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VIII.

Weit draußen vor der Stadt, ziemlich am Ende des neuen Villenviertels, lag das schloßartige Besitztum, welches Gräfin Dynar anläßlich ihres Winteraufenthaltes von den Erben eines reichen Fabrikbesitzers angekauft hatte. Aus den dunklen Fichtengruppen des Parkes stiegen die imposanten Mauern empor, von polierten, eckig geschnittenen Marmorplatten bekleidet, von denen es den Beschauern so weißglitzernd und kühl anwehte, wie von dem stolzen Antlitz der jungen Herrin, welche sich mit todesstarrer Pracht umgab.

Wohl türmten sich in dem Kuppelbau des Treppenhauses die köstlichsten exotischen Gewächse, aber es waren nur blütenlose Palmen und Farrenwedel, dunkle Lorbeeren und Cedern, welche ihre regungslosen Zweige um die Bronzestatuen schlangen, ernst und reserviert, ohne Duft und Liebreiz.

Steif und kerzengerade wuchteten die Portieren von goldstrotzenden Simsen hernieder, in Reih und Glied paradierten die Gemälde an den Wänden, standen die Möbel, Kunstwerke gediegenen Geschmacks, auf spiegelglatten Mosaikböden von peinlichster Genauigkeit an ihrem Platz, ein Hauch von Ambrée wehte dem Eintretenden wie ein vornehmes Lächeln entgegen, und obwohl es im Kamin aufglühte und gleichmäßige Wärme das ganze Haus durchströmte, so war es dennoch, als ginge ein Frösteln durch alles, was darinnen war.

Die weitläufigen Räume des Hochparterres bewohnte der Kammerherr von Drach mit seiner Familie, während Gräfin Dynar sich in der Bel-Etage ihr eigenes Heim gegründet hatte. Eine verwitwete Generalin von Godlaw figurierte in demselben als dame d'honneur, denn obwohl Xenia sich vollkommen als zur Familie ihres Vormundes gehörig betrachtete, so hatte sie sich dennoch von Anfang an viel Selbständigkeit bewahrt, und veranstaltete Bälle und Festlichkeiten, bei welchen sie, an der Seite der Generalin, den Namen Dynar repräsentierte.

Es war ein kalter, stürmischer Novembertag. Die ersten Schneeflocken wurden wirbelnd gegen die hohen Spiegelscheiben gepeitscht, welche dem Wohnzimmer der Komtesse freien Ausblick in die rauschenden Baumwipfel des Parkes gewährten.

Groß und luftig war dieses Zimmer, wunderbar verschieden von all den lauschigen und geheimnisvoll dämmerigen Boudoirs eleganter Frauen, in welchen dreifache Teppiche aufeinander liegen, tausenderlei petits riens den Weg versperren und eine rosa Ampel schwärmerisch von der Decke leuchtet. Xenia liebte helles, durchdringendes Licht, Luft und Platz um sich her, und darum drapierten sich die golddurchwirkten persischen Seidenstoffe gleichsam nur als Rahmen um die hohen Fenster; sie waren, an Ringen laufend, vor den gemalten Thüren zurückgeschoben, und lagen nur in Form von Kissen auf den hochlehnigen Sesseln und Sophas, welche in ihrer ernsten Würde beinahe den Eindruck erkerartig geschnitzter Kirchenstühle machten.

Der Fußboden zeigte durch die ganze Mitte des Raumes sein glattes Parkettmuster, nur vor dem mächtigen Schreibtisch verschwand er unter dem goldflockigen Löwenfell, dessen mähnenumwalltes Haupt gleicherzeit als Schemel diente. Von ausgespannten Fächern, Jardinieren und zierlichen Amoretten, von eleganten Goldstäben, hinter welchen sich Inseparables zärtlich aneinander schmiegen, war keine Rede in dem »Arbeitszimmer« der Gräfin Dynar.

Da ragten hohe Bücherregale, lagen und standen dicke Bände wissenschaftlicher Werke, Globus und Landkarten, seltene Waffen und wertvolle Stücke klassischer Bildwerke und Ausgrabungen. Es schaute sehr selten, fast nie, ein fremder Blick in dieses ureigentliche » home« Xenias. Als aber einst Donat Hüningen die Schwelle überschritten hatte, war ihm der Anblick schier lähmend in alle Glieder gefahren.

