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XI.

In Paris hatte man oftmals von Janek Proczna, gesagt, er habe viel diplomatisches Talent. Ohne großen Aufwand von Esprit drehte er den Leuten die eigenen Worte so lange im Munde herum, bis sie schließlich das besagten, was er wollte, und niemand merkte es, denn Janek Proczna verpuffte dabei kein überflüssiges Buntfeuer von Geist und Witz.

Langsam stieg er die breite Marmortreppe hinab. Als er vor wenigen Minuten dieselben Stufen emporgeschritten war, hatte eine feine Falte zwischen den Augenbrauen eine stumme Beichte abgelegt, mit wie viel eiserner und trotziger Energie sich Janek Proczna für diese Visite gewappnet hatte, jetzt, auf dem Rückweg war die Falte und der Trotz verschwunden, und statt ihrer leuchtete eine fast übermütige Zuversicht, und eine Genugthuung aus seinen dunklen Augen, über welcher als Devise der Refrain jenes französischen Couplets zu schweben schien: »Das schuldeten mir die Götter!« .

Die schlanken Fächerblätter schwebten dicht über seinem Haupt, und die weiße Statue, welche ernst und majestätisch aus dem grünen Wandboskett hervorzutreten schien, hielt den vorgestreckten Arm mit dem Lorbeerkranz so niedrig, daß er dicht über des Polen Stirn schwebte.

Im Vestibül drunten stand der Diener und hielt wartend den englischen Setter am blitzenden Halsband; lautes Aufbellen begrüßte den Schritt des Herrn, und ehe es sich der Galonnierte versah, hatte sich King Knave losgerissen, und stürmte in weiten Sätzen dem Nahenden entgegen.

Janek streichelte liebkosend den schlanken Kopf.

»Kusch dich, King! Du bist hier nicht zu Hause und hast dich noch eine ganze Weile mäuschenstill zu verhalten, wenn du …«

Proczna konnte nicht vollenden. Wie ein Pfeil flog der Setter die Stufen zurück, kurz anschlagend und sich auf eine kleine Angorakatze stürzend, welche wie ein weißer Seidenknäuel durch die Vorhalle huschte.

»Um Gottes Willen! Fräulein Beatrices Liebling!« schrie der Diener auf und wollte sich rettend dazwischen werfen, aber das Kätzchen hatte sich bereits auf die Treppenrampe geflüchtet, und als King Knave wie rasend zu ihr emporstrebte, da that sie einen verzweifelten Sprung in die Blattpflanzen, und durch dieselben hindurchschlüpfend, schoß sie wie ein heller Schein, mit bedeutendem Vorsprung, in einen schmalen Seitenkorridor hinein.

King Knave und der Diener hinterher, und Janek, aufs höchste bestürzt, eilte die letzten Stufen hernieder, um sich der wilden Jagd anzuschließen.

Immer den Korridor entlang ging es. Janek hatte den etwas wohlbeleibten Bedienten schnell überflügelt und sah die Katze dicht vor sich durch einen schmalen Thürspalt huschen, der Setter stürmte nach, krach, flog die Thür auf und Janek stand vor dem offenen Eingang des Zimmers.

Im ersten Augenblick wollte er zurückweichen, dann aber, mit dem lauten Aufschrei:

»Mein Gott, Sie brennen ja!« stürmte er, jegliche Form hintansetzend,« über die Schwelle direkt auf eine junge Dame zu, welche nachlässig im Schaukelstuhl vor dem Kamin lag und sich voll Seelenruhe, ohne nur im mindesten von der Hetzjagd Notiz zu nehmen, weiter wippte.

Da sie dem grellflackernden Feuer den Rücken kehrte und die Kufen des Stuhls mit außerordentlicher Vehemenz schwang, so flog der lange Zopf mit der roten Schleife jedesmal wie eine Schlange in die helle Glut hinein.

»Sie brennen!!« rief Janek abermals, riß mit kräftiger Hand den Stuhl samt Fräulein Beatrice herum, faßte schnell entschlossen die brennenden Bandschleifen und erstickte die Flamme zwischen den Händen.

Dann richtete er sich hoch aufatmend wieder empor und schaute mit fast zornigem Blick auf das Backfischchen hernieder, welches mit einem Schrei, zwischen Entrüstung und Bedauern schwankend, die Flechte aus seiner Hand zu reißen versuchte.

»Mein Fräulein!« Janeks Stimme klang wie die eines zürnenden Gouverneurs, »da war zum mindesten sehr leichtsinnig von Ihnen, den Stuhl so dicht an das Feuer heranzurücken, daß die Haare in die Glut hängen! Sind Sie wirklich noch so naiv, gar nicht zu ahnen, in welch furchtbarer Gefahr Sie schwebten?«

Der Diener, King Knave und die Katze tobten im Nebenzimmer, Beatrice aber brauste empor, als wolle sie dem unverschämten Eindringling mit allen zehn Fingern in die Haare fahren.

