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X.

So frei und hell man die Fenster in Xenias Arbeitszimmer belassen, so dicht verhängt waren sie in dem mittelsten Salon, welcher durch einen buntgemalten Erker den Austritt auf einen großen säulengestützten Balkon gewährte.

Gedämpftes Licht fiel durch die farbigen Glasscheiben, zitternde Streifen über den weiß- und goldgewirkten Brokat der Sessel werfend, welche in zarter Pracht Diwans und Marmortische umstanden.

An den Wänden und von dem reich ornamentierten Plafond hernieder glitzerte geschliffener Krystall, funkelte und blitzte es von Bronzegehängen, welche matte Kuppeln in Form von Lilienkelchen trugen; ein ebenso graziöser wie origineller Schmuck.

Die Farben weiß und gold herrschten in der ganzen Einrichtung vor und behaupteten selbst auf dem Fußboden ihr Recht, wo sich die Mosaik zu schneeigen Wasserblüten zusammensetzte, welche auf einem Untergrund leuchtenden Goldgelbs zu schwimmen schienen.

Vor den einzelnen Möbelgruppen breiteten sich, in Vertretung der Teppiche, kostbare, fleckenlose Guanacofelle aus, und auf dem Alabasterkamin prunkten ciselierte Vasen, über deren Rand große Tuffs weißer Straußenfedern niederwallten.

Die Portiere rauschte in den schweren Seidenfalten, hochaufgerichtet trat Gräfin Dynar über die Schwelle.

Ihr Blick mußte sich heben, wollte er Janek Procznas dunkles Auge treffen.

Langsam trat sie ihm entgegen, wortlos, in kühlem Mustern seines äußeren Menschen; wie sich zwei königliche Gegner vor dem Kampfe messen, so flammte Blick in Blick, so steiften sich die Nacken in trotziger Ablehnung jedes Ausgleichs.

Ein höflicher, aber durchaus gleichgültiger Ausdruck lag auf dem schmalen Antlitz, welches sich sonnengebräunt, frisch und blühend ihr zuwandte; die obligaten Requisiten eines Künstlers »blaß und nervös« schienen verschmäht zu sein, die Allüren des Gardeoffiziers desto ostensibler kultiviert.

Ernst und gemessen verneigte er sich, und da Gräfin Dynar kein Wort des Grußes für ihn hatte, war es an ihm, das peinliche Schweigen zu brechen.

Er that es mit der knappen Gelassenheit einer geschäftlichen Auseinandersetzung

»Ich nehme an, Komtesse, daß Sie meine Anwesenheit nicht überrascht, da mir der Vorzug zu teil wurde, von Ihnen selbst zu dieser Fahrt in die nordische Heimat aufgefordert zu werden. Die Freude über das liebenswürdige Interesse der Prinzessin und der Damen ihrer Umgebung machte mich leichtgläubig, ich sah nur, was vor Augen war, Ihre Namensunterschrift, Komtesse, und erwog nicht, welche Verkettung von Umständen dieselbe vielleicht erzwungen hatte. Ich reiste ab, ohne zu ahnen, wie die Verhältnisse hier lagen.«

Xenia ließ sich auf einen Sessel nieder, mit leichter Geste gestattete sie Janek Proczna, ihr gegenüber Platz zu nehmen.

»Sie haben recht, wenn sie bezweifeln, daß die Caprice, Sie hierherzurufen, in meinem Kopfe gereift ist!« entgegnete sie freimütig. »Sie sind jedoch im Irrtum, wenn Sie annehmen, daß meine Unterschrift erzwungen sei. Ich habe mit vollster Überlegung und ruhigstem Blute unterzeichnet!«

Fast herausfordernd blitzte ihr dunkles Auge zu ihm herüber, der starre Ausdruck ihrer Züge milderte sich.

Janek blickte überrascht empor. –

»Thatsächlich in dem Gedanken, mich dadurch zu rufen?«

Ein Lächeln zuckte um ihre Lippen.

