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V.

Die Lindenallee herab knatterten die Hufe flüchtiger Rosse, rollte und sauste es dem Schloß entgegen, daß Kies und Funken stoben.

Jubelnder Zuruf aus Hunderten von Kehlen, schmetternde Musikklänge und weithin wallende Fahnen hießen den Erbherrn von Proczna auf dem Grund und Boden seiner Väter und seinem nunmehrigen Eigentum willkommen.

Regungslos stand Xenia unter dem gewölbten Portal und starrte ihm entgegen, gleich einem Schleier lag es vor ihren Augen, und wie betäubt von wuchtigem Schlage, versagten Sinne und Glieder fast den Dienst. Dennoch hatte sie sich zusammengerafft und war mechanisch in das Schloßthor getreten, um der Welt gegenüber den Bruder zu begrüßen.

Vier feurige Rappen schäumten vor dem hohen, zweiräderigen Wagen, aus welchem Graf Janek Dynar stolz strahlend wie ein junger Sonnengott, über das Pflaster des Schloßhofes donnerte. Hoch droben auf dem lustigen Sitz thronte er in der Galauniform des Garde-Kürassier-Regiments, bei welchem er sich Sporen und Epaulettes verdient hatte, anzuschauen wie Helios, der Sonnengott, welcher in blendender Pracht, auf Siegesbahnen das Weltall durchstürmt; auf seinem Haupt blitzte der Helm, über welchem der silberne Adler seine majestätischen Schwingen ausbreitete.

Kerzengerade stiegen die Rappen empor und bäumten auf wider die männliche Kraft, welche sie mit kurzem Ruck vor der Treppe zusammenriß. Graf Dynar warf die Zügel dem hinter ihm sitzenden Groom zu, erhob sich und senkte grüßend die Peitsche vor Xenia, dann winkte er lachend Dank nach allen Seiten. »Grüß euch Gott, meine Getreuen von Proczna!« – und abermals erbrauste ein nicht endenwollendes Hurra, wie brausende Meeresflut drängte es näher und wogte um das Gefährt. Wie berauscht von der ritterlichen Schönheit ihres jungen Gebieters hoben sich ihm die Hände entgegen, wirbelten Laub und Blüten gleich einem Sprühregen um seine Brust. Jetzt erst rollte die zweite Equipage in den Hof, welche die Herren des Gerichts brachte.

Unverändert, bleich und regungslos stand Xenia, unnatürlich groß und starr haftete ihr Auge auf – dem Polen.

So hatte sie ihn nicht erwartet, so nicht.

Sein Anblick griff ihr wie eine kalte Hand an das Herz; ja, sie hatte verspielt, das fremde, niedrige Reis war bereits eins geworden mit dem edlen Stamm, dessen Wurzel so tief in deutschen Boden schlug, – das polnische Blut hatte sich gefärbt, schäumte hinter einer Stirn, über welcher Preußens Königsadler als köstlich Bannerzeichen schwebte.

Kein Mensch wird glauben, daß dieser Mann einst in Lumpen gehüllt auf der Schwelle von Proczna gelegen, niemand wird eine Ahnung haben, daß dieses vornehm schmale Angesicht mit den stolz geschwungenen Brauen ein Schandmal zeichnet, daß auf der Stirn der Vaterkuß eines Rebellen brennt. Niemand, nur sie, Gräfin Xenia, weiß es und vergißt es nicht.

Tief atmend hob sich ihre Brust.

»Wird ein Graf Dynar, der Erbe von Millionen, welcher die große Welt kennen gelernt hat und weiß, wie viel giftige Zungen sie bereit hält, das Urteil über den lieben Nächsten zu sprechen, wird er freiwillig seine Krone vom Haupt nehmen?«

Nein! Mag ein Charakter noch so fest und eisern sein, mag er todesmutig das Leben in die Wagschale werfen, und mögen die Keulenschläge des Schicksals noch so machtlos an ihm abprallen, seine Achillesferse trägt er dennoch an sich.

Janek ist jung und eitel, – er ist schwach wie jeder, dem das Gold seine Fesseln um die Hände schlingt, er wird seinen Fuß nicht auf Dornen stellen, wenn er ihn auf den Nacken der Welt setzen kann. Janek ist ein Mensch, wie wohl alle andern Menschen auch, – schwach, feige, ein Sklave der öffentlichen Meinung.

Mag er immerhin den Brief lesen, welcher den Helios erbarmungslos aus seinen Himmeln stürzt, – er wird voll zitternder Angst bemüht sein, die entfallenen Zügel desto sicherer an sich zu reißen, und – wird schweigen.

Alles wird gut werden. Das Kuckucksei wird sich dem Neste anpassen, und Gräfin Xenia Dynar wird die Hand auf das stolze, gekränkte Herz pressen, und den Eindringling dulden. Nur dulden, – eine Berechtigung wird sie diesem Polen niemals zuerkennen, – als ihresgleichen ihn niemals achten.

Sporen klingen vor ihr auf den steinernen Treppenstufen, ein Silberblitz der Adlerschwingen trifft sie grell ins Auge.

Dann muß sie empor schauen, will sie dem Blick des Bruders begegnen. Es kommt selten vor, daß deutsche Männer auf sie herab blicken, und nun gar dieser Pole! … Hoch und schlank wie die junge Tanne ist er, die neben ihm den Fahnenmast versteckt.

Sehr formell und tief verneigt sich der Erbe von Proczna vor seiner Schwester, – der Blick seines dunklen Auges schweift kühl und gleichgültig über den königlichen Schwan, welchem Gustine so siegesbewußt die weißen Perlen um den Nacken wand. – Perlen bedeuten Thränen. Xenia hebt das Köpfchen, sie zwingt ein Lächeln um die Lippen und sagt in demselben Ton, wie sie zu allen Herren spricht, die sie durch ein freundliches Wort auszeichnen will, und der trotzdem noch gewaltig von oben herab klingt:

»Ich freue mich, dich wieder zu sehen, Janek, und heiße dich in Proczna willkommen!«

Die Worte klingen sehr eingelernt, aber Xenia thut ihr möglichstes, sie hebt sogar die kleine Hand und reicht sie ihm halbwegs entgegen.

Janek verneigt sich so lang und so tief mit den Worten: »Die Freude ist auf meiner Seite, Xenia!« – daß er die Bewegung der weißen, brillantenglitzernden Hand vollkommen übersieht. Ja, es zuckt sogar wie ein ganz feiner Zug von Ironie um seine Lippen; Xenia sieht, wie die Spitzen des Schnurrbartes zittern. Sie beißt die Zähne zusammen und tritt kalt zur Seite, um die Herren vom Gericht durch eine kaum sichtliche Neigung des Kopfes zu grüßen. Janek aber breitet beide Hände nach dem guten Onkel Drach aus, um ihn in aufrichtiger, herzlichster Freude zu umschließen.