»Naiv? Ich bin nicht naiv, ich verbitte mir dergleichen Ausdrücke, Sie unverschämter Mensch, der absolut kein Recht dazu hat, meinen Zopf auszulöschen! Ich bin kein Kind mehr, ich bin siebzehn Jahre alt und weiß, was ich thue!«

Aufs höchste frappiert blickte Janek in das niedliche Gesichtchen, welches sich vor lauter gekränkter Würde kirschrot färbte, momentan war er sprachlos vor Staunen, dann lachte er hell auf.

»Alle Achtung, meine Gnädigste!« amüsierte er sich. »Sie hatten dieses kleine Autodafé mit siebzehnjähriger Überlegung in Scene gesetzt, um sich für die Zukunft als feuerfest« zu erproben?!«

Beatrice hatte einen wahrhaft kläglichen Blick aus ihren Zopf geworfen, dann schnellte sie das Köpfchen zurück und kopierte Cousine Xenias allerimponierendsten Blick.

»Und wenn dem so wäre, mein Herr?«

»Dann war es erst recht nötig, daß ich zusprang, um solch eine kouragierte junge Dame der Nachwelt zu erhalten! Es ist noch viel zu früh, Fräulein Beatrice, zu solch riskierten Versuchen, Sie sahen ja, wie das reine Strohfeuer flackerte es in die Luft.«

Erstaunt sah sie ihn an, halb mißtrauisch und halb neugierig.

»Sie kennen mich?«

»Das will ich meinen!«

»Aber woher denn? Ich habe sie ja noch nie im Leben gesehen!«

»Wirklich nicht, Kousinchen Bicky? Denken Sie einmal etliche Jahre zurück, sechs – sieben Sommer vielleicht, als ein großer langer Schlingel von der Universität kam, um Sie jedesmal im Juli auf acht oder vierzehn Tage zu besuchen, zuerst in Karlsbad, dann auf Helgoland, in Ischl und Interlaken, Ihr guter Freund, der immer bereit war, Pferd zu spielen, niemals sein Konfekt bei der table d'hôte aß – «

Weiter bedurfte es keiner Memoiren. Mit dem lauten Jubelschrei:

»Janek, lieber Janek, du bist es!« stürmte Beatrice auf ihn zu. Das Buch, welches sie noch vom Kaminstuhl aus in der Hand hielt, polterte zur Erde, und zwei weiche Arme schlangen sich um den Nacken des großen Mannes. »Lieber Janek, ach daß du einmal wiederkommst!«

Ungestüm und zärtlich schmiegte sie sich an ihn und Janek zog sie fest an die Brust … es war ihm wie ein Traum, wie ein süßer unfaßlicher Wahn, daß es eine Seele im Hause der Gräfin Dynar gab, welche ihn derart willkommen hieß.

Er, der Einsame, der Verlassene, welchem sich nie zwei Arme in herzlich unschuldvoller Sehnsucht entgegengestreckt, welchem nie eine Stimme zugejauchzt: »Willkommen zu Hause bei den Deinen!« – er fühlte es heiß emporquellen in seinem Herzen. Liebkosend strich seine Hand über ihr schlankes Köpfchen.

»So freust du dich wahrlich, Bicky, freust dich aufrichtig, mich wiederzusehen?«

Sie neigte sich zurück und schaute ihm voll in die Augen, ihre ganze Seele lag in diesem süßen, leuchtenden Aufblick.

»Daß du es nur fragen kannst!« jubelte sie dann erst mit etwas leiserer Stimme, »als ob du deine Freundin von ehedem so schlecht kenntest, als ob du nicht ganz genau wüßtest, wer dich hier im Hause stets am liebsten gehabt hat, seit Anfang an und bis auf den heutigen Tag. Ja, sieh mich nur so wunderlich an; es ist Wahrheit, wenn es auch noch so albern klingt, daß so ein kleines Mädchen wie ich, dich riesengroßen Mann überhaupt lieb hat!«

Bicky schüttelte das Haar aus dem glühenden Gesichtchen und lachte schelmisch auf.

»Und dich habe ich in meinem Zorn einen unverschämten Menschen genannt und habe dich nicht wiedererkannt und hätte dir am liebsten die Augen ausgekratzt, zum Dank dafür, daß du meinen Zopf gerettet hast. Wie ist's nur möglich gewesen? O ich dummes, dummes Ding, so blind und taub zu sein!«

Von neuem schlangen sich ihre Arme fest um seinen Nacken, dann trat sie einen Schritt zurück und musterte ihn von oben bis unten.

»Du hast dich aber auch gewaltig verändert, lieber Vetter!« schüttelte sie wie entschuldigend das Köpfchen, »so hübsch bist du früher nicht gewesen, und in meinen Gedanken hattest du auch noch keinen Schnurrbart – «

Janek faßte ihre beiden Hände.

»Warum ist das Schicksal so grausam gewesen, mir dies einzige wonnige Gedenken, welches mir in der Heimat geblüht, zu verheimlichen! Welch ein köstlicher Schatz wäre doch die Gewißheit für mich gewesen, in einem solchen lieben Haupt und Herzen beschlossen zu sein!«

»Und hattest du mich denn gleich wiedererkannt?«

Es lag etwas in der Stimme des jungen Mädchens, was Proczna unwillkürlich lächeln ließ. Langsam schüttelte er den Kopf, und sein Blick schweifte über ihre Gestalt und ihr Antlitz, als wolle er zwischen jetzt und damals eine Parallele ziehen.