»O nein! ich glaubte kein besseres Mittel zu finden, Sie fernzuhalten, als diesen lakonischen Hinweis auf meine Anwesenheit.«

Proczna lachte kurz aus.

»Wie können Sie von mir einfachem Menschen die Routine eines Diplomaten verlangen, welcher zwischen den Zeilen lesen muß!« amüsierte er sich. »Den Namen Xenia Dynar als Abschreckungsmittel zu erachten, ist eine äußerst originelle Zumutung, welche ich aber für künftige Fälle beherzigen will! Diesmal hat ihre kleine Kriegslist nun leider Fiasko gemacht, Komtesse, und Sie müssen es mir schon etwas deutlicher sagen, wenn Sie mich los sein wollen!«

Xenia biß sich auf die Lippe.

»Dazu ist es zu spät, in jeder Hinsicht zu spät.«

»Durchaus nicht; sagen Sie mir, daß Ihnen meine Anwesenheit ernstlich unangenehm ist, und der nächste Zug bringt mich nach der Residenz zurück!« Er sprach diese Worte mit gelassener, so gleichgültiger Miene, als setze er in Gedanken noch hinzu: »Das Scheiden, dächte ich, würde hier nicht allzu schwer werden!«

In Xenias Augen sprühte es auf.

»Und was würde die Welt zu einer solchen sensationellen Neuigkeit sagen?«

»Die Welt? Ich habe mich nie um deren Meinung gekümmert.«

»Das weiß Gott!« –

Und mit einer Heftigkeit, welche Janek nie zuvor an ihr gekannt hatte, fuhr sie fort:

»Denn wäre es der Fall gewesen, so würde uns diese peinliche Stunde erspart geblieben sein! Hätte die Welt und ihre warnende Stimme, hätte die Meinung Ihrer Angehörigen und Standesgenossen einen Einfluß auf Sie geübt, es wäre niemals dazu gekommen, daß wir uns gegenüberstehen wie Fremde, daß unser Vater mit all seiner Liebe nur diese eine giftige Saat gesäet, welche in Haß und Zwiespalt, in Verachtung und Feindschaft aufgeschossen ist! Du hast dich losgesagt von mir, und ich habe dich nicht gehalten, du bist mir fremd geworden, und ich hab's geduldet! Geduldet, weil du nicht auf die Meinung der Welt gehört hast, weil – «

Xenia verstummte in jähem Entsetzen und preßte die Lippen zusammen, wie ein lohend Feuer hatte es sie erfaßt und das ominöse, vertraute »du« über ihre Lippen gerissen; nun wird er die Gelegenheit gierig ergreifen, wird sich auf dieses Wörtlein »du« stürzen und sich an dem Behagen weiden, eine Gräfin Dynar als seinesgleichen zu behandeln.

Regungslos, unverändert saß er ihr gegenüber; entweder hatte er ihre Anrede überhört oder er ignorierte sie.

»Wozu diese Reminiscenzen, Komtesse? Sie führen von unserem Gesprächsthema ab und sind unmöglich imstande, jetzt noch eine Wandlung der Verhältnisse herbeizuführen!«

Ein Sonnenstrahl brach durch die Schneewolken und warf, durch gemalte Fenster fallend, einen purpurroten Streifen über das Haar Xenias; wie glühende Funken brannte es darauf. Janek neigte sich mit finsterer Stirn näher. –

»Warum auch soll es anders sein? Das polnische Findelkind, der Sohn des Rebellen und Heimatlosen hätte eine traurige Rolle neben der Gräfin Dynar gespielt, ob früher oder später – einmal wäre es doch so weit gekommen, daß man den Schandfleck aus polnischem Blut im Wappen ausgemerzt hätte! Und weshalb darum eine Wendung der Geschicke uns selber zum Vorwurf machen? Ich bin glücklich und zufrieden mit meinem Los und begehre nichts anderes, und Sie, Komtesse, haben das befriedigende Gefühl, das erreicht zu haben, was Ihnen das Ideal des Glückes schien! So gehen wir unsere eigenen getrennten Wege, und ich denke, es wird keiner den andern vermissen.«

Der Flammenschein erlosch, das Auge Xenias war bleich geworden, ihre Lippen bebten, aber sie blieben stumm. Leise nickte sie vor sich hin:

»Wird keiner den andern vermissen!« …

Janek erhob sich. Kühl und gleichmütig wie zuvor.