»Gott sei mir Sünder gnädig! Haben Sie nicht auch noch einen Totenkopf und eine Elektrisiermaschine hinter grünem Vorhang, Herr Professor Xenia? Blutegel in Spiritus sind bereits da!«

Und dabei beschrieb er einen großen Bogen um eine Jerichorose, welche sich die Komtesse von einer Orientreise mitgebracht hatte und in phönicischer Glasurne aufbewahrte.

Am nächsten Tage bekam der junge Fürst eine längere, wissenschaftliche Abhandlung über diese beiden Dinge zugesandt Noch ein zweites Mal riskierte er es, das Arbeitszimmer der Gräfin zu betreten und sich höchlichst über einen »Marmorklos« von sehr wunderbaren Formen zu verwundern.

»Das ist ja der Torso des Herkules, welchen ich in dieser meisterlichen Nachbildung mit viel Mühe und für viel Geld in Rom erstanden habe!« belehrte Xenia etwas vorwurfsvoll.

»Der Torso des Herkules?« Donats Augen wurden sehr groß und rund. »Das Ding ist wohl auf der Reise so bös zugerichtet, daß der arme Mann weder Kopf noch Beine mehr hat?!«

Gräfin Dynar blickte starr vor Staunen zu dem schönen Sprecher empor.

»Aber Vetter! Ich sage Ihnen ja, daß es der Torso des Herkules ist, und darum von Anfang an so gliederlos war.«

Nun aber sah Hüningen vorwurfsvoll aus.

»Dies zerbrochene, unschöne Gerümpel haben Sie mit Gold und Mühe erstanden? Nehmen Sie mir's nicht übel, Cousinchen, da hat man Sie ja ganz infam betrogen! Ich sage ja immer, diese schüchternen Dämchen! Warum machten Sie die Augen nicht auf und suchten sich einen Torso mit sämtlichen heilen Gliedmaßen aus! So ein ruiniertes Ding können Sie ja gar nicht in einem anständigen Zimmer aufstellen!«

Xenia rang die Hände und Fürst Heller-Hüningen bekam andern Tages die Winkelmannschen Untersuchungen und Abhandlungen über den Torso des Herkules zugesandt.

»O diese klassischen Prellsteine!« stöhnte er auf. »Bildwerke und Kunstgeschichte waren ja stets meine schwache Seite.«

Seit jener Zeit brachten ihn »keine zehn Pferde« mehr über die Schwelle dieser heimtückischen Studierstube, welche er ein für allemal als seine Feindin betrachtete.

Es kam wohl regelmäßig vor, daß Xenia nach solch einer Kalamität, welche jedesmal eine neue schwache Seite an dem jungen Offizier zu Tage förderte, das Köpfchen mit finsterer Stirn auf die Hand stützte und tief aufseufzend vor sich niederstarrte. Dieser Mann war es, welcher künftighin ihr Führer durchs Leben, ihre Stütze, ihr Stolz – ihr Herr und Gebieter sein sollte! – Unfaßlicher Gedanke.

Donat war ein lieber, braver, seelensguter Mensch, den sie gern hat wie ein Kind, welchem man freundlich die Locken aus der Stirn streicht, von dem sie weiß, wie treu er ihr ergeben, wie tadellos sein Stammbaum, wie vornehm seine Gesinnungen sind.

Es ist so natürlich, daß er um sie wirbt, daß ihre beiden Namen sich verbinden in stolzem, harmonischem Wohlklang, die Letzte der Dynars trägt eine Fürstenkrone, unter deren edler Wucht die Fackel ihres uralten Geschlechtes erlischt.

Dann hat ihr Stolz und ihre Ehre das gebührende Ziel erreicht, dann kann die Gräfin Dynar in die Gruft der Ahnen herniedersteigen, kann hocherhobenen Hauptes von Sarkophag zu Sarkophag schreiten und den stillen Schläfern drunten verkünden:

»Ruht in Frieden! Euer Wappenschild liegt makellos zu euren Häupten, euer Name ist verloschen wie ein Stern, welcher in das Strahlenmeer der Sonne taucht. Und der Blitz, welcher euren Stammbaum zerstörte, sank aus stolzen Höhen hernieder, nicht um ihn in den Staub zu schmettern, sondern um ihn seiner eigenen Pracht und Gewalt zu verschmelzen.«

So würde die Letzte ihres Geschlechts sprechen können, aber sie würde dabei die Hand aus das Herz pressen und heimlich seufzen:

»Fragt aber nicht, um welchen Preis ich meiner Väter Ehre wahrte.«

Wie sollte sie einen Mann lieben, welchen sie weder bewundern noch hochschätzen konnte? Donats oberflächliche Bildung, seine vielen, vielen schwachen Seiten waren Gifttropfen, welche ihr täglich den Kelch des Lebens verbitterten, und sie mit Scham und Enttäuschung quälten; tausend andere Frauen würden lachend Nachsicht geübt haben, aber Xenias starrer, spröder Charakter, ihr tief beanlagtes Gemüt vermochten es nicht zu ertragen, den Mann, welcher ihr Herr sein soll, geistig so tief unter sich stehend zu wissen. Wie sollte sie sich überhaupt einem Wesen fügen, welches ihr nicht imponierte?