In seiner Erinnerung lebte ein Kind, wild, ungestüm, mit kurzgeschnittenem Haar und einer echten rechten Babyphysiognomie, und nun stand eine zierliche, mittelgroße Gestalt vor ihm, der Figur nach eine jung erblühte Rose, welche noch gewaltsam in die unscheinbare Knospenhülle zurückgedrängt werden soll, frisch, liebreizend, im vollsten Zauber der ersten Jugend.

Zwar lachte ihm auch jetzt noch ein rundes Kindergesichtchen mit kecker Stumpfnase, einem nicht allzu kleinen, aber tiefroten Mund und den entzückendsten Grübchen in Wangen und Kinn entgegen, aber die großen, hellbraunen Augen schienen ein geheimnisvoll tiefer See, auf dessen Grund der goldene Hort der Seele verborgen ruht, oft blitzt und leuchtet es verräterisch von ihm empor, ein süßer, zauberischer Kampf zwischen Jungfrau und Kind.

»Nein, Beatrice, ich hätte dich nicht wieder erkannt«, entgegnete er, »wärst du mir hier nicht im Hause begegnet und von dem Diener bereits annonciert gewesen. Du bist eine große Dame geworden, und ich denke mir, auch eine recht gefeierte; wie stolz werde ich sein, in den Salons meine Anrechte an dich als alter Freund und Vetter geltend zu machen!«

Wie verklärt sah sie ihn an, dann seufzte sie schwer auf, faßte seine Hand und zog ihn neben sich auf den himmelblauen Diwan nieder.

»Ach, wenn du ahntest, lieber Janek, wie sehr ich dich manchmal herbeigesehnt habe, wie ich an dich gedacht habe, als wie an einen Retter, der doch endlich kommen muß, um mir aus der Not zu helfen, oder mir wenigstens in derselben ein Trost und Leidensgenosse zu sein!«

Leises Schluchzen klang durch ihre Stimme, und jäh besorgt neigte sich Proczna und blickte sie forschend an.

»Aus aller Not? Wer kann und darf wohl meiner kleinen Bicky Kummer bereiten!«

Sie blickte unter sich.

»Du mußt nicht ›kleine Bicky‹ sagen, lieber Janek, das klingt gerade so, als ob ich noch ein Kind wäre, und ich bin doch schon seit einem Jahre konfirmiert!«

Ein schalkhaftes Zucken ging über sein Antlitz, aber er blieb vollkommen ernst.

»Ei behüte, Cousinchen, das würde ja unglaublich frech sein, solch einen ketzerischen Gedanken überhaupt zu hegen! Für fremde Leute bist du ja längst schon eine Respektsperson, ich aber komme mir schon so uralt gegen dich vor, und denke noch an damals zurück, wo meine kleine Bicky mich mit ebenso lieben Augen ansah, wie jetzt die große, daß du mir solche Ausnahme schon gestatten kannst!«

Glückseligkeit strahlte aus den großen Augen.

»Ach, wenn doch alle Menschen so gut wären wie du, Janek, dann würde es schön auf der Welt sein – dann würde ich nicht nötig haben, so dicht an das Feuer rücken, dann würde ich gewiß furchtbar glücklich sein!«

Der Bediente zerrte King Knave durch die Thür des Nebenzimmers, Proczna erhob sich und deutete nach dem Korridor.

»Haben Sie die Güte, den Bösewicht noch einen Augenblick im Vestibül zu verwahren, ich komme sofort und wünsche alsdann Herrn und Frau von Drach gemeldet zu sein!«

Bicky trocknete die Augen.

»Warst du schon bei Xenia?«

Janek nickte, und der Galonnierte beförderte den sehr widerstrebenden Setter im Schweiße seines Angesichts über die Schwelle, dann wandte sich Proczna abermals zu Beatrice und legte mit ernstem Blick die Hand auf ihren lockigen Scheitel.

»Wer weiß, Bickychen, ob wir jemals wieder so ungestört plaudern können, wie in diesem Augenblick! Du hast irgend einen Kummer auf dem Herzen; schnell beichte ihn mir, wenn du mich deines Vertrauens für wert und meinen Einfluß für genügend groß hältst, deine Thränen trocknen zu können! Denk, ich sei derselbe Janek noch, welcher dich früher so oft auf die Knie gehoben und getröstet hat, wenn dein junges Herzchen so ganz verzagen wollte!«

Bicky schluckte krampfhaft die Thränen hinunter.