»Wenn die Liebessaat meines unvergeßlichen Pflegevaters in Haß und Feindschaft aufgekeimt ist, so kann es nur in Ihrer Seele sein, Gräfin, denn ich werde nie vergessen, was ich der Tochter meines Wohlthäters schulde, und werde Ihnen das mit stets dienstbereiter und rücksichtsvoller Ergebenheit beweisen! Sie waren freimütig genug, es mir ehrlich einzugestehen, daß Ihre Namensunterschrift kein Ruf in Ihre Nähe gewesen, darum werde auch ich mit ehrlichen Waffen kämpfen und, das Feld räumen!«

Xenia biß die Zähne zusammen und hob hastig abwehrend die Hand, Proczna aber fuhr mit fast bitterem Lächeln fort:

»Unbesorgt, Komtesse, ich weiß, welche Rücksichten ich zu nehmen habe und werde der Welt gegenüber triftige Gründe finden, welche meine unerwartete Abreise vollkommen rechtfertigen werden – – «

Trotzig, jäh entschlossen, warf Xenia das Haupt in den Nacken, sie erhob sich und trat neben ihn.

»Sie werden nicht abreisen, Janek Proczna – ich … ich bitte Sie zu bleiben!«

Sie atmete heftig auf, glühende Röte stieg in ihre Schläfen empor und überhauchte das reizende Gesicht.

Betroffen blickte er empor, dann trat er einen Schritt näher und sah ihr fest in das Auge.

»Sie ahnen nicht, Komtesse, wie verwegen diese Erlaubnis ist!«

»Inwiefern?«

»Glauben Sie, daß es in meiner Macht liegt, ein Pseudonym zu schützen, welches die Argusaugen der Neugier Tag und Nacht belauern?! Wissen Sie es, daß man bereits versucht hat, mich zu demaskieren?«

Triumphierend wuchs ihre schlanke Gestalt empor, fest und blitzend senkte sich ihr Blick in sein Auge.

»Ja, ich weiß es!«

»Und dennoch wollen Sie mich halten?«

Xenia dämpfte ihre Stimme, ein verächtliches Lächeln kräuselte ihre Lippen.

»Die Welt hält den Stolz einer Gräfin Dynar für spröde wie Glas, man glaubt mit einem Steinwurf der Verleumdung seine Kraft zu zersplittern und frohlockt in dem Gedanken, mit Janek Proczna eine Geißel in der Hand zu haben, mir boshaft Wunden zu schlagen. Die Leute haben sich geirrt, und das will ich ihnen beweisen! Sie nannten mich soeben freimütig, wohlan, ich will es wieder sein und Ihnen ehrlich die Motive meiner Handlungsweise nennen! Nicht weil ich Ihr Thun und Handeln billige, Janek Proczna, sondern weil ich den Verleumdungen die Spitze abbrechen und ihre Schärfe stumpfen will, darum werd ich Sie der hiesigen Gesellschaft als den Adoptivsohn meines Vaters zuführen! Mein Herz und meine Seele verleugnen Sie, aber meine Zunge wird Sie anerkennen, um es den Leuten zu zeigen, wie wenig der Stolz mit einer Formalität gemein hat, welche polnisch Blut in eine Ader meines Hauses geführt hat!«

Wie eine wilde, zornige Erregung klang's von ihren Lippen, sie suchte angstvoll die verletzendsten Worte, um ihrer Handlungsweise den Anschein freundlichen Interesses zu nehmen.

