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III.

Dumpf und klagend hallten die Glocken der Procznaer Schloßtürme über die einsame, sonnige Heide, und der warme Lufthauch nahm den Klang auf seine Schwingen, trug ihn fernhin über den Wald, und erzählte, daß in dieser Stunde Graf Gustav Adolf in die Familiengruft der Dynars gebettet werde.

Längst bereit hatte der Sarkophag an der Seite seines so treu geliebten Weibes gestanden, und dennoch war das Ende des Erbherrn von Proczna ein so plötzliches gewesen, daß es seine Umgebung mit lähmenden Schrecken erfüllte.

Wohl wußte man, daß ein Herzleiden dem einsamen Manne viel qualvolle Stunden bereitete, daß es wie ein nagend Gift an seinem Leben zehrte, und der Tod Anna Euphemias den Keim dazu gelegt hatte.

Niemals aber hatte man eine Klage aus dem Munde des Grafen vernommen, es waren keine Schritte geschehen, der Krankheit energischen Einhalt zu thun, gleichmäßig und gleichgültig gegen sich selber lebte er dem Andenken der Verklärten, nur sein Haar erbleichte mehr und mehr, und die schmerzlichen Linien seines Angesichts vertieften sich.

Er arbeitete mit rastlosem Fleiße an einem Werk, um dessentwillen er einst seine Entlassung aus dem Staatsdienste erbeten, und sich, mit vollem Einverständnis seiner jungen Gemahlin, hierher in die Einsamkeit seines Besitztumes zurückgezogen hatte. Nur in den letzten Wochen vor seinem Tode schien ihn oftmals eine nervöse Unruhe zu erfassen, er wünschte sehr oft die Anwesenheit seiner Kinder und schien alle Zärtlichkeit und Liebe für dieselben zu verdoppeln. Oft beugte er das Köpfchen der Komtesse zurück und blickte sorgenvoll in ihre dunklen Augen.

Sie war eine Dynar, er konnte kaum etwas anderes als diesen kühnen Stolz von ihr erwarten.

Dann und wann aber zuckte es auch wie ein heißer, leuchtender Strahl tieferer Empfindung aus diesen schönen Augen, das ließ Gustav Adolf erleichtert aufatmen und verscheuchte seine trüben Gedanken.

Eines Tages waren verschiedene fremde Herren in Proczna eingekehrt, Personen vom Gericht, ein Advokat und ein Notar. Eine lange, geheimnisvolle Unterredung wurde in dem Zimmer des Grafen geführt, Papiere knisterten, und der Duft des Siegellackes wehte auf kleinen Rauchwölkchen um den Schreibtisch.

In diesen Stunden hatte Gras Dynar sein Haus bestellt.

Die Kammerfrau Gustine schlich viel auf dem Korridor umher und hatte dem alten Ewald mancherlei in die Ohren zu tuscheln.

»Jetzt macht er's fest!« grollte sie, »und legt unserm Täubchen das Kuckucksei ins Nest! Wenn das die Gräfin erlebt hätte; wenn sie jetzt da hinein schauen könnte, sie drehte sich im Grabe um! Welch eine Narrheit, sein eigen Fleisch und Blut zu schmälern um solch eines hergelaufenen Balges willen! Bettelleute, – polnisch Diebesgesindel!!« –

Und Gustine schlug so heftig gegen ihre weiß gestärkte Schürze, daß es klatschte; – sie war dem übermütigen Knaben, welcher sich so dreist und herausfordernd wie ein leiblicher Graf benahm, niemals gewogen gewesen.

Gustine war ein durchaus konservatives Gemüt; Xenia schlug und kratzte sie, das ertrug sie, ohne mit einer Wimper zu zucken, denn es war ein Zeichen von Rasse, und widerfuhr ihr durch die Hand einer echten Gräfin, welche ihr von einer fürstlichen Mutter in den Arm gelegt worden war. Janek aber hatte ihr nie ein herbes Wort gesagt, höchstens einmal seine kleinen Neckereien an ihr ausgelassen, und das empörte sie und machte ihr den Knaben verhaßt, denn er war doch nur ein Bettelprinz, von der Landstraße aufgelesen, noch viel weniger wie sie selber. Man sah's ja, daß er nichts Rechtes war, sonst hätte er es gemacht wie Xenia.