»Ach ja, lieber Janek!« nickte sie mit leidenschaftlicher Bitterkeit, trotzig die Stirn hebend. »Wir beide waren ja stets die Stiefkinder, die zurückgesetzten, unglücklichen Stiefkinder, die kein Mensch auf der Welt lieb hatte! Dich haben sie früher gehaßt und ausgestoßen und mich stecken sie jetzt in die Ecke und unterdrücken mich und … ach, du lieber Gott, wenn ich doch nur erst unter der Erde läge und tot wäre!«

Die ganze Heftigkeit ihres Charakters kam zum Durchbruch; gleich dem Quell, welcher lange Zeit in enge Felsen eingedämmt, in sich selber schäumend und gärend, nun endlich zum hellen Sonnenlicht hervorstürmt, also sprudelten die Worte von ihren Lippen und erstickten in dem Thränenstrom, welcher haltlos durch die Wimpern brach.

Ein seltsames Zucken ging über das Antlitz des jungen Mannes, Wehmut, welche mit dem Lächeln kämpft. Sanft löste er die beiden Hände von ihrem Antlitz.

»Wer behandelt dich so schlecht, my darling? Die Leute der Gesellschaft? Die Freunde Xenias? oder …«

»Die Gesellschaft? Xenias Freunde?!« …

Beatrice fuhr mit blitzendem Auge empor und krampfte die Finger um das Taschentuch.

»O Gott behüte! Wo denkst du hin, Janek! Das ist es ja eben, daß sie mich gar nicht in die Gesellschaft einführen, daß ich in die Kinderstube gesteckt werde, und ein Baby sein muß, nur darum, weil sich Mama schämt, schon eine so große Tochter zu haben! Brauchst nicht den Kopf zu schütteln, Janek, ich weiß es leider sehr genau, und empfinde es gar wohl, daß ich sehr überflüssig bin! Alle zeigen sie es mir, alle – sogar er!«

»Er?« Proczna blickte schnell auf, ein Leuchten ging plötzlich durch sein Auge. »Was für ein ›er‹ denn, Bicky? Onkel Drach?«

Sie schüttelte fast zornig den Kopf.

»Papa? Nein, der ist der beste von allen!« rief sie mit glühenden Wangen. »Aber Donat! … Der behandelt mich am allermeisten wie ein Kind, und von dem will ich es am allerwenigsten leiden, von dem kränkt es mich bis aufs Blut … und ich … o ich möchte aus der Haut fahren, wenn ich nur daran denke!!«

»Donat? – Ist das Fürst Heller-Hüningen?«

»Nein! Ein Schaf ist er!« – Beatrice stampfte mit dem kleinen Füßchen so energisch wie möglich auf den Teppich und warf verächtlich die Lippen auf, »bildet sich ein, die Xenia würde ihn heiraten, und dabei stellt sie nicht einmal seine Blumen ins Wasser! Die und überhaupt einen Menschen lieben! Wenn ich der Donat wäre, ich wüßte, was ich thäte, ich wäre viel zu stolz, ihr alle Tage die Schwelle abzulaufen, ihr Bouquets zu bringen und mit ihr auszureiten! – O, wie mich das ärgert, Janek, wie mich das wütend machen kann! Der Donat ist mir ja furchtbar gleichgültig, aber einen Zorn habe ich auf ihn – einen Zorn …!«

Und Bicky drehte aus ihrem Taschentuch einen Strick und zerrte ihn mit, zitternden Fingern in die Länge.

»Hm – ganz gleichgültig ist er dir! … aber irrst du dich auch nicht, weißt du es denn gewiß, daß er Xenia so die Cour macht? Hier in der Kinderstube merkst du es ja gar nicht, wenn er ihr Visiten macht und Blumen bringt!«

»So? – O wie klug du bist!«

Das Backfischehen hob sehr triumphierend die kleine Nase.

»Ich passe ja jeden Morgen hier am Fenster auf, bis er kommt, und sehe dann auf der Treppe nach, ob er vielleicht Blumen verloren hat! Er trägt ja die Bouquets immer so albern und schlenkert so damit herum, daß es ein wahres Wunder ist, wenn überhaupt noch ein Blättchen dran bleibt! O ich sage dir, ich hasse diesen Donat!«

Es kostete Janek viele Beherrschung, seine ernste Miene zu bewahren.

»Natürlich, wenn einer so thöricht mit Blumensträußen umgeht – – «

»Bewahre, das ist ja schließlich eine Nebensache!«

Bicky rückte eifrig näher und schaute mit flammendem Gesichtchen zu ihm empor.

»Am tollsten finde ich es, daß er mich so vollkommen ignoriert, als ob ich gar nicht auf der Welt oder noch ein Kind wäre, von dem überhaupt keine Rede ist! ›Ob ich mir eine Puppe zu Weihnachten wünsche?‹ fragt er mich, und an meinem Zopfe zieht er mich … ach siehst du, Janek, mit diesem Zopf da bringt er mich noch rein um! Damit ärgert und quält er mich, daß es gar nicht zu beschreiben ist! Und ich weiß es, ich werde nicht eher zur Ruhe kommen, als bis dieser abscheuliche Rattenschwanz herunter ist!«

»Aha!« … Innigstes Verständnis zuckte schalkhaft aus Procznas Augen. »Und darum wolltest du ihn sengeln!