Es war, als entfremde sich Donat ihrem Interesse von Tag zu Tag, als sänken all die kleinen, weißen Schneeflocken, welche die Luft durchwirbelten, auf ihr Herz hernieder, um eine eisige Scheidewand zwischen ihm und dem jungen Offizier zu bauen.

Dennoch trotzte sie sich selber in den Gedanken hinein, in Hüningen den zukünftigen Gatten zu sehen, obwohl sie seinen Bewerbungen nicht um Haaresbreite entgegenkam. Im Gegenteil, das unschlüssige, zaghafte Wesen Donats gab ihr stets neue Mittel in die Hand, eine definitive Erklärung noch hinauszuzögern. Eine Galgenfrist!

Warum ist ihr der Gedanke eigentlich so furchtbar, sich zu binden? Gräfin Xenia lebt ja nur für Stolz und Ehre, warum kann sie sich nicht entschließen, ihnen den unvermeidlichen Tribut zu zahlen?

Wie ein kalter Schauer rieselt's bei dem Gedanken durch ihr Herz. – Durch ihr Herz? Niemals ist sich Gräfin Xenia dieses Herzens bewußt geworden. Sie ist zwei Jahre hindurch als gefeiertste Dame über das höfische Parkett geschwebt, die jeunesse dorée hat ihr Füllhorn zu ihren Füßen ausgeschüttet, Reichtum, Würden, Schönheit haben um ihre Gunst gebuhlt, und dennoch hat es kein einziges Mal mit schnelleren Schlägen durch ihre Brust gezuckt, hat es kein einzig Mal gejubelt, gebangt und geschmerzt, kalt und totenstill ist es tief innen geblieben. Nein, Gräfin Xenia hat kein Herz.

Und doch … einmal … einmal hat ein Mann vor ihr gestanden, groß, kühn, ritterlich und stolz, viel stolzer noch wie sie, der streckte nicht die Hand begehrend nach ihr aus, sondern stieß sie und all ihr Gold und die neunperlige Krone verachtend zurück … und als er ihr den Rücken wandte, da ging es wie ein Aufschrei durch ihre Seele – da krampfte sich etwas zusammen in der Brust – war das ihr Herz gewesen? Nein, das war ihr Stolz, ihr tief gekränkter, beleidigter Stolz gewesen.

Schmach und Schande hatten ihn getroffen wie ein zweischneidig Schwert. Dennoch ist jener Mann der einzige auf der Welt, zu welchem die Gräfin Dynar emporgeschaut, vor dessen sprühendem Blick sie das Haupt gesenkt, wie eine Schuldige. Nein, sie hat kein Herz.

Und dennoch, wie ein Traum ist es ihr, wie ein Nebelbild, welches sich schemenhaft vor ihrem geistigen Auge entrollt. Der Sturmwind braust um die Fenster von Proczna, leise knistert's im Kamin, Funken tanzen und an der Wand tickt die Uhr wie im Schlaf. Zwei Kinder stecken die Köpfe über einem Märchenbuch zusammen. Von Hänsel und Gretel erzählt's, die sich sehr lieb, sehr lieb haben … und das kleine, goldlockige Mädchen schlingt plötzlich beide Arme um den Hals des Bruders, stürmisch, fest und fester. »Ich habe dich auch lieb, Janek, lieb, sehr lieb!« flüstert's in sein Ohr, und dann küßt sie ihn auf den Mund, und ihr Köpfchen lehnt an dem seinen, – ja, da ging es wie ein süßes, sonnenlichtes Weben durch all ihr Sein, da klopft und jubelt ein Herz in ihrer Brust! – lang ist her, sehr lang, vergessen fast! –

Der Wind jagt die Schneeflocken gegen die Scheiben; Gräfin Dynar steht am Fenster ihres Wohnzimmers und starrt hinaus in das Schneetreiben, welches in wüstem Tanz vorüberstäubt. Ihre Augen blicken müde und übernächtigt, sehr blaß hebt sich ihr Antlitz aus den dunklen Spitzen ihres Kleides.