An einem sonnenlichten, köstlichen Frühlingstage hatte Gustav Adolf seine Augen für immer geschlossen.

An seinem Arbeitstische hatte man ihn eines Vormittags gefunden, starr und kalt, wohl schon seit Stunden von seiner Qual erlöst.

Ein Herzschlag hatte seinem Leben dieses jähe, für die Hinterbliebenen so furchtbare Ende bereitet.

Der Vormund der beiden verwaisten Kinder, ein Jugendfreund Gustav Adolfs, Freiherr von Drach, war an das Totenbett des Verblichenen geeilt, hatte die schwebenden Angelegenheiten geordnet, und die Verpflichtungen der Erzieher gelöst, da es die Bestimmung des Grafen gewesen, den sechzehnjährigen Janek im Herbst aus eine öffentliche Schule zu schicken.

Die Komtesse sollte in seinem eigenen Hause eine zweite Heimat finden. Bis zum Herbst blieb alles noch wie bisher unverändert in Proczna, dann aber sollten die Schlösser der Thüren versiegelt werden, bist einst Janek, für mündig erklärt, von dem Erbe seiner Väter Besitz ergreifen würde.

Xenia hatte bei dieser Erklärung zufällig in Gustines Gesicht emporgesehen, und war fast erschrocken über den Ausdruck, welcher die alten Züge beherrschte. – –

 

Süßer geheimnisvoller Duft wehte über die blühende Heide. Rote Schmetterlinge wiegten sich im Sonnenschein, und durch die hochstarrenden Ginsterbüsche raschelten die schillernden Insektenleiber; leises Summen ging durch die Luft, und die bunten Kiesel glühten zwischen dem Moos. Weit, unermeßlich weit gedehnt lag die ostpreußische Steppe.

Seitwärts erhoben sich die dunklen Waldungen, aus welchen die Türme Procznas ragten, und geradeaus gegen den grell beleuchteten Horizont, zeichneten sich die weidengeflochtenen Pferche ab, in welchen die Fohlen während der Sommermonate nächtigen.

Janek war auf flüchtigem Rosse stundenlang durch die Ebene geschweift. Er liebte es, planlos und ungestüm in Gottes weite Welt hinaus zu stürmen: da gab es kein Hindernis, wollte er den glühenden Sonnenball im fernen Westen mit Händen greifen, wollte er mit dem Herbststurm um die Wette jagen und die Kugel seiner Büchse wieder einfangen, ehe sie ihr Ziel erreicht; und stolz und frei wie die alten Deutschen ihre Götter in wilder Jagd daherbrausen sahen, wiegte sich auch der Erbe von Proczna im Bügel, schlank und geschmeidig, wie verwachsen mit des Pferdes Rücken, mit flatterndem Lockenhaar und lustblitzendem Auge.

Oft hatte Xenia, an seiner Seite sprengend, mit ärgerlichem Blick auf sein ungesattelt und ungezäumtes Roß gesagt: »Du reitest nicht vornehm, Janek, nicht wie ein Graf, sondern wie ein Indianer!« – und doch hatte sie der Getadelte überrascht, als die kleine Gräfin es mit zusammengebissenen Zähnen in der Koppel versuchte, sich auf dem glatten Pferderücken zu behaupten.

Wehe ihm, daß er sie ausgelacht hatte.

In großem Umweg war Janek über die Steppe nach dem Walde geritten, spürte einen Fuchs auf und hetzte ihn so lange, bis er sich endlich in irgend eine Kaninchenröhre geflüchtet hatte, – dann sprang er von seinem dampfenden Rappen und pflückte ein paar verspätete Maiglöckchen, um sie der angebeteten Schwester heimlich in den Schoß zu werfen. Er wußte, daß sie mit ihrem Geschichtenbuch jeden Nachmittag an dem Waldsaume saß, um auf seine Rückkehr zu warten.

Behutsam lenkte er sein Pferd durch die tiefhangenden Fichtenzweige, um sich ihr unbemerkt näher zu pirschen, und schwang sich in den Sattel.

Richtig – nicht allzu fern vor ihm sah er das weiße Kleid schon über die Felssteine wehen.