Bicky nickte treuherzig. »Ja, das wollte ich, denn wie soll ich's anders anfangen? Abschneiden darf ich ihn ja nicht, und mich anders frisieren darf ich auch nicht, ich bin ja ein ganz unglückliches, geknechtetes Wesen! – Nun kam ich auf diesen himmlischen Gedanken, ihn aus Versehen abzubrennen, und da mußt du dazwischen kommen und alles wieder zu nichte machen …« Mit kläglichem Blick nahm sie die Bandschleifen empor: »Sieh mal, wie schön er bereits angegangen war!!«

Janek erhob sich.

»Gott sei Dank, Bickychen, daß ich dir diese köstlichste aller Schönheiten erhielt. Nur getrost! Du hast mir dein Vertrauen geschenkt und mich zu dem Mitwisser deines Kummers gemacht, wer weiß, am Ende finde ich Mittel und Wege, dich auf eine weniger gefährliche Art von diesem Kummer zu befreien! Nur dem Donat zum Arger! Denn an dem müssen wir uns rächen!«

Jubelnd schmiegte sich Beatrice an den Sprecher.

Wie Aprilwetter wechselte Regen und Sonnenschein auf ihrem Gesicht.

»Du willst mir helfen, Janek?! – O du Lieber, Bester! Ja, ich ahnte es, ich wußte es, daß wir beide zusammenhalten würden, daß du als Retter kämst … ach und Donat … was wird er dann für Augen machen!«

»Nun hoffentlich recht große und überraschte, dafür will ich schon sorgen, denn solch ein abscheulicher Mensch muß für all seine Schandthaten energisch bestraft werden!«

Proczna hielt den etwas mißtrauisch prüfenden Blick der Kleinen mit sehr ernstem Gesicht aus, und fuhr leichthin fort:

»Ich kenne die blonde Durchlaucht bereits, ein sehr häßlicher Mensch! … höchst nichtssagendes Gesicht!«

»Häßlich?! …«

Beatrice starrte ihren Retter an, als spräche er plötzlich die Muttersprache der Hottentotten

»Aber Janek, dann mußt du einen ganz anderen meinen, denn unser Donat ist ja schön, so bildschön« – ein wahrhaft begeistertes Lächeln verklärte ihre Züge, »wie ich überhaupt noch keinen zweiten Menschen gesehen habe! Und – abscheulich? – Nein du, abscheulich darfst du ihn auch nicht nennen, denn ich versichere dich, alle Leute finden ihn entzückend, und wenn er nur ein bißchen netter zu mir wäre … wenn er nur ein einziges Mal … ach Janek, wenn ich nur erst eine wirkliche Dame bin, daß er mich respektieren muß, und nicht mehr so unverschämt über mich hinwegsieht, dann werde ich ihn nicht mehr hassen, und du auch nicht, dann haben wir ihn beide schrecklich lieb!«

Warum nur der große Mann sie urplötzlich so durchdringend ansah und so wunderlich lächelte?

Beatrice hob vor lauter Verlegenheit das Buch von der Erde auf und fügte schnell hinzu:

»Er ist ja auch mit uns verwandt … darum können wir ihm schon gut sein … wenn er uns auch sonst furchtbar gleichgültig ist! Nicht wahr?«

»Ja – furchtbar gleichgültig!« nickte Janek, und reichte ihr die Hand entgegen. »Wir werden ihn allenfalls in unserer Nähe dulden, wenn er sich ganz besonders liebenswürdig und respektvoll benimmt! Und bis dahin, Gott befohlen, mein kleiner Verschworener, ich hoffe, wir sehen uns bald wieder, ohne Zopf, mit langem Schleppkleid! Aber dann mußt du bedenken, Bickychen, daß ein großer Riegel vor die Vergangenheit geschoben ist, und daß ich vor der Welt ein ganz fremder Mann für dich bin, der noch dazu herzlich ungern in deiner Familie gesehen ist! Du weißt ja, wie die Verhältnisse liegen, chérie, und wirst dich ihnen fügen! Wir nennen uns ›Sie‹, wenn wir uns wiedersehen, ganz steif und ceremoniell ›Herr Proczna‹ und ›mein gnädiges Fräulein‹?!«

Ein tiefes schmerzliches Beben ging über das Gesichtchen, welches sich mit vorwurfsvollen Augen zu ihm erhob: »Sie sagen … zu dir?!«

Er drückte herzlich ihre Hand.

»Nur mit den Lippen, im Herzen bleibt's beim alten traulichen ›du‹! Auf Wiedersehen, Cousinchen; diese Stunde war köstlicher Tau auf den welken, erfrorenen Blütenkranz, welcher sich um das ›Willkommen‹ im Hause Dynar schlang, er hat ein süßes Wunder vollbracht, und die roten Rosen frisch und wonnig emporblühen lassen. Gott segne dich für deine lieben Worte, Beatrice!«

Hastig neigte er sich und küßte ihre kleine Hand, dann schritt er schnell durch die Thür.

Beatrice aber stand einen Augenblick vollkommen fassungslos; – ein Handkuß … ein veritabler Handkuß – der zweite bereits!!