Drei qualvolle Tage und Nächte liegen hinter ihr. Sie hat gelitten und gerungen, hat die Hände gegen Stirn und Schläfen gepreßt, und dennoch keine Thränen gehabt, ihr Schicksal zu beweinen! Ja, ein Schicksal! Andern reißt es wohl grausam seine tiefen Wunden in Herz und Seele, Gräfin Dynar aber peitschte es nur mit Dornenruten den stolzen Sinn in den Staub! Andere können mit Thränen und Klagen ihr Elend vor Gott und der Welt bekunden, sie aber muß es tief und scheu in der Brust versargen, muß die Lippen zusammenpressen und verzweifelt die Hände ballen, ohne mit eisernem Griff das Gespenst fassen und zwingen zu können, welches hohnlachend das spiegelblanke Schild der Ehre anhaucht und Perle um Perle von seiner Krone bricht!

Wie ein Fluch verfolgt sie der Name: »Janek Proczna« bis in den tiefsten Traum hinein! Wie ein Fluch heftet er sich an ihr Geschick und wirft seinen Schatten in das Sonnenlicht ihres Glückes! Gezittert hat ihre hochmütige Seele in dem Gedanken, daß jenes angstvoll gehütete Geheimnis offenbar werden könne, um ihren Namen an den Pranger zu stellen, daß jenem Sänger, jenem tief gesunkenen Mann, welcher für Geld auf das Podium tritt, um sich selbst von der Hefe der Gesellschaft kritisieren zu lassen, endlich doch die Maske heruntergerissen, sein wahres Antlitz sichtbar wird, und dann? – Dann ist es ihr Name, welcher neben dem seinen durch alle Spalten der Zeitungen läuft!

Voll fieberischer Aufregung hat Xenia zwei Jahre lang das aufstrahlende Gestirn am Himmel der Kunst beobachtet. Eine gewaltige Lawine, welche immer riesiger emporwächst und verderbenbringend niederrollt; sie hat die Hände in ohnmächtigem Hasse gegen sie geballt, und dennoch unwillkürlich ihre Siegesbahn bewundert!

Daß er selber sein Inkognito brechen würde, um die Privilegien des Dynarschen Namens und Reichtums zu eigennützigen Zwecken auszubeuten, der Gedanke kam ihr niemals in den Sinn.

Der Mann, welcher einst so hoch und markig vor ihr gestanden, welcher keine Fessel duldete und Mut und Kraft besaß, den Kampf ums Dasein mit fast leeren Händen aufzunehmen, der hielt sein Wort schon aus Trotz und Eigensinn.

Xenia beißt die Zähne zusammen in dem Gedanken; nichts ist ihr so zuwider, als die Renitenz bei Menschen, welche nicht dazu berechtigt sind, ihren eigenen Kopf zu haben. Dieser Pole, dieser Findling wagt es, ihr die Stirn zu bieten, wagt es, seine eigenen Wege zu gehen, wagt es, alle ihre Pläne und Berechnungen mit einem Worte über den Haufen zu stoßen, mit dem Worte: »Janek Proczna!«

Aufgeatmet hatte sie, als der Verhaßte selber eine halbe Welt zwischen sie gelegt hatte, um in Frankreich und Italien sein »Handwerk« zu beginnen, nur dem einen Gedanken hatte sie gelebt, ihn fern zu wissen und fern zu halten, hatte verachtend die Städte auf ihren Reisen gemieden, wo sie wußte, daß man dem »Göttlichen« Ehrenpforten gebaut, nicht einmal heimlich wollte sie sich von seiner Kunst und Meisterschaft überzeugen, denn das Blut wäre ihr vor Scham in die Wangen gestiegen, hätte sie ihn als bezahlten Sänger stehen sehn, und daran gedacht, daß sie ihn einst »du« und »Bruder« genannt.

Und nun zwang ihr ein unseliges Verhängnis die Feder in die Hand, um ihn herbeizurufen, um ihn selber an ihre Seite zu winken, ihn, für den Himmel und Erde nicht groß genug waren, um sich trennend zwischen ihn und sie zu wälzen!

Wie ein Aufschluchzen rang es sich von Xenias Lippen, sie lehnte die Stirn gegen die kalte Fensterscheibe und starrte mit brennenden Augen in den Schneesturm hinaus.

Wird er kommen? Dann ist ihres Bleibens nicht länger, dann flieht sie hinaus in die weite Welt, der Qual und Schande zu entgehen!