Regungslos stand Janek und schaute auf sie hin, nie war ihm Xenia so schön, so eigenartig und so – fremd erschienen.

Ihre sehr schlanke, wenn auch noch kindlich eckige Figur schien ihm plötzlich wie ein schneeweißer Nixenleib aus dem wogenden Blattgrün aufzutauchen. Er hatte einst ein Märchen gelesen von der Loreley, der süßen Hexe, welche im Abendsonnenschein auf dem Felsen sitzt und ihr goldenes Haar kämmt … auch Xenia warf die leuchtenden Locken in den Nacken und strich sie mit ungeduldigen Händen von der Stirn zurück, – ganz so wie die holdselige Zauberin auf dem Felsstein des Rheines, die Hexe Loreley.

Janek deckt die Hand über die Augen.

Leise, leise schleicht er sich näher, er will die Maiglocken unvermutet über ihr Haupt streuen und glückselig aufjauchzen, wenn die dunkeln Augen sich erstaunt, fragend, vielleicht unwillig aufblitzend über die Störung, zu ihm erheben, … wenn er sie nur sehen kann, diese Augen, wenn sie überhaupt nur einen Blick für ihn haben!

Hexe Loreley!! …

Sie wendet ihm den Rücken, die hohen Sträucher verbergen den Nahenden und bauen eine Mauer zwischen die Kinder des Grafen Dynar.

Näher und näher kommt Janek. – Er hört ihre Stimme.

»Du sollst und mußt mir die Wahrheit sagen, Gustine, ich befehle es!«

Ja, das war die stolze, kalte Stimme seiner Schwester, und neben ihr, – Janek sieht nur ein schwarzes Kleid und einen Strickstrumpf durch das Brombeergewirr, – neben ihr sitzt Gustine.

»Ich darf's nicht, Komtesse, der Graf hat's verboten. – Bah, was nützt's auch jetzt noch? Das Kuckucksei liegt versiegelt und verbrieft in Ihrem Nest, da heißt's eben: still gehalten und sich gefügt.«

»Wen meinst du mit dem Kuckucksei, etwa Janek?«

»Wen sonst!«

»Wie kannst du dich unterstehen, meinen Bruder einen Eindringling zu nennen?!«

Xenia richtet sich empor, ihre Lippen beben.

»Ihren Bruder?« Gustine lachte hart auf. »So wahr ein Gott im Himmel ist, Gräfin, Ihren Bruder würde ich nie so nennen!«

Janek hat das Gefühl, als habe ihn ein Faustschlag in das Gesicht getroffen, mechanisch läßt er sich auf das Knie hernieder, stützt die Arme auf das Gestein und lauscht mit zornglühender Wange.

»Was soll das heißen … du bist wunderlich, Gustine …«

Xenias Stimme zittert, das Märchenbuch sinkt von ihren Knien und fällt klatschend auf die grünlich schillernden Steine.

Da neigt sich der Kopf der Alten dicht zu ihrem Ohr.

»Haben Sie sich noch nie gewundert, Komtesse, woher der Janek sein schwarzes Haar hat? War seit Menschengedenken ein solcher Neger in der Familie? … Ist es Ihnen noch niemals aufgefallen, wie verschieden der Bub von Ihnen ist? – Wie Tag und Nacht sind Sie beide. Na, in Gottes Namen, glauben Sie's oder glauben Sie's nicht, daß er Ihr Bruder ist, – ich weiß, was ich weiß.«

Dunkle Schatten schwirren vor Janeks Augen, er will empor springen und die zischende Natter, welche ihm Ehre und Namen stehlen will, mit einem einzigen Faustschlag zermalmen, und dennoch zwingt er sich nieder und beißt die Zähne zusammen.

Alles will er hören, alles.

Und er preßt sein Angesicht auf das kühle Moos und fühlt, wie das Herz in seiner Brust schlägt.

Da erzählt Gustine von der Sturmnacht vor zwölf Jahren, von dem polnischen Gesindel, welches auf der Schwelle von Proczna um Obdach gebeten hat, von dem schlafenden Knaben, welcher, in Lumpen gehüllt, von Gustav Adolf aufgenommen wurde … von dem fliehenden Vater, dem Rebellen, dem Insurgenten, der das Licht der Sonne nicht ertragen konnte; – Landstreicher, – verkommen Volk! – –

Und Xenia schreit auf vor Scham und Zorn.