Der Kammerherr hüstelt etwas verlegen, sagte nur in krampfhafter Wiederholung: »Mein guter Janek, mein guter Janek!« – und klopft ihn dabei desto inniger mit der Hand auf den Rücken, denn sie stehen so, daß es Xenia glücklicherweise nicht sehen kann.

Die junge Gräfin richtet einige herablassende Worte an den Landrat, welcher so glücklich ist, von Adel zu sein, und verliert doch keine Silbe von dem, was ihr Pflegebruder währenddessen in fast kordialer Weise mit den anderen Herren plaudert. Er kann fabelhaft herzlich lachen, aber es klingt zu laut, und die Art und Weise, diese Leute, welche doch so tief unter ihm stehen, in das Schloß zu komplimentieren, ist beinahe unwürdig. Xenia hegt für einen Augenblick die Absicht, sich vor dem Diner zurückzuziehen, aber Herr von Drach flüstert ihr ganz erschrocken zu: »Unmöglich, es gibt Redereien!« – Und wenn es ja der Gräfin Dynar im Grunde unendlich gleichgültig ist, was derart gesellschaftliche Elemente wie diese Herren Advokaten, Notare und Gerichtsbeamte über sie reden, so läßt sie sich nach einer Stunde dennoch von ihrem Vormund in den Speisesaal hinabführen, um an seiner und des Landrats Seite eine wahrhaft majestätische Gastgeberin zu repräsentieren.

Sie hat eigentlich nur die Absicht, diesen Polen zu beobachten.

Vielleicht kann ihr Blick hie und da das polnische Blut ein wenig abkühlen.

Leider irrt sie sich. Janek benimmt sich, als sei der hochgeschnitzte Sessel ihm gegenüber einzig für Banquos Geist dahin gestellt; für das schöne, stolzblickende Weib darin, vor welchem doch ausnahmslos die jeunesse dorée der nordischen Residenz im Staube liegt, hat er kaum einen Blick, und wenn dieser Blick sie zufällig streift, so bleibt er so völlig unverändert im Ausdruck, als gehöre ein solches vis-à-vis zu seinem täglichen Brot.

Dabei ist er sehr animiert und liebenswürdig, eine köstliche Schlagfertigkeit unterstützt seine Konversation, ohne als Brillantfeuer zur Schau getragen zu werden. Sein Wesen ist neben aller Eleganz auffallend natürlich; Xenia findet es burschikos.

Auch ist sie geradezu entrüstet über seine Art und Weise, Leute aus der Hofgesellschaft zu kritisieren. Er scheint viel in den höchsten Kreisen verkehrt und scharf hinter die Coulissen geschaut zu haben. Was er an den Menschen verspottet und geißelt, ist ja leider recht tadelnswert, aber es ist thöricht vom Grafen Dynar, über seinesgleichen derartig zu glossieren, noch dazu in Gegenwart von Leuten, welche so ganz und gar nicht berechtigt sind, überhaupt eine Meinung zu äußern.

Xenia kräuselt verächtlich die Lippen; da sieht man es leider so recht vor Augen, wie wenig Art von Art läßt, wie der aristokratische Adler auf dem Helm nur die Maske ist, unter welcher der Sohn des polnischen Rebellen, seine Grafenrolle spielt.

Sie vermeidet es, ihn anzureden, nur zeitweise streut sie ihre scharfen Bemerkungen in die allgemeine Unterhaltung. Janek aber spricht ebenso ungeniert zu ihr wie zu allen andern, manchmal pflichtet er ihren Ansichten bei, manchmal bestreitet er sie in seiner rücksichtslosen Art und Weise. Xenia ist noch niemals im Leben mit so viel Gleichgültigkeit behandelt worden wie von diesem Polen! Und Gräfin Xenia hat eine Achillesferse wie alle andern schwachen und eitlen Menschen auch.

Janek ist ihr mit keinem Wort zu nahe getreten, dennoch fühlt sie sich tief verletzt, tiefer als wie damals im Garten, da sein Peitschenhieb auf ihre Hand gefallen. Unwillkürlich sieht sie jene Zeilen aus dem Brief ihres Vaters vor Augen … »wenn sich vielleicht noch ein heißeres und süßeres Lieben in dein Herz schleicht …« – ihr Blick zuckt zu ihm herüber, sie möchte schallend auflachen bei dem Gedanken, und krampft unwillkürlich doch die Hand um die Elfenbeinstäbe ihres Fächers. Wie dürfte sich dieser Pole unterstehen, seine Blicke zu ihr zu erheben! – Unter die Füße treten würde sie solch ein vermessenes »heißeres und süßeres Lieben!«

Er scheint ja, Gott sei Dank, weit davon entfernt zu sein, solch wahnwitzigen Gedanken zu fassen, … aber … wie sollte er auch? … Er hält sie ja für seine leibliche Schwester, er ahnt ja nicht, daß Gräfin Xenia …

Die Gläser klingen zusammen, Herr von Drach begrüßt den Erben von Proczna auf eigenem Grund und Boden.

Janek erhebt sich und schreitet um den Tisch, den schäumenden Champagnerkelch ritterlich vor der Dame des Hauses zu neigen, Xenias Blick mißt seine hohe Gestalt, sie stößt mit ihm an und stellt ihr Glas, ohne es an die Lippen zu führen, auf die Tafel zurück.

Er bleibt wartend stehen, sein dunkles Auge glüht zu ihr nieder, drohend, warnend zugleich. Er neigt sich tiefer und flüstert ein paar Worte:

»Willst du mich in solch rücksichtsloser Weise vor diesen fremden Menschen blamieren?«

Ihr rotgoldenes Haar zittert dicht neben seiner Wange, ihr spöttischer Blick taucht in den seinen.

»Wenn du mich herausforderst, gewiß!«

Und dazu lacht sie leise auf, so daß Onkel Drach verlegen einstimmt und Janek seinen Krystallkelch desto liebenswürdiger entgegenbietet mit den Worten:

»Du kennst ja ihre Aversion gegen diese Unsitte, Janek, bei Hofe stößt man ja auch nicht an!«

Janek zuckte die Achseln, – er sah durchaus nicht gereizt aus.

»Bei Hofe unterläßt man allerdings vieles, bester Onkel, und thut vieles, was man besser unterließe, mechanisch und unverdrossen, wie Marionetten willenlos nach der Flöte ihres Chefs tanzen. Aber es gibt Gott sei Dank noch Ausnahmen, welche sich mutig unter diese Akteurs wagen, um, eigenen Geist und Willen im Kopf und eine energische Reitpeitsche unter dem Arm, dieses Puppenspiel von veralteten Possen zu säubern!«

Der junge Offizier setzte sich wieder auf seinen verlassenen Platz zurück, ruhig erwiderte er den Blick Xenias, welcher ihm fast gehässig entgegen sprühte.

»Bist du vielleicht eine dieser Ausnahmen, welche auf besagtem Kasperletheater den Popanz spielen will?« fragte sie, das Spitzentaschentuch gegen die spöttisch geschürzten Lippen hebend.