Heute wird seine Antwort eintreffen, heute wird es sich entscheiden, ob die Koffer gepackt werden müssen, ob er weichen wird oder sie.

Ihm weichen! es gellt wie ein Hohngelächter durch die rauschenden Baumgipfel draußen, und die Schneesternchen winken und locken und wirbeln wie schadenfrohe kleine Kobolde vor ihr vorüber.

Ob er ablehnen wird, aus Trotz, weil sie ihn ruft? Wohl ganz gewiß. Janek Proczna ist es gewohnt, die Weiber um seine Gunst betteln zu sehen, und Gräfin Dynars feste Schriftzüge sehen starr und trotzig aus wie ein Befehl. Was soll ihn auch hierher treiben? Man huldigt ihm hier wie dort, Fürstengunst umschmeichelt ihn überall, und Gräfin Xenia? Was liegt ihm wohl an jenem rotblonden Eigensinn, der stets mit Fäusten nach ihm geschlagen hat?

Schritte knarren hinter ihr auf dem Parkett, zum erstenmal im Leben schrickt Gräfin Dynar zusammen und wendet erbleichend das Haupt. Ein Diener überreicht auf silbernem Teller einen Brief und meldet, daß der Groom der Excellenz Gärtner warte, um das Schreiben noch weiter zu besorgen.

»Es ist gut, ich werde schellen.«

Die Stimme der Komtesse klingt anders wie sonst, sie winkt fast ungeduldig ab und schreitet zu dem Schreibtisch, wie ein finstrer Schatten rauscht die seidene Schleppe in stumpfem Schwarz hinter ihr her.

Xenia empfindet, daß ihre Finger beben, fast zornig zwingt sie sich selber zur Ruhe.

Ein Brief fällt ihr aus dem Umschlag entgegen, auf gewöhnliches weißes Papier geschrieben. Sie entfaltet ihn und blickt darauf nieder, zuerst schwirren die schwarzen Buchstaben vor ihren Augen durcheinander wie die Schneeflocken draußen, dann treten sie klarer und klarer hervor, und einigen sich zu einer festen, eleganten Schrift.

»Janek Proczna!« da stand es so ruhig und gelassen, und dennoch ging es wie ein Feuerstrom durch die Glieder der Leserin.

Excellenz Gärtner hatte ihr Billet im zierlichsten und phrasenhaftesten Französisch verfaßt. Janek Proczna antwortete deutsch, kurz, höflich, mit einem Anflug von Humor. Er werde kommen, wenn auch nicht als Gast Ihrer Königlichen Hoheit und des Regiments, so doch als einer, welcher nur im Privatcircle der so liebenswürdig unterzeichneten Damen seine Kehle zur Verfügung stelle.

Regungslos starrte Xenia auf die Zeilen hernieder.

Nur im Privatcircle, nur ein einzig Mal vielleicht singen und dann wieder gehen, wie kann er anderes im Sinn haben! Warum schreibt er deutsch? Ob französisch am Ende seine schwache Seite ist? Unmöglich, er hat über ein Jahr lang in Paris gelebt, er thut's, um der Excellenz Gärtner zu zeigen, daß er es eben für gut befindet, deutsch mit ihr zu korrespondieren! Und weil es ihm lästig ist, sich irgendwo verpflichtet zu sehen, so lehnt er die Einladung ab und dreht den Spieß um, indem er die Damen bei seiner Kunst zu Gast bittet!

Xenia gräbt die weißen Zähnchen in die Lippe. Und solch einem anmaßenden Gesellen das Feld räumen? Wie würde er schallend auflachen, wenn im Kreise der unterschriebenen Damen eine fehlen würde, deren Fluchtmotive ihm bekannt sind und über welche seine Eitelkeit triumphieren könnte!

Er kommt ja nicht freiwillig, er folgt nur meinem eigenen Ruf und scheut sich keinen Moment, mir als Sänger Proczna unter die Augen zu treten, und ich, Xenia Dynar, soll ihm feige aus dem Wege gehen?

Er will seine Triumphe vor meinen Augen feiern! Er will die Genugthuung erleben, daß der rote Hochmutsteufel die Hände hebt, um dem verachteten Kuckucksei zu applaudieren!

Xenia richtete sich hoch empor, ihre schlanke Hand ballte sich zur Faust über dem Brief und um die Lippen zuckte es spöttisch.

