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XII.

Durch die kahlen Baumwipfel, welche weiß bereift und glitzernd wie ein duftiges Spitzengewebe Villa Florian mit ihrem Gezweig zu umspinnen schienen, strahlten die unverhangenen Fenster, rosiger Widerschein malte sich auf den glatten Schneeflächen des Vorgartens, und zu beiden Seiten der Einfahrt loderten Pechfackeln, welche vier Jockeys, in reichem pelzverbrämten Strelitzenkostüm, vor den Gästen der Gräfin Dynar neigten.

Ungewöhnlich früh rollten die Equipagen vor das Portal, es schien, als habe man kaum die Zeit erwarten können, den Stern der Kunst von Angesicht zu Angesicht zu schauen, sich an den Liedern zu berauschen, deren Zauber bereits die halbe Welt vor den Siegeswagen eines Janek Proczna gespannt.

Die »kleine Crême« der Gesellschaft war bereits vollzählig erschienen, ehe der Zeiger der Pendule die Stunde zeigte, zu welcher die Einladungen ergangen waren.

Excellenz Gärtner, Gräfin Kany und Leutnant von Flandern waren die ersten »Neugierigen« gewesen, welche Xenia im Saal empfangen hatte.

Eine peinliche, fast raffinierte Sorgfalt hatte Frau Leonie auf ihre Toilette verwandt, und als sie ihre bien aimée mit bestrickendster Liebenswürdigkeit umarmte, um einen Kuß auf die Wange der Komtesse zu hauchen, warf sie einen Blick blitzschnell nach dem großen Wandspiegel hinüber, der das Doppelbild der beiden schönen und imposanten Frauengestalten zurückstrahlte.

Dasselbe mußte befriedigen; um Frau Leonies Mündchen senken sich die beiden scharfen Linien, welche des geheimen Triumphes kabbalistische Zeichen sind!

Frau von Drach, welche in zart fliederfarbener Veloutine, ungewohnt lebhaft und jugendlicher denn je an Xenias Seite die Honneurs machte, führte den Damen ihr Töchterchen Beatrice zu.

»Mein kleiner Backfisch, welcher mir eben über den Kopf gewachsen ist und Sehnsucht nach Kerzenlicht und einer Schleppe hat«, scherzte sie mit sehr erwartungsvollem Gesicht. »Ich werde Hoheit heute abend um die Erlaubnis bitten, Bicky präsentieren zu dürfen, um in dieser Saison zum erstenmal die Rolle einer würdigen Ballmutter zu spielen!«

»Scharmant, welch eine allerliebste Überraschung«, nickte Gräfin Kany huldvoll und gestattete la petite einen Handkuß. »Damit werden Sie unsern Kavalieren einen großen Gefallen thun, beste Baronin, es ist ja so großer Mangel an jungen Mädchen in unserm kleinen Kreis!«

Flandern verbeugte sich und lächelte sehr verbindlich:

»Ich habe den Vorzug, Sie von allen Kameraden zuerst im Salon begrüßen zu dürfen, mein gnädiges Fräulein, und deute es mir als gutes Omen für unsere spezielle Freundschaft!«

Bicky knixte mit glühenden Wangen, und Frau Leonie zog sie in den Arm und lächelte ihr »tief in die Seele hinein.«

»Ihre Mama ist ja noch viel zu jung, mein kleines Herz, und viel zu beansprucht auf den Bällen, um jetzt schon ein Töchterchen chaperonnieren zu können! Ich alte Frau habe mehr Zeit dazu, und rate Ihnen, sich gleich von vornherein an mich zu halten, ich mache Ihnen keine Konkurrenz mehr, Bickychen!«

»Eine Wärmflasche und eine Pelzhaube für die alte Frau!« rief Flandern übermütig und schob voll outrierter Hast einen Sessel für Ihre Excellenz herzu, Frau Clara aber lachte laut auf und nahm den Arm ihres Töchterchens.