»Ich dulde es nicht, nimmermehr! O Vater, Vater! wie konntest du dein ehrwürdiges, makelloses Geschlecht so grausam in den Staub hernieder ziehen! – Mein Bruder, der Sohn polnischer Bettler?! … Der Erbe von Proczna aufgelesen aus der tiefsten Hefe eines fremden Volkes? Und das mir! … mir! … – O Gustine, – wie hasse ich dieses Kuckucksei im Nest

Sie ist empor gesprungen und preßt in knirschender Leidenschaft die geballten Hände gegen die Schläfen.

»Gustine – wenn es die Welt erführe … wenn man mit den Fingern auf den Schandfleck meines Wappens deutete – ich ertrüge nicht die Schande!«

Schande!« wie ein gellender Schrei klang es über die stille Ebene, und »Schande« zitterte sein Echo in Janeks blutendem Herzen nach.

»Unbesorgt, Komtesse, – ich plaudere nicht, – und Ewald auch nicht – wie soll's unter die Leute kommen? – Durch den Janek selber? – Bah, wenn der's bei seiner Mündigkeitssprechung aus dem hinterlassenen Briefe des Grafen erfährt, wird er wohl schon selber allzu gern darüber schweigen.«

Da zuckte Janeks Haupt empor, sein Auge sprühte wilden Trotz, er hob die Faust und schüttelte sie gegen die Sprecherin.

Wie das Heideland ringsum in blutigen Flammen schwamm, wie es noch einmal über den Himmel lohte wie ein grelles Banner von Purpur und Glut, – wie die Hexe Loreley so bleich inmitten dieser Feuergarben stand – –

»Schande! … Schande!« heulte der Wind in den Fichtenzweigen.

Dann sanken die Schatten, tiefer und immer tiefer; und auf Wald und Steppe rieselte der Nachttau, – totenstill.

Da hob der Erbe von Proczna langsam sein dunkellockiges Haupt.

»Sie ist nicht meine Schwester!« … Es ging ein wundersames Beben über sein Angesicht, ein tiefer Atemzug hob seine Brust, »nicht meine Schwester! – «

Er wandte sich und blickte nach den Schloßtürmen von Proczna. Seine Gedanken flogen weit voraus, – er sah Flaggen auf diesen Türmen wehen, welche den Erben des Reichsgrafen von Dynar als neuen Herrn begrüßen werden, welche wie bunte, gleißnerische Lügen ihn auf seinem Grund und Boden willkommen heißen, ihn, den Schandfleck, das Kuckucksei im Nest!

Janek lachte grell auf.

»An jenem Tag wollen wir abrechnen, Hexe Loreley!« rief er in die stille Nacht hinaus.

Dann schritt er hoch erhobenen Hauptes davon, – die Maiglocken starben unter seinem Fuß, welk, gebrochen lagen sie im Moos, – dachte keiner mehr daran, sie aufzunehmen, sie als Gruß der Liebe in den Schoß zu streuen …

 

Am andern Morgen trat Janek in das Zimmer seiner Schwester.

Sie saß an dem geöffneten Fenster und neigte sich über eine Zeichnung, – helles Sonnenlicht fiel schräg über den Nacken und die beiden dicken Flechten, in welche das Haar zusammengefaßt war, – schlankes Weinlaub schaukelte sich hinter ihr in dem spitzgewölbten Fensterrahmen.

»Guten Tag, Xenia!«

Weich und herzlich schlug seine Stimme an ihr Ohr.

Die Angeredete hob momentan den Kopf, ein eisiger, unnahbarer Blick streifte ihn, sie schien ihm bleicher wie sonst, und zum erstenmal im Leben empfand er es, wie in Antlitz und Wesen dieses zwölfjährigen Mädchens so gar nichts Kindliches war.

»Was willst du?« herrschte sie ihn an.

Janek stützte sich auf den kleinen Ebenholztisch und sah ihr fest in die Augen.