Der Erbe von Proczna zerlegte gelassen eine Bratenscheibe auf seinem Teller, es sah fast aus, als weide er sich an ihrer Empörung.

»So ist's, mein Feldherr!« nickte er voll Seelenruhe, »ich habe mir ein großes Ziel gesetzt, und hoffe dasselbe zu erreichen. Du glaubst gar nicht, wie notwendig es ist, einmal den eisernen Besen durch diese windige Spreu zu führen, welche über das Parkett wirbelt und die Augen der Allerhöchsten blendet! Mir thun alle armen, einsamen Leute leid, die auf einer Höhe stehen, und so herzlich gern einmal einen klaren Blick auf das Land hernieder thun möchten, aber dennoch die unerläßlichen Wolken um sich dulden müssen, welche ihnen blauen Dunst vorspiegeln.«

Janek warf das schöne Haupt in den Nacken und blickte sein Gegenüber fast herausfordernd an, eiserner Wille trotzte auf seiner klaren Stirn.

»Es gehört allerdings recht viel Courage und auch recht viel Selbstverleugnung dazu, diesen ›Popanz‹ zu spielen, ich hoffe beides in genügendem Maße zu besitzen, und weiß es bereits aus Erfahrung, mit welchen Stichworten man sich in die Komödie und ihren tragischen Inhalt als aktives Mitglied einzuführen hat. Nicht gegen die erhabenen Kaiserkronen und Königskerzen ziehe ich in den Kampf, sondern lediglich gegen das Unkraut, welches sie umdrängt und überwuchern will!«

Abermals klang das feine, spöttische Auflachen der Komtesse zu ihm herüber.

»Du sprichst nur von dem Inhalt deiner Rolle, nur von den gigantischen Vorsätzen und deiner Reitpeitsche, mittelst deren Kraft du die Coulissenberge versetzen willst. Hast du denn gar keine Sorge, daß man dich mitsamt deinem eisernen Besen auspfeifen könnte?«

Graf Dynar stimmte harmlos in ihr Lachen ein.

»Darauf muß man es eben ankommen lassen! Wenn ich die Berge so plump anfasse, daß den Leuten die Steine jählings auf die Köpfe hageln, würde ich es verdienen, daß sie sich zischend gegen solchen Tollpatsch auflehnen, wenn ich aber ›homöopathische‹ Wege einschlage und Gleiches mit Gleichem kuriere, so werde ich meinen Gegnern erst ganz heimlich und geschickt die Waffen aus der Hand winden, und alsdann handelnd in die Komödie eingreifen! Wenn die Leute keine Schnarren in der Hand haben, können sie mich nicht damit verjagen, und um nur auf den Fingern zu pfeifen, sind sie nicht intelligent genug. – Also ›frisch auf zur That, dem Mutigen gehört die Welt!‹«

Janek hob den Krystallkelch mit dem hoch aufkochenden Champagnerschaum und leerte ihn auf einen Zug, lachende Heiterkeit, fast Übermut, lag auf der Stirn, welche sich blendend weiß gegen den gebräunten Teint des unteren Teils seines Gesichtes abhob.

Xenia wußte, daß man ihn schön und originell nannte, daß die Damen der Residenz eine geradezu lächerliche Passion für den frivolen Spötter zur Schau trugen. Stolzer wölbten sich ihre Lippen, verletzender maß ihn ihr kühler Blick.

»Deine Zukunftsträume sind so kühn und phantastisch, daß sie für einen Arzt interessanter sein dürften, als für uns, die wir kein Verständnis für derartige Extravaganzen haben! Ich hoffe, du wirst auf dem Wege, welcher nur jenen einen Schritt, vom ›Erhabenen zum Lächerlichen‹ breit ist, in heilsamer Weise über deinen eigenen Säbel stolpern, welcher die Gesinnungen deines feudalen Regimentes vertritt!«

Janek hob den Kopf, keine Wimper zuckte in seinem fast grausam lächelnden Antlitz.

»Du denkst wohl, ich bleibe Offizier?«

Xenia zuckte zusammen. –

»Ob Militär oder Diplomatie, – beide halten einen moralischen Kappzaum für allzu eigenmächtig denkende Geister bereit!«

»Und wenn ich es nun vorzöge, ohne Dressur fertig zu werden, und weder von dem bunten Rock noch dem Freibillet an auswärtige Höfe Gebrauch machte? Was dann?«

Herr von Drach hob jäh betroffen das Gesicht von dem gemalten Teller, welchem er sich bis jetzt in peinlichster Verlegenheit ohne aufzuschauen zugewandt hatte. Auch die anderen Herren ließen à tempo Messer und Gabel ruhen, um in das bleiche Antlitz der Komtesse empor zu schauen.

Stolz, königlich hob sich das goldlockige Haupt auf den Schultern Xenias.

»Dann würden mir, nach der Probe, welche du soeben von deinem Geschmack abgelegt hast, deine ferneren Beschlüsse und Intentionen gleichgültig genug sein, um deine Mitteilungen darüber bis zu gelegener Zeit abzuwarten.« –

Wie ein triumphierendes Aufblitzen ging es durch ihr Auge.

»Oftmals ändert ein einziger Moment recht viel an den Zukunftsplänen, und bringt das Kartenhaus von allerhand hübschen Illusionen jämmerlich zu Falle. Laß uns morgen das Nähere über deine Absichten hören; vielleicht kommt dir noch ein guter Gedanke über Nacht!«

Und Gräfin Dynar verschmähte das Dessert, welches ein Diener auf silberner Platte präsentierte, wandte sich mit ruhigem Lächeln zu dem Landrat und sagte voll reservierter Liebenswürdigkeit:

»Ich denke, die Herren ziehen es vor, in den Zimmern des Grafen« – sie vermied es, den Polen ›Bruder‹ zu nennen – »sich mit einer Cigarrette den Mokka zu würzen, und hoffe, Sie alsdann zur festgesetzten Stunde droben im Saal wieder zu begrüßen!«

Xenia erhob sich; ein kurzes, sehr förmliches Neigen des schönen Hauptes, – dann sprang der Diener herzu, um den Sessel hinter ihr zurück zu ziehen. – Die Herren erhoben sich, um sich respektvoll wie vor einer Fürstin zu verbeugen. Gräfin Dynar aber schritt am Arme ihres Vormundes zu ihren Gemächern zurück.

Janeks Blick folgte ihr. Weiß und klar, wie der Schaumstreifen hinter der meerentsteigenden Aphrodite, knisterte die lange Schleppe über das Parkett, und der Abendsonnenschein glänzte auf dem »goldenen Haar« wie damals auf der Heide, als er mit heißen Flammen eines lauschenden Knaben Herzblut trank.

»Wer weiß, am Ende verschlingen die Wellen noch Fischer und Kahn …?«

Der Erbherr von Proczna warf das schöne Haupt in den Nacken, – zornig und spöttisch zugleich zuckte es um seine Lippen.