Hochaufgerichtet stand Janek Proczna vor ihr, ein feines, humorvolles Lächeln ging über sein Antlitz.

»Ist denn das Publikum wirklich einer solchen Komödie wert, welche von Ihnen so viel Überwindung, und von mir so viel … Beherrschung und Courtoisie gegen Ihre Zumutung verlangt?«

Xenia zuckte zusammen.

»Ist es eine Zumutung, als Adoptivsohn des Grafen Dynar proklamiert zu werden?«

Er lachte leise und seltsam auf.

»Unter diesen Umständen, ja! Sie sind gewaltig im Irrtum, Komtesse, wenn Sie glauben, mich durch die Bürde eines Namens zu beglücken, der mir Rücksichten und Verpflichtungen auflegt, welche meiner ganzen Natur zuwider sind. Ich bin überzeugt, daß ich als Janek Proczna genau so liebenswürdig hier aufgenommen werde, wie als das hereingeschneite Mitglied einer Familie, deren Vertreterin mich aus den egoistischsten Motiven von sich stößt und an sich zieht, je nachdem es ihr Stolz bedingt. Der Name Janek Proczna steht in der weiten Welt – ich darf es sagen – in Ehren, während der Name Dynar es sich gefallen lassen muß, daß einer wenigstens in diesem Augenblick verächtlich die Achseln über ihn zuckt, – ich, Komtesse!«

Wie ein Frösteln ging es durch Xenias Glieder, sie sah, wie der Sprecher sich abermals vor ihr verneigte, um sich zur Thür zu wenden, – sie biß die Zähne zusammen und hob das Haupt.«

»Janek Proczna!«

»Sie befehlen, Komtesse?«

Ihre Seele rang unter den Qualen, welche sie erlitt.

»Ich habe Sie gekränkt … ich hielt Sie für stark genug, die Wahrheit ohne Zuckerguß ertragen zu können … ich glaubte, mit Ihnen anders verkehren zu dürfen, als mit dem Gros der Gesellschaft, welches mit Phrasen belogen sein will. Warum soll ich Sympathien für Sie heucheln, welche ich nicht empfinde? Warum Ihnen Worte sagen, welche nicht ehrlich gemeint sind, und warum meine Handlungsweise besser machen, als sie ist? Haben Sie damals einen Mantel der Liebe um die Kränkung gehangen, als Sie mir das Testament meines Vaters zerrissen vor die Füße warfen? Nein! Warum verlangen Sie von mir die Glasur einer Sprache, welche Sie doch selber so wenig ehrten? – Ich habe nicht gewußt, daß Janek Proczna so anders zurückkehrt als wie er gegangen!«

Es klang ein leidenschaftlicher Vorwurf durch ihre Stimme, eine Enttäuschung fast.

Bis in die tiefste Seele der Sprecherin schien der Blick Janeks zu dringen; es war, als wolle er die Lippe zu jäher, heftiger Erwiderung öffnen, dann schien es, als streiche eine beruhigende Hand über sein Antlitz, – lächelnd zuckte er die Achseln.

»Sie irren, Komtesse, wir beide sind unverändert dieselben geblieben, und darum müssen wir uns leider von neuem überzeugen, daß zwei harte Steine nicht zusammen mahlen, und zwei eckige Köpfe sich schlecht anpassen. Der Janek Proczna von heute erträgt die Offenheit noch genau so gut, wie der von ehedem, aber er verlangt jetzt doch noch gewisse Konsequenzen dabei! Welch ein Weib hätte den vollen Mut zur Wahrheit? Keines, – auch Sie nicht, Komtesse, und darum ist es eine mißliche Sache für einen Mann, einen solchen Verkehrston überhaupt einreißen zu lassen. Was Frauen Wahrheit nennen, sind meist nur verletzende Angriffe, welche durch tausenderlei seelische Konflikte, durch momentan schlechte Laune oder kleine Rachegelüste beeinflußt und diktiert werden. Dem Manne aber bindet die Galanterie die Hände, und die Höflichkeit die Zunge. Hätte eine Frau aber wirklich den edlen, stolzen und gewissenhaften Mut, die Wahrheit nicht als Strafe, sondern auch als Lohn zu sagen, als eine Anerkennung, die keine Schmeichelei ist, dann erst würde es ein angenehmes Verkehren sein, eine Harmonie, welche auf zwei eisenfesten Charakteren beruht!«