»Ich habe eine Überraschung für dich im Garten – ich möchte dir eine Freude machen, – komm mit hinab!«

Sie warf die Lippen auf.

»Nein, ich verlange nicht nach deinen Gefälligkeiten!« .

»Gleichviel, mir ist ein Kunststück gelungen. Entsinnst du dich in der Baumschule des prächtigen Apfelbaumes, den der Blitz getroffen? Wir fürchteten, er müsse zu Grunde gehen, und du lachtest mich aus, als ich ihm ein neues Reis in die Krone pfropfte, denn dieses Reis war noch dazu von fremder Sorte. Komm nun hinab, sieh dir das Wunder an, welches geschehen ist!«

Ein flammender Blick traf Janek aus den dunklen Augen; Xenia warf den Zeichenstift auf den Tisch, erhob sich und schritt an ihm vorüber zur Thür.

Der fremde Zweig auf dem Apfelbaum stand in voller, rosiger Blütenpracht.

Die Komtesse schaute ihn an und grub die Zähnchen in die Lippe, namenlose Gereiztheit sprühte aus ihrem Blick.

»Armer Baum, der solch einen Schmarotzer in seinem Marke dulden muß!«

Janek zog die Augenbrauen zusammen.

»Und der elendiglich zu Grunde ginge, wenn dieser Aufdringling ihm nicht neues Leben gäbe!«

»Besser zu Grunde gehen als durch solch erbärmliche Arzenei am Leben erhalten werden«, brauste sie stolz empor, »besser echt und makellos vom Erdboden verschwinden, als sich von einem Reise niederer Art und Sorte die Krone schänden lassen! Auf Procznas Grund und Boden soll sich kein ungehörig Element einnisten, soll kein neuer Zweig aus alter Wurzel seine falschen Blüten treiben, ich will's nicht! – ich dulde es nicht! – hast du gehört, Janek, ich dulde es nicht!«

Und mit schnellem Griff riß sie ihm die Reitgerte aus der Hand und schlug die weißen Blüten nieder, – zerstört, gebrochen neigten sich die frischen Triebe.

Dunkle Blutwellen ergossen sich über die Stirn des Erbherrn von Proczna, in aufschäumender Leidenschaft faßte er ihren Arm mit fast schmerzhaft festem Griff.

»Xenia!« er schüttelte ihre schlanke Gestalt, »dieser blühende Zweig war meine ganze Freude, die Belohnung Monate langer Mühe, war das Ziel des letzten Spazierganges unseres seligen Vaters, und den schlägst du voll Bosheit und Eigensinn in den Staub? – Bitte mich um Verzeihung, du Jähzornige, ich verlang's, ich will's und mein Wille ist ebenso fest wie der deine!«

Zornig versuchte sie sich loszureißen, dann stand sie plötzlich regungslos, warf den Kopf zurück und lachte scharf auf. Spott und Trotz, Verachtung fast schillerte ihr Blick, ebenso wie derjenige auf dem Bild der schönen Ahnfrau.

»Abbitte thun, – dir?!«

Es lag etwas unendlich Verletzendes in diesen wenigen Worten, – ihre Gestalt schien zu wachsen.

»Wenn du Ansprüche auf ein vernünftiges Wesen machst, so siehst du das Häßliche deiner Handlungsweise ein, und entschuldigst dich!«

Janek zwang sich zu einem ruhigen Ton, aber seine Lippen bebten, und seine Worte trugen das Gepräge eines Befehls.

Von oben bis unten musterte ihn ihr kalter, verächtlicher Blick.

»Nein!« stieß sie zwischen den Zähnen hervor. »Wag's nicht länger, mich anzurühren, gib mich frei, du – – du – – «

Sie verstummte, ein jähes Erbleichen ging über ihre Züge: o ewiger Fluch, daß ihr eigener Stolz, die Angst vor der Welt ihr die Zunge band, ihm dieses eine vernichtende Wort ins Gesicht zu schleudern.

Janek hatte sie scharf beobachtet, ein fast triumphierendes Blitzen ging durch sein Auge. Fester preßte er ihren Arm.

»Zum letztenmal – besinne dich, Xenia!« murmelte er.

