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IV.

Jahre waren vergangen.

Einsam und unverändert lag die Ebene; das Heidekraut blühte, und der Himmel spannte sich wie eine tiefblaue, hochgewölbte Kuppel über Proczna.

Grau und finster-trotzig hoben sich die gewaltigen Schloßmauern gegen ihn ab, und wenn auch die Sonne all ihren Glanz über sie hingoß, so sah es doch nur aus, als blinzle ein altes, mürrisches Gesicht voll erzwungener Freundlichkeit in ihr helles Licht. Just wie ein betagter Griesgram, dem die helle Ofenglut weh in den Augen thut, und der dennoch zu ihr heranrückt, weil er ihre Wärme braucht.

Und wie wunderlich nun gar, wenn ein solch verdrossener alter Gesell urplötzlich in eine fast vergessene Truhe greift, um allerhand bunten Jugendtand hervorzukramen, seine runzligen Glieder damit zu schmücken.

Die Türme von Proczna rissen die blinden, verschlafenen Fensteraugen weit auf vor Staunen, als es plötzlich auf ihrem Söller klatschte und flatterte, als das stolze Banner der Dynars in die blaue Luft hinaus rollte und vor lauter Lust und Freude kerzengrade zum Himmel stieg.

Die Schloßterrasse war in einen blühenden Garten verwandelt. Etliche Orangenbäume, die Überreste längst verschwundener Treibhauspracht, prangten in weißem Blütenschnee auf den Absätzen der Freitreppe, zu deren Seiten zwei mächtige Löwengruppen, wahre Steinkolosse, lagerten, zwischen bemoosten Pranken das Wappen der Reichsgrafen von Dynar haltend, welches die schräge Stadtmauer und den Bischofshut als uraltes Wahrzeichen trug.

Frisches Tannengrün, untermischt mit den blühenden Ziersträuchern, welche der erfinderische Gärtner in große Kübel ausgepflanzt hatte, um sie aus dem Garten hierher auf steinerne Fliesen zu versetzen, baute sich an der Terrassenwand zu bunter Pyramide empor, und darüber hin schwangen sich die Guirlanden, von grünen, fahnengeschmückten Masten getragen, sich fortpflanzend durch die ganze Länge der dunklen Lindenallee, welche in grader Linie durch den Park auf das Schloß führte.

Von den Wirtschaftsgebäuden herüber schallte Jubel und Gesang, unterbrochen von hellen Trompetenstößen und Geigenklängen. Die Dorfmusikanten waren bereits im höchsten Sonntagsstaat eingetroffen, um sich einstweilen vor dem Inspektorhaus privatim feiern zu lassen.

Bierkrüge rasselten, und verlockender Bratenduft entströmte den Fenstern der Gesindeküche. –

»Hurra! – hurra! der junge Herr soll leben!«

Weithin hallte es durch die stille, klare Morgenluft. In der Terrassenthür war eine schlanke Frauengestalt erschienen, im Begriff, die steinernen Stufen hinab zu steigen.

Die weiße Hand, welche sich auf das Geländer stützte, zuckte zusammen, lauschend hob Xenia das Haupt.

»Hurra! hurra!« jubelte es wieder. –

Die Sonne tauchte das Köpfchen der jungen Gräfin in blendendes Licht, dennoch vermochte sie nicht den tiefen Schatten zu bannen, welcher über das reizende Antlitz zog.

Ein fast verächtliches Zucken neigte die Mundwinkel, steifer richtete sich der Nacken empor. Gräfin Xenia stand erst in ihrem achtzehnten Lebensjahre, dennoch machte sie den Eindruck eines vollerblühten Weibes. Sie war ja nie ein Kind gewesen, wie sollte das selbständige, trotzige, frühreife kleine Mädchen sich zu einer zarten, lieblichen Jungfrauenblüte entwickeln?

Nicht Lilie und nicht Rose war Gräfin Xenia geworden, sondern die hochgewachsene Kaiserkrone, welche sich ihres Ansehens bewußt ist. Eine wundervolle, junonische Figur wiegte jetzt den rotgoldenen Trotzkopf der »letzten« Dynar auf stolz gehobenem Nacken.