»Komm, Kind, die schöne Frau da muß einst in das Fegefeuer, sie mokiert sich über deine respektable Mutter!« und sie wandte sich gleicherzeit zur Thür, um Graf Ettisbach nebst Gemahlin beide Hände entgegen zu strecken.

Sehr erstaunt blickte die Gräfin auf die zierliche Gestalt Beatrices, welche in dem weißgestickten Kleid und den helllila Bandschleifen eine ebenso reizende wie neue Erscheinung in der Gesellschaft war.

»Ihr Töchterchen?« verwunderte sie sich mit dem naivsten Blick, welcher ihr zu Gebote stand. »Ist es möglich, beste Clara! Sie rührende Seele wollen schon zu dem Fach der selbstlosen Ballmütter übergehen? Doch wohl nur für heute abend?«

Frau von Drach lächelte, ein Gemisch von Ironie und Amüsement.

»Aha – sie hat Verständnis für kleine Kunstgriffe!« dachte sie triumphierend, und fügte laut hinzu: »Nein, liebste Freundin, ich will mein Küken nun dauernd flügge machen! Beatrice ist ja siebzehn Jahre alt, ein Alter, in welchem ich bereits Braut war! Das sind die Konsequenzen solch frühen Heiratens, man hat schließlich eine Tochter, mit welcher man, gleich wie mit einer Schwester, um die Wette tanzen kann!«

Die Worte waren sehr laut gesprochen und ringsum gehört worden. Die Hofdame fühlte einen leisen Stoß an ihrem Arm.

»Spiritus, merkst du was? Beide helllila!!« raunte ihr Leonie in die Ohren.

Dann wandte sie sich zu dem Kammerherrn, welcher mit ihrem Mann in ein Gespräch verwickelt war, und sagte ihm tausend Schmeicheleien über das entzückende »Duett«, welches er künftighin »bevatern« werde!

Herr von Drach dankte mit verbindlichsten Worten, es schien, als habe er alle Orden hervorgesucht, um damit seine Brust gegen alles zu panzern, was an diesem Abend auf ihn einstürmen würde.

Herr von Hofstraten führte seine »bessere Hälfte« der Gastgeberin entgegen, hinter ihnen her drängten sich verschiedene Ulanen, unter ihnen Fürst Heller-Hüningen, welcher bei Bickys Anblick die Hände zusammenschlug.

»Seh ich recht im Mondenschein, dort ein schmächtig blasses Kind?«

Schon wollte Beatrice der alten Gewohnheit gemäß mit bitter-bösem Gesicht emporfahren: »Ich bin kein Kind mehr, ich verbitte mir das!« Aber in demselben Augen, blick fiel ihr ein, daß sie sich fest vorgenommen hatte, den Monsieur Donat vollkommen zu ignorieren, und darum schnitt sie ihm nur eine ganz kleine Grimasse, und drehte sich auf den Hacken um.

Gräfin Xenia stand direkt unter dem Kronleuchter, umringt von einem kleinen Kreis der Geladenen. Sie hatte sich wenig vorteilhaft angezogen, im Gegensatz zu all den anderen Damen, welche sichtlich die größten Anstrengungen gemacht hatten, im Kampf der Schönheit und Eleganz als Siegerin hervor zu gehen.

Gräfin Dynar hatte unbegreiflicherweise eine dunkle Toilette gewählt, eine tiefblaue Sammetrobe, über welche eine Schleppe von gleicher Farbe, nur mit breiten Goldarabesken durchwirkt, niederfiel. Keinerlei Schmuck glänzte auf dem weißen Hals; nur flach gebundene Veilchensträuße zierten in duftender Frische Brust und Haar.

Sie sah nicht so gut aus wie sonst, ein fast starrer Ausdruck lag in dem bleichen Antlitz, und aus den dunklen Augen sprühte es wie namenlose Gereiztheit.

Frau Leonie und ihre Intima Kany wichen nicht von ihrer Seite.