»Komm nur, Janek Proczna! und trüge dich dein Ruhm so hoch wie die Sterne am Himmel, mein Auge blickt dennoch über dich hinweg!«

Dann couvertierte sie das Schreiben und richtete seine Adresse an Gräfin Kany.

Mit silbernem Klang rief die Glocke den Diener herzu. Stumm reichte sie ihm den Brief und wandte sich wieder nach dem Fenster. Vor wenigen Minuten noch hatte sie sich vorgenommen, auf eine Zusage des Polen hin sofort Befehl zu geben, die Koffer für eine Reise herzurichten, und nun war die Zusage gekommen, und Gräfin Xenia wandte sich gelassen zum Fenster und schwieg.

Sie dachte wohl im Augenblick an andere Dinge, war zerstreut und übelgelaunt …

Wie ein Heer voll wirrer Gedanken tollten die Schneeflocken durch die Luft.


Die Equipage der Excellenz Gärtner hielt vor dem zweiten Portal des Gouvernementsgebäudes, welches seit der Anwesenheit des prinzlichen Paares in der ganzen Stadt schlichtweg das Palais genannt wurde.

Ein Lakai war hinzugesprungen und hatte den Wagenschlag aufgerissen, um alsdann der schönen Frau mit devotem Bückling in das säulengestützte Vestibül zu folgen.

»Gräfin Kany!« herrschte das kleine Mündchen, und der Galonnierte winkte einem Kammerdiener und wiederholte in diensteifrigstem Flüsterton:

»Excellenz befehlen zu Gräfin Kany!«

Die teppich-belegte Treppe ging es empor, durch unzählige Kreuz- und Quergänge, ein paar Stufen hinab und wieder ein paar Schwellen hinauf, bis man endlich vor der niederen, braunen, geschnitzten Thür stand, an welcher die Visitenkarte der Hofdame befestigt war.

Der Diener klopfte an und riß gleichzeitig die Thür auf, um die Präsidentin eintreten zu lassen, eine Kammerjungfer erschien von der andern Seite in dem kleinen, sehr behaglichen Salon, um beim Anblick Ihrer Excellenz hastig in das Schlafzimmer zurück anzumelden.

»Bitte, meine Liebe, suchen Sie mich hier auf!« schnarrte die Stimme des alten Fräuleins, und Frau Leonie schritt schnell an einer Atlasrobe, welche, zum Diner vorbereitet, schon über einen Sessel gebreitet hing, vorüber und eilte dem Rufe nach.

Mit einem unendlich liebenswürdigen »Lassen Sie sich ja nicht stören, chérie, ich bin sehr unbescheiden, Ihnen bereits in die Morgenchokolade zu fallen, aber Dinge von höchster Wichtigkeit – vous comprenez …« neigte sie sich über den Sessel neben dem Himmelbett, in welchem Gräfin Kany in etwas salopper Negligéjacke beim Frühstück saß, und küßte sie auf die Stirn, unter die graumelierten, über eine Nadel aufgewellten Haare.

»Setzen Sie sich, setzen Sie sich!« nötigte die Kany, einen Bisquit kauend, »ich lasse mich, mit Ihrer gütigen Erlaubnis, nicht stören, denn ich habe es etwas verschlafen! … Gib mir mal meine Morgenmütze vom Toilettentisch, Bertha, so und nun laß uns allein, Kind!«

Bertha stülpte die Bänderhaube auf gut Glück über der Herrin schon ziemlich kahl gewordenes Haupt, und klapperte dann bescheiden auf ihren Holzhacken in das Nebenzimmer.

»Sie kommen wegen Proczna? Ist er da?«

Die junge Frau des alten Präsidenten warf ihren langhaarigen Muff sichtlich erregt auf einen nebenstehenden Stuhl und nickte der Fragerin hastig zu.

»Soeben angekommen, o ich versichere Sie, teuerste Freundin, ein idealer Mensch! Augen sage ich Ihnen – Augen!! …« Leonie schnippte exaltiert einen Kußfinger in die Luft, »und eine Figur, na, ich sage Ihnen gar nichts weiter, Sie müssen es selber sehen, denn es spottet der Beschreibung! Flandern ist doch wirklich kein Liliput, aber neben Proczna sah er aus, als wäre er ihm aus der Westentasche gefallen, und dabei dieses exquisite Aussehen! Ich versichere Sie, mon ange, ein Reisecivil … langen Mantel, schwarz aufgeschlagenen Pelz, unglaublich nonchalant und dabei dennoch wahrhaft distinguiert!«