Entzückend war der Kontrast, welchen die tiefschwarzen, von langen, dunklen Wimpern verschleierten Augen zu dem lichten Haar bildeten, vollendet schön jeder einzelne der Gesichtszüge, und dennoch war es, als fehle dieser majestätischen Erscheinung etwas, als müsse ein warmer Strahl kommen und die Kälte schmelzen, welche sie in solch starren Bann geschlagen, als müsse eine milde Hand über das steinerne Antlitz streichen, den Marmor zu beleben.

Gräfin Xenia glich der idealen Schöpfung eines Pygmalion, welcher nur ein einziges fehlte, um die Vollendung aller sieghaften Schönheit zu erreichen, die Seele. Gedämpfte Schritte klangen neben der Tochter Gustav Adolfs.

Gebeugt, verknöchert, und das ergraute Haupthaar in wenigen Strähnen über die Stirn glatt gestrichen, schlurrte der Freiherr von Drach in festgewurzelter Erinnerung an höfisches Parkett, über die Steinplatten und verneigte sich mit solch ritterlicher Hast vor Xenia, daß die Orden, welche in langer Reihe auf seiner Brust renommierten, durch einander rasselten.

»Du hast mich rufen lassen, ma chère – « der Kammerherr hielt sein stark parfümiertes Taschentuch an die Lippen und hüstelte: »Ich saß gerade im Archiv und stöberte die alten Urkunden durch, – höchst interessant, – eminent wertvolle Stücke darunter – aber viel Staub, – entsetzlich viel Staub, – und eine Moderluft, welche ich mit meinem Asthma so gar nicht vertragen kann, dazu ist es Danaïdenarbeit, – sagte es dir ja von vorn herein, liebe Xenia, – läßt sich absolut nichts thun – ist verbrieft und besiegelt – und dann … bei deinem kolossalen Vermögen – ich bitte dich … was kann dir an dieser ostpreußischen Herrschaft – an diesem Krähenhorste liegen, welcher deinem Adoptivbruder zugesprochen ist– die ganze Hälfte deines väterlichen Vermögens ist ja nur eine recht wertvolle Perle, welche du aus dem Schatz verlierst, den du in der Hinterlassenschaft deiner verstorbenen Mama besitzest!« – –

Und der Freiherr hüstelte abermals und machte eine Bewegung mit dem Batisttuch, welche so viel bedeutete als: Laß fahren dahin!

Xenia zog die weiße Stirn unwillig in Falten und sagte mit gereizter Stimme:

»Ich kann es wohl kaum für deinen Ernst halten, Onkel, mir eine derartig kleinliche Gesinnung zuzutrauen, und ich hoffe, daß du mich besser kennst, als du dir diesen Anschein geben willst. Ich würde nicht deine Dienste als Kavalier in Anspruch genommen haben, handelte es sich um weiter nichts, als darum, ein paar gefährdete Heller zusammen zu scharren. Gott sei Dank, haben sich die Dynars niemals zu Sklaven niedriger Interessen gemacht!«

»Aber, mon ange – ich begreife nicht – welch andere Motive …«

Die kleine, zusammengeschrumpfte Gestalt des Freiherrn wiegte sich unschlüssig von einem Fuß auf den andern.

»Es ist doch bei Gott keine Bagatelle, ein Testament anzugreifen … ohne jegliche Handhabe einen Prozeß anzustrengen – – «

Xenias Auge blitzte zu dem Sprecher hernieder.

»Bitte, halte dich nicht bei Meditationen auf, Onkel, welche drohen, allzu phantastisch zu werden!« unterbrach sie ihn ungeduldig, fast schroff. »Ich habe dich gebeten, die Familienakten und die Klauseln des Erbfolgerechts nachzulesen, mit dem speziellen Gedanken, irgend eine Bestimmung darin zu finden, auf welche hin das Testament meines Vaters erschüttert werden könne, – nicht das Vermächtnis seiner Kapitalien betreffend, sondern einzig jenen einen Punkt, ob mein … mein … dieser Adoptivsohn meines Vaters wahrlich ein Recht dazu hat, künftighin unsern Namen zu führen.«

Herr von Drach zuckte die Achseln und kniff die schmalen Lippen noch schmäler zusammen.