»Ist es denn faktisch wahr, beste Kany, daß August Ferdinand uns heute die Mrs. Gower meuchlings beibringen will?!« rief Gräfin Ettisbach mit sehr entrüstetem Gesicht. »Die Person wird doch hoffentlich nicht die Frechheit haben, zu kommen?«

Die Hofdame zuckte mit undefinierbarer Miene die Achseln, Xenia aber entgegnete gleichgültig:

»Beide Gowers haben zugesagt, ich sandte die Einladung auf speziellen Wunsch seiner Königlichen Hoheit noch heute morgen hin.«

Excellenz Gärtner hob das schöne Haupt und wechselte mit Flandern einen schnellen Blick.

»Hoheit scheint gar nicht zu ahnen, wie wenig Sympathieen wir für diese Dame sowohl, wie für ihren ganzen Anhang haben. Ich für meine Person werde beweisen, daß ich alt genug bin, einen selbständigen Willen zu haben, und hoffe, mit dieser Ansicht nicht allein zu stehen; wenn es Mrs. Gower nicht merkt, daß sie überflüssig ist, muß man es ihr zeigen!«

»Sehr recht! ganz Ihrer Ansicht, Excellenz!« applaudierte Flandern.

»Ist es nicht zum Totlachen, daß die Gower neulich zum Infanterie-Maskenball das Mädchen von Dom Remi verherrlicht hat? – Sie als Engländerin! … hahaha! …«

Hüningen schüttelte eifrig den Kopf.

»Pardon, gnädigste Gräfin, das ist ein Irrtum! Frau Leutnant Gower war nicht ein Mädchen von Dom Remi, sondern die Jungfrau von Orleans!«

Schallendes Gelächter erhob sich.

»Wat he ein liebes Gestell is!« rief Frau von Hofstraten zärtlich, und Gräfin Ettisbach klopfte ihm mit dem Fächer die Wange: »O Sie niedlichstes beauty patch! ein schneeweißes Lämmchen ist ja rabenschwarz gegen Sie!«

Nur Frau Leonie machte ein etwas mokantes Gesicht, und Xenia biß tief errötend die Zähne zusammen.

Donat aber lachte halb ärgerlich, halb belustigt auf und hob die gefalteten Hände gegen die Gräfin Dynar:

»Nur morgen kein Buch zuschicken, Xenia, morgen ist Liebesmahl!!«

»Guten Abend, mein Herzblatt!« Fürstin Reussek rauschte sehr hastig mit einer endlosen Schleppe auf Xenia zu und klopfte sie während einer halben Umarmung auf den Rücken. »Na, wo steckt denn der Göttliche? Gibt es den Janek Proczna erst zum Dessert? Ich sperrte bereits auf der Treppe die Ohren auf.«

»Janek Proczna? Den hat die kleine Schelmin hier eine halbe Stunde später eingeladen, damit die Diener erst das Silber festbinden können!« kicherte die Hofdame mit zusammengekniffenen Augen.

»Silber festbinden? Warum das?«

» Va banque!« zischte ihr Leonie hinter dem Fächer zu.

» Eh mon Dieu! Janek Proczna ist doch Pole?«

»Sie sprechen durch die Blume, Gräfin! Bitte, nehmen Sie Rücksicht auf unser lahmes Begriffsvermögen!«

»Ach ja, wir kapieren so schwer – «

»Sie wollen doch nicht etwa auf polnische Fingerfertigkeit anspielen?« – lachte Flandern schallend auf, und Leonie fügte mit einem Blick auf Xenias bebende Lippen hinzu: »Was für ein Bonmot präparieren Sie mal wieder? Schnell heraus damit!«

Die Hofdame zog das Gesicht noch tiefer in Falten.