»Und eines solchen Mutes halten Sie mich für unfähig?«

Janek überflog die reizende Frauengestalt mit schnellem Blick, ein eigentümlicher Ausdruck lag auf seinen Zügen.

»Ja, wenigstens mir gegenüber!«

»Und warum diese Ausnahme?«

»Weil Sie mir, dem Sohn des Flüchtlings, gegenüber stets ein Gefühl der Souveränetät haben werden, welches sich berechtigt glaubt, eine Knute von Worten schwingen zu dürfen, weil Sie den Konzertsänger niemals der Ehre würdigen werden, einer seiner Handlungen Beifall zu zollen, noch viel weniger ihm solchen auszusprechen – «

»Indem ich Sie als Adoptivsohn meines Vaters und als Träger meines Namens anerkenne, stelle ich Sie an meine Seite.«

»Nur als ›mutige‹ That, nicht aus Überzeugung!«

Eine nervöse Ungeduld sprühte aus Xenias Augen, die weißen Zähne gruben sich in die Unterlippe.

»Die Thatsache aber bleibt, und die Motive, welche meine Handlungsweise bestimmen, können Ihnen gleichgültig sein!« entgegnete sie fast heftig. »Und sollte ich jemals etwas Lobenswertes an Ihnen finden, so werde ich es Ihnen ebenso rückhaltlos zugestehen, als ich es Ihnen jetzt ehrlich zeige, wie unsympathisch Sie mir sind!«

»In der That! Sie sind großmütig, Komtesse, und es ist schade, daß wir um einer Bagatelle willen so viele schöne Worte machen!«

Proczna blickte halb amüsiert, halb nachlässig auf sie nieder.

»Bei der kurzen Dauer meiner Anwesenheit werden Sie kaum Gelegenheit finden, mir Lob und Tadel zu spenden, und ich? – Man kann sich ja so leicht in einer Gesellschaft aus dem Wege gehen. Sie wünschen, daß ich bleibe und mein Pseudonym ablege, wohlan, überlegen Sie sich diesen letzteren Punkt noch einmal und erwägen Sie alle seine Schattenseiten, es dürfte eine harte Zumutung für den Stolz der Gräfin Dynar sein, einer solch exclusiven Gesellschaft, wie der hiesigen, den ›verschriebenen‹ Konzertsänger als Bruder zuzuführen! Denn der beabsichtigte Triumph ist nur ein Augenblick, aber das Kuckucksei liegt dann für ewige Zeiten im Nest, ein unbequemerer Ballast vielleicht, als Sie ahnen! Mir kommt übrigens ein Gedanke, welcher Ihrer bedrängten Lage zum Rettungsanker werden könnte! Sie sagen, man kennt oder vermutet in der Gesellschaft meinen wahren Namen, und beabsichtigt durch dessen Klarlegung Ihnen eine Blamage zu bereiten! Inwiefern das? Wer kann es bezeugen, daß Sie sich meiner schämen? Ich, Janek Proczna, habe die Diskretion von Ihnen verlangt, mich zu verleugnen, ich selber habe erkannt, daß ich nicht mehr an Ihre Seite gehöre, und darum die Verbindungen zwischen uns gelöst. Und Sie waren diskret genug, meinen Wunsch zu berücksichtigen! Ich werde alle Schuld auf mich nehmen, und, falls man wirklich die Taktlosigkeit besitzen sollte, mich zu demaskieren, den Leuten eine solch ungeheure Geschichte von Unverschämtheit, Trotz und böswillig gesprengten Ketten erzählen, daß man Sie nur begreifen wird, einen solchen Bruder vor der Welt nicht mehr zu kennen! Lassen Sie es also erst einmal darauf ankommen! Wenn die Bombe wirklich platzt, werde ich mich schützend vor Sie stellen und alle Splitter auffangen, alle Giftpfeile wenden sich gegen mich, und Sie kehren mir stolz den Rücken und sagen: ›Da hört Ihr es aus seinem eigenen Munde, daß er nichts mit mir gemein hat! Was geht mich der Findling an, den polnische Bettler bei Nacht und Nebel vor unsere Schwelle gelegt?‹ – Sie und Ihr Stolz sind gerechtfertigt und ich verliere mich wieder in der weiten Welt, … wird keiner den andern vermissen.«