»Nein! … nein! … und abermals, nein!«

Da geschah etwas Unerhörtes. Die Gerte pfiff durch die Luft, fiel hernieder auf die weiße Hand der Komtesse und zeichnete sie mit grellrotem Streifen. Dann gab Janek ihre Hand frei und trat mit regungslosem Gesicht einen Schritt von ihr zurück.

Ein halb erstickter Aufschrei hatte sich ihren Lippen entrungen, groß, – entsetzt starrte sie ihn an, fassungsloses Staunen malte sich auf ihren Zügen, – dann zuckte sie zusammen; bleich wie der Tod.

Sie wollte reden und preßte fast keuchend die Lippen zusammen, sie wollte die geballte, gebrandmarkte Hand in wilder Rache gegen sein Haupt heben, und ließ sie zitternd sinken, Thränen gekränkten Stolzes traten in ihr Auge, dann warf sie den Kopf zurück, atmete tief auf und wandte ihm den Rücken.

Es war der erste Schlag, welcher die Reichsgräfin von Dynar in rauher Züchtigung getroffen. Janek hatte sie gar nicht mehr beachtet, mit der ruhigsten Miene von der Welt war er neben den Apfelbaum getreten, um die geknickten Blütenzweige mit zärtlicher Sorgfalt emporzurichten, die Wirkung seines Schlages schien ihm gleichgültig, noch gleichgültiger fast, als hätte er denselben gegen ein widerspenstig Roß oder einen undressierten Jagdhund geführt, denn solche Tiere nehmen schließlich Vernunft an und verbessern ihre Fehler, – aber der rote Trotzkopf mit der eckigen Stirn wollte revoltieren, wollte keine Einsicht haben!

Als Xenias Schritte auf dem sonnigen Kiesweg verklungen waren, wandte er dennoch den Kopf und blickte ihr nach.

Ein tiefer Seufzer hob seine Brust, es war, als habe der Gertenschlag sein eigen Herz getroffen, so schmerzlich zuckte es empor, so wehe that es ihm.

Tief neigte er das Haupt über einen der abgeschlagenen, so grausam zerstörten Blütenzweige und blickte sinnend in die entblätterten Kelche nieder. Es war ihm plötzlich, als halte er sich sein eigen Bild vor das Auge! Ein fremdes Reis auf fremdem Stamme, von der erbarmungslosen Hand des Schicksals in junger, erster Blüte geknickt, – hineingewirbelt in das Leben.

Janek preßte die Hand auf die Brust, er ward sich nicht klar über das, was darin stürmte, nur eines ahnte er wie schweren, unheilvollen Traum, auch hier in seinem Herzen war eine zarte Blütenknospe in den Staub gesunken! Dann richtete er sich resolut empor, fest und markig, wie ein Mast auf schwankem Schiff, der da weiß, daß er in Sturm und hohe Flut hinaussteuert; ein trotziger, beinahe spottender Zug legte sich um seine Mundwinkel.

 

Seit jenem Tage war eine große Veränderung in dem Verkehr der beiden Geschwister vor sich gegangen. Jene Zärtlichkeit, mit welcher sie sich früher so oft begegnet waren, schien wie mit Zauberschlag verschwunden und vergessen. Wochenlang hatte Xenia kein Wort mit Janek gewechselt, unnahbar stand sie ihm gegenüber, der Blick ihres dunklen Auges schien ihn vernichten zu wollen.

Und Janek, dieser milde, fügsame Knabe, dessen höchste Lust es stets gewesen, jeden Wunsch von den Lippen der verhätschelten Schwester zu lesen, der keine größere Freude kannte, als ihr dienstbar zu sein, der nie widersprochen, sich voll Engelsgeduld all ihren Launen und Unarten gefügt hatte, der nie ein hartes Wort für sie gehabt, dieser Janek war plötzlich wie ausgewechselt. – Er tyrannisierte sie, er handelte ihrem Willen entgegen, wo er nur konnte, er zahlte ihr Gleiches mit Gleichem zurück und ließ es sie schmerzlich empfinden, daß er der Ältere, der Erbherr von Proczna sei.

Wie wunderlich glühte es dann in seinem lachenden Auge, wenn er sah, wie sie zähneknirschend gegen die Fessel revoltierte, welche sie sich selber in dünkelhaftem Hochmut aufgebürdet hatte.