Laut aufjauchzen vor Seligkeit möchte sie! Ungestüm, mit glückzitterndem Herzen breitete sie ihm die Arme nach.

»Und ich nenne dich doch du! und wenn's mir ans Leben ginge! Du bist kein fremder Mann, du bist mein einziger Freund auf Gottes weiter Welt!«


Im Vestibül kam der Kammerherr von Drach seinem ehemaligen Mündel bereits entgegen. Das blasse Antlitz war gerötet vor Freude, beide Hände streckten sich dem Adoptivsohn des Freundes entgegen.

»Janek, mein lieber Janek«, stotterte er, »welch eine Überraschung!« und er nahm hastig Procznas Arm und zog ihn schnell an dem Diener vorbei in den nächstliegenden Salon. Dort schloß er den jungen Mann in wahrer und aufrichtiger Herzlichkeit an die Brust.

»Wundere dich nicht über mich närrischen Kauz, mein lieber Junge!« nickte er ihm hastig zu, »verarg's mir nicht, wenn ich all die steife Förmlichkeit in diesem Augenblick über den Haufen werfe! Gott mag wissen, ob ich dich noch einmal allein zu Gesicht bekomme, ob ich es dir noch einmal so ehrlich zeigen kann, wie sehr ich mich freue, dich wiederzusehen!«

Und wirklich, in den alten Augen schimmerte es feucht, und die schmächtige Gestalt schien förmlich an der stattlichen Figur Procznas emporzuwachsen.

»Mein lieber … mein teuerster Onkel!« …

»Weißt's ja Janek, daß ich es immer gut mit dir gemeint, daß ich nur um des lieben Friedens willen gute Miene zum bösen Spiele gemacht habe!«

»Das ersah ich aus den gütigen Zeilen, die Sie mir so oft gesandt, und ich danke es Ihnen von ganzem Herzen!«

Drach rieb sich verschmitzt die Hände.

»Geschah ja alles hinter Xenias Rücken! Hat ja keine Ahnung davon, daß wir so hier und da mal korrespondiert haben, ist auch nicht nötig, daß sie es erfährt, kennst sie ja … hat so ihre Marotten! … Aber zum Kuckuck, was kümmert es mich denn, ob ihr euch zankt? Was liegt mir daran, wer deine Eltern waren und ob dein Blut blau oder rot aussieht?! Für mich bist du des liebsten Jugendfreundes Adoptivsohn, und darum habe ich dich genau so lieb wie er, und keine Maus beißt davon einen Faden ab, wenn du Schlingel auch noch so konsequent deine Glacéhandschuhe anbehältst und weitertrotzest! … Dickkopf du! Jetzt sind wir ja ganz unbeobachtet, jetzt bin ich der Onkel Drach und du der Janek, damit basta!«

Wieder und immer wieder drückte er ihm die Hände, und Janek zog die Rechte des alten Herrn an die Lippen und sagte tief ergriffen:

»So Gott will, mein geliebter Onkel, kommt auch die Zeit noch einmal, wo kein kühler Frauenschleier mehr als Wolke zwischen unseren Herzen weht! Glaube mir, man hat den Sänger Proczna schon oft willkommen geheißen, aber so beglückt wie in diesem Augenblick hat ihm das Herz nie dabei geschlagen!«

»Du großer, du berühmter Mann!«

Der Kammerherr trat einen Schritt zurück und maß sein Mündel mit wahrhaft zärtlichem Blick.

»Was hast du aus dem simplen Kürassierleutnant gemacht, und was für ein bitteres Tränklein der Erkenntnis hast du deiner stolzen Schwester gebraut! Ein Mordskerl bist du und … Gott verzeih mir's, ich bin niemals schadenfroh gewesen, wenn ich aber Xenia ein paar Zeitungsexaltationen über den Sänger Proczna in die Finger schmuggeln konnte, dann habe ich mir ins Fäustchen gelacht wie ein Teufel!«

»Xenia ist noch unverändert dieselbe?«

Janek setzte sich an die Seite des Vormundes nieder.

»Gott sei's geklagt!«

»Und deine Frau? – Tante Clara?«

Drach seufzte auf.

»Ganz ihr Abklatsch! Sie will der bewunderten Base alles nachmachen und versteinert mit Todesverachtung zu dem nämlichen Marmorbild wie Xenia, … nur der kühl verschleierte Blick entgleist ihr manchmal, und ich glaube, damit hat sie überhaupt kein Glück, denn denk dir meine lebhafte, quecksilberige Frau urplötzlich als wandelnde Niobe … entsetzlich … sie hat so gar kein Talent dazu!«

Janek lachte.

»Werde ich sie denn überhaupt zu sehen bekommen?«

Der Kammerherr strich verlegen über die kahle Stirn.

»Hm … ich … ich hoffe das Beste … ein Weilchen wird es wohl noch dauern, denn weißt du zuerst wird sie wohl zu Xenia hinausgegangen sein, um sich zu informieren … wenn die nun deine Visite anmaßend findet … dann fürchte ich, hat Clara Migräne!«

Abermals zuckte es um Procznas Lippen.