»Wird wohl nicht zu ändern sein, liebes Kind, – just dieser Punkt am wenigsten. Dein verstorbener Vater hat die spezielle Erlaubnis Seiner Majestät eingeholt, hat die notariell beglaubigte Genehmigung des dazumal noch lebenden Vetters Dagobert, welcher vor fünf Jahren als unvermählter Attaché in Konstantinopel starb, in Händen gehabt, und alle Rechte Janeks mehr wie sichergestellt. Du wirst begreifen, daß deine schönen kleinen Hände trotz all ihrer Energie nicht imstande sein können, solche Hindernisfelsen aus dem Wege zu räumen!«

»Gott sei's geklagt!« –

Wie ein unterdrückter Aufschrei zornigster Verzweiflung rang es sich von den Lippen der Komtesse, sie hob die weißen Hände und schüttelte sie voll ohnmächtigen Grimms, daß die Armbänder zusammenklirrten.

»Warum müssen es so erbärmlich schwache Mädchenhände sein, in welchen die Ehre eines ganzen Geschlechtes ruht! Warum bin ich kein Mann?! Warum mußte ich geboren werden, wenn mir nicht die Kraft wurde, für den Namen, den ich trage, einzustehen!«

Der Kammerherr putzte die Gläser seiner Lorgnette, und entfernte mit umständlich spitzen Fingern eine kleine Blütenflocke, welche auf seinen tadellos schwarzen Rock geflogen war.

»Aber warum regst du dich eigentlich so gewaltig auf, ma petite? – Was um alles in der Welt kann es dir verschlagen, ob dein schöner, uralter Name von einem jungen Manne fortgepflanzt wird, welcher uns alle zu so viel Hoffnungen berechtigt wie Janek? Seine vorzüglichen Examina – seine hervorragenden Talente – seine distinguierte Erscheinung – «

»Onkel!« –

Xenia legte die Hand schwer auf den Arm des alten Herrn.

»Hat dir mein Vater damals in dem Brief, welchen er über Janek an dich geschrieben, von seiner Herkunft gesprochen?«

Drach blickte verblüfft empor. –

»Herkunft? hm … mir schwebt so etwas vor … ganz dunkel, … ich dächte doch wohl … aber halt! Ich habe ja das Schreiben bei mir, natürlich; schon der Herren vom Gericht wegen! Excusez …ich muß den Rock öffnen hier …«

Und der Kammerherr zog ein kleines Päckchen zusammengeschnürter Papiere aus der Brusttasche, trat an die steinerne Brüstung und warf die einzelnen Blätter in konfuser Hast auseinander.

»Dies ist die Schrift Papas, – dieser Brief wird es sein, du gestattest wohl!«

Ohne nur eine Antwort abzuwarten, griff die schlanke Mädchenhand über die Schulter des kleinen Herrn, faßte das Blatt und entfaltete es, um die verblichenen Zeilen mit scharfem Blick zu überfliegen

Drach war zu klein, um gleichzeitig mitlesen zu können, obwohl er es auf den Fußspitzen versuchte.

»Nun? … Bitte, lies die Stelle vor, Xenia!« – drängte er eifrig.

Die Komtesse ließ das Schreiben sinken und atmete tief auf.

»Janek ist der Sohn eines Mannes, welchen ich trotz mancher abweichenden Gesinnungen und trotz einer mir sehr fern liegenden politischen Bewegung, an welcher er sich leider zu stark beteiligte (Janek ist Pole), dennoch sehr hoch schätze und achte. – Mein Ehrenwort verbietet mir, dir ein näheres über meinen Adoptivsohn mitzuteilen, doch hoffe ich, mein lieber, alter Freund, daß du auch ohne jeglichen Kommentar einem jungen Manne voll Aufrichtigkeit und Freundschaft begegnen wirst, von welchem du weißt, daß er mir in inniger Liebe, gleich wie ein eigen Kind, an das Herz gewachsen!«

Der Freiherr hatte die Worte noch einmal laut und feierlich gelesen, nachdem ihm die junge Dame das Blatt schweigend dargereicht hatte, jetzt blickte er gespannt empor, mechanisch die Papiere wieder zusammenraffend.