»Lassen wir die Zukunft leben, meine Herren!« rief er, sein Glas fassend: »Ein jeder hat sein Ziel vor Augen! Ob wir's erreichen? – – Hazard! – Hazard!«

Und die Krystallkelche trafen zusammen, kühl wie die Flut, welche den Rheinfelsen umspült, rieselte der Champagnerschaum über die weiße Hand des Erbherrn von Proczna.

* * *

Die Lichter flackerten auf hohen Leuchtern auf dem Tisch inmitten des großen Saales, woselbst die Herren vom Gericht Platz genommen hatten, das Testament des Reichsgrafen Gustav Adolf zu eröffnen. welches den mündigen Sohn an diesem Tage in alle Rechte und Besitztümer des Erbherrn einsetzen sollte.

An seinen Sessel gelehnt stand der junge Graf, still und ernst, den Blick unverwandt geradeaus gerichtet, wo die helle Gestalt der Ahnfrau wie ein Nebelbild aus dem dunklen Rahmen trat, Gräfin Xenia mit dem Goldhaar und dem eigensinnigen Mund: ein jeder konnte glauben, es sei das Porträt seiner Schwester, welche regungslos, etwas abseits, in dem niederen Fauteuil lag, die Hände im Schoß gefaltet.

Tief in den Schatten hatte die Komtesse ihr schönes Antlitz gewandt, die Wimpern waren über die Augen gesunken; man hätte denken können, jene weißgekleidete Ahnfrau auf dem Gemälde dort habe ihr Marmorbild als köstliches Denkmal in dem Saale aufgestellt. Dennoch glühte das Leben heißer denn sonst in den Adern ihrer Namensschwester, und hob in fast stürmischen Atemzügen ihre Brust.

Fieberische Aufregung ließ die schmalen Lippen beben, unwillkürlich richtete sie sich empor, und starrte atemlos auf die Hand des Anwaltes, welche dem Grafen Janek ein versiegeltes Schreiben entgegenbot.

»Es ist der Wunsch Ihres verstorbenen Herrn Vaters, Graf Dynar, Ihnen diesen Brief noch vor Eröffnung des Testamentes zu überreichen, mit dem Ersuchen, sofortige Kenntnis von seinem Inhalt zu nehmen.«

Xenias Herzschlag schien still zu stehen; der Lichtschein fiel in ihr Auge; es glimmerte darin wie eine kleine, farbige Schlange, welche aufzischend den Kopf hebt. Mechanisch erhob sie sich. Schwer auf den Sessel gestützt, stand sie und beobachtete die Wirkung des Briefes, welcher doch des stürzenden Helios Wange entfärben mußte.

Jetzt brauste der Sturm durch den alten Stammbaum der Dynars und peitschte seine gefälschte Krone in den Staub zurück, in welchen sie gehörte. Ging es nicht wie ein Zittern durch die Grundfeste Procznas? Bebte und wankte es nicht unter den Füßen, als sei ein Blitz herniedergefahren, um das alte und das neue Wappenschild splitternd auseinander zu reißen?

An den Tisch gelehnt stand der Erbe von Proczna und neigte das weiße Blatt dem Kerzenlichte zu. Für einen Augenblick hatte er das Schreiben noch uneröffnet in der Hand gehalten; eine tiefe, schmerzliche Rührung zuckte beim Anblick der geliebten Schriftzüge über Janeks Antlitz, er hob den Brief an die Lippen und küßte ihn ehrfurchtsvoll. Dann hob und reckte sich seine schlanke Gestalt, sekundenlang tauchte sein flammender Blick in Xenias Auge; es war, als wolle er aus den Grund ihrer Seele schauen. Dann brach er mit sicherer Hand das Lackwappen und wandte sich näher dem Lichte zu.

Keine Wimper zuckte in seinem ernsten, ruhigen Antlitz, weiter und weiter las er. Plötzlich wankte das weiße Blatt zwischen seinen Fingern, wie von einem Schlage getroffen, neigte sich Janeks Haupt tief herab auf den Brief, fassungslos, wie erstarrt wurzelte sein Blick auf den Zeilen.

Er hob die Hand und strich langsam über seine Stirn, als träumte er.

»Mein Vater … es kann nicht möglich sein … ich der Sohn … o mein Gott … ich? … ich?…«

Leise, abgerissen klang's von seinen Lippen, fast ungestüm führte er das Papier seinen Augen näher; wieder und wieder überflog er den Inhalt der Zeilen, deren Sinn er kaum fassen, kaum begreifen konnte.

Ein tiefer Atemzug hob seine Brust; zu königlicher Höhe wuchs seine Gestalt empor, stolz, triumphierend zuckte sein Haupt in den Nacken. Fest und leuchtend richtete sich sein Auge auf Gräfin Xenia. Es war, als wollte er die Lippen öffnen, um jenes hochmütig schauende Angesicht mit der Gewalt eines einzigen Wortes zu beugen. Seine Lippen bebten, man sah es jeder Fiber an, in welchem Kampf seine Seele rang.

Dann war es plötzlich, als wehe ein kühler Hauch über das kochende Polenblut. Die Hand mit dem Briefe sank ruhig nieder, ein Lächeln lag auf seinem Antlitz, das grausame, überlegene Lächeln, welches Xenia wie ein schneidend Messer bis in das Mark des Lebens traf, das sie an ihm haßte wie ein Spiegelbild, welches das eigene Antlitz in verzerrter Häßlichkeit zurückwirft.

»Ich bin den anwesenden Herrschaften den Inhalt dieses Briefes schuldig!« sagte Janek leichthin, warf sich in seinen Sessel und zog das zusammengefaltete Papier durch seine Finger, als wolle er sich einen Fidibus drehen.

»Zu meiner großen Überraschung erfahre ich, daß ich nicht der leibliche Sohn des Grafen Dynar, sondern nur sein Adoptivkind bin, welches er in unvergleichlicher Güte in die vollen Rechte eines Stammhalters und Erben gesetzt hat. Der Brief ist völlig privater Natur und einzig für meine Augen geschrieben. Ich bedaure infolgedessen, Herr Notar … meine Herren … Ihnen den Einblick in dieses Schreiben nicht gestatten zu können. Darf ich bitten, das Testament zu eröffnen?«

Eine gewisse Betroffenheit malte sich auf allen Gesichtern; wie auf ein neuntes Wunder starrte man auf den jungen Mann, welcher eine derartige Eröffnung so ganz als Bagatelle behandelte, welcher den Brief, dessen Zeilen am Fundamente seines Daseins, seiner Stellung und seines Namens rüttelten, so gelassen in die Brusttasche schob, als gelte es eine quittierte Rechnung ordnungshalber in das Portefeuille zu stecken.

Das Testament wurde eröffnet und verlesen. Xenia war schweigend zurückgesunken; mit dem duftigen Spitzentuch trocknete sie die kleinen feuchten Perlen, welche ihr die Qual der letzten Augenblicke auf die Stirn getrieben, kein Auge konnte dem blassen Angesicht ansehen, welch eine gefolterte Seele sich hinter seiner Maske verbarg.

