen vielleicht eigenhändig – ?«

Leonie reichte, ohne eine Antwort abzuwarten, die Feder der Prinzessin hinüber und schob den Briefbogen hin. Es war, als krampfe sich die Hand der hohen Frau um den goldenen Halter, von dessen Spitze sie ein kleiner Amorkopf schier boshaft anlächelte.

Dann setzte sie die Feder fast gewaltsam an und unterschrieb mit unsicheren Buchstaben und schiefer Linie.

Nach ihr setzte Fürstin Reusseck mit viel Tintenverschwendung ihren Namen darunter, und schob das Papier lachend zu Gräfin Tarenberg herüber.

»Die beiden da drüben fiebern ja vor Ungeduld!« neckte sie, die fleischigen Hände behaglich auf den Tisch legend, »malen Sie nur gleich ein Herz darunter, liebe Ettisbach, damit der Sänger von Gottes Gnaden doch sofort weiß, bei wem sein Name Chancen für ein Butterbrot hat!«

»Nur still, ma chère! sorgen Sie bei Zeiten für leere Flacons, damit Sie später keinen Mangel haben! so; voilà … bitte, liebe Kany, last not least

Die Hofdame schaute empor, scharf wie Dolchspitzen traf ihr Blick das totenblasse Antlitz Xenias.

»Ganz recht, last not least!« lächelte sie, »ich möchte diesen Reigen beschließen und erst nach Gräfin Dynar rangieren. Janek Proczna soll das Glück haben, Stern an Stern gereiht zu sehen, ohne mich als die unvermeidliche ›Schnuppe‹ zwischendurch überwinden zu müssen! Ohne Widerrede, meine Liebe, schreiben Sie!«

Xenia hob das schöne Haupt, keine Fiber zuckte in dem bleichen Angesicht.

»Ich bitte Sie dringend, mich von dieser Förmlichkeit zu dispensieren, beste Gräfin«, entgegnete sie kalt. »Die Liste ist so reich an gewichtigen Namen, daß der meine wohl leicht entbehrt werden kann!«

In stürmischer Opposition erhoben sich die Stimmen.

»Sie wollen sich ausschließen? Sie wollen Spielverderberin sein? Hilft Ihnen kein Gott davon, Komtesse, schnell, schnell geschrieben!«

Leonie blickte empor wie ein Engel der Unschuld.

»Aber, liebste Xenia«, fragte sie erstaunt, »haben Sie etwas gegen den göttlichen Proczna, daß Sie sich auf solch eklatante Weise von einer Huldigung ausschließen?«

»Nicht das mindeste, alle Hochachtung vor seiner Kunst!«

Ein süßes, geheimnisvolles Grinsen verzog das Gesicht der Kany.

»Ei, ei, ma petite mignonne, Sie waren im letzten Herbst in Paris, kennen Sie vielleicht den Unwiderstehlichen bereits und machen Ihr Herz zur Mördergrube?«

Wie elektrisiert rückten alle näher.

»Haha! … beichten, schöne Gräfin, beichten! Kennen Sie Janek Proczna?« schrie Flandern mit phosphorescierendem Blick. »Steht er Ihrem Herzen näher als wir ahnen?«

»Am End' hattse gar 'n Flacon!«

Xenia biß die Zähne zusammen, ihr blitzender Blick traf die Hofdame.

»Nein, ich kenne Janek Proczna nicht!« antwortete sie, bebend vor gekränktem Stolz, kaum sich dessen bewußt, was sie sprach, wie schwarze Schatten wallte es vor ihren Augen. »Und wenn ich meine Unterschrift für überflüssig hielt, so geschah es einzig aus dem Grunde, daß ich voraussichtlich eine Freundin nach dem Süden begleite und Procznas Anwesenheit gar nicht erlebe.« Xenia faßte mit sicherer Hand die Feder: »Verlangen Sie auch auf diese unsicheren Auspicien hin noch meinen Namen?«

»Selbstverständlich, meine Liebe!« kicherte die Kany. » Femme varie, sagt's Sprichwort, und noch sind Ihre Koffer nicht gepackt!«

»Und werden's, so Gott will, auch nicht!« Anna Regina legte die schmale Hand auf den Briefbogen. »Lassen Sie mich nicht im Stich, Xenia!«

Mit großen, sicheren Zügen schrieb Gräfin Dynar ihren Namen unter die Einladung an Janek Proczna.

Kein Mensch sah es dem steinernen Antlitz an, daß ein jeder dieser Federstriche ein Dolchstoß in ihr gefoltertes Herz, ein Keulenschlag gegen ihren Stolz war.

Leonie aber wechselte mit ihrer Freundin Kany einen Blick, so triumphierend und siegesgewiß, und so funkelnd und giftig, wie die Pfeilspitzen, mit welchen Beelzebub seine Hölle heizt.



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