»Er nennt keinen Namen, – nichts, gar nichts über die Familie … aber ich dächte …«

»Wie viel Uhr ist es?« schnitt Xenia kurz ab.

Fast erschrocken informierte sich der Kammerherr; blies zuerst vorsichtig den Staub, welcher von der Mauerbrüstung auf seine Fingerspitzen übertragen war, von den scharfen, langgebogenen Nägeln und griff alsdann zuvorkommend nach der goldenen Kette.

»Aha … scharmant – gerade elf Uhr auf die Minute!«

»Gut, so haben wir noch eine Stunde Zeit bis zu der Ankunft dieses … Polen!« –

Xenia hob den Kopf mit jenem Lächeln, welches einzig ihr in dieser hochmütig geringschätzenden Art und Weise eigen war.

»Gib mir den Arm, lieber Onkel, und laß uns noch eine kleine Promenade durch den Park machen, ich möchte diese schriftlichen Mitteilungen über den zukünftigen Erbherrn von Proczna noch um ein weniges vervollkommnen, und da oftmals die Wände Ohren haben« – ihr Blick streifte an der Schloßfront empor, aus deren weitgeöffneten Fenstern sich die Gardinen blähten – »und meine Mitteilungen um jeden Preis geheim bleiben sollen, so halte ich es für ratsamer, meine Konfidenzen unter jenen grünen Lindenwipfeln zu machen, wo uns einzig die diskreten Bienen und Schmetterlinge belauschen können!«

»Konfidenzen – geheime Mitteilungen?!«

Das spärlich umlockte Haupt des alten Höflings fuhr wie elektrisiert näher.

»Oh ich bin hochgradig gespannt – ich fange an zu kombinieren … Darf ich bitten … deinen Arm, mon ange …«

Und im Sturmschritt schlurrte er der Freitreppe entgegen und steuerte dem Schatten der hohen Lindenallee zu.

Rotgoldene Funken brannten auf dem Haupt der Gräfin, ebenso wie auf dem der Ahnfrau droben, über deren gemaltes Köpfchen die Sonnenstrahlen durch enthüllte Fenster zitterten, und gleich wie jene Gräfin Xenia, welche vor Jahrhunderten unter diesen Lindenwipfeln gewandelt war, trug auch ihre späte Namensschwester das Haar in kurzen Löckchen aufgenestelt. Gustine hatte mit hämischer Freude bemerkt, daß ihre junge Herrin heute eine besondere Sorgfalt auf ihre Toilette legte, sie rieb sich die Hände, und kicherte schadenfroh in sich hinein.

»Die Augen sollen dem Mosjö Bettelprinz übergehen, wenn er die Gräfin Dynar erblickt! Klein werden soll er vor der Majestät dieses weißen Schwans, so klein, daß er vor ihr im Staube liegt! Haha! .. Polnisch Blut schießt durch die Augen direkt ins Herz, und Feuer, die es zündet, schlagen in lichterlohen Flammen bis ins Hirn hinauf! – Das wär eine Wonne, das wäre ein Triumph, wenn er sich an der Kälte deutscher Gräfinnen zu Tode fröre …«

Und Gustine hatte mit fast nervöser Hast die köstlichen Perlenschnüre um den Nacken ihres weißen Schwans gelegt.

Und wundersam treffend war diese Benennung für Xenia.

Wie sie so durch den Sonnenschein einherschritt, sich mehr auf den Arm des Kammerherrn stützend als sich an ihm führend, wie die blütenzarte, duftige Spitzenrobe wie silbernes Gefieder um ihre schlanken Glieder floß, aufwogend im leichten Luftzug und wie Wasserschaum lang hinter ihr her über den Wegsand rieselnd, da glich sie wahrlich dem königlichen Schwan aus dem Märchenbuche, welcher, verzaubert auf uraltem Schloßweiher, ein gülden Krönlein auf dem Haupte trägt.