Nun war es überstanden, nun wußte und kannte der Pole die Annalen seiner Sippschaft, nun endlich sah er den Abgrund, welcher so schwindelnd tief zwischen ihm und Gräfin Xenia lag.

Wie von Centnerlast befreit, atmete ihre Brust unter den weißen Spitzen; gleich niedertropfenden Thränen zitterte das Perlenhalsband aus seiner zarten Folie.

Fast verächtlich streifte ihr Blick den Erben von Proczna. Thörin, die sie war, auch nur einen Augenblick im Gedanken an die Möglichkeit zu zittern, daß politisch Blut höher schäumen könne, als die Schranke der Eitelkeit, daß Trotz und Rachsucht mächtiger sein könnten als der Egoismus und die Furcht vor der öffentlichen Meinung.

Nein! Graf Janek Dynar ließ kein fremdes Auge auf die Zeilen schauen, welche ihm das stolze Piedestal so jämmerlich unter der Sohle wegrissen, er schob den Brief als »private« Angelegenheit in die Brusttasche, und überging die fatale Affaire wie einen Kiesel, der hindernd vor die Füße rollt, und den man mit schnellem Stoß weit ab beiseite schleudert. Nein! Graf Janek Dynar beugte sich feig und klug dem kleinen Goldteufel mit der neunzinkigen Krone, welcher seinen Fuß dominierend auf den Nacken des Sonnengottes setzt, und biß sich lieber die Zunge ab, ehe er seinen dunkeln Stammbaum vor der Welt bekannte.

Xenia hätte laut auflachen mögen vor Spott und Hohn über diesen »Kautschukmann«, der zusammenschrumpfte unter dem Schlag des Schicksals, daß sich seine Wangen entfärbten, und der elastisch wieder emporschnellte, sobald dieser Keulenhieb an dem Panzer des Testamentes abprallte. Sie hatte es ja gesehen, welch eine Wirkung der Brief gehabt, wie der väterliche Name an der selbstbewußten Haltung des Erben von Proczna gerüttelt hatte; – ja, auflachen hätte sie mögen. Und dennoch preßte sie die heiße Stirn gegen die kühlen Spitzen ihres Batisttuches und fühlte, wie Scham und Groll ihre Kehle zusammenschnürten.

Wie kläglich sank der Adler mit gebrochenen Schwingen von dem Haupte Janeks, und er hatte ihn doch so königlich getragen, da er vor wenig Stunden den Fuß auf die Schwelle seines Besitztums gestellt. – –

 

Regen prasselte gegen die Fensterscheiben. – Grau in grau schwammen die Schatten in dem ehemaligen Studierzimmer Gustav Adolfs, auf seufzenden Schwingen strich der Wind um den Giebel und fauchte im Rauchfang, just wie in jener Nacht, da die polnischen Insurgenten das Kuckucksei in dieses Nest geschleppt. Damals hatten Kälte und Schnee das Regiment geführt, hatte eine junge Menschenknospe wehklagend in dem Kampf ums Dasein gerungen, heute aber hatte nur ein Gewitterschauer seine dunklen Schleier über die duftende, sommerliche Welt geworfen, und heute wiegte sich jene zarte Knospe als vollerblühte Rose auf dornigem Reis.

Gräfin Xenia saß an dem Schreibtisch ihres verstorbenen Vaters, und neigte sich tief über ein Heft alter Pergamentblätter.

Der Teppich des Nebensalons dämpfte die Schritte, welche sich der Thür näherten; zwischen die Portierenshawls trat Janek, schob die gewirkten Falten lautlos beiseite und stand für einen Augenblick in regungslosem Schauen.

Endlich konnte er sich in vollen, durstigen Zügen an dem Becher der Schönheit satt trinken, konnte stehen und mit langem, ehrlichen Blick der Nixe Lorelei sonnegolden Haupt umfassen.

Sie neigte das Köpfchen zur Seite und wandte ihm nur das Profil zu, ihre Hand lag auf den dunkeln Falten ihres Kleides, wie ein Marmorbild hob sie sich ab – dieselbe Hand, die einst ein grellroter Streifen gezeichnet.

Das war Xenia, das war jenes Kind, mit der trotzigen Stirn, das einst im Sonnenbrand der Heide die geballten Hände erhoben hatte, mit dem Aufschrei: »O wie hasse ich dieses Kuckucksei im Nest!«

Wie dunkle Wolken zog es über das Antlitz Janeks, er preßte die Lippen zusammen und atmete schneller. Er konnte sich noch so gut erinnern, wie sich dieses reizende Haupt einst an seine Brust gelehnt, und jetzt? Wie ein schwindelnder Abgrund gähnte es vor seinen Füßen. Sollte er mit kühnem Trotz eine Brücke darüber schlagen?

Ein einzig Wort von ihm, ein einziger Blick jener schönen Augen in den Brief, welcher wie Feuer auf seiner Brust brannte, und die Kluft war zugeschüttet, er stand neben ihr, wohlberechtigt an ihrer Seite, und – dann? …

Ein bitteres Lächeln zog um seine Lippen. Dann würde ihr Stolz und Hochmut die Waffen strecken und ihm ein anerkennendes »Willkommen im Neste!« spenden, dann würde sich jene schöne Hand sorglos auf seinen Arm legen, der Welt und der öffentlichen Meinung den Erbherrn von Proczna zuzuführen, – aber kalt wie Eis würde es von dieser Hand aus durch seine Glieder schaudern, – so kühl und frostig wie das Weib ohne Seele, welches diese Hand in die seine legt.

Eine wilde, zornige Entschlossenheit blitzte in dem Auge des Lauschers.

»Nein, tausendmal nein! Die Untiefe soll sich schroff und dräuend zwischen unsere Wege reißen, keinen Strohhalm will ich dir herüberreichen, deine Seele an mich zu ziehen; rot und grell soll das polnische Blut sich eigene Bahnen brechen, soll seine Zauberkraft bewähren und den Funken zündend in dein kaltes Herz werfen. Hellauf in Flammen soll die Liebe dir im Auge lodern, – und wie du einst die Fäuste gegen mich gehoben, so sollen deine Arme sich mir entgegenstrecken in heißem, leidenschaftlichen Sehnen! Polnisch Blut! Jadwiga hat es auch in deine Adern gegossen, du blondes, deutsches Weib, und polnisch Blut verleugnet sich nicht! Mag's denn drum sein! Mag jedes Band zwischen uns zerrissen werden, ich wage es, ich setze alles auf eine einzige Nummer, und diese heißt ›polnisch Blut‹!«

Fest, sicher entschlossen trat Janek über die Schwelle. Xenia wandte erstaunt den Kopf und maß ihn mit flüchtigem Blick, dann las sie weiter.

»Die Herren vom Gericht sind soeben wieder abgereist, ich werde in frühester Morgenstunde ihrem Beispiel folgen und meine Feder wieder in die Welt zurückblasen; die Geschäfte sind hier erledigt.«

Ein schneller Blick zuckte zu ihm herüber. Janek ließ sich in einen Sessel und trommelte mit den langen Fingernägeln auf der Schreibtischplatte.