Gräfin Kany aß mit solch fiebernder Gier, daß sie sich darauf beschränkte, nur zeitweise ein Beifallsknurren laut werden zu lassen, aber ihre Augen flimmerten förmlich über die Chokoladentasse hinweg. Und als Frau von Gärtner tief aufatmend eine Pause machte, fragte sie mit vollem Munde:

»Also er sieht gut aus? Freut mich! Und Flandern hat ihn abgeholt? …«

»Flandern und Weyer von Sensfeld!« fuhr Leonie eifrig fort. »Mühe hat es allerdings gekostet, bis ich die Schlingel soweit hatte, denn die Eifersüchtelei fängt bereits jetzt schon an! Natürlich war der kleine Reichsbaron Weyer ganz starr vor Entrüstung, daß man es seinem Hochmut zumutete, einen Sänger zu empfangen! Aber ich flüsterte ihm so eine kleine Notiz von ›Adoptivsohn und Gardekürassier!‹ ins Ohr und erreichte damit eine sofortige changement des décorations, ein Herz und eine Seele war man sofort! Flandern hatte natürlich seine Equipage mobil gemacht und wollte den Unsterblichen selber fahren, aber – denken Sie sich um alles in der Welt, wie fabelhaft originell! Proczna tritt kaum auf den Perron, so winkt er einem Diener, und knapp, daß sich die Herren begrüßt haben, donnert ein wahrhaft fürstliches Viergespann herzu, mit zwei Grooms hinten auf, natürlich ganz Pariser Zuschnitt, und Proczna schwingt sich lachend empor, faßt die Zügel und fährt die beiden Herren wie ein Sturmwind in die Stadt hinein! Wie finden Sie das, Melanie?! Bringt sich der entzückende Mensch sofort seine Equipage mit und geriert sich so gelassen und urvornehm wie der Bei von Tunis, der nur in die Hände klatscht, um vor sich zu sehen, was er just befiehlt.«

»Fabelhaft! … macht einen guten Eindruck …«

Die Hofdame bröckelte sich des kürzeren Verfahrens wegen eine neue Tasse bis an den Rand voll Brioche und griff zum Theelöffel.

»Aber nun sagen Sie mal, meine Liebe, woher um alles in der Welt haben Sie bereits diese detaillierten Nachrichten?!«

Excellenz Gärtner lachte fein auf, und zog den rosigen Schleier ein wenig tiefer über die Nasenspitze.

»Verraten Sie mich nicht und halten Sie mich nicht für ein neugieriges Wiesel, wenn ich es Ihnen beichte! Aber … vous comprenez – es interessierte mich lebhaft, den so viel besprochenen Mann schon vorher gesehen zu haben, ehe ich ihm in der Gesellschaft gegenüber trete, man thut es mit mehr assurance, und Sie wissen, ich gebe viel darauf, den Menschen gegenüber stets dieselbe zu sein! Bis heute abend ist alsdann mein eigenes Interesse befriedigt, und es bleibt mir ein klares Auge, meine Umgebung zu beobachten! Also hören Sie! Ich hielt mit meiner Equipage direkt an der Bahnhofstreppe, stieg bei Ankunft des Zuges aus und benutzte das Gedränge, um unbemerkt, einen Brief als Vorwand in den Kasten steckend, die Begrüßung mit anzusehen; dann flüchtete ich in den Wagen zurück, und betrachtete Janek Proczna ganz in der Nähe, als er die Treppe herabstieg, denn selbstverständlich war Flandern instruiert, ihn neben meinem Wagen einen Moment aufzuhalten. Das ließ sich brillant arrangieren, während er nach seiner Equipage schickte, denn wenn auch Wagen und Pferde mit einem Zug früher angekommen sein müssen, oder gewiß schon angeschirrt im Waggon standen, so dauerte es doch wohl zwei Minuten, bis Proczna aufstieg.«

»Das war Zeit genug, um sich für ihn zu begeistern!«

Die Hofdame blinzelte zu der Sprecherin auf und ein fast listiger Ausdruck lag auf ihren unschönen Zügen. Es war Thatsache, Excellenz schien sich in hohem Grade begeistert zu haben; die heiße Röte ihrer Wangen, der Glanz ihrer Augen waren recht indiskrete Verräter!

»Also Janek Proczna ist da!« kicherte sie, »und die schöne Xenia hat das Feld nicht geräumt, sondern uns zum Trotz sogar Ihre Einladung für morgen abend angenommen! Nun heißt es mit erbarmungsloser Hand an dem Inkognito rütteln, welches vorläufig noch der Panzer ihres Stolzes ist!«

Der Ausdruck in Leonies Zügen veränderte sich auffallend.