Wieder dieses Wort. Janeks Blick brannte auf ihrem Antlitz, es war, als wolle dieses klare, leuchtende Männerauge seine ganze Macht an ihr erproben.

Hochaufgerichtet begegnete sie diesem Blick.

»Und stünde es nicht in meiner Macht, diese selben Worte auch jetzt zu sprechen? Wozu eine edelmütige Lüge erfinden, welche keine ist? Sie versuchen mich mit Worten zu blenden, welche hinter all ihrer Suade nur eine Thatsache bergen, deren Existenz absolut nicht erfunden zu werden braucht! Was gehen Sie mich an? Nichts! Was thaten Sie in Proczna? Sie warfen mir das Testament meines Vaters vor die Füße und kehrten mir trotzig den Rücken! … Wer wehrt es mir, all diese Thatsachen als Schild gegen meinen bedrohten Stolz zu gebrauchen?!«

Xenia schüttelte das schöne Haupt und fuhr mit fieberischer Erregung fort:

»Ich selber wehre es mir, Janek Proczna, ich selber, die den Mut in sich fühlt, Ihnen die Wahrheit zu sagen, auch dann, wenn sie kein Knutenhieb ist! Die Intrigue meiner Neider ist der Anlaß zu meinem Entschluß, Sie anzuerkennen, aber es geschieht nicht als Phrase, deren Sinn ich selber nicht glaube, sondern in der festen Überzeugung, daß Sie thatsächlich zu mir und meiner Familie gehören, daß der Mann, den ich als Knabe lange Jahre hindurch als Bruder erachtet und geliebt habe, mir kein Fremder ist, wenngleich kein Blutstropfen ihn mir verwandt und keine seiner Handlungen ihn mir begehrenswert macht! Und das, Janek Proczna, ist durch die ganze Zeit hindurch der quälendste Gedanke für mich gewesen. Wenn ich auch wollte, ich könnte die Zeit nicht ableugnen, wo wir thatsächlich Geschwister waren, ohne zu lügen!«

Ein bitteres Lächeln senkte ihre Mundwinkel:

»Also lassen Sie sich getrost der Prinzessin als Adoptivsohn meines Vaters präsentieren, nicht dem Muß zur Folge, sondern aus Überzeugung, daß Sie ein Recht dazu haben, sich Graf Dynar zu nennen!«

Wundersam, jetzt war Janek Procznas Antlitz bleich geworden.

»Ein Recht dazu, trotzdem ich an das Klavier treten werde, um die Gesellschaft wie ein bezahlter Sänger zu unterhalten?«

»Trotzdem!«

Ein tiefer Atemzug hob die Brust des jungen Mannes – wie ein jähes glühendes Aufflammen ging es durch sein Auge.

Xenia sah es nicht, die langen Wimpern hatten sich tief auf ihre Wangen gesenkt, es schien, als habe sie mit geschlossenen Augen, hastig, sich überstürzend geredet, wie ein Kind, welches blindlings durch die finstere Stube läuft, einzig mit dem Verlangen, die Qual überstanden zu haben.