»Ich habe noch eine Kleinigkeit mit Onkel Drach und dir zu besprechen, und den Kammerherrn infolgedessen hierher bescheiden lassen«, fuhr er gelassen fort, »du hast doch einen Augenblick Zeit für mich?«

»Danach fragen geschäftliche Angelegenheiten nicht.«

Xenia lehnte sich gleichgültig zurück und schob die Pergamente etwas beiseite.

Der Erbe von Proczna warf einen Blick über die arg verstaubten Blätter.

»Aha – die Geschichte deiner Ahnfrau Xenia«, nickte er, »welche der Onkel im Archiv durch Zufall aufgestöbert hat! Er erzählte mit bereits davon und Art erweckte große Sympathien in meinem Herzen für dieses köstliche Weib, dessen Liebe größer war als Stolz und Vernunft!«

Die Komtesse warf den Kopf zurück. »Die Verschiedenheit unserer Ansichten verleugnet sich doch nie!« entgegnete sie scharf, »du bewunderst jene Närrin, und ich bin in tiefster Seele verletzt, daß man mich nach solch einem unwürdigen Glied unseres Hauses benennen konnte.«

»Unwürdig? Das ›Entführenlassen‹ war zu jener Zeit, da deine schöne Ahnfrau lebte, nur ein recht landläufiges Kapitel in dem Buch poesievoller Minne, und darin, daß der Erwählte ihres Herzens ein feindlicher Offizier, ein Pole war, dessen Namen man uns leider verschweigt, finde ich höchstens einen Reiz mehr, denn er beweist mir doppelt, wie gewaltig die Liebe des schönen Schloßfräuleins gewesen!«

»Und wie tief sie sich durch dieselbe erniedrigt hat!« Xenias Blick schien zu Eis zu erstarren. »Ein Pole … ein Pole und eine Gräfin Dynar! – Solche Gegensätze sind zu grell, um sie überhaupt auszudenken!«

Janek lachte leise auf.

»Ich bin ein Vollblutpole und du ein Gemisch von Deutschtum und polnischer Rasse, ich bitte dich dringend, unser eigen Geschlecht nicht durch deine Worte an den Pranger zu stellen, denn just diese ›grellen‹ Gegensätze verschmelzen in dir zum harmonischen Ganzen.«

»In mir?« – Xenias Lippen bebten. »Gott sei Lob und Dank habe ich doch nichts mehr mit Polen gemein, als – einen Namensbruder, welcher mir fremd und fern ist wie das Wasser dem Feuer.«

Janek lachte noch mehr. –

»Und Jadwiga, deine Amme? Die polnische Insurgentin, welche das deutsche Grafenkind am Leben erhielt und es mit den Revolutionsliedern der gährenden Heimat in den Schlaf sang, – diese Jadwiga willst du wie eine lästige Episode aus den Seiten deines Lebensbuches löschen?« –

Der junge Mann neigte sich näher, wie ein wilder Triumph glühte es in seinem dunklen Auge.

»Umsonst, Xenia! – Jenes Weib ist zu deinem Schicksal geworden, welches sich unrettbar an dir erfüllen wird. Mag dein Haar auch goldblond wie das der echtesten Germanin sein, mag dein Auge noch so kalt und das Blut in deinen Adern noch so deutsch erscheinen, – ein fremder Tropfen ist dennoch wie zehrend Gift hineingefallen, rollt wie ein Feuerfunken durch das kühle Geader, ungeahnt und unbemerkt, bis er zündend in das Herz trifft. Kennst du nicht das Märlein von dem Memnon? – Die Morgenröte muß kommen, und den zaubervollen Klang aus totem Steine locken, das Licht muß am Horizont emporflammen, damit der Bann gebrochen und die schlummernde Seele geweckt wird. Und also wartet auch dieser Tropfen Polenblut in deinem Herzen auf den Glanz der Liebessonne, welcher ihn in himmelhohen Gluten aufkochen läßt, auf die Morgenröte der Freiheit, welche im Osten siegesfreudig ihre Stirn heben wird. Ob früh oder spät – einmal wirst auch du empfinden, Xenia, daß dich polnisch Blut am Leben erhielt!«

Glühende Röte brannte auf dem Antlitz des Sprechers, hoch erhoben, wie ein Prophet, der leuchtenden Blickes in die Zukunft schaut, stand er vor der Tochter des deutschen Reichsgrafen, – wie ein jubelnder Gruß von jenseits der Grenze brauste ein Windstoß um die Mauern Procznas.

Der Kammerherr von Drach war hastig eingetreten, er prallte fast zurück vor den beiden königlichen Gestalten, welche sich erhobenen Hauptes voll sprühender Erregung gegenüber standen – Feuer und Eis – so verschieden und so harmonisch zu gleicher Zeit.

»Du wünschest meine Anwesenheit, lieber Janek.« –

Der Vormund trat unsicher um einen Schritt näher, wie rekognoszierend schweifte sein Blick von einem zum andern.

»Ja, verehrtester Kammerherr, ich habe mir erlaubt, Sie zu einer kleinen Besprechung hierher bitten zu lassen, denn meine Zeit ist leider zu knapp bemessen, um Ihnen die Wahl der Stunde überlassen zu können!« –

Janek sprach laut und fest, ohne sich durch die betroffenen Blicke irritieren zu lassen, welche Xenia und Drach nun wechselten, als er plötzlich das steife »Sie« zur Anrede benutzte

»Ich halte es für meine Pflicht, Ihnen meine Pläne und Absichten für die Zukunft noch mündlich zu entwickeln, damit ich reines Feld hinter mir zurücklasse.«

»Aber Janek – «

»Verehrtester Herr Kammerherr, – ich kann es mir als nur ›Adoptivsohn‹ Ihres Freundes nicht mehr anmaßen, Ihnen gegenüber den Titel ›Onkel‹ zu gebrauchen – ich bitte, mich wenige Worte ungehindert reden zu lassen.

Der Brief meines Pflegevaters enthüllte mir die Thatsache, daß ich als Wildfremder hier in Ihrem Familienkreise stehe, daß mich das Schicksal zum ›Kuckucksei im Nest‹, zum Eindringling in Proczna gemacht hat.«

Sein Blick tauchte scharf in Xenias Auge.

»Wie unwillkommen ich Ihnen allen sein muß, ist mir natürlich erst durch die Eröffnungen des besagten Briefes klar geworden, umsomehr, da ich die Gesinnungen meiner Pflegeschwester kenne, welche den Mensch erst vom Freiherrn an als daseinsberechtigt erachtet.«

Der junge Mann kreuzte die Arme über der Brust, seine Ironie klang durch seine Worte.

»Ich bin nur der Sohn eines polnischen Rebellen, bin bei Nacht und Nebel, in Lumpen gehüllt, vom Grafen Gustav Adolf von der Landstraße aufgelesen. Nichts als das nackte Leben war mein eigen, als mich Mitleid und Herzensgüte meines unvergeßlichen Pflegevaters zum Träger eines uralten Namens, zum Herrn von Millionen machten. Das sind leider die Thatsachen, welche mich schlecht bei Gräfin Xenia eingeführt haben, und darum ist wohl meine Frage berechtigt, ob mich die Tochter des Grafen Dynar der Welt gegenüber unter solchen Verhältnissen als Bruder anerkennen will, und ob ich ihr als solcher willkommen bin?«

Xenia hob langsam das Haupt.

»Willkommen?« sie lachte hart auf. »Eine offene Frage verdient eine offene Antwort. Freiwillig hätte ich dich niemals zum Bruder gewählt, Janek. Da mein Vater aber meinem Geschmack und Willen vorgegriffen hat, so bleibt mir nichts anderes mehr übrig, als mich seinen Verfügungen zu bequemen, und das geduldig zu ertragen, was nicht mehr zu ändern ist.«

Tiefe Blässe lag auf den Zügen des Erbherrn von Proczna.

»Was nicht mehr zu ändern ist!« nickte er gelassen, »ganz recht, an dem Vermächtnis deines Vaters ist nicht zu rütteln; ich bin Graf Dynar und bleibe es, werde aber rücksichtsvoll genug sein, dir meine unliebsame Person niemals aufzudrängen; die Welt ist groß genug zum Versteckspielen für zwei Menschen. Das läßt mich auf das Thema kommen, welches ich gern besprechen möchte. Es handelt sich um meinen zukünftigen Lebensberuf, für welchen ich mich jetzt notgedrungen entscheiden muß.«

»Nun ich denke doch, mon eher … es war lediglich ein Scherz, als Sie uns bei Tisch glauben machen wollten, daß Sie beabsichtigten, den Dienst zu quittieren?« – stotterte Drach in peinlichster Ratlosigkeit, – »und was die ridicule Idee anbelangt, mich nicht mehr Onkel nennen zu wollen …«

Der Kammerherr verstummte erschrocken unter dem Blick, welchen ihm die Komtesse zuwarf. Janek aber schien seinen Einwurf gar nicht beachtet zu haben, er schritt langsam im Zimmer auf und nieder, und sagte kurz:

»Ganz recht, den Leutnant hänge ich sofort an den Nagel.«

»Ich bezweifle, daß du dich als Diplomat besser amüsieren wirst«, warf Xenia etwas geringschätzend ein, lehnte den Kopf gegen die Schnitzerei der Sessellehne zurück und folgte seiner stattlichen Gestalt mit den Blicken.

»Gewiß, und darum verzichte ich auf den Zukunftstraum, dereinst Minister oder Botschafter zu werden.«

Xenia zuckte frappiert empor.

»Du willst von den Konnexionen, welche du gerade im Auswärtigen Amt hast, keinen Gebrauch machen? Lächerlich! …Außer besagten beiden Carrieren wüßte ich keinen entsprechenden Beruf für einen Grafen Dynar.«

»So? – wirklich?! … Aber ich weiß einen!« Janek lachte leise auf, er blieb stehen und sah amüsiert auf sie nieder.

Xenia zuckte verächtlich die Achseln.

»Die Bärenhaut?«

»O nein, – du scheinst viel Talent zu haben, mich falsch zu beurteilen.« Janek entzündete ungeniert eine Cigarette und blies ein paar Ringel, »ich gedenke, im Gegenteil, recht fleißig zu sein! Was meinst du, wenn ich zum Beispiel Sänger würde? Opernsänger oder Konzertsänger?«

Xenia fuhr empor, als habe sie ein Schlag getroffen, dann zog sie die Stirn in finstere Falten und entgegnete schroff:

»Ich bin nicht in der Stimmung, zu scherzen«

Janek musterte sie voll Humor.

»Ich auch nicht, darum sprach ich in vollem Ernst! Du ahnst gar nicht, was für ein Kapital in meiner Kehle steckt. Die berühmtesten Meister haben meine Stimme ausgebildet, welche ich, bescheiden wie das kleinste Veilchen, ungeahnt und unverwertet mit mir herumschleppe. Ich werde eine grandiose Zukunft haben, Europa wird mir zujubeln und dich beneiden, daß du meine Schwester bist.«

Die Hände Xenias zitterten auf der Sessellehne, welche sie umkrampften.

»Opernsänger – du … als ein Graf Dynar!!« …

Wie ein Schrei klang es in seinen Ohren.

»Ich denke gerade, daß mir der Name recht nützlich dabei sein wird«, nickte Janek voll grausamer Ruhe, »so eine neunpunktige Krone muß sich ganz originell auf dem Theaterzettel ausnehmen. Eigentlich habe ich viel Passion für den Cirkus, man sagt, ich excellierte in Kunststücken wie der beste Bereiter, und außerdem ist es ein moderner Sport, denn ich kenne bereits zwei – drei, ja vier sehr vornehme Kameraden, deren kavalleristische Laufbahn in der Manege endete. So ›hei … hep … hep!‹ ich kann mir das ganz spaßhaft denken!«

Der junge Offizier lehnte sich behaglich zurück und weidete sich an der Wirkung seiner Worte.

Wie gebrochen sank die stolze Frauengestalt in dem Sessel zusammen, leise, heiser klang ihre Stimme,– »Mein Vater erntet bösen Lohn für seine opfermütige Liebe, pflanzte seinen Namen fort, damit er in unwürdigster Weise an den Pranger gestellt und zu Grunde gerichtet werde.«

Thränenlos, voll brennenden Vorwurfs hob sich ihr Blick zu seinem Antlitz.

» Mon Dieu, du nimmst die Sache so tragisch, als suchtest du nach einem Stoff für Nikolaus Lenaus grabschaufelnde Feder!« – amüsierte sich Janek unbarmherzig:«Was gehe ich denn schließlich euren Namen, und euer Namen mich an! Alle Welt wird es ja doch erfahren, daß er mir wie das große Los über Nacht in den Schoß gefallen ist, daß ich kein Graf Dynar von Geburt, sondern ein polnisches Insurgentlein bin, welches eben instinktiv die Sphäre wieder aufsucht, in welcher es an der Seite seines leiblichen Vaters doch wohl heimisch geblieben oder geworden wäre!«

»Dein Geheimnis willst du der Welt entdecken? Die Schmach deiner Herkunft bekennen?« – Xenia sprang empor, wie ein Schwindel brauste es durch ihre Sinne: »Das wäre perfide – das wäre infam von dir!«

Groß und verwundert blickte sie sein ruhiges Auge an. –

»Soll ich es etwa verheimlichen? – Das würde ja aussehen, als ob ich ein Feigling wäre, der sich seiner Herkunft, seines Vaters schämt!«

Xenia trat einen Schritt näher, außer sich umklammerten ihre bebenden Hände seinen Arm.

»Janek – « rang es sich von ihren Lippen, »ich habe noch niemals im Leben eine Bitte ausgesprochen, ich habe noch niemals eine Menschenseele um eine Barmherzigkeit angefleht, – jetzt zum erstenmale erniedrige ich mich, deinen Edelmut, deine Ritterlichkeit anzurufen; Janek – meinen Namen als Komödianten, als Kunstreiter vor der Welt zu brandmarken, hieße mich töten! … Solch eine Schande überlebe ich nicht!«

Wieder das Wort: Schande! … Es gellte in den Ohren des jungen Mannes, wie damals auf der Heide, als der Wind es hohnlachend aufgefangen und es durch die weite Welt als Geißel hinter ihm her gejagt hatte; Schande! … Das war der Gifttropfen gewesen, mit welchem jener stolze Mädchenmund sein junges Leben vergällt hatte.

Er sah sie an, sah mit zusammengebissenen Zähnen in dieses bleiche, verstörte Antlitz, das liebreizender wie jemals mit flehenden Augen zu ihm emporschaute.

Wie groß mußte der Stolz der Gräfin Xenia, wie groß die Schande sein, welche das Kuckucksei ins Haus gebracht, daß jener starre Nacken unter seiner Wucht sich neigte.

Namenlose Bitterkeit ließ das heiße Polenblut wild aufschäumen. Rauh, heftig, wie man ein giftiges Insekt von sich schüttelt, stieß Janek die weißen Hände von seinem Arm, bebend vor Stolz und Entrüstung stand er vor ihr, hoch und königlich, mit blitzendem Auge.

»Erbärmliche!« – donnerte er, »die mich unter die Füße treten will, und doch zu schwach ist, um sich aus eigener Kraft auf diesen Füßen behaupten zu können! Herunter jetzt mit der Maske, und ein Ende mit dem Spiel, welches mich zu entwürdigen droht. Du hieltest den Polen für zu erbärmlich und feig, um die seidenen Kissen entbehren zu können, auf welche ihn ein blindes Schicksal gebettet; du wolltest spottend dein Haupt über die Eitelkeit heben, welche den Stolz und das Selbstbewußtsein des Mannes mit goldenen Ketten schnürt und ihm als Sklave der öffentlichen Meinung den Mund verschließt! Tausende vielleicht, welche du ›freiwillig‹ zum Erben deines Namens erwählt, würden sich schlau und berechnend vor der Dornenrute ducken, mit welcher die Kritik der Gesellschaft droht, würden einen dichten Schleier über die Vergangenheit hängen und ihre verächtliche Rolle mit glatter Larve weiterspielen Ich aber, der Pole, der Sohn des obdachlosen Flüchtlings, ich empöre mich wider eine solche Erniedrigung, ich verzichte darauf, der Bruder eines Weibes zu sein, welches mich als Schandfleck im Wappen nur gezwungen duldet und mich als Eindringling und Bürde erachtet, und ich nehme all deinen gleißenden Tand, mit welchem du mich wehrlos machen willst, deinen stolzen Namen und dein Gold und werfe es dir vor die Füße! Durch meine eigene Kraft will ich mir die Wege durchs Leben bahnen, will dir's zeigen und beweisen, daß es doch noch Männer gibt, welche ebenso stolz sind wie du, Gräfin Xenia! An dem Testament deines Vaters läßt sich nicht rütteln. Aber freiwillig verzichte ich auf die Ehre, mich künftighin einen Reichsgrafen von Dynar zu nennen. ›Janek Proczna!‹ – nicht mehr und nicht minder wird mein Name sein. Die Einkünfte meiner Besitzungen und die Zinsen meines Baarvermögens lege ich in deine Hand zurück. Nur jenes Kapital, welches seit meinem sechzehnten Lebensjahr durch die Zinsen meiner Einkünfte angewachsen ist, kann ich mit gutem Recht beanspruchen, denn anstatt in dem Luxus zu leben, wie ich es gekonnt hätte, habe ich die Gelder anlegen lassen. Die Summe reicht aus für eine Equipierung, wie sie ein jeder Vater seinem Sohne schuldet. Und somit, Gräfin Xenia, werden sich unsere Wege von heute ab trennen, somit werde ich fern und fremd bleiben, bis Sie mich ›freiwillig‹ an Ihre Seite rufen, um mich als Bruder anzuerkennen und mich in die Rechte des väterlichen Testamentes zu setzen. Bedürfen Sie jemals Hilfe oder Schutz, brauchen Sie eine Stütze oder männliche Kraft, welche freudig Gut und Blut für Sie einsetzen soll, dann rufen Sie den Polen Janek Proczna, und seien Sie versichert, daß der Tochter meines unvergeßlichen Pflegevaters jeder Atemzug und jeder Blutstropfen geopfert sein soll. Nicht ich verlasse Sie, Xenia, Sie selber stoßen mich von sich zurück. Und somit Gott befohlen, – für hier – und – wenn es Gottes Wille ist, auch für dort!«

Er hob sekundenlang den Blick zu dem düsteren stürmischen Himmel, dann verneigte er sich kurz und schnell und trat mit festen Schritten über die Schwelle.

Wie betäubt starrte ihm Xenia nach, sie hob die Hände, ihn zurückzuhalten, sank in den Sessel nieder und drückte sie vor ihr bleiches Antlitz.

 

An dem Sarge seines Pflegevaters hatte der Erbherr von Proczna gekniet, und lange, lange sein brennendes Antlitz auf die kühle Bronze niedergesenkt; ein Strauß regenfeuchter Blüten war der letzte Gruß, welchen seine Hände auf das Grabmal niederlegten.

Dann war beim nächsten Morgengrauen der Reisewagen durch das Schloßthor gerollt.

Gräfin Xenia hatte sich lauschend emporgerichtet, hatte mit heißen, übernächtigen Augen in die wirren Spitzenmuster des Betthimmels emporgestarrt, und die Hand gegen die Stirn gepreßt.

Er ging wirklich, – ging für ewige Zeiten. –

Sie sah ihn plötzlich wieder vor sich stehen, hoch, schön, noch viel stolzer wie sie selbst. Der erste Mann, dem es gelungen war, ihr zu imponieren, vor dem sie den Blick hatte senken müssen wie eine Schuldige, dieser Pole!

Warum flirrten die feinen Arabesken und Spitzenmuster urplötzlich wie Nebel vor ihren Augen? Buchstaben formten sich daraus, große feste Schriftzüge – »sollte sich aber ein heißeres und süßeres Lieben in dein Herz stehlen …« –

Gräfin Xenia hatte Fieber, sie schauderte zusammen, als friere sie bis in das stolze, kalte Herz hinein, dennoch glühte ihre Stirn. Dann drückte sie das Gesicht in die Kissen und verharrte regungslos.

Fern, fern verklang das Rollen des Wagens. Das Kuckucksei hatte die enge Schale gesprengt und ein junger Adler war aus ihm emporgeflattert, frei – kühn – hoch auf zur Sonne, – für ewige Zeiten hinaus in die weite, weite Welt.



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