»So?l … Sind Sie dessen so gewiß, daß der rote Schneeball morgen abend erscheinen wird? – Ich habe alle Gründe, überzeugt zu sein, daß ein sehr betrübtes Billet uns im letzten Moment von heftigen Kopfschmerzen der Komtesse mitteilt, welche ihr Erscheinen ganz und gar unmöglich machen!«

»O, das wäre höchst ärgerlich!«

Frau von Gärtner lächelte wie die bitterböse Königin im Märchenbuch.

»Das denke ich auch, und habe darum auf Mittel gesonnen, das Prävenire zu spielen. Es mag ein sehr saurer Apfel für die Gräfin Dynar sein, den verleugneten Bruder in ihrem eigenen Hause empfangen, ja ihn selber zu sich rufen zu müssen, aber es bleibt ihr nicht geschenkt hineinzubeißen. Darum komme ich her. Die musikalische Soiree wird morgen abend nicht bei mir, sondern bei Janek Procznas schöner Schwester stattfinden!«

Gräfin Kany schnellte empor, als schaue sie ein Gespenst.

»Sie scherzen, meine Liebe!«

»Durchaus nicht. Hören Sie zu. Ich komme hierher, um Ihnen ganz verzweifelt die Mitteilung zu machen, daß in unserm Hause die Schornsteine und Öfen defekt befunden sind, ein penetranter Geruch alle Zimmer unmöglich macht, und für die nächsten zwei Tage auf Heizung bei mir nicht zu rechnen ist. Natürlich bin ich außer mir! Ich wende mich nun an Hoheit mit der Bitte, die Soiree verlegen zu dürfen, und zwar bestürme ich Hochdieselbe, Gräfin Dynar, welche die geeignetsten Räume besitzt, zu ersuchen, für mich einzutreten.«

»Die Prinzessin soll das thun?«

»Natürlich; mir schlägt Xenia es vielleicht unter tausend Vorwänden ab. Die Bitte muß ihr darum in maskierter Befehlsform zugehen.«

»Ob Anna Regina sich dazu entschließt?«

Leonie hob den Kopf.

»Das wird meine Sorge sein. Auf alle Fälle ziehen Sie sich jetzt mal sehr schnell an und bitten Sie für mich um eine Audienz. Währenddessen schreibe ich an Xenia, und berufe mich bereits auf Hoheit, stelle ihr mein vom Hofkoch ausgerichtetes Büffet zur Verfügung, und überantworte ihr meine beiden Diener, die Einladungen im Regiment zu ändern.«

Die Hofdame riß fast den Schellenzug herunter.

»Eine großartige, eine geniale Idee, meine Liebe! ich lasse mich sofort ankleiden und stelle Ihnen all meine Kräfte zur Verfügung, diesen herrlichen Plan auszuführen! Aber warum soll ich Sie melden?! Wozu diese Umstände?! Lassen Sie doch einfach durch die Kammerfrau anfragen, ob die Königin von Saba der Prinzessin Anna Regina ihre Aufwartung machen dürfe! es sei eine dringende Angelegenheit! Bertha, lauf mal schnell nach dem linken Flügel herüber und frag bei Madame Godet an, ob Königliche Hoheit die Toilette beendet hätte, und wenn ihre Musikstunden anfingen?! Aber schnell, spute dich ein bißchen, wir müssen eiligst Antwort haben!«


Als nach Verlauf von einer Stunde die Equipage der Präsidentin von Gärtner durch den Schloßhof zurückrollte, hatte der Bediente auf dem Kutschersitz zwei Billets in der Hand, welche er in der Villa Florian, – nach dem Schutzheiligen auf dem Turmgiebel also benannt bei Gräfin Dynar abgeben sollte.

Frau Leonie aber lehnte den schönen Kopf gegen die weichen Atlaspolster zurück und sah in hohem Grade befriedigt aus. Sie hatte die Natur eines Sturmvogels; je höher die Wogen aufschäumten und je wilder und gefährlicher es in den Lüften brauste, desto wohliger warf sie sich in den Graus hinein, waghalsig die Schwingen durch Gischt und Brandung ziehend, und dennoch triumphierend darüber hinschwebend wie Hohngelächter, wenn eine stolze Bark, in die Klippen gelockt, rettungslos an ihnen scheiterte, – – Sturmvogel!… Gefahr und aufgewühlte Wogen des Lebensmeeres waren ihr Element!



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