»Und wenn sie erscheint, ist ihr Antlitz der Reflektor Dynarscher Gnadensonnen, … laß uns den Daumen halten, lieber Onkel, daß man droben keine Gewitterschlossen quirlt!!« …

»Still … um Gottes willen, sie kommt!«

Der alte Herr rückte hastig noch etwas weiter von Janek ab und nahm eine förmliche Miene an.

»Jetzt thue ich wieder ganz fremd, mein lieber Junge, du verstehst – um des lieben Friedens willen!« flüsterte er.

Die Flügelthüren wurden aufgeschlagen, Frau Clara von Drach rauschte über die Schwelle.

Ein einziger Blick Procznas rekognoscierte die kleine Gegnerin von der Spitze des zierlichen Füßchens bis zu dem braunlockigen Scheitel empor, unverändert, ganz wie früher das üppigere und mehr frauenhafte Ebenbild seiner Freundin Beatrice stand vor ihm.

Sonnenschein prophezeite das rosige Gesicht. Janek verneigte sich tief vor der Gattin seines Vormundes, welche er lange Jahre hindurch Tante genannt.

»Janek Proczna! … unser alter Freund Janek!« klang es bereits von den Portieren her zu ihm herüber; etwas schneller wie gewöhnlich, aber dennoch voll gemessener Würde trat ihm Frau Clara entgegen und reichte ihm huldvoll die Hand zum Kuß.

Mit weit aufgerissenen Augen, starr vor Staunen, blickte der Kammerherr auf das Unerhörte!

»Also endlich sehen wir Sie einmal wieder, Sie seltener Wandervogel!« lächelte die Baronin graziös mit einer Herablassung, welche eher wie Phlegma aussah, dann deutete sie auf einen Sessel und nahm neben ihrem Manne Platz. »Und wie gut war es, mir erst schwarz auf weiß durch Ihre Visitenkarte zu versichern, daß Sie es wirklich selber sind, – wiedererkannt hätte ich unser schlankes Studentchen von ehedem nicht.«

Der Blick, welcher dabei ihr Gegenüber streifte, stempelte ihre Worte zu einer inhaltschweren Eloge.

Procznas weiße Zähne blitzten durch den dunkeln Schnurrbart.

»Die Zeit hat ihre speziellen Lieblinge, gnädigste Frau, an welchen ihre Tage spurlos vorüberrollen, sie gleicht damit manch kleine Ungerechtigkeit aus, wie uns hier bewiesen wird! Sie wären an mir, dem Gealterten, vielleicht fremd vorübergegangen, mir die Freude eines Wiedersehens versagend, ich aber hätte Ihnen noch rechtzeitig den Weg vertreten, denn so sehr wie ich mich verändert habe, so vollkommen gleich sind Sie sich geblieben, Frau Baronin, das Einst und Jetzt verschmilzt Ihnen gegenüber zur reizendsten Beständigkeit!«

»O Sie Schmeichler!«

Frau von Drach vergaß ihr Vorbild und lachte sehr animiert auf.

»Sie glauben noch in einem Pariser Salon zu sitzen!«

»Gewiß, in dem der Ninon de Lenclos! Die Versuchung dazu liegt sehr nah!«

» Méchant! ich habe erwachsene Kinder!«

»Um so treffender mein Vergleich, um so kritischer für Ihren Enkel!«

»Ich verabscheue die Ninon, sie war eine kokette Person!«

»Das ist wohl zu hart geurteilt, meine gnädigste Frau!«

»Aha! ich ahne bereits Ihren Geschmack!««

»Da derselbe sein Haupt so ganz speziell vor Ihnen neigt, Frau Baronin, heißen Sie ihn hoffentlich gut. – Ich spreche nicht von Ausnahmen, sondern im allgemeinen. Wenn ich mir den Beruf eines Weibes klar mache, so halte ich es für die wichtigste Anforderung an denselben: ›Sie soll gefallen!‹ – Welch eine Frau hat Gewalt, Macht und guten Einfluß auf ein Männerherz, wenn nicht eine jeder Nerv und Fiber dieses Herzens ihrem Dienst geweiht ist? Unliebenswürdige, häßliche, – ich meine eine Häßlichkeit, welche durch Vernachlässigung alles Äußeren entsteht – und dumme Frauen kann man nicht lieben, und doch ist es die Pflicht eines jeden weiblichen Wesens, sich beliebt zu machen. Der starre, stolze und oft allzu rechtliche Sinn der Germanin verschmäht kleine Hilfsmittel und nennt sie Koketterie, sie glaubt sich etwas zu vergeben, wenn sie das Eis der Förmlichkeiten schmelzen läßt, welches ihre Seele umpanzert, sie ist unnahbar wie ein Heiligenbild und macht aus jedem Lächeln eine Gnade.«

»Sie glauben die stolze Hoheit und Würde der Frau übe keinen Einfluß auf das ›ewig Männliche?‹«

Frau Clara sah förmlich bestürzt aus, heißes Rot stieg in ihre Wangen, ungläubig schüttelte sie das Haupt.