Xenia hatte sich tief zu ihrem Begleiter herab geneigt, hatte eifrig und anhaltend in sein Ohr geflüstert, während es heißer in ihren Wangen emporstieg und das schöne – Antlitz mit warmem Purpur übergoß.

»Das Kind eines polnischen Flüchtlings, von der Landstraße aufgelesen, ohne Namen, ja ohne Ehre selbst, denn der Sohn eines Rebellen ist gebrandmarkt durch jeden Tropfen Blut, der ihn eins mit seinem Vater macht, dieser Plebejer, Onkel, soll der Erbherr von Proczna, der Träger unseres Namens, soll mein Bruder sein?« –

Die junge Gräfin blieb stehen, preßte die schlanken Hände gegen die Schläfen und atmete fast keuchend; wie ein Fieberschauer schüttelte es ihre Glieder.

»O! … o! …« wiegte Herr von Drach voll sittlicher Entrüstung das Haupt, »so gar nicht von Familie … das ist allerdings ein recht übler Passus in den Annalen von Proczna! … hm … höchst fatal, aber leider Gottes nicht mehr zu ändern!«

Xenia ließ die Hände sinken.

»Nein, die Thatsache bleibt, aber wer weiß, ob der Welt verborgen. – Meine Eltern hatten fast alle Beziehungen zu der Gesellschaft gelöst, als sie sich freiwillig in dieses Exil verbannten, es sind nur sehr seltene, fast keine Nachrichten aus ihrem Familienleben in die Öffentlichkeit hinaus gedrungen. Man kennt wohl Papas seltsamen Schritt, einen Sohn zu adoptieren, doch nimmt man gleicherzeit an, daß ein Graf Dynar vor allen Dingen ebenbürtig Blut ausgewählt habe, um es seinem Namen zu verschmelzen. Wie leicht ließe sich diese Meinung erhalten, wenn wir Janek selber die Idee einimpfen könnten, daß er ein entfernter Verwandter von uns sei, dessen Familienname Verhältnisse halber verschwiegen werden solle. So, wie ich mich mit diesem Polen gestellt habe, muß ich gewärtig sein, daß er alles aufbieten wird, mich zu kränken und zu verletzen, selbst wenn er den Stachel in sein eigen Fleisch stößt. Ich rechne auf keinerlei Rücksicht für mich und meinen Namen, und darum möchte ich ihm die Waffe aus der Hand winden, ehe er dieselbe gegen mich heben kann. – Onkel!« –

Xenia legte beide Hände auf die schmalen Schultern des alten Herrn, neigte sich, und senkte ihren brennenden Blick in sein Auge.

»Onkel – « flüsterte sie beschwörend, »ich weiß, daß Papa einen Brief an Janek hinterlassen hat, in welchem er ihm Aufklärungen über seine Herkunft, seinen Namen und seine Nationalität machen wird, einen Brief, welcher mit wenigen Zeilen meine ganze Zukunft vergiften wird! Du mußt einen Weg wissen, auf welchem wir zu diesem Unglücksschreiben gelangen, du mußt mir Mittel nennen, es in unsere Hand zu bringen. Janek darf nicht wissen, wer er ist, – er darf's nicht, Onkel, koste es, was es wolle!«

Ein fast kläglicher Ausdruck zog das faltige Gesicht des Freiherrn in die Länge, er sank so tief zusammen unter dem Druck der weißen Mädchenhände, daß seine Orden fast hohl über der Brust schaukelten.

»Aber Xenia! Ich beschwöre dich! Wie dürfen wir den letzten Willen des verstorbenen Vaters, meines teuren, vertrauenden Freundes, so eigenwillig ändern! Wie darf ich dir ein Schreiben aushändigen, welches mir gleich wie eine heilige Pflicht auf die Seele gebunden ist …«

»Du besitzest es? … Das Schreiben ist in deiner Hand?« –

Wie ein frohlockender Aufschrei rang es sich von den Lippen der Komtesse.