»Mir fiel eine alte Geschichte ein« – wiegte sie den grell geschmückten Kopf auf der schiefen Schulter, »eine kleine Anekdote, die mein Papa so gern erzählte! … Haha … der war auch einmal mit einem Polen, einem sehr vornehmen Polen sogar – zu einem Diner geladen, und als der Wein die Zunge des Woywoden etwas gelöst hatte, da steckte er die Serviette und sein Besteck gutmütig lachend in die Tasche und entwickelte seine Überzeugung: ›Der Polle treu, treu wie ein Hund, aberr stehlenn – o stehlen macht nix!‹«

Abermals erbrauste eine Lachsalve, Leonie und Flandern drohten förmlich zu ersticken, aber Gräfin Ettisbach, Tarenberg und etliche der jungen Offiziere eröffneten einen Sturm der Verteidigung, und schworen nicht höher als bei dem scharmantem ritterlichen Janek Proczna.

»Pole bleibt Pole«, lachte Melanie entgegen.

Xenia aber hatte mit weitgeöffneten Augen auf die Sprecherin gestarrt, alles Blut wich ihr zum Herzen, wie tiefe Schatten wogte es vor ihrem Blick, dann schaute sie auf Excellenz Gärtner.

Ein Aufatmen hob ihre Brust, hoch und stolz richtete sie sich empor; nun wußte sie, welche Hände ihr die Steine in den Weg gerollt, hinter welcher Stirn ihr diese qualvollste aller Stunden ersonnen war, nun kannte sie auch die Motive dafür. Eine wundersame Ruhe kam über sie, sie fühlte sich jedem Angriff gewachsen.

Ihr gegenüber öffneten sich die Flügelthüren, Janek Proczna trat ein.

Aller Augen richteten sich auf ihn; wie ein elektrischer Funke durchzuckte sein Anblick die Damen, und Gräfin Ettisbach drückte den Arm ihrer Freundin Tarenberg so heftig an sich, als wolle sie damit instinktiv eine Schanze vor ihr Herz bauen.

Nur Frau Leonies Blick flog wie eine Pfeilspitze nach dem rotblonden Haupt, welches sich dem Ankömmling in marmorkühler Höflichkeit zugewandt, keine Wimper zuckte in dem Antlitz der Gräfin Dynar.

Excellenz Gärtner biß sich auf die Lippe, dann schüttelte sie mit amüsiertem Lächeln den Kopf über das Kleeblatt Reussek, Tarenberg und Ettisbach, welches sich in naivem Entzücken noch auffallend »pensionatsgemäß« benahm.

Die Ulanen waren dem Sänger von Gottes Gnaden, von dessen mehr wie opulentem Frühstück sie erst vor wenigen Stunden sehr animiert zurückgekehrt, entgegengestürmt, um ihn mit lauten Zurufen, wie einen ihrer intimsten Freunde zu begrüßen.

Heller-Hüningen nahm seinen Arm und führte ihn im Triumphe Xenia zu, welche ganz gegen ihre Gewohnheit dem Gast etliche Schritte entgegenkam.

»Ich freue mich außerordentlich, daß Sie Wort halten und mir das Vergnügen bereiten, Sie in meinem Hause den höchsten Herrschaften zuführen zu können!« sagte sie mit ihrer klaren, ruhigen Stimme, die Worte mit einem Lächeln begleitend, welches die Grenze zwischen formeller Höflichkeit und Gunstbezeugung sehr scharf innehielt.

Janek Proczna antwortete kurz aber höflich, und begrüßte dann den Kammerherrn, welcher alle Aufrichtigkeit seiner Freude in die Fingerspitzen konzentrierte und sein »um des lieben Friedens willen« ceremonielles Willkommen durch desto herzhafteren Händedruck wieder gut machen wollte.

Frau Klara hatte beim Eintritt Procznas Beatrice sofort an ihre Seite gewinkt; sie schaute voll fiebernder Erwartung zu dem Gefeierten empor und nickte ihm fast vertraulich zu.

»Die Frau Marquise von X. läßt grüßen!« lachte sie mit geheimnisvollem Augenzwinkern, und Janek sekundierte ihrer Heiterkeit und neigte sich scherzend über ihre kleine Hand:

»Ich habe derselben noch nie im Leben so aufrichtig gehuldigt wie heute, gnädige Frau, und bitte der Frau Marquise sowohl wie ihrer Fräulein Tochter meine begeisterte Anerkennung zu Füßen legen zu wollen!«

Wie entzückend, interessant das klang! … Claras Blick triumphierte in die Runde, – habt ihr's gehört? – nun zerbrecht euch die Köpfe über die Marquise v. X.!!