»Pardon, gnädigste Frau, ich bitte mich nicht mißzuverstehen! Würde und Hoheit sind ganz entschieden die Krone aller Weiblichkeit, aber eine einseitige. Denken Sie sich dieses strenge, starrgoldene Diadem, vor welchem sich das Knie des Mannes nur in Ehrfurcht beugt, mit den zauberisch blitzenden Edelsteinen graziöser Anmut, bestrickenden Reizes, glühender Hingebung geschmückt, und sagen Sie selber, ob es nicht einen Schmuck gäbe, dessen Allmacht Geist und Seele in unlösbare Fesseln schlüge!«

»Gewiß ich verstehe Sie … aber was nennen Sie ›kleine Hilfsmittel‹, welche wir verschmähen?«

»Jene kleinen, geschmackvollen Finessen, mit welchen die Französin ihre Person ausstattet. Sie verwendet eine peinliche Sorgfalt auf ihre Toilette, sie stirbt lieber, ehe sie sich einem Männerauge, ganz gleich welchem, in einer unvorteilhaften Situation oder Kleidung zeigt, und sie hält es durchaus nicht für erniedrigend, sich kleiner Kunstgriffe zu bedienen, wenn dieselben imstande sind, ihrer Persönlichkeit als Folie zu dienen! – –

Nehmen wir ein Beispiel: Ich kannte eine sehr vornehme Dame in Paris, welche jung geheiratet hatte, und sehr bald ein heranwachsendes Töchterchen besaß. Beide ähnelten sich ungeheuer, die Mutter stand noch in der vollen Blüte ihrer Schönheit, und la petite stand auf dem Punkt, dieselbe zu entfalten. Eine deutsche Frau hätte nun die früh erwachsene Tochter ruhig bei ihren Lehrbüchern und ihrer Gouvernante gelassen, aus Angst, die junge Menschenknospe allzufrüh dem Gifthauch der Welt auszusetzen, eine Französin dahingegen ist egoistischer, sie nimmt derartige Rücksichten nicht. Die Marquise de H. kommandierte ihr Backfischchen an ihre Seite, um einen doppelten Triumph zu feiern!«

»Doppelten Triumph?«

Frau Clara war atemlos vor Staunen.

»Gewiß, gnädigste Frau! Gibt es wohl einen reizenderen Anblick als den einer Mutter und Tochter, welche man für Schwestern hält, und einen größeren Sieg für die Schönheit einer verheirateten Frau, als den, mit einem Backfischchen verwechselt zu werden?«

Janek sagte es leichthin, genau in demselben Ton wie alle Worte zuvor, und doch schärfte sich sein Blick, als wolle er die Wirkung dieses Gleichnisses in der tiefsten Seele seiner Zuhörerin lesen.

Frau Clara sah echauffiert aus. Sie lehnte sich zurück mit einem Gesicht, als würde ihr plötzlich ein großes, großes Rätsel klar, dann lachte sie kurz auf.

»Nein, diese Französinnen! Unglaublich! Auf solch eine Idee würde unsereiner doch gar nicht kommen! Sie sind wirklich köstlich amüsant, lieber Janek, und müssen mir noch viel von Paris erzählen! Mon Dieu, hier in unserem Sibirien verschimmelt man ja geradezu! Hoffentlich bleiben Sie längere Zeit hier?«

Proczna zuckte die Achseln und lächelte, sein Blick schweifte zu dem Kammerherrn hinüber, welcher stumm und konsterniert neben seiner Frau saß, mit einer Miene, als schlüge der Blitz vor ihm ein.

»Haben Sie Beatrice schon gesehen?«

»Sehr flüchtig, durch eine kleine Kalamität, welche mir mein Setter bereitete! Als gnädige Frau vorhin eintraten, glaubte ich meiner kleinen Freundin zum zweitenmal gegenüberzustehen!«

Clara drohte ihm mit durchaus nicht strengem Blick:

»Frau Marquise von H.?!!«

»Ich freue mich unendlich darauf, mich an ihrem reizenden Pendant entzücken zu können!«

»Und was werden Sie sagen, Sie mokanter Mensch, wenn ich arme Frau gezwungenerweise meine kleine Bicky morgen abend in die Gesellschaft einführe? Mein Mann besteht darauf, nicht ich, denn Gott sei Dank bin ich eine vollkommen deutsch gesinnte Mutter, nicht wahr, lieber Drach?«

Der Kammerherr fuhr empor wie aus einem Traum.

»Gewiß, mein Herzchen, versteht sich!« nickte er mit einem Gesicht, welches die höchste Verwunderung darüber ausdrückte, daß er einmal auf etwas bestand!

Janek erhob sich.

»Was ich dann sagen würde, Frau Baronin?!« Sein Blick leuchtete auf, er neigte sich tief über die weiße, kleine Hand, um sie zu küssen, »Heureka! würde ich im Herzen jubeln, und Paris mit all seinem Zauber nicht mehr als ›verlorenes Paradies‹ betrauern!« – –



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