»Gib es mir heraus, lege es in meine Hand, wenn dir der Name und die Ehre deines treuesten Freundes heilig sind, wenn du ihm den makellosen Glanz seines Geschlechtes retten willst!«

Hoch aufgerichtet, mit flammendem Auge stand Xenia vor dem alten Herrn, welcher in ratloser Verlegenheit die feuchten Perlen von der Stirn wischte. Er war so wenig selbständig, der arme Herr von Drach, war es gewohnt, jede Entscheidung in die energischen Hände seiner Frau zu legen und nur mechanisch das zu thun, was ihm befohlen wurde. Und nun sollte er seinen eigenen Willen verfechten, sollte seine Meinung vertreten, noch dazu jenem schlanken, resoluten Mädchen gegenüber, welches sein ganzes Haus kommandierte, welches selbst die Meinung seiner Frau wie ein Fädchen um den Finger wickelte! Nein, das war einfach unmöglich, Xenia, die kluge, willensstarke behielt ja doch stets am Ende recht, warum erst versuchen zu revoltieren. Dennoch ging ihm die Aufforderung der Komtesse fürchterlich gegen Ehre und Gewissen.

»Liebe Xenia – « wagte er noch einmal schüchtern einzuwerfen, »du ahnst nicht die Tragweite deines Verlangens, – einen Brief unterschlagen, – unbefugterweise Dokumente eröffnen … ich bitte dich, es kann uns ins Zuchthaus bringen!«

Die Lippen der jungen Gräfin kräuselten sich verächtlich.

»Das Schreiben ist dir von meinem Papa privatim übermittelt worden?« fragte sie herrisch.

» C'est ça, mon enfant, – ich fand es bei meiner Ankunft in Proczna vor, als mich eure Depesche an das Totenbett meines lieben Gustav Adolf rief! …«

Herr von Drach atmete sehr unruhig und trocknete abermals seine Stirn. –

»Ein Briefcouvert, an mich adressiert, und wenige Tage vor seinem Ende geschrieben, enthielt das besagte Schreiben an Janek, und ein Zettelchen an mich, welches mir zur heiligen Pflicht machte, einliegende Zeilen seinem Adoptivsohn, am Tage der Mündigkeitserklärung zu übergeben. Es sei ein Nachtrag zu seinem Testament, und solle auf alle Fälle vor der Eröffnung desselben gelesen werden!«

Xenias Auge blitzte.

»Vortrefflich, – es ist die Vorbereitung auf das Wort: ›Adoptivsohn‹, welches den Ahnungslosen wie ein Donnerkeil von den Lippen des Notars treffen wird. – Was fürchtest du für Folgen von der Vernichtung eines Dokumentes, von dessen Existenz nur du und ich Zeuge sind?« – Die junge Dame richtete; sich hoch und kalt empor; »so wie sich die Verhältnisse nach dem Tode meines Vaters umgestaltet haben, ist es jetzt deine Pflicht, vor allen Dingen ihnen Rechnung zutragen, und den Tollheiten eines Menschen vorzubeugen, den der Verstorbene nur als Kind gekannt hat! Wo ist der Brief, gib ihn mir sofort, – es ist keine Minute mehr zu verlieren!«

Die Gestalt des Kammerherrn sank noch tiefer zusammen. –

»Droben in meiner Schatulle«, sagte er leise.

»So komm!« Sie legte abermals die Hand auf seinen Arm, und schob die gebrechliche Gestalt im Sturmschritt nach dem Schlosse zurück. – –

Gedämpftes Licht fiel in das kleine Boudoir, welches die Komtesse für die wenigen Tage ihrer Anwesenheit auf Proczna als Wohngemach bezogen hatte.

Xenia schloß die beiden Flügelthüren ab, und trat alsdann mit schnellem Schritt zu dem Tisch zurück, aus dessen glänzende Ebenholzplatte die mageren Hände Drachs soeben die kleine Kassette niedersetzten, in welcher er die bevollmächtigenden Akten, Abrechnungen und Quittungen des von ihm verwalteten Dynarschen Vermögens mit sich führte. Sein Bankier hatte ihn allerdings hierher begleitet, um diese Angelegenheit mit dem Erbherrn von Proczna zu erledigen, denn Herr von Drach befaßte sich grundsätzlich nicht mit Dingen, welche er nicht verstand.