Bicky machte einen feierlichen Knix, um ihre Lippen zitterte es dabei wie verhaltenes Lachen, und der schnelle Blick, welchen sie mit dem Sänger Proczna wechselte, enthielt eine ganze Verschwörungsgeschichte.

Schon stand der Kammerherr hinter Janek und berührte leicht seinen Arm, mit der Bitte, ihn den anwesenden Herrschaften bekannt machen zu dürfen. Der Pole schritt an Drachs Seite langsam von einer der Damen zur andern, meist nur von einem stummen, lächelnden Kopfneigen begrüßt, bis sich ihm plötzlich unter dem Signalement der Frau von Hofstraten eine mehr kräftige wie graziöse Hand zum Gruße bot und die seine in energischem Willkommen drückte.

»Freut mich, daß he zur Stell' is!« klang es ihm in rauhen Kehllauten entgegen, »hoffentlich bringt he uns aus Paris een' Troppen eau de vie in dissen abgesmackten Slabberjux hier!«

Janek lachte mit und blickte zum erstenmal etwas interessierter in das Antlitz seines vis-à-vis, – die Frau Rittmeister schien ein Original zu sein.

»Excellenz von Gärtner« – fuhr der Kammerherr mit stereotyper Verbindlichkeit in Stimme und Geste fort.

Janeks dunkle Wimpern sanken wieder verschleiernd nieder, vor seinem Blick flimmerte eine köstliche goldfunkelnde Toilette, aus deren Atlaswogen farbige Kolibris schwebten, er sah einen marmorweißen Arm, eine Hand, welche lässig mit dem geschlossenen Fächer zur Seite herab glitt und wollte mit kurzem Gruße weiterschreiten.

Da blitzte es durch die Luft und fiel klirrend zur Erde, – ein Bracelet hatte sich gelöst und rollte von dem Arm Ihrer Excellenz direkt vor die Füße Procznas nieder.

Voll liebenswürdiger Hast neigte sich der Pole und überreichte es der Gemahlin des Präsidenten, für einen Augenblick ruhte Auge in Auge.

Wie ein Feuerstrom durchglühte ihn der Blick, welcher ihn traf; seit er zum letztenmal in den Variétés de Paris gesessen und applaudiert hatte, war ihm ein solcher Gruß nicht wieder aus einem Frauenauge geworden. Excellenz Gärtner war eine gefährliche Schönheit. Gräfin Xenia war wohl die einzige gewesen, welche den kurzen Vorgang bemerkt hatte.

Ein Diener meldete der Hofdame der Prinzessin, daß soeben die Wagen der hohen Herrschaften das Portal passiert hätten; Gräfin Kany begab sich in das Vorzimmer, und die Gesellschaft ordnete sich in etwas geräuschvoller Hast zu dem formellen Circle, welcher das prinzliche Paar in gewohnter Weise beim Eintritt in den Saal empfing.

Am Arm ihres stattlichen Gemahls schritt Anna Regina über die Schwelle.

Unendlich zart und graziös wie eine Sylphide schwebte sie neben der hünenhaft ritterlichen Gestalt des Prinzen, auf dessen Brust der Stern des Königlichen Hausordens blitzte, und dessen Haupt mit den energischen Gesichtszügen und dem kurzgeschnittenen Vollbart, selbstbewußt und mit viel natürlicher Hoheit auf den breiten Schultern thronte.

Dem hohen Paar folgten Gräfin Kany und Leutnant Gower, der persönliche Adjutant des Prinzen nebst seiner jungen Frau, einer anmutigen blassen Erscheinung mit ausgeprägt englischer Tournure.