»Soeben erhalte ich ein Billet von der Prinzessin und Excellenz Gärtner, welche mich bitten, die erste musikalische Soiree bei mir zu veranstalten, da die Salons der Präsidentin durch irgend welches Malheur unbewohnbar geworden sind! Diese Umänderung der Einladung wird Ihnen durch meinen Diener noch schriftlich zugehen.«

Janek verneigte sich stumm.

»Ich stehe zu ihrer Verfügung, Komtesse.«

Sie blickte schnell empor, es schien ihr unendliche Überwindung zu kosten, aber sie lächelte mehr höflich wie liebenswürdig und sagte mit einem Versuch zu scherzen:

»Ich denke der Welt gegenüber nennt mich der Adoptivsohn meines Vaters mit Vornamen, als eine der Konsequenzen, welche der Mut zur Wahrheit nach sich zieht.«

Abermals antwortete ihr eine stumme Verbeugung, Xenia aber fuhr schnell fort:

»Onkel Drach wird sich sehr freuen, Sie wiederzusehen, und da er sowohl, wie Tante Klara in meinen Salons morgen abend repräsentieren werden – Generalin Godlaw ist leider krank – so darf ich Sie wohl um die selbstverständliche Gefälligkeit bitten, einen Besuch im Parterre abzustatten.«

Janek war entlassen.

Er verabschiedete sich mit formeller Höflichkeit, als aber Xenia in sein Antlitz emporsah, war sie frappiert über den seltsamen Ausdruck, welcher es beherrschte. Ironie war es nicht, dazu leuchtete es zu warm aus seinem Blick, aber wie ein heimliches Triumphieren, wie ein mühsam verhaltenes Lachen, welches voll verräterischen Humors um die Lippen zuckte.

Die Portiere schlug hinter ihm zusammen, Gräfin Dynar stand regungslos und starrte auf die Falten, welche in ihre gewohnten Formen zurückflossen.

Gedankenvoll schritt sie in ihr Zimmer zurück, setzte sich vor das Kaminfeuer und stützte den Kopf in die Hand; wirr und zerfahren waren all ihre Gedanken.

Als Janek Proczna ihr angemeldet wurde, da war sie noch fest entschlossen, vor ihm, als vor einer namenlosen Schande in die weite Welt zu fliehen; als er über die Schwelle trat, blutete ihre stolze Seele in dem Gedanken, ihn eines Wortes würdigen zu müssen, da hegte sie noch den heimlichen Gedanken, ihn fortzuscheuchen mit Haß und Spott, und als er ging … da hatte sie ihn wie um eine Gunst gebeten: dazubleiben, ihren Namen zu tragen, da hatte sie es ihm gesagt, daß sie ihn mit voller Überzeugung anerkennen wolle … Wie ein Schwindel brauste es durch ihre Sinne, sie neigte das Köpfchen tief auf die Brust, und starrte mit weitgeöffneten Augen in die rote Feuerglut …

Wie das alles gekommen war? Sie wußte es nicht, er hatte so mancherlei gesprochen, lauter gleichgültige alltägliche Dinge, und doch hatten sie die Wirkung von Opium gehabt, wie ein Nebel hatte sich's vor ihre klaren Augen gelegt.

Sie wollte sich seine Worte in das Gedächtnis zurückrufen, – unmöglich, wie die Schneeflocken draußen wirbelte es in ihrem Kopf durcheinander, nur eins hörte sie klar und deutlich immer wieder durch all das Sausen und Brausen:

»Wird keiner den andern vermissen!«

Nein … keiner, keiner! – Sie nicht und er nicht.

Ermattet lehnte sie den Kopf zurück und schloß die Augen, wie leises schadenfrohes Aufkichern knisterten die Flammen im Kamin, tanzten die roten Funken übermütig durch die kräuselnden Rauchwölkchen.



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