Der Landstreicher durfte das Geheimnis seiner niederen Herkunft nicht erfahren, denn bei seinen plebejischen Gesinnungen traute sie es ihm zu, daß er aus Rache diese Schande für sie und diesen Triumph für ihn in alle Welt hinausposaunen würde. Was lag ihm daran? Er war ein Graf Dynar geworden und blieb es. – Aber sie, Xenia, sie hätte es nicht ertragen, ihr altes edles Geschlecht vor den Menschen derart entwürdigt zu sehen. Darum erlitt sie mit all der seltenen, eisernen Energie, welche ihr eigen war, lieber die Beleidigungen und täglichen Kränkungen des Verhaßten, als daß sie ihren Stolz unter die Füße getreten hätte.

Eine maßloße Erbitterung erfaßte sie gegen ihren Vater; sonst hatte sie täglich die Gruft der Eltern mit Blumen geschmückt, jetzt ließ sie Janek allein gehen und neigte sich mit finsterem Blick noch tiefer über ihre Bücher. Sie lernte und studierte plötzlich den ganzen Tag.

Gustine versuchte es in erster Zeit, öffentlich Front gegen das Kuckucksei zu machen, und glaubte es noch mit dem alten, gutmütigen Janek zu thun zu haben.

Aber sie hatte sich verrechnet. Fast entsetzt prallte die Alte von ihm zurück, als er ihr auf einen impertinenten Befehl mit einer schallenden Ohrfeige antwortete. Und als sie sich bei dem Gouverneur beklagte, und dieser ihr unziemliches Benehmen gegen den jungen Herrn noch rügte, anstatt ihr beizustehen, da sprühte sie vollends Gift und Galle.

Ihre guten Tage waren vorüber. Sie hatte die leidenschaftlichen Zornesausbrüche Xenias zu ertragen und mußte sich eine Behandlung von Janek gefallen lassen, welche ihr jetzt mehr wie deutlich ihre dienende Stellung anwies.

Anstatt Bitten – Befehle. Keine andere Menschenseele wurde von Janek so schroff behandelt wie sie.

Man schwor nicht höher als wie bei ihm, außer Xenia und Gustine gab es keine Seele im Schloß, welche ihm nicht in aufrichtigster Anhänglichkeit ergeben war.

 

So kam der Tag, an welchem der Erbe von Proczna für Jahre hinaus von der stillen Heimat Abschied nahm, um die Ritterakademie zu beziehen. Langsam stieg er die hohe Freitreppe des Schlosses hinab, um mit seinem Gouverneur den Reisewagen zu besteigen.

Dicht gedrängt stand das Gesinde, weinte aufrichtige Thränen und schwenkte Tücher und Hüte zum Abschied.

Kalt und teilnahmslos, mit gekreuzten Armen lehnte die Komtesse an dem Thürpfosten und musterte ihn mit schillernden Blick. Sein Antlitz mit den feinen, etwas bleichen Zügen hatte ihr noch nie zuvor ein so herausforderndes und übermütiges Lächeln gezeigt, als wie in diesem Augenblick, wo er vor ihr stand, noch einmal den Hut von den dunkeln Locken zog und ihr die Hand zum Lebewohl reichte.

Ja, er wagte es, ihr die Hand zu reichen! – Sie fühlte auf der ihren den brennenden Schmerz jenes Gertenhiebes. Fester kreuzte sie die Arme, war das Köpfchen zurück und sagte frostig: »Adieu.«

Seine Hand sank hernieder.

»Heute verweigerst du mir wie einem verhaßten Fremdling den Handschlag«, sagte er leise, »wenn ich dich an dieser Stelle einst wiedersehe, bereust du es vielleicht!«

Sie lachte scharf und spöttisch auf; Janek aber sprang mit lautem, herzlichem Lebewohl nach allen Seiten die Treppe hinab, stand aufrecht im Wagen und erwiderte so lange die Grüße von Proczna, als sein Blick das alte, einsame Schloß erreichen konnte.

Wie eine hohe, düstere Scheidewand schoben sich die dunklen Fichtenwaldungen zwischen das Einst und Jetzt.

Vorwärts, ihr Rosse, greift aus! …



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