August Ferdinands Blick machte auffallend heiter seine Runde über alle bekannten Gesichter und flog schließlich, sich schärfend, zu Janek Proczna hinüber, dessen Auge ihm voll freimütiger Ruhe begegnete. Es war, als schimmere ein Lächeln sympathischen Wohlwollens über die Züge des erlauchten Herrn.

»Sie gewähren uns einen überraschenden Genuß heute abend, gnädigste Gräfin!« wandte er sich chevaleresk an Xenia, ihr herzlich die Hand drückend, »wir fiebern vor Erwartung wie die Kinder, welche durch das Schlüsselloch den verheißungsvollen Glanz des Christbaumes strahlen sehen!«

Gräfin Dynar blickte ihm fest in die Augen.

»Ja, Königliche Hoheit!« antwortete sie mit erhobener Stimme, »eine Überraschung plane ich allerdings, und glaube, daß es manchen gehen wird, wie dem Kind vor der Christtafel, welches sich viel wünschte und noch mehr bekam! Oft liegen seltsam unerwartete Geschenke bereit, welche dem Geber fast noch mehr Spaß bereiten, wie dem Empfänger!«

Excellenz Gärtner horchte hoch auf, der Prinz aber wiegte scherzend das Haupt und sagte mit einer entsprechenden Geste:

»Sie wollen doch nicht etwa auf eine Rute anspielen, Gräfin? Man hat deren, welche mit Goldflitter und buntem Band verziert unendlich harmlos aussehen, bis – man sie empfindet!«

Leonies Auge blitzte auf:

»Und dann ist es zu spät, Hoheit, um sich ihrer Zudringlichkeit zu erwehren!« warf sie mit harmlosestem Lachen ein, »sie hinterläßt Striemen!«

Xenia zuckte lächelnd die Achseln.

»Nur auf solchem Rücken, Excellenz, welcher auf krummen Wegen seinem Ziele entgegen schleicht«, antwortete sie voll ironischer Schärfe. »Ich habe niemals das ominöse Birkenreis gefürchtet, wenngleich ich fest an eine Nemesis glaube, welche es auch über große Kinder in moralischer Züchtigung führt.«

»Mein Gott, kleine Gräfin, Sie philosophieren ja – göttliche Komödie!« – lachte die Präsidentin etwas konvulsivisch auf, den Fächer stürmisch in Bewegung setzend und gleichzeitig einen Schritt zurücktretend, um Anna Regina, welche sich soeben wieder von ihrer Begrüßung mit Frau von Drach und Prinzessin Reusseck nach Xenia zurückwandte, den Weg frei zu geben.

Mit einem fragenden, fast scheuen Blick, in das nachdenkliche Gesicht August Ferdinands, legte die hohe Frau die Hand leicht auf den Arm der Komtesse.

»Werden wir gleich etwas Musik zu hören bekommen, liebe Gräfin? Ich werde mich freuen, die Bekanntschaft Janek Procznas zu machen.«

»Königliche Hoheit gestatten, daß ich ihn persönlich präsentiere!« und Xenia schritt hoch erhobenen Hauptes durch den kleinen Kreis und die Mitte des Saals zu dem Sänger, welcher, leise mit Bicky plaudernd, isoliert an dem Erker stand, hinüber.

Frau Leonies Hand krampfte sich um den Arm der Kany … folgte der königlichen Gestalt mit den Blicken, sie sah, daß Xenia neben den Polen trat, daß sie leise ein paar Worte wechselte … Dann lächelte Proczna, neigte in kurzer Zustimmung das Haupt, und reichte der Gräfin die Hand entgegen!

Kalt und stolz führte ihn Xenia den Herrschaften entgegen, wie eine trotzige Herausforderung schweifte ihr Blick über die Gesellschaft, welche zu beiden Seiten, Spalier bildend, vor ihnen zurückwich.