Die Papiere knisterten und wurden in konfuser Hast auseinander gestreut, mit zitternden Fingern wühlte der Kammerherr in dem Inhalt des Bronzekastens. Ruhig, aber sehr bestimmt, schob Gräfin Dynar den Vormund beiseite, hob die Schriftstücke heraus und sah sie mit scharfem Blicke durch. –

»Hier!« – sagte sie nach wenigen Minuten, ein versiegeltes Couvert empor haltend, – »hier ist es!«

Ein tief erleichtertes Aufatmen hob ihre Brust, das weiße Blatt zitterte zwischen ihren Fingern. Zaghaft legte Drach die Hand auf ihren Arm.

»Xenia!« – bat er fast weinerlich, »versprich es mir zuvor, daß du den Brief sofort, nachdem du ihn gelesen, verbrennen willst. Was er auch enthalten möge, von dem Moment an, wo sein Siegel erbrochen ist, darf er nicht mehr existieren, wenn wir uns nicht kompromittieren wollen!«

Ihr kühler Blick traf voll sein Antlitz, welches sich blaß und flehend zu ihr erhob. Sie lächelte fast mitleidig.

»Unbesorgt, Onkel, – du hast mein Wort. Zünde gleich ein Licht an, damit wir dieses Dokument im Kamin dort als Asche zurücklassen!«

Voll fiebernder Hast griff der Kammerherr nach dem Feuerzeug, Gräfin Dynar aber ließ sich auf einen Sessel nieder und erbrach das Vermächtnis ihres Vaters, ohne mit einer Wimper zu zucken.

Das feine Lackwappen splitterte wie rote Blutstropfen auf ihr weißes Spitzenkleid hernieder, sie entfaltete den Bogen und las mit halblauter Stimme, während Drach sich eifrig sein Pincenez aufklemmte und hinter den Fauteuil trat, um über ihre Schulter in das Blatt zu schauen.

So peinlich ihm die ganze Angelegenheit war, konnte er dennoch die brennende Neugier nicht bezähmen, welche seinen Charakter in hohem Grade beherrschte, seit er den bewußten großen Schlüssel auf dem Frack trug und den schleifenden Schritt der Höflinge angenommen hatte.

»Mein geliebter Janek!« – las die Komtesse mit herb gekräuselten Lippen: »Wenn du diese Zeilen in Händen hältst, wird mein Geist bei dir sein und segnend deine Stirn küssen. Ich schreibe in später Nachtstunde, gequält von meiner Krankheit und beunruhigt durch mein Gewissen, welches sich einer Indiskretion schuldig fühlt. Als mein eigen Kind habe ich dich geliebt, habe dich aufwachsen lassen in dem Gedanken, daß der einsame, elende Mann, den du nie betrübt, dessen Glück und Freude du gewesen, dir ein leiblicher Vater sei. Gott vergebe mir, wenn ich dir jemals zu einem Zweifel Anlaß gegeben. Wenn du diesen Brief öffnest, wirst du ein Mann sein, stark und edel genug, um eine Wahrheit zu erfahren, welche dein Herz dem Entschlafenen nicht entfremden wird, wenngleich sie dich mit Worten von mir losreißt: du bist nicht mein leiblich Kind, nicht der Sohn, welchen mir Gottes Gnade aus eigenem Fleisch und Blut erwachsen ließ; ich habe dich adoptiert, habe dir Namen und Besitz gegeben, habe dich ganz zu eigen genommen mit Leib und Seele. – Wer dein Vater gewesen? – Frage mich nicht, mein Janek, laß dir an der Versicherung genügen, daß er mein hochgeachteter Freund war, dessen Segensküsse deine junge Stirn geweiht haben. Mein Ehrenwort habe ich diesem Manne verpfändet, dir Namen und Herkunft zu verschweigen, bis er einst selber meine Lippe lösen würde; – ich aber habe in schwacher Stunde die Indiskretion begangen, dir dennoch deines Vaters Namen zu nennen, in der Hoffnung, Gutes dadurch zu stiften, und zwar legte ich den Brief, in welchem diese pflichtvergessenen Enthüllungen niedergeschrieben sind, an dich adressiert, gerichtlich mit meinem Testamente nieder. – Es ist eine wilde Nacht heute, der Sturm tobt und heult wie damals, als der blasse, unglückliche Mann vor mir stand und ich in seine Hand einschlug mit dem Versprechen: Ich werde schweigen!

Janek, mein geliebter, teurer Sohn, ich fürchte, es bleibt mir keine Zeit, jenen Brief von dem Gericht zurückzufordern, und darum schreibe ich in der Qual meines Herzens diese, meine letzte Bitte an dich nieder, welche du als gehorsamer Sohn erfüllen wirst, um meines Andenkens willen.

Nimm jenen Brief, welchen man dir vor der Eröffnung des Testaments überreichen wird, und wirf ihn unerbrochen in das Feuer, ehre meinen Wunsch und schaffe meinem Gewissen Ruhe, und Gott der Allmächtige wird dich segnen dafür! Du bist von Stund an Graf Dynar, der Erbherr von Proczna, laß dir an diesem Namen genügen. – Dich habe ich als starken, edlen Schutz an die Seite meines heißgeliebten, einzigen Töchterchens gestellt, du wirst ihr Vater und Bruder zugleich sein, du wirst sie mit derselben unveränderten treuen und heiligen Liebe umfassen, wie du es jetzt schon als Knabe thust, zu meinem namenlosen Glück; und wenn du erfährst, mein Janek, daß Xenia nicht deine Schwester ist, wenn sich vielleicht noch ein heißeres und süßeres Lieben in dein Herz schleicht, – Gott im Himmel weiß, wie oft ich ihn auf den Knien darum gebeten, dann wird mein Geist um euch sein, ihr teuren Kinder, dann wird er eure Hände vereinen …«

Leichenfahl, – mit zitternden Händen ließ Xenia das Schreiben herniedersinken, – ein Aufschrei entrang sich ihren Lippen, – haltlos, wie gebrochen, sank ihr Haupt zurück –

»Was habe ich gethan – !« – –

Totenstill blieb es momentan in dem kleinen Boudoir, das Licht auf dem silbernen Leuchter knisterte in roten Funken auf, – von dem Schloßhof klang ein jubelndes Hurra herüber.

»Xenia«, – flüsterte Herr von Drach mit halb erstickter Stimme, – »der Wagen scheint in Sicht zu kommen!«

Wieder brauste es: »Hurra!« – wieder und wieder.

Langsam richtete sich die Komtesse empor, mechanisch faßte sie Brief und Leuchter, und schritt nach dem Kamin.

Alles verloren, – alles – durch ihre eigene Schuld. Ein Frösteln ging durch ihre Glieder, die Lichtflamme teilte sich vor ihrem Blick in viel tausend züngelnde Feuerschlangen, welche ihr höhnisch zischend entgegenfuhren, … es wallte und wogte um sie her … sie stützte sich schwer auf den Bronzesims.

»Xenia … soll ich dir helfen?« – flehte es an ihrer Seite. –

Sie zuckte empor, faßte den Brief und hielt ihn an die Flammen, – grellauf glühte es um ihre weiße Hand; – das brennende Papier flatterte in den Kamin hernieder – roter Wiederschein glühte sekundenlang über die regungslose weiße Frauengestalt, dann sank ein kleines Häuschen Asche, kaum noch sichtbar, in sich zusammen.

Ein Auflachen, grell, scharf, verzweifelt, gellte durch das Zimmer, Xenia preßte die Hand gegen ihr Herz und wandte ihr farbloses Antlitz nach dem Kammerherrn.

»Wir haben verspielt, Onkel!« sagte sie mit wunderlichem Klang in der Stimme. »Nun komm herab und begrüße den Erbherrn von Proczna!«

Sie richtete sich hoch empor, kalt und stolz wie immer, legte die Hand schwer auf den Arm des Vormundes und schritt an seiner Seite über die Schwelle zurück.

»Hurra! … Hurra der junge Herr!« – jauchzte es aus dem Schloßhof.



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