»Königliche Hoheit gestatten mir, in dem Sänger Janek Proczna gleicherzeit den Adoptivsohn meines verstorbenen Vaters, den Reichsgrafen Hans Stefan von Dynar, Erbherrn zu Proczna, Euer Königlichen Hoheit zuführen zu dürfen!«

Laut und klar hatte Xenia gesprochen, ihr Blick traf Leonie, verächtlich, spöttisch zugleich. Eine jähe, ungestüme Bewegung wogte wie Meeresbrandung durch die Versammlung, unterbrochen durch das drastisch laute: »Wat's!? der Donner!!« der Frau von Hofstraten und den leisen Aufschrei maßlosen Staunens, welcher sich gleichzeitig von den Lippen der Gräfinnen Ettisbach und Tarenberg rang.

August Ferdinand jedoch, nicht minder überrascht wie die meisten Anwesenden, starrte die Sprecherin einen Augenblick an wie eine Vision, und wiederholte hastig:

»Ihr Bruder, Gräfin? Janek Proczna Ihr Bruder?« und ohne nur eine Antwort abzuwarten, reichte er dem jungen Mann voll herzlichster Freude die Rechte entgegen und hieß ihn mit großer Liebenswürdigkeit willkommen. Janek neigte sich tief über die Hand des Prinzen, verteidigte voll schlagfertigen Humors sein Pseudonym, und wandte sich mit der Sicherheit eines vollendeten Kavaliers zu Anna Regina, welcher er durch den Prinzen zugeführt wurde.

Wie ein Gefühl von teilnahmsvoller Sympathie überkam es ihn, als sich die braunen Augen so hilflos und kindlich zu ihm aufschlugen, es war ihm, als halte er ein Vöglein in der Hand, dessen Herzchen man angstvoll klopfen fühlt.

Janek Proczna hatte auf seinen Wanderzügen durch die Welt die Menschen kennen gelernt; sein Blick hatte sich geschärft und schaute durch Maske und Schminke bis auf den Grund der Seele. Wie ein aufgeschlagenes Buch lag das Antlitz Anna Reginas vor seinem geistigen Auge, und die Überschrift des Romans, welche ihm aus einer jeden Miene der hohen Frau so wehmütig und flehend zugleich entgegensah, reizte ihn an, dieses Buch nicht zu durchblättern, sondern es Seite für Seite zu studieren.

Anna Regina ahnte nicht, daß der Anblick ihres blassen Gesichtchens und ihr zaghaft freundlicher Willkommengruß den gefeiertsten Mann des Tages zu ihrem Ritter geschlagen, welcher im Herzen ihre Partei nahm, noch ehe er wußte, ob die Gemahlin August Ferdinands mit Gegnern zu kämpfen habe.

Die Damen des Regiments umringten den Reichsgrafen von Dynar und wußten ihm gar nicht genug des Schönsten zu sagen, die Offiziere der »feudalsten Waffe« schlossen ihn als Freund und Kamerad voll Enthusiasmus in die sonst so steifen Arme und Onkel Drach war ganz konfus vor Entzücken und trank zum erstenmal im Leben aus lauter Zerstreutheit seinen Thee ohne Zucker.

August Ferdinand drückte Xenia zum zweitenmal die Hand und sagte lachend:

»Hut ab vor Ihren Überraschungen, Gräfin: wenn unser Gesprächsthema von vorhin eine Beziehung auf Ihren Herrn Pflegebruder hat, so kann es nur in dem Sinne einer ›Leimrute‹ sein! Sehen Sie doch hin, wie alle Goldfliegen und Schmetterlinge schon jetzt von ihm in Bann und Fesseln geschlagen sind!«

Xenias Antwort klang zerstreut, – seit dem Augenblick, wo Janek Proczna ihre Rechte umschlossen, brannte es wieder wie ein grellroter Streifen auf ihrer Hand, fühlte sie abermals den Peitschenhieb, welcher wie ätzend Gift lange Jahre hindurch an ihrem stolzen Herzen genagt, … mechanisch strich sie über die sammetweiche Haut, als könne sie die Erinnerung fortwischen …

Janek Procznas übermütige Stimme aber lachte zu ihr herüber, … das Kuckucksei lag im Nest, für ewige Zeiten im